SpaceX, 2002 – 2003
Gwynne Shotwell
© Mit freundlicher Genehmigung von Gwynne Shotwell
Musk schließt sich normalerweise mit niemandem partnerschaftlich zusammen, weder auf persönlicher noch auf professioneller Ebene. Bei Zip2 und PayPal zeigte er, dass er Kollegen inspirieren, einschüchtern und gelegentlich schikanieren konnte. Doch Kollegialität war kein Element seines Talentportfolios. Macht teilt er nur ungern.
Eine der wenigen Ausnahmen war seine Beziehung zu Gwynne Shotwell , die 2002 zu SpaceX kam und schließlich dessen Präsidentin wurde. Mehr als zwanzig Jahre – länger als jeder andere – hat sie mit Musk zusammengearbeitet, ihre Kabine im SpaceX-Hauptsitz in Los Angeles liegt direkt neben seiner.
Geradeheraus, scharfzüngig und keck, rühmt sie sich, »vorlaut« zu sein, ohne die Linie zur Respektlosigkeit zu überschreiten. Außerdem verfügt sie über das angenehme Selbstvertrauen einer ehemaligen Highschool-Basketballspielerin und Leiterin des Cheerleading-Teams. Dank ihres unbeschwerten Durchsetzungsvermögens kann sie Musk gegenüber ehrlich sein, ohne ihn zu verärgern, und seiner Maßlosigkeit entgegentreten, ohne ihn dabei zu gängeln. Sie kann ihn beinahe wie einen Gleichgestellten behandeln, bekundet dabei aber doch Respekt und vergisst nie, dass er der Gründer und Chef ist.
Gwynne , geborene Rowley, wuchs in einer Vorortgemeinde im Norden Chicagos auf. In ihrem zweiten Highschooljahr besuchte sie mit ihrer Mutter eine Podiumsdiskussion der Society of Women Engineers . Eine gut gekleidete Maschinenbauingenieurin, die ein eigenes Konstruktionsbüro betrieb, faszinierte sie. »Ich wollte so sein wie sie«, erklärte sie und beschloss, sich um einen Studienplatz für Maschinenbau und angewandte Mathematik an der nahe gelegenen Northwestern University zu bewerben. Später erzählte sie – nun schon unter dem Nachnamen Shotwell – Studenten der Northwestern: »Ich bewarb mich, weil man an der Northwestern auch so viele andere Fächer studieren konnte. Ich hatte Angst davor, als Nerd abgestempelt zu werden. Inzwischen bin ich megastolz darauf, einer zu sein.«
Als Shotwell 1986 auf dem Weg zu einem Bewerbungsgespräch bei der IBM -Zentrale für den Großraum Chicago war, blieb sie vor dem Schaufenster eines Ladens stehen. Auf einem Fernsehbildschirm wollte sie sich den Start des Space Shuttle Challenger ansehen, bei dem die Lehrerin Christa McAuliffe an Bord war. Was als inspirierender Moment gedacht war, verwandelte sich in blanken Schrecken, als die Challenger eine Minute nach dem Start explodierte. Shotwell war so durcheinander, dass sie den Job nicht bekam. »Bei dem Gespräch muss ich mich verheerend präsentiert haben«, sagt sie. Schließlich wurde sie bei Chrysler eingestellt und zog später nach Kalifornien, wo sie die Leitung des Vertriebs von Raumfahrtsystemen bei Microcosm Inc. übernahm, einem in derselben Gegend wie SpaceX ansässigen Beratungs-Start-up.
Bei Microcosm arbeitete sie mit einem risikoaffinen deutschen Ingenieur mit markanten Zügen zusammen, der Hans Königsmann hieß. Musk begegnete ihm zufällig bei einem jener Wochenendtreffen der Hobbyraketenbauer in der Mojave-Wüste. Kurz darauf besuchte er ihn, um ihn anzuwerben. Im Mai 2002 wurde Königsmann der vierte Mitarbeiter von SpaceX.
Um das zu feiern, lud Shotwell ihn in das nahe gelegene leuchtend gelbe Chef Hannes ein, das Lieblingsrestaurant der beiden. Anschließend fuhr sie Königsmann ein paar Blocks die Straße hinunter, um ihn bei SpaceX abzusetzen. »Komm doch mit rein!«, forderte er sie auf. »Dann kannst du Elon kennenlernen.«
Sie war beeindruckt von Musks Ideen, wie sich die Kosten von Raketen verringern und sich Teile im eigenen Haus fertigen ließen: »Er war mit allen Einzelheiten vertraut.« Ihrem Eindruck nach hatte sein Team allerdings keine Ahnung von Vertriebsdingen. »Der Mann, der für Sie die Verhandlungen mit potenziellen Kunden führen soll, ist eine Niete«, äußerte sie unverblümt.
Schon am nächsten Tag erhielt sie einen Anruf von Musks Assistentin, die ihr mitteilte, Musk wolle mit ihr über die Position eines Vice President für den Bereich Geschäftsentwicklung sprechen. Shotwell hatte zwei Kinder, machte gerade eine Scheidung durch und würde demnächst ihren vierzigsten Geburtstag feiern. Die Vorstellung, sich einem risikobehafteten Start-up anzuschließen, das ein sprunghafter Millionär betrieb, war nicht sehr verlockend. Doch nach drei Wochen des Nachdenkens kam sie zu dem Schluss, dass SpaceX das Potenzial habe, die sklerotische Raketenbranche zu etwas Innovativem umzugestalten. »Ich war eine verdammte Idiotin«, sagte sie zu Musk. »Natürlich nehme ich den Job an!« Sie wurde die siebte Angestellte des Unternehmens.
Shotwell verfügt über spezielle Kenntnisse, die ihr beim Umgang mit Musk helfen: Ihr Ehemann hat eine Autismus-Spektrum-Störung, gemeinhin als Asperger-Syndrom bezeichnet. »Menschen wie Elon mit Asperger nehmen keine sozialen Schwingungen wahr und denken nicht von sich aus über die Wirkung ihrer Äußerungen nach. Elon versteht sich sehr gut auf Menschen, allerdings auf analytischer, nicht auf gefühlsmäßiger Ebene«, erklärt Shotwell.
Das Asperger-Syndrom kann Menschen so wirken lassen, als fehle es ihnen an Einfühlungsvermögen. »Elon ist kein übler Kerl, trotzdem gibt er zuweilen wirklich üble Dinge von sich«, sagt Shotwell. »Er denkt einfach nicht darüber nach, welche Wirkung seine Äußerungen auf persönlicher Ebene haben. Er will einfach nur die Mission erfüllen.« Sie versucht nicht, ihn zu ändern, sondern konzentriert sich darauf, die Versehrten mit Salbe zu versorgen. »Ein Teil meiner Aufgaben ist die Pflege der Verwundeten«, stellt sie fest.
Auch dass Shotwell Ingenieurin ist, wirkt sich günstig aus. »Ich spiele zwar nicht in seiner Liga, bin aber auch nicht völlig unterbelichtet. Ich verstehe die Sachen, die er sagt. Ich höre genau zu, nehme ihn ernst, erkenne seine Absichten und versuche zu erreichen, was er will, selbst wenn das im ersten Moment verrückt klingen mag.« Wenn sie mir gegenüber darauf beharrt, dass Musk »meist recht hat«, könnte man meinen, sie würde ihm nach dem Munde reden, was sie aber tatsächlich nicht tut. Sie vertritt ihre Ansichten Musk gegenüber und ärgert sich über diejenigen, die das nicht tun. Sie nennt ein paar Namen und erklärt: »Sie reißen sich den Arsch auf, aber in Elons Gegenwart sind sie Schisser.«
Shotwell war erst wenige Monate bei SpaceX, als Musk und sie nach Washington reisten. Die beiden bemühten sich um einen Auftrag des Verteidigungsministeriums zur Einführung einer neuen Generation kleiner taktischer Nachrichtensatelliten. Mithilfe dieser sogenannten TacSats hätten die Kommandeure von Bodentruppen einen rascheren Zugriff auf Bildmaterial und andere Daten.
Sie gingen in ein chinesisches Restaurant nahe dem Pentagon, und Musk brach sich beim Essen einen Zahn ab. Weil es ihm peinlich war, hielt er sich ständig die Hand vor den Mund, bis sie ihn auslachte: »Es war so unglaublich lustig, ihm dabei zuzusehen, wie er das verstecken wollte.« Es gelang ihnen, einen Zahnarzt zu finden, der auch noch spätabends praktizierte. Musk bekam eine provisorische Krone, sodass er am nächsten Morgen präsentabel für das Meeting im Pentagon war. Dort besiegelten sie den Vertrag – SpaceX ersten – über 3,5 Millionen Dollar.
Um für SpaceX zu trommeln, ließ Musk im Dezember 2003 eine Falcon-1-Rakete nach Washington bringen zu einer öffentlichen Veranstaltung beim National Air and Space Museum . Für den Transport der zwanzig Meter hohen Rakete aus Los Angeles baute SpaceX einen speziellen Anhänger mit leuchtend blauer Tragevorrichtung. Um den Prototyp der Rakete für die Reise fertig zu bekommen, hatte Musk einen Crashplan mit aberwitziger Fertigstellungsfrist ausgegeben. Vielen Ingenieuren des Unternehmens erschien der Trip nach Washington als gigantische Zeitverschwendung. Als aber die Rakete in vollem Prunk mit einer Polizeieskorte die Independence Avenue hinuntergefahren wurde, zeigte sich NASA -Administrator Sean O’Keefe beeindruckt. Um dem kecken Start-up auf den Zahn zu fühlen, sandte er einen seiner Stellvertreter, Liam Sarsfield , nach Kalifornien. »SpaceX zeigt gute Produkte und ein solides Potenzial«, vermeldete Sarsfield. »Die Ausgaben der NASA für dieses Unternehmen sind vollauf gerechtfertigt.«
Sarsfield war beeindruckt von Musks Hunger nach Informationen zu hochtechnischen Themen, die vom Andocksystem der Internationalen Raumstation bis zu den Arten der Überhitzung von Triebwerken reichten. Zu diesen und weiteren Themen führten die beiden einen längeren E-Mail-Wechsel. Im Februar 2004 wurde der Tonfall der Mails jedoch unfreundlicher, als die NASA einen Vertrag im Wert von 227 Millionen Dollar ohne Ausschreibung an eine konkurrierende privatwirtschaftliche Raketenfirma vergab: Kistler Aerospace . Gegenstand des Vertrags waren Raketen, die die Internationale Raumstation versorgen konnten – etwas, wovon Musk (wie sich zeigen sollte, zu Recht) annahm, dass es auch für SpaceX leistbar wäre.
Sarsfield machte den Fehler, Musk eine ehrliche Erklärung zu geben. Wie er schrieb, hatte Kistler den Auftrag auf dem Weg der Direktvergabe erhalten, weil ihre »finanziellen Arrangements wacklig« waren und die NASA nicht wollte, dass das Unternehmen pleiteging. Sarsfield versicherte Musk, dass es noch weitere Aufträge geben würde, bei denen sich SpaceX an den Ausschreibungen beteiligen könnte. Das machte Musk wütend, der behauptete, Aufgabe der NASA sei es, Innovationen zu fördern, nicht Unternehmen zu stützen.
Im Mai 2004 traf sich Musk mit Funktionären im NASA -Hauptsitz und eröffnete ihnen – entgegen Shotwells Rat –, sie wegen des Kistler-Vertrags zu verklagen. »Jeder erklärte mir, dass wir dann möglicherweise nie für die NASA arbeiten könnten. Doch was sie getan hatten, war falsch und korrupt, also habe ich sie verklagt.« Er ließ sogar Sarsfield, seinen stärksten Fürsprecher bei der NASA , über die Klinge springen, indem er dessen wohlmeinende E-Mail, in der Sarsfield ihm auseinandergesetzt hatte, dass der Vertrag als Rettungsleine für Kistler gedacht war, in seinen Klageschriftsatz aufnahm.
Am Ende gewann SpaceX die Auseinandersetzung, und die NASA wurde angewiesen, das Projekt für eine Ausschreibung zu öffnen. SpaceX konnte einen beträchtlichen Teil davon übernehmen. Wie Musk gegenüber Christian Davenport von der Washington Post formulierte: »Das war ein riesiger Überraschungserfolg – man muss es sich buchstäblich so vorstellen, dass der Zehn-zu-eins-Unterlegene gewinnt. Es hat alle umgehauen.«
Der Sieg war nicht nur für SpaceX entscheidend, sondern auch für das US -Raumfahrtprogramm . Nun bot sich eine Alternative zu den Cost-Plus-Verträge n, die die NASA und das Verteidigungsministerium in der Regel vergaben. Mit diesen Verträgen behielt die Regierung die Kontrolle über ein Projekt – wie den Bau einer neuen Rakete, eines neuen Antriebs oder eines neuen Satelliten – und teilte mittels detaillierter Spezifikationen mit, worin genau die Aufgabe bestand. Im nächsten Schritt schloss die Regierung dann einen Vertrag mit einem großen Unternehmen, beispielsweise Boeing oder Lockheed Martin , dem alle Kosten bezahlt wurden und zudem ein garantierter Gewinn. Dieser Ansatz war während des Zweiten Weltkriegs zum Standardverfahren geworden, um der Regierung vollständige Kontrolle über die Entwicklung von Waffen zu verschaffen und dem Eindruck entgegenzuwirken, dass die Auftragnehmer vom Krieg profitierten.
Bei seiner Reise nach Washington sagte Musk vor einem Senatsausschuss aus und setzte sich für einen anderen Ansatz ein. Wie er ausführte, bestand das Problem mit dem Cost-Plus -System darin, dass es Innovation behinderte. Falls das Projekt das Budget sprengte, bekäme der Auftragnehmer einfach mehr Geld. Für den geruhsamen Club der Cost-Plus-Auftragnehmer gab es kaum Anreize, Risiken einzugehen, kreativ zu sein, schnell zu sein oder Kosten einzusparen. »Boeing und Lockheed wollen bloß ihre Milchkuh behalten«, behauptete er. »Mit diesem System kommt man einfach nicht zum Mars. Die Unternehmen haben einen Anreiz, niemals fertig zu werden. Wer einen Cost-Plus-Vertrag niemals abschließend erfüllt, hängt auf ewig an den Zitzen der Regierung.«
SpaceX war der Vorreiter für eine alternative Herangehensweise, bei der sich Privatunternehmen an Ausschreibungen für Missionen beteiligten, wie der Beförderung staatlicher Nutzlasten in die Umlaufbahn. Das Unternehmen riskierte sein eigenes Kapital und würde nur bezahlt, falls und wenn es bestimmte Zielvorgaben erreichte. Dank dieser ergebnisbasierten Festpreisverträge übten die Privatunternehmen – innerhalb breit gesteckter Grenzen – Kontrolle über den Entwurf und die Bauweise ihrer Raketen aus. Es ließ sich viel Geld verdienen, falls das Unternehmen eine kostengünstige Rakete baute, die Erfolg hatte. Umgekehrt ließ sich durch einen Fehlschlag viel Geld verlieren. »Das System belohnt Ergebnisse und nicht Verschwendung«, stellt Musk fest.