Kapitel 16
Väter und Söhne

Los Angeles, 2002

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Errol, Kimbal und Elon

© Mit freundlicher Genehmigung von Kimbal Musk

Ein Baby namens Nevada

Elon war gerade mit der Gründung von SpaceX beschäftigt, als Justine das erste gemeinsame Kind zur Welt brachte – einen Jungen, der Nevada hieß, weil er während des Burning Man Festival in jenem Bundesstaat empfangen worden war. Als Nevada zehn Wochen alt war, fuhr die ganze Familie nach Laguna Beach, ein wenig südlich von Los Angeles, um an der Hochzeit eines Cousins teilzunehmen. Während der Feier kam ein Hotelmanager auf die beiden zu. »Ihrem Baby ist etwas zugestoßen«, informierte er sie.

Als Elon und Justine in ihr Hotelzimmer zurückkehrten, waren Sanitäter gerade dabei, Nevada zu intubieren und ihn mit Sauerstoff zu versorgen. Wie das Kindermädchen berichtete, hatte er auf dem Rücken liegend in seinem Kinderbett geschlafen und plötzlich nicht mehr geatmet. Die Ursache war vermutlich der plötzliche Kindstod , eine unerklärliche Gesundheitsstörung und die häufigste Todesursache bei Säuglingen in den Industrieländern. »Bis die Sanitäter ihn wiederbelebt hatten, war er schon so lange ohne Sauerstoff gewesen, dass er hirntot war«, sagte Justine.

Kimbal fuhr mit Elon, Justine und dem Baby zum Krankenhaus. Nevada war zwar für hirntot erklärt worden, wurde aber trotzdem noch drei Tage am Leben gehalten. Als die Eltern schließlich die Entscheidung trafen, das Beatmungsgerät abzuschalten, fühlte Elon Nevadas letzten Herzschlag, während Justine den Kleinen in ihren Armen hielt. Musk schluchzte hemmungslos. »Er heulte wie ein Wolf«, sagt seine Mutter . »Wie ein Wolf.«

Weil Elon erklärte, er könne eine Rückkehr nach Hause nicht ertragen, brachte Kimbal sie im Beverly Wiltshire Hotel unter. Der Direktor gab ihnen die Präsidentensuite. Elon bat ihn, Nevadas Kleidung und Spielzeug zu entsorgen, die inzwischen ins Hotel gebracht worden waren. Es dauerte drei Wochen, bis Musk in der Lage war, nach Hause zu fahren und das Zimmer wiederzusehen, das seinem Sohn gehört hatte.

Seinen Schmerz verarbeitete er im Stillen für sich. Unmittelbar nach seiner Rückkehr flog Navaid Farooq , sein Freund von der Queen’s, nach Los Angeles und blieb bei ihm. »Justine und ich versuchten, ihn in ein Gespräch über das Geschehene zu ziehen, aber er wollte nicht darüber reden«, erzählt Farooq. Einmal fragte Farooq nach einem langen Schweigen: »Wie geht’s dir? Wie kommst du damit klar?« Musk brach die gesamte Unterhaltung ab. »Ich kenne ihn lange genug, um seine Miene lesen zu können,« erläutert Farooq. »Ich konnte sehen, dass er entschlossen war, nicht darüber zu sprechen.«

Ganz anders Justine , die sehr offen mit ihren Gefühlen umging. »Er fühlte sich eher unwohl damit, dass ich meine Gefühle über Nevadas Tod äußerte. Er warf mir vor, mit Gefühlen zu manipulieren, indem ich mein Herz auf der Zunge trug.« Dass Musk seine Gefühle unterdrückte, erklärte Justine sich mit den Verteidigungsmechanismen, die er in seiner Kindheit entwickelt hatte. »Wenn er sich an einem düsteren Ort befindet, blendet er Gefühle aus«, sagt sie. »Ich denke, das ist so ein Überlebensding für ihn.«

Errol trifft ein

Nach Nevadas Geburt hatte Elon seinen Vater Errol eingeladen, aus Südafrika herüberzufliegen, um seinen Enkelsohn kennenzulernen. Elon bot sich damit die Gelegenheit – 13 Jahre nachdem er Südafrika verlassen hatte –, sich mit Errol zu versöhnen und wenigstens ein paar Dämonen auszutreiben. »Elon war Dads erster Sohn, und vielleicht wollte er ihm etwas beweisen«, mutmaßt Kimbal .

Errol brachte seine neue Ehefrau, ihre beiden Kinder und die drei Kinder aus deren früherer Ehe mit. Elon bezahlte alle sieben Tickets. Als die Gruppe nach der ersten Etappe ihres Fluges von Johannesburg in Raleigh, North Carolina, eintraf, wurde Errol von Delta Air Lines ausgerufen. »Wir haben leider schlechte Nachrichten«, teilte man ihm mit. »Ihr Sohn bat uns, Ihnen mitzuteilen, dass Ihr Enkelsohn verstorben ist.« Elon hatte darauf bestanden, dass ein Sprecher der Fluglinie seinem Vater die Nachricht übermittelte. Er selbst hätte es nicht über sich gebracht, die Worte auszusprechen.

Kimbal erklärte ihm schließlich am Telefon die Lage: »Dad, du kommst besser nicht.« Kimbal versuchte, seinen Vater zu einer Umkehr nach Südafrika zu bewegen. Doch Errol weigerte sich: »Nein, wir sind bereits in den Staaten, also kommen wir auch nach Los Angeles.«

Errol erinnert sich, wie sehr ihn damals die Größe des Penthouse im Beverly Wiltshire erstaunte: »Vermutlich das Großartigste, was ich je gesehen habe.« Elon schien sich in einer Art Trance zu befinden, war aber zugleich auf eine komplizierte Art sehr bedürftig. Es war ihm zwar unangenehm, dass ihn sein polternder Vater in einem Zustand so großer Verletzlichkeit sah, doch er wollte auch nicht, dass dieser wieder abreiste: »Ich möchte nicht, dass ihr zurückfahrt. Ich werde euch hier ein Haus kaufen.«

Kimbal war entsetzt. »Nein, nein, nein, das ist eine schlechte Idee«, beschwor er Elon, »du vergisst, dass er eine finstere Gestalt ist. Mach das nicht, tu dir das nicht an.« Aber je mehr er versuchte, es seinem Bruder auszureden, desto trauriger wurde Elon. Noch Jahre später rang Kimbal mit der Frage, welche Sehnsüchte die Idee mit dem Haus ausgelöst haben könnte. »Seinen eigenen Sohn sterben zu sehen, brachte ihn meiner Meinung nach dazu, sich zu wünschen, sein Vater wäre in der Nähe.«

Elon kaufte für Errol und seine Brut ein Haus in Malibu, dazu den größten Land Rover, den er auftreiben konnte. Außerdem sorgte er dafür, dass die Kinder in guten Schulen angemeldet und täglich dorthin chauffiert wurden. Doch bald schon wurde die ganze Situation ziemlich eigenartig: Elon war besorgt über das unangenehme Maß an Aufmerksamkeit, das der damals 56 Jahre alte Errol einer seiner Stieftöchter entgegenbrachte: der 15-jährigen Jana .

Elon betrachtete das Verhalten seines Vaters als zutiefst unangemessen. Außerdem hatte er gegenüber Errols Stiefkindern ein tief empfundenes Mitleid entwickelt und ein schier herzzerreißendes Gefühl der Verwandtschaft. Er wusste, womit sie zu leben hatten. Daher bot er an, eine Jacht für Errol zu kaufen, die in einem Hafen ankern sollte, der 45 Minuten von Malibu entfernt lag. Wenn Errol einwilligte, ohne die anderen auf der Jacht zu leben, könnte er seine Familie an den Wochenenden sehen. Das war nicht nur eine bizarre Idee, sondern sogar eine schlechte, denn dadurch wurde die gesamte Situation zusehends noch seltsamer. Errols Frau, 19 Jahre jünger als ihr Mann, begann, sich an Elon zu orientieren. »Sie hielt nun ihn für den Versorger in ihrem Leben und nicht länger mich«, analysiert Errol, »und daraus ergab sich eine problematische Situation.«

Eines Tages erhielt Errol auf dem Boot eine Nachricht von Elon. »Das Ganze funktioniert nicht«, stellte Elon fest und bat Errol, nach Südafrika zurückzukehren. Errol willigte ein. Ein paar Monate später zogen auch seine Frau und ihre Kinder zurück. »Ich habe mit Drohungen, Belohnungen und Argumenten versucht, meinen Vater zum Besseren zu verändern«, erklärte Elon später, »und er …« An dieser Stelle bricht Musk ab und schweigt lange. »Keine Chance, es wurde bloß schlimmer.« Persönliche Netzwerke sind komplexer als digitale.