Kwaj, 2006 – 2007
Bülent Altan beim Gulaschkochen (oben ); Hans Königsmann, Chris Thompson und Anne Chinnery auf Kwajalein (unten )
© Mit freundlicher Genehmigung von Hans Koenigsmann
»Lust auf eine Radtour?«, fragte Kimbal seinen Bruder, als sie morgens um sechs aufwachten. Es war der 24. März 2006, der Tag des planmäßigen Raketenstarts, und sie waren am Vorabend auf Kwaj gelandet. Elon hoffte, dass die Falcon 1 , jene Rakete, die er vier Jahre zuvor erdacht hatte, nun Geschichte machen würde.
»Nein, ich muss ins Kontrollzentrum«, erwiderte er.
Aber Kimbal ließ sich nicht so leicht abschütteln. »Bis zum Start dauert’s doch noch. Komm, lass uns fahren, ein bisschen Stress abbauen.« Elon lenkte ein, und wenig später strampelten sie in wildem Tempo zu einer Klippe, von der aus sie den Sonnenaufgang beobachten konnten. Elon stand lange Zeit schweigend dort und starrte in die Ferne, bevor er sich auf den Weg zum Kontrollraum begab. In Shorts und schwarzem T-Shirt tigerte er zwischen den regierungsamtlichen Holztischen hin und her.
Wenn Musk gestresst ist, zieht er sich oft in die Zukunft zurück. Dann überrascht er seine Ingenieure, die sich auf ein unmittelbar bevorstehendes wichtiges Ereignis konzentrieren, indem er sie mit Detailfragen zu Dingen behelligt, die noch Jahre voraus liegen. Landungen auf dem Mars, Robotaxis ohne Lenkrad, ins Gehirn eingepflanzte Chips mit Verbindung zu Computern. Bei Tesla hatte er inmitten der Krisen rund um die Produktion des Roadsters seine Leute mit Fragen zum Stand der Herstellung von Teilen bombardiert, die er sich für den nächsten Wagen vorstellte.
Jetzt, während auf Kwaj der Countdown für den ersten Start der Falcon 1 in die letzte Stunde ging, befragte er seine Ingenieure zu Komponenten, die für die Falcon 5 gebraucht würden, eine zukünftige Rakete mit fünf Merlin-Antrieben . Von dem hochgradig genervten Chris Thompson , der an seiner Konsole den Countdown beaufsichtigte, wollte er wissen, ob sie schon die neue Aluminiumlegierung für die Treibstofftanks bestellt hätten. Als Thompson, einer der ersten Ingenieure, die bei SpaceX angefangen hatten, verneinte, wurde Musk wütend. »Wir waren mitten in einem Countdown, und er wollte mit mir dieses tiefschürfende, aggressive Gespräch über Materialien führen«, erzählte Thompson später Eric Berger . »Es machte mich absolut sprachlos, dass ihm nicht klar war, was hier lief: Wir wollten eine Rakete starten, und ich war der zuständige Ingenieur und musste jedes einzelne Kommando ausrufen. Das hat mich echt umgehauen.«
Erst im Moment des Starts konzentrierte sich Musk wieder auf die Gegenwart. Als sich die Falcon 1 von der Plattform hob und die Ingenieure im Kontrollraum die Fäuste in die Luft stießen, starrte er auf das Video, das von einer Kamera in der Oberstufe übertragen wurde. Zwanzig Sekunden nach dem Start zeigte es den unberührten Strand und das türkisfarbene Wasser rund um Omelek von oben. »Sie fliegt!«, rief Kimbal . »Sie fliegt wirklich!«
Doch dann, weitere fünf Sekunden später, bemerkte Tom Mueller , der die Daten im Blick hatte, ein Problem. »Oh, Scheiße«, sagte er. »Wir verlieren an Schub.« Königsmann konnte Flammen erkennen, die um die Außenhülle der Rakete züngelten. »Oh, Scheiße«, wiederholte er, was Mueller gesagt hatte. »Da brennt’s, da ist ein Leck.«
Einen Moment lang hoffte Musk, die Rakete würde so hoch kommen, dass der Sauerstoffmangel in der Atmosphäre die Flammen löschen könnte. Doch stattdessen ging die Rakete tiefer, im Video sah man, wie Omelek wieder näher kam. Dann endete das Video abrupt. Brennende Wrackteile stürzten in den Ozean. »Mein Magen krampfte sich zusammen«, erzählt Musk. Eine Stunde später quetschten sich er und seine wichtigsten Leute – Mueller, Königsmann, Buzza und Thompson – in einen Armeehubschrauber, um das Wrack zu untersuchen.
Am Abend versammelten sich alle in der Open-Air-Bar auf Kwaj und tranken schweigend ihre Biere. Einige der Ingenieure weinten. Musk brütete still vor sich hin, mit versteinertem Gesicht und in die Ferne gerichtetem Blick. Dann begann er, sehr leise zu sprechen. »Als wir angefangen haben, wussten wir alle, dass es beim ersten Mal schiefgehen kann«, sagte er. »Aber wir werden eine neue Rakete bauen und es wieder versuchen.«
Gleich am nächsten Tag wurde das Team von einigen lokalen Freiwilligen verstärkt. Gemeinsam liefen sie den Strand von Omelek ab und fuhren in kleinen Booten hinaus, um die Wrackteile einzusammeln. »Wir brachten alles in einen Hangar und setzten die Rakete wieder zusammen, um herauszufinden, was schiefgelaufen war«, so Königsmann . Kimbal , der ein leidenschaftlicher Foodie war und sich nach dem Verkauf von Zip2 zum Chefkoch hatte ausbilden lassen, versuchte am Ende dieses langen Tages, alle aufzuheitern, indem er ein Outdooressen kochte: geschmortes Fleisch, Cannellini-Bohnen und Tomaten aus der Dose, dazu einen Salat aus Brot, Tomaten, Knoblauch und Sardellen.
Als Musk und seine leitenden Ingenieure mit dem Privatjet zurück nach Los Angeles flogen, sahen sie sich das Video noch einmal genau an. Mueller wies auf den Moment hin, als die Flamme aus dem Merlin-Antrieb schlug. Ganz offensichtlich handelte es sich um ein Treibstoffleck. Musk kochte leise vor sich hin, dann ging er auf Mueller los: »Weißt du eigentlich, wie viele Leute mir geraten haben, dich zu feuern?«
»Warum tust du’s dann nicht?«, schoss Mueller zurück.
»Ich hab’ dich nicht gefeuert, zum Teufel, oder?«, blaffte Musk. »Du bist immer noch hier, verdammt!« Um die Spannung zu mildern, legte er dann die lächerliche Actionfilmparodie Team America: World Police ein. Wie so oft wechselte er von einer düsteren Stimmung zu albernem Humor.
Später an diesem Tag postete er eine Erklärung: »SpaceX hat einen langen Atem. Wir werden auf Teufel komm raus dafür sorgen, dass es funktioniert.«
Musk hat eine Regel, was Verantwortung angeht: Jedes Teil, jeder Prozess und jede Spezifikation muss an einen Namen gebunden sein. Er neigt dazu, schnell persönliche Vorwürfe zu machen, wenn etwas schiefgeht. Im Fall des gescheiterten Raketenstarts wurde bald klar, dass das Leck von einer kleinen Mutter kam, die eine Treibstoffleitung sicherte. Musk fand auch den Ingenieur, der in der Nacht vor dem Start genau diese Mutter ab- und später wieder angeschraubt hatte, um an eine Düse heranzukommen: Jeremy Hollman , einer der Ersten, die Tom Mueller eingestellt hatte. Bei einem öffentlichen Symposium ein paar Tage später beschrieb Musk den Fehler einer »unserer erfahrensten Techniker«. Insider wussten, dass er Hollman meinte.
Hollman war noch zwei Wochen lang auf Kwaj geblieben, um die Wrackteile zu untersuchen. Als er schließlich von Honolulu nach Los Angeles zurückflog, las er einen Artikel über die jüngsten Entwicklungen im Zusammenhang mit dem gescheiterten Start und musste zu seinem Schrecken feststellen, dass Musk ihm die Schuld dafür gab. Sofort nach der Landung eilte er vom Flughafen zur SpaceX-Zentrale und platzte in Musks Büro. Die beiden brüllten sich dermaßen an, dass Shotwell und Mueller herbeiliefen, um die Lage zu beruhigen. Hollman verlangte, dass die Firma Musks Statement zurücknahm, und Mueller drängte auf die Erlaubnis, genau das zu tun. »Ich bin der CEO «, erwiderte Musk. »Ich kümmere mich hier um die Presseangelegenheiten, also lass die Finger davon.«
Hollman sagte anschließend zu Mueller, er würde nur dann weiterhin für die Firma arbeiten, wenn er nie wieder direkt mit Musk zu tun haben müsste. Ein Jahr später verließ er SpaceX . Musk behauptet, er erinnere sich nicht an die Sache, fügt aber hinzu, Hollman sei kein besonders guter Ingenieur gewesen. Mueller sieht das anders: »Wir haben einen guten Mann verloren.«
Wie sich später herausstellen sollte, hatte Hollman keinen Fehler gemacht. Als man die Treibstoffleitung fand, hing noch ein Stück der Mutter daran, allerdings war sie korrodiert und in der Mitte durchgebrochen. Die Seeluft von Kwaj war schuld am misslungenen Start.
Nach dem Scheitern des ersten Raketenstarts wurde man bei SpaceX vorsichtiger. Das Team führte sorgfältige Tests durch und zeichnete die Details all der Hunderte von Komponenten in der Rakete auf. Zum ersten Mal drängte Musk sie nicht, ständig mit Überschallgeschwindigkeit zu arbeiten und jede Vorsicht in den Wind zu schlagen. Gleichwohl versuchte er nicht, alle möglichen Risiken zu eliminieren. Das hätte die SpaceX-Raketen genauso teuer und ihre Entwicklung so langsam gemacht wie die der aufgeblähten Unternehmen, die im Regierungsauftrag arbeiteten und deren Cost-Plus-Verträge alle Mehrkosten abdeckten. Also verlangte er ein Chart, auf dem jede Komponente nebst Kosten der Rohmaterialien und Einkaufspreise sowie der Name des verantwortlichen Ingenieurs aufgeführt war, der genau diese Kosten zu senken hatte. Bei Meetings zeigte er manchmal, dass er diese Zahlen besser kannte als die Ingenieure, die sie präsentierten – eine unangenehme Erfahrung. Diese Sitzungen konnten brutal sein. Aber die Kosten sanken.
Letztlich ging es darum, ein kalkuliertes Risiko einzugehen. Tatsächlich war Musk derjenige gewesen, der die Verwendung von billigem, leichtem Aluminium für jene Mutter genehmigt hatte, die dann korrodiert war und den ersten Flug der Falcon 1 zum Scheitern gebracht hatte.
Wie schwierig es war, hier eine Balance zu erreichen, zeigt auch das Beispiel der Schwallbleche. In einem Tanklaster zum Beispiel sorgen diese durchbrochenen Zwischenwände dafür, dass die Ladung in Kurven oder beim Bremsen und Beschleunigen nicht plötzlich einseitig, sondern gleichmäßig und langsamer verlagert wird. Wenn eine Rakete startet, kann es ebenfalls passieren, dass der Treibstoff in den Tanks herumschwappt, die Rakete zum Taumeln bringt oder die Treibstoffzufuhr unterbrochen wird. Um das zu verhindern, können starre Metallringe an den Innenwänden der Tanks angebracht werden. In der ersten Stufe der Falcon 1 , dem Booster, waren solche Ringe verbaut. Doch bei der oberen Stufe wäre zusätzliches Gewicht ein Problem, weil sie ja bis in den Orbit weiterfliegen sollte.
Königsmanns Team führte eine Reihe von Computersimulationen durch, um die Risiken in der Startphase zu testen. Nur bei einem verschwindend kleinen Prozentsatz schien das Schwappen von Treibstoff ein Problem zu sein. In der Liste der 15 wichtigsten Risiken, die sie anschließend anfertigten, stand an Nummer eins die Gefahr, dass das dünne Material, das für die Außenhaut der Rakete benutzt wurde, sich im Flug verbiegen könnte. Schwappen des Treibstoffs in der oberen Raketenstufe stand auf Platz elf. Als Musk die Liste mit Königsmann und seinen Ingenieuren durchsah, beschloss er, einige der Risiken in Kauf zu nehmen, darunter auch das Schwappen von Treibstoff. Die Wahrscheinlichkeit der meisten dieser Risiken konnte allerdings nicht allein durch Simulationen ermittelt werden. Man würde also auch das Risiko des Schwappens von Treibstoff in einem realen Flug testen müssen.
Im März 2007 war es so weit. Wie schon im Jahr zuvor, begann der Start gut. Der Countdown erreichte die Null, der Merlin-Antrieb zündete, und die Falcon 1 rumpelte in den Weltraum. Diesmal sah Musk vom Kontrollraum in der SpaceX -Zentrale in Los Angeles aus zu. »Ja! Ja! Wir haben es geschafft!«, schrie Mueller und umarmte ihn. Als die Oberstufe sich wie geplant abtrennte, biss sich Musk auf die Lippe, dann erschien ein Lächeln auf seinem Gesicht. »Glückwunsch«, sagte er. »Dieses Video werde ich mir noch lange ansehen.«
Fünf Minuten lang, lange genug, um ein paar Champagnerflaschen zu köpfen, herrschte Jubel im Kontrollzentrum. Dann bemerkte Mueller etwas auf dem Video: Die Oberstufe begann zu eiern. Die Daten bestätigten seine Befürchtungen. »Ich wusste sofort, dass der Treibstoff schwappte«, erinnert sich Mueller.
Auf dem Video sah es so aus, als würde die Erde in einem Wäschetrockner herumwirbeln, aber tatsächlich war es die Oberstufe der Rakete, die sich drehte. »Fangt sie ab!«, brüllte ein Ingenieur. Doch es war zu spät. Elf Minuten nach dem Start kamen keine Daten mehr. Die Oberstufe samt Ladung krachte aus fast 300 Kilometern Höhe auf die Erde zurück. Die Rakete hatte den Weltraum erreicht, war aber nicht in die Umlaufbahn gelangt. Nummer elf auf der Liste der wichtigsten Risiken hatte zugeschlagen. Die Entscheidung gegen die starren Metallringe an den Innenwänden des Tanks der Oberstufe war ihnen auf die Füße gefallen. »Von jetzt an«, sagte Musk zu Königsmann , »werden wir alle Punkte auf unserer Risikoliste im Blick behalten, nie mehr nur zehn.«