Tesla, 2006 – 2008
Antonio Gracias und Tim Watson
© Mit freundlicher Genehmigung von Tim Watson
Ein Auto zu entwickeln, sei einfach, sagte Musk oft. Die Schwierigkeit bestehe darin, es dann auch zu bauen. Nach der Vorstellung des Roadster-Prototypen im Juli 2006 begann der schwierige Teil.
Die Zielkosten des Roadsters hatten ursprünglich bei etwa 50 000 Dollar gelegen. Doch dann kamen Musks Modifikationen des Designs und die massiven Probleme, das richtige Getriebe zu finden. Im November 2006 waren die Kosten bis auf 83 000 Dollar angeschwollen. Diese Situation veranlasste Musk, etwas zu tun, was für einen Board-Vorsitzenden eher ungewöhnlich ist: Er flog – ohne Rücksprache mit seinem CEO Martin Eberhard – zu Lotus nach England. »Ich empfinde es als eine recht peinliche Situation, dass Elon uns bei Lotus um Aussagen zum Produktionstiming gebeten hat«, schrieb einer der Lotus-Führungsleute Eberhard.
Tatsächlich bekam Musk in England allerhand zu hören. Das Lotus-Team, das mit den rasend schnellen Modifikationen des Designs zurechtkommen musste, ließ ihn wissen, dass die Produktion der Roadster -Karosserie auf keinen Fall vor Ende 2007 starten könnte. Das bedeutete, sie hinkten dem Plan bereits mindestens acht Monate hinterher. Das Team zeigte ihm eine Liste mit mehr als 800 Problemen, die aufgetaucht waren. So gab es beispielsweise eines mit der britischen Firma, die Tesla unter Vertrag genommen hatte, um die maßgefertigten Karbonfaserpaneele, Stoßfänger und Türen zu liefern. Musk entschied sich spontan, diesem Zulieferer einen Besuch abzustatten. »Ich stapfte durch den Schlamm zum Gebäude dieser Firma, und dann war schnell klar, dass die Jungs von Lotus recht hatten: Das mit den Karosserieteilen konnte nicht funktionieren«, erzählt er. »Es war ein totaler Reinfall.«
Ende Juli 2007 hatte sich die finanzielle Situation weiter verschlimmert. Die Materialkosten für die erste Produktionsrunde wurden inzwischen bereits auf 110 000 Dollar pro Wagen geschätzt, sodass man davon ausgehen musste, dass dem Unternehmen innerhalb weniger Wochen das Geld ausgehen würde. An diesem Punkt beschloss Musk, ein SWAT -Team ins Leben zu rufen, um die Krise noch abzuwenden.
Als Antonio Gracias zwölf Jahre alt war, wünschte er sich zu Weihnachten etwas von Apple . Nicht etwa einen Computer, er besaß bereits einen frühen Apple II . Nein, er wünschte sich Aktien des Unternehmens. Seine Mutter, die nur Spanisch sprach und einen kleinen Wäscheladen in Grand Rapids, Michigan, besaß, schaffte es, ihm für 300 Dollar zehn Aktien zu kaufen. Er besitzt sie bis heute. Sie sind jetzt etwa 490 000 Dollar wert.
Zu seinen ersten geschäftlichen Unternehmungen als Student an der Georgetown University gehörte es, Kondome en gros einzukaufen und sie an einen Freund in Russland zu schicken, der sie dort weiterverkaufen sollte. Das Ganze funktionierte nicht besonders gut, weshalb in seinem Wohnheimzimmer bald eine große Menge Kondome lagerte. Er packte sie in Streichholzschachteln, verkaufte den Anzeigenplatz auf den Schachteln und verteilte die Kondome samt Schächtelchen gratis in Bars und bei Studentenverbindungen.
Später bekam er eine Stelle bei Goldman Sachs in New York, kündigte dort jedoch, um an der University of Chicago Jura zu studieren. Die meisten Jurastudierenden, zumal an Universitäten wie Chicago, empfinden dieses Studium als sehr anstrengend, doch Gracias langweilte sich. Und so gründete er nebenbei einen Investmentfonds, der kleine Unternehmen aufkaufte. Eines schien besonders vielversprechend: eine Firma in Kalifornien für Galvanotechnik. Aber die Sache lief nicht gut. Gracias musste häufig nach Kalifornien reisen, um Probleme in der Fabrik zu lösen, während ein Freund namens David Sacks an der Uni für ihn mitschrieb. (Behalten Sie die Namen Antonio Gracias und David Sacks bitte in Erinnerung, sie werden in der Twitter -Geschichte noch eine Rolle spielen.)
Weil Gracias Spanisch sprach wie die meisten Arbeiter in der Fabrik, fand er im Gespräch mit ihnen heraus, wo die Probleme lagen. »Da wurde mir klar, dass man, wenn man in ein Unternehmen investiert, seine gesamte Zeit in den Werkshallen verbringen muss«, sagt er. Auf die Frage, wie die Arbeit beschleunigt werden könnte, erklärte einer der Männer, in kleineren Gefäßen für die Nickelbäder würde das Galvanisieren schneller gehen. Diese und andere Ideen der Arbeiter funktionierten so gut, dass die Firma irgendwann schwarze Zahlen schrieb und Gracias weitere Unternehmen aufkaufen konnte, die ins Trudeln geraten waren.
Bei all diesen Unternehmungen lernte er eine sehr wichtige Lektion: »Nicht das Produkt führt zum Erfolg, sondern die Fähigkeit, dieses Produkt effizient herzustellen. Es geht darum, die Maschine zu bauen, die die Maschine baut. Mit anderen Worten: Wie entwickelt man die Fabrik?« Dieses Leitprinzip würde sich auch Musk zu eigen machen.
David Sacks gründete nach dem Abschluss des Jurastudiums gemeinsam mit Musk PayPal . Gracias war einer der Investoren, und er und Musk gehörten zu den frischgebackenen Millionären, die im Mai 2002 nach Las Vegas reisten, um dort Sacks dreißigsten Geburtstag zu feiern. Auf dem Weg zurück ins Hotel saßen sechs der Partygäste zusammen in einer Limousine, als einer von ihnen, ein Studienfreund aus Stanford, sich auf dem Rücksitz übergab. Beim Hotel angekommen, stiegen die meisten aus. »Elon und ich sahen uns an und sagten, wir können doch den armen Fahrer nicht mit der Kotze in seinem Auto im Stich lassen«, erinnert sich Gracias . Also fuhren sie mit ihm zu einem 7-Eleven-Laden, kauften Papiertücher und Reinigungsspray und machten das Auto sauber. »Elon ist Asperger -Autist«, erklärt Gracias. »Deshalb kommt er manchmal nicht so emotional rüber. Aber er kann durchaus fürsorglich sein.«
Gracias hatte mit seiner Investmentfirma Valor Management an vier der frühen Tesla -Finanzierungsrunden teilgenommen und trat im Mai 2007 in das Board ein. Musk hatte gerade erst begriffen, wie groß die Probleme bei der Produktion des Roadster s tatsächlich waren, und Gracias gebeten, der Sache auf den Grund zu gehen. Gracias holte einen exzentrischen Partner zu Hilfe, einen wahren Zauberer, was das Verständnis von Fabriken anging.
Nach der Wiederbelebung seiner Galvanik-Firma hatte Garcias einige ähnliche Unternehmen gekauft, darunter eines mit einer kleinen Fabrik in der Schweiz. Als er dorthin flog, um sie zu inspizieren, wurde er am Flughafen von einem britischen Robotik-Ingenieur abgeholt, einem Mann mit Pferdeschwanz namens Tim Watkins . Tim trug ein schwarzes T-Shirt, schwarze Jeans und eine schwarze Gürteltasche. Wann immer er einen neuen Auftrag übernahm, ging er in eine Filiale irgendeiner Bekleidungskette, kaufte sich einen Zehnerpack T-Shirts und Jeans und brauchte sie während seines Aufenthalts auf wie ein Reptil, das sich häutet.
Nach einem Abendessen in lässiger Atmosphäre schlug Watkins vor, sich die Fabrik anzusehen. Gracias wusste, dass die Firma keine Genehmigung für Nachtschichten hatte, deshalb war er misstrauisch, als Watkins und der Fabrikmanager mit ihm in eine dunkle Gasse in einem Industriegelände fuhren. »Für einen Augenblick fürchtete ich, sie wollten mich ausrauben«, gesteht er. Doch Watkins stieß nur mit dramatischer Geste die hintere Tür auf. Nirgendwo brannte Licht, es war stockfinster, aber man hörte das Geräusch von rasend schnell laufenden Maschinen. Als Watkins das Licht einschaltete, begriff Gracias, dass die Maschinen allein liefen, es waren überhaupt keine Arbeiter dort zugegen.
Die Schweizer Gesetze begrenzten die Arbeitszeit auf 16 Stunden. Also hatte Watkins einen Schichtplan mit zwei Acht-Stunden-Schichten entwickelt, unterbrochen von zwei vierstündigen Phasen, in denen die Maschinen allein liefen. Er hatte eine Formel ausgeheckt, um vorherzusagen, wann welcher Teil des Prozesses das Eingreifen eines Menschen erforderte. »So kamen wir auf 24 Stunden Produktion mit nur 16 Stunden menschlicher Arbeit pro Tag«, erzählt er.
Gracias machte Watkins nicht nur zum Partner in seiner Firma, sie wurden echte Seelengefährten und teilten sich sogar Hotelzimmer. Gemeinsam entwickelten sie eine Vision, wie man Produktionsfirmen übernehmen und effizienter machen konnte. Und genau das wollten sie 2007 für Musk und Tesla tun.
Die erste Aufgabe bestand darin, das Problem mit dem britischen Zulieferer von Karbonfaserpaneelen, Stoßfängern und Türen zu lösen. Nach Musks Besuch bei der Firma hatte es hitzige Wortwechsel mit deren Managern gegeben. Einige Monate später meldeten sie sich und erklärten, sie gäben auf. Sie könnten seine Forderungen nicht erfüllen und würden den Vertrag stornieren.
Musk rief sofort Watkins in Chicago an, um ihm die Neuigkeiten mitzuteilen. Anschließend sagte er: »Ich steige jetzt in mein Flugzeug, hole dich ab, und dann kümmern wir uns darum.« Gemeinsam flogen sie nach England, packten einige Maschinen der Firma in den Jet und brachten sie nach Frankreich, wo ein anderes Unternehmen, Sotira Composites, sich bereit erklärt hatte, den Auftrag zu übernehmen. Musk, der fürchtete, in Frankreich könnten Arbeiter nicht ganz so engagiert sein wie er selbst, hielt eine aufmunternde Rede. »Bitte, streiken Sie nicht, und machen Sie nicht gerade jetzt Urlaub, sonst ist Tesla tot«, flehte er zum Abschluss. Nach einem Abendessen in einem Loire-Schloss ließ er Watkins in Frankreich zurück, um die Produktionsanlagen der Firma effizienter zu gestalten und ein Auge auf die Qualität zu haben.
Das Problem mit den maßgeschneiderten Karosserieteilen weckte in Musk Sorgen in Bezug auf andere Bereiche der Lieferkette. Also bat er Watkins , das gesamte System zu überprüfen. Was dabei herauskam, war ein Albtraum. Los ging es in Japan , wo die Zellen für die Lithium-Ionen-Batterien gemacht wurden. Siebzig solcher Zellen wurden zu einer Art Ziegelstein zusammengeklebt und dann in eine improvisierte Fabrik im Dschungel von Thailand gebracht, in der früher Barbecue-Grills hergestellt worden waren. Dort wurden die »Ziegelsteine« mit einem Netz aus Schläuchen, die zur Kühlung dienten, zu Batterien montiert. Da diese Batterien nicht mit dem Flugzeug transportiert werden konnten, wurden sie mit dem Schiff nach England und dann weiter mit Lastwagen zur Lotus -Fabrik gebracht, wo sie ins Chassis des Roadster s eingebaut wurden. Die Paneele für die Karosserie kamen von dem neuen Lieferanten in Frankreich. Anschließend wurden die Karosserien mitsamt Batterien über den Atlantik und durch den Panamakanal geschippert, um irgendwann in der Tesla -Fabrik bei Palo Alto zu landen. Dort war dann ein Team mit der Endmontage beschäftigt, inklusive des Einbaus von Motor und Antriebsstrang. Bis die Batterien also im Auto eines Endkunden landeten, waren sie einmal um die ganze Welt gereist.
Das Ganze war nicht nur ein logistischer Albtraum, dahinter verbarg sich auch ein Cashflow-Problem. Die Stückkosten pro Zelle zu Beginn der Reise betrugen 1,50 Dollar. Ein kompletter Batteriesatz , bestehend aus 9000 Zellen, kostete inklusive Arbeitsstunden 15 000 Dollar. Die musste Tesla im Voraus bezahlen, aber es dauerte neun Monate, bis die Batterien ihre Reise um die Welt vollendet hatten, in ein Auto eingebaut und an einen Kunden verkauft werden konnten. Andere Teile, die ähnlich lange Lieferketten hatten, verbrannten ebenso Geld. Outsourcing mochte helfen, Kosten zu sparen, doch es konnte auch dem Cashflow schaden.
Verschärft wurde das Problem, weil das Design des Autos, nicht zuletzt durch Musks Einmischungen, zu komplex geworden war. »Es war ganz einfach eine dämliche Maschine zum Geldverbrennen«, gab Musk später zu. Das Chassis war 40 Prozent schwerer geworden als geplant und musste wegen der tiefer gehenden Türen und des benötigten Platzes für den Batteriesatz verändert werden. Damit war der Crashtest ungültig geworden, den Lotus bereits durchgeführt hatte. »Im Rückblick wäre es viel schlauer gewesen, mit einem eigenen Design ganz von vorn zu beginnen und nicht den Versuch zu unternehmen, den Lotus Elise zu modifizieren«, meint Musk. Und was den Antriebsstrang anging, sollte sich herausstellen, dass kaum etwas der Technologie von AC Propulsion für die Serienfertigung geeignet war. »Wir haben es komplett versaut«, so Musk.
Als Watkins in die Tesla -Zentrale in Kalifornien kam, um das Chaos gemeinsam mit Eberhard zu beseitigen, musste er zu seinem Entsetzen feststellen, dass es keine Materialrechnungen für die Produktion des Roadster s gab. Mit anderen Worten, es existierten keinerlei umfassende Aufzeichnungen über jedes einzelne Teil, das in das Auto eingebaut wurde, und über die Kosten, die Tesla daraus entstanden. Eberhard erklärte, er versuche, auf ein SAP -System umzusteigen, das derartige Informationen managen könne, habe aber keinen Controller, der diesen Übergang organisieren könne. »Man kann kein Produkt herstellen, ohne eine genaue Berechnung der Materialkosten zu haben«, belehrte ihn Watkins. »In so einem Fahrzeug gibt es Zehntausende von Komponenten, und wenn du merkst, dass es schiefgeht, ist es zu spät.«
Nachdem Watkins die echten Kosten berechnet hatte, musste er erkennen, dass die Realität noch schlimmer war als die pessimistischsten Projektionen. Der erste Roadster, der vom Band lief, würde inklusive Overheadkosten mindestens 140 000 Dollar kosten. Selbst bei einer Erhöhung der Stückzahlen würden die Kosten kaum unter 120 000 Dollar fallen. Wenn sie den Wagen für 100 000 Dollar verkauften, würden sie also ständig draufzahlen.
Watkins und Gracias präsentierten Musk die grausamen Tatsachen. Die viel zu teure Lieferkette und die Produktionskosten würden die Firma finanziell ausbluten lassen – einschließlich der Anzahlungen, die bereits einige Kunden geleistet hatten, um sich einen solchen Roadster zu sichern. Und zwar noch bevor sie dazu kommen würden, die ersten Autos zu verkaufen. »Das war«, so Watkins , »ein richtiger ›Scheiße-aber-auch‹-Moment.«
Gracias nahm Musk anschließend beiseite. »So wird das nicht funktionieren«, sagte er. »Eberhard schummelt bei den Zahlen.«