Kapitel 20
Die Gründer

Tesla, 2003 – 2004

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JB Straubel mit seiner Narbe (oben ); Martin Eberhard und Marc Tarpenning (unten )

O.: © Steve Jurvetson/Wikimedia Commons; u.: © Erin Lubin

JB Straubel

Jeffrey Brian Straubel – bekannt als JB – war ein properer, durch und durch gesund aussehender Junge aus Wisconsin mit pausbäckigem Lächeln. Als 13-jähriger Autonarr hatte er einmal den Motor eines Golfcart wieder zum Laufen gebracht und dabei sein Herz an Fahrzeuge mit Elektroantrieb verloren. Außerdem hatte er eine Schwäche für Chemie. In seiner Highschoolzeit führte er ein Experiment mit Wasserstoffsuperoxid durch, das den Keller seines Elternhauses verwüstete und ihm eine bleibende Narbe in seinem ansonsten engelsgleichen Gesicht einbrachte.

Während seines Ingenieurstudiums in Stanford absolvierte JB ein Praktikum bei dem schalkhaft übermütigen, aus New Orleans stammenden Harold A. Rosen , der den geostationären Syncom-Satelliten für Hughes Aircraft entworfen hatte. Rosen und sein Bruder Ben versuchten, ein Hybridauto mit einem Strom erzeugenden Schwungrad zu bauen. Straubel probierte etwas Einfacheres. Er baute einen alten Porsche zu einem Fahrzeug mit reinem Elektroantrieb um, der aus herkömmlichen Blei-Säure-Batterien bestand. Die Beschleunigung des Wagens drückte einem den Kopf in den Nacken, doch die Reichweite betrug nur 50 Kilometer.

Nachdem Rosens Elektroautofirma pleitegegangen war, zog Straubel nach Los Angeles. Im Spätsommer 2003 beherbergte er eines Abends sechs erschöpfte und müffelnde Studenten von Stanfords Solarauto-Team, die gerade mit einem solarpaneelgetriebenen Wagen ein Rennen von Chicago nach Los Angeles gefahren hatten. Sie hockten fast die ganze Nacht zusammen und redeten. Irgendwann wandte sich ihr Gespräch Lithium-Ionen-Akkus zu, die in Laptops eingesetzt wurden. Sie waren sehr leistungsstark und ließen sich in großer Zahl zusammenschalten. »Was wäre, wenn wir tausend oder zehntausend davon koppeln könnten?«, fragte Straubel. Gemeinsam berechneten sie, dass ein Leichtbauwagen mit einer halben Tonne Batterien es gerade so quer durch die Vereinigten Staaten schaffen könnte. Als der Morgen anbrach, trugen sie ein paar Lithium-Ionen-Zellen nach draußen, auf die sie mit Hämmern einschlugen, um sie zum Explodieren zu bringen. Sie feierten die Zukunft und schlossen einen Pakt. »Wir werden das tun!«, verkündete Straubel.

Bedauerlicherweise war niemand daran interessiert, ihr Vorhaben zu finanzieren. Bis JB Elon Musk begegnete.

Im Oktober 2003 nahm Straubel in Stanford an einem Seminar teil. Einer der Redner war Elon Musk, der ein Jahr zuvor SpaceX gegründet hatte. In seinem Vortrag trat Musk leidenschaftlich für die Notwendigkeit unternehmerischer Raumfahrtaktivitäten »im Geiste des freien Unternehmertums« ein. Das brachte Straubel dazu, ihn nach seinem Vortrag anzusprechen. Er bot ihm an, ein Treffen mit Harold Rosen zu arrangieren. »Harold war in der Raumfahrtindustrie eine Legende, also lud ich beide zu einer Besichtigung der SpaceX -Fabrik ein«, erinnert sich Musk.

Die Werkstour verlief nicht glatt. Heiter und selbstbewusst wies der damals 77-jährige Rosen auf einige Elemente von Musks Entwurf hin, die versagen würden. Beim Mittagessen im nahe gelegenen Fischrestaurant McCormick and Schmick revanchierte sich Musk, indem er Rosens letzte Idee, E-Drohnen für Internetservices zu bauen, als »dumm« abtat. »Elon ist recht schnell mit einer Meinung bei der Hand«, erläutert Straubel. Musk erinnert sich mit Wohlwollen an den intellektuellen Schlagabtausch: »Auch wenn die Idee dumm war, war es doch ein großartiges Gespräch, weil Harold und JB besonders interessante Menschen sind.«

Bestrebt, das Gespräch in Gang zu halten, lenkte Straubel es stattdessen auf seine Idee, ein Elektroauto mit Lithium-Ionen-Batterien zu bauen: »Ich war auf der Suche nach einer Finanzierung und ging recht schamlos vor.« Musk zeigte sich überrascht, als Straubel beschrieb, wie gut die Batterien geworden waren. »In Stanford wollte ich an Energiespeicherung mit hoher Energiedichte arbeiten«, erzählte Musk. »Ich überlegte, was wohl die größten Auswirkungen auf die Welt hätte, und zusammen mit Energiespeicherung standen Elektrofahrzeuge weit oben auf meiner Liste.« Seine Augen leuchteten auf, als er Straubels Berechnungen nachvollzog. Mit einem »Zählen Sie auf mich!«, sagte Musk 10 000 Dollar für die Finanzierung zu.

Straubel regte an, Musk möge mit Tom Gage und Alan Cocconi sprechen, die gemeinsam ein kleines Unternehmen namens AC Propulsion gegründet hatten, mit dem sie dieselbe Idee verfolgten. Sie hatten einen Prototyp mit einer Fiberglaskarosserie gebaut, den sie »tzero « nannten, und Straubel drängte sie am Telefon, eine Probefahrt mit Musk zu machen. Auch Sergey Brin , einer der Mitgründer von Google, empfahl ihnen, mit Musk zu sprechen. Im Januar 2004 sandte Gage daher eine E-Mail an Musk: »Sergey Brin und JB Straubel erwähnten, dass Sie möglicherweise an einer Fahrt mit unserem tzero-Sportwagen interessiert wären. Wir haben ihn letzten Montag gegen einen Viper antreten lassen und über die Achtelmeile vier von fünf Läufen gewonnen. Einen habe ich verloren, weil ich einen 136 Kilo schweren Kameramann an Bord hatte. Haben Sie Zeit, damit ich den tzero vorbeibringe?«

»Klar«, antwortete Musk. »Ich würde ihn wirklich gerne sehen. Glaube allerdings nicht, dass er meinen McLaren (jetzt schon) schlagen könnte.«

»Hmm, ein McLaren. Junge, darauf könnte ich mir was einbilden«, schrieb Gage zurück. »Am 4. Februar kann ich ihn vorbeibringen.«

Der tzero begeisterte Musk, obwohl er so ohne Dach und Türen – in den Flanken des Prototyps waren die Batteriesätze untergebracht – etwas rudimentär wirkte. »Ihr müsst ein echtes Produkt daraus machen«, beschwor er Gage , »das könnte wirklich die Welt verändern!« Gage wollte jedoch einen billigeren, weniger auffälligen, langsameren Wagen bauen. Musk leuchtete das nicht ein. Die erste Version eines Elektroautos wäre teuer in der Herstellung, mindestens 70 000 Dollar das Stück. »Niemand zahlt auch nur annähernd so viel für etwas, das scheiße aussieht«, wandte er ein. Ein Autounternehmen gründete man, indem man zuerst einen hochpreisigen Wagen baute und sich später einem Modell für den Massenmarkt zuwandte. »Gage und Cocconi waren so etwas wie versponnene Erfinder; gesunder Menschenverstand war nicht ihre starke Seite«, so Musk spöttisch.

Wochenlang drängte Musk seine Gesprächspartner bei AC Propulsion, einen extravaganten Roadster zu bauen. »Jeder findet Elektroautos bescheuert, aber ihr könnt zeigen, dass sie das nicht sind«, sagte er. Doch Gage sträubte sich. »Okay, ihr wollt also den tzero nicht profitabel machen. Was dagegen, wenn ich es tue?«, fragte Musk.

Gage stimmte zu. Zudem machte er den schicksalhaften Vorschlag, Musk solle sich mit ein paar Autonarren die Straße hinunter zusammentun, die dieselbe Idee hatten. Und so lernte Musk schließlich die beiden Menschen kennen, die nach einer ähnlichen Erfahrung mit AC Propulsion beschlossen hatten, ihr eigenes Automobilunternehmen aus der Taufe zu heben, das sie unter dem Namen Tesla Motors angemeldet hatten.

Martin Eberhard

Martin Eberhard , ein schlaksiger Unternehmer aus dem Silicon Valley mit hagerem Gesicht und dynamisch-explosivem Charakter, verarbeitete 2001 eine schlimme Scheidung. Seinen Worten nach beschloss er, sich »wie jeder andere Mann mit Midlife-Crisis zu benehmen und einen Sportwagen zu kaufen«. Er konnte sich einen ansehnlichen leisten, weil er mit Rocket eBook ein Unternehmen gegründet und lukrativ verkauft hatte, das den ersten am Markt erfolgreichen Kindle-Vorläufer herstellte. Eberhard wollte allerdings keinen Wagen kaufen, der Benzin verbrannte. »Der Klimawandel war für mich real geworden«, erklärt er. »Außerdem hatte ich den Eindruck, dass wir wegen unseres Bedarfs an Öl immer weiter Kriege im Nahen Osten führten.«

Als methodisch vorgehender Mensch legte er eine Tabelle an und berechnete die Energieeffizienz unterschiedlicher Autotypen, wobei er mit der jeweiligen Treibstoffquelle begann. Er verglich Benzin, Diesel, Erdgas, Wasserstoff und Strom aus verschiedenen Quellen miteinander: »Jeden einzelnen Schritt entlang dieses Weges habe ich genau durchgerechnet – ab dem Moment, in dem der Treibstoff aus dem Boden kommt, bis zu dem Zeitpunkt, an dem er das Auto antreibt.«

Er entdeckte, dass Elektroautos sogar an Orten, wo die Elektrizität aus Kohle gewonnen wurde, für die Umwelt am besten waren. Also beschloss er, eines zu kaufen. Doch Kalifornien hatte gerade die Vorschrift aufgehoben, wonach Autohersteller einige emissionsfreie Fahrzeuge anbieten mussten. General Motors stellte daraufhin die Produktion des EV 1 ein. »Das hat mich wirklich wachgerüttelt!«, bekräftigt Eberhard .

Dann las er etwas über den Prototyp des tzero , den Tom Gage und AC Propulsion gebaut hatten. Nachdem Eberhard den Wagen gesehen hatte, teilte er Gage mit, dass er 150 000 Dollar in das Unternehmen investieren würde, sofern sie von den Blei-Säure- auf Lithium-Ionen-Akkumulatoren umstiegen. Und so kam es, dass Gage im September 2003 über einen tzero-Prototyp verfügte, der in 3,6 Sekunden von null auf hundert beschleunigte und eine Reichweite von 480 Kilometern besaß.

Eberhard bemühte sich, Gage und die anderen bei AC Propulsion zu überzeugen, die Produktion des Fahrzeugs aufzunehmen. Das taten sie jedoch nicht. »Es waren schlaue Leute, aber mir wurde rasch klar, dass sie überhaupt nicht in der Lage waren, Autos zu bauen«, erklärt Eberhard. »Das war der Punkt, an dem ich beschloss, eine eigene Autofirma zu gründen.«

Mit AC Propulsion schloss Eberhard einen Lizenzvertrag über die Elektromotoren und den Antriebsstrang. Er rekrutierte seinen Freund Marc Tarpenning , einen Softwareingenieur, der sein Partner bei Rocket eBook gewesen war. Die beiden wollten mit einem zweisitzigen Luxusroadster mit offenem Aufbau beginnen und später Autos für den Massenmarkt bauen. »Mein Plan war ein sportlicher Roadster, der die Vorstellung der Menschen von Elektroautos komplett verändern sollte«, erläutert Eberhard. »Diesen Flitzer wollte ich dann für den Aufbau der Marke einsetzen.«

Doch welche Marke sollte das sein? Eines Abends hatte er ein privates Date in Disneyland und sprach – ein wenig unromantisch – beim Essen wie besessen über Namen für das neue Unternehmen. Weil der Wagen einen sogenannten Induktionsmotor nutzte, kam ihm die Idee, die Firma nach dessen Erfinder Nikola Tesla zu benennen. Am nächsten Tag fragte er Tarpenning bei einem Kaffee nach seiner Meinung. Tarpenning zog seinen Laptop hervor, ging online und reservierte den Namen. Im Juli 2003 ließen sie das Unternehmen eintragen.

Vorsitzender Musk

Eberhard sah sich mit einem Problem konfrontiert: Er hatte eine Idee und einen Namen, nur eine Finanzierung hatte er nicht. Im März 2004 bekam er dann schließlich einen Anruf von Tom Gage . Beide hatten einen Vertrag geschlossen, laut dem sie nicht gegeneinander um Investoren konkurrieren würden. Als offenkundig wurde, dass Musk nicht in AC Propulsion investieren würde, bot Gage ihn Eberhard an. »Bei Elon gebe ich es auf. Du solltest ihn anrufen!«, riet er.

Eberhard und Tarpenning waren Musk bereits zuvor begegnet, denn sie hatten an der Versammlung einer Marsgesellschaft teilgenommen, um einen Vortrag Musks zu hören. »Anschließend habe ich mich an ihn rangewanzt, um einfach bloß Hallo zu sagen, wie ein Fan«, erinnert sich Eberhard.

Er erwähnte diese Begegnung in der E-Mail, mit der er Musk um ein Treffen bat. »Wir würden gerne mit Ihnen über Tesla Motors sprechen, und zwar speziell darüber, ob Sie an einem Investment interessiert wären«, schrieb er. »Ich meine, dass Sie den tzero von AC Propulsion gefahren haben. Wenn das stimmt, wissen Sie bereits, dass sich leistungsstarke E-Autos herstellen lassen. Wir würden Sie gerne davon überzeugen, dass wir das auf profitable Art tun können.«

»Klar«, antwortete Musk am selben Abend.

Noch in jener Woche fuhr Eberhard in Begleitung seines Kollegen Ian Wright von Palo Alto nach Los Angeles. Eine halbe Stunde sollte das Meeting in Musks Kabine bei SpaceX dauern. Musk überzog sie jedoch immer weiter mit Fragen und rief zwischendurch seiner Assistentin zu, sie solle seinen nächsten Termin absagen. Zwei Stunden lang führten sie ihre Visionen vom superaufladbaren Elektroauto aus und besprachen sämtliche Einzelheiten: vom Antriebssystem über den Motor bis hin zum Businessplan. Am Ende des Treffens erklärte Musk, er würde investieren. Als sie das SpaceX-Gebäude verlassen hatten, gaben sich Eberhard und Wright High fives. Nach einer Folgesitzung, an der auch Tarpenning teilnahm, vereinbarten sie, dass Musk mit einem Investment von 6,4 Millionen Dollar die erste Finanzierungsrunde anführen und Vorsitzender des Boards werden würde.

Tarpenning fiel auf, dass Musk eher die Bedeutung der Aufgabe in den Blick nahm als das Potenzial des Unternehmens: »Er war eindeutig bereits zu dem Schluss gelangt, dass wir für eine nachhaltige Zukunft Elektroautos benötigten.« Musk stellte verschiedene Forderungen. Die erste betraf den Papierkram. Der sollte rasch erledigt werden, denn seine Frau Justine war mit Zwillingen schwanger, und für die kommende Woche war ein Kaiserschnitt geplant. Außerdem bat er Eberhard, sich mit JB Straubel in Verbindung zu setzen. Da Musk in beider Unternehmen investiert hatte, fand er, Eberhard und Straubel sollten kooperieren.

Straubel, der nie von Eberhard oder seinem Küken, der Firma Tesla , gehört hatte, kam mit dem Fahrrad vorbei, war nach dem Treffen jedoch skeptisch. Doch Musk rief ihn an und drängte ihn zur Zusammenarbeit. »Komm schon, du musst das machen. Das wird perfekt passen«, warb er. Und so fanden schließlich alle Teile für das weltweit wertvollste und transformativste Automobilunternehmen zueinander: Eberhard als CEO , Tarpenning als Präsident, Straubel als Technikchef, Ian Wright als leitender Geschäftsführer und Musk als Vorsitzender des Boards und Hauptfinanzier. Jahre später, nach vielen bitteren Auseinandersetzungen und einem Rechtsstreit, einigten sie sich darauf, dass alle fünf einen Anspruch auf die Bezeichnung »Mitgründer« hatten.