Kapitel 25
Am Steuer

Tesla, 2007 – 2008

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Martin Eberhard vor dem Roadster

© Nicki Dugan Pogue/Wikimedia Commons

Eberhards Rauswurf

Kurz nachdem Eberhard von Musks heimlichem Trip nach England erfahren hatte, lud er ihn zum Abendessen in Palo Alto ein. »Wir sollten anfangen, nach einem möglichen Nachfolger für mich zu suchen«, sagte er. Musk benahm sich ihm gegenüber später brutal, doch an diesem Abend war er unterstützend. »Niemand kann dir die Bedeutung dessen nehmen, was du als Mitbegründer dieses Unternehmens geleistet hast«, sagte er. Bei dem Board Meeting am nächsten Tag schilderte Eberhard seine Rücktrittspläne, denen alle zustimmten.

Die Suche nach einem Nachfolger gestaltete sich allerdings zäh, hauptsächlich weil Musk mit keinem der Kandidaten zufrieden war. Er selbst sagt dazu: »Tesla hatte so viele Probleme, dass es nahezu unmöglich war, einen anständigen CEO ausfindig zu machen. Aber es ist ja auch schwierig, einen Käufer für ein brennendes Haus zu finden.« Im Juli 2007 hatten sie immer noch keinen gefunden, sie waren nicht mal nahe daran. Als Gracias und Watkins Musk dann ihren verheerenden Bericht präsentierten, schlug dessen Stimmung um.

Anfang August 2007 berief Musk eine Sitzung des Tesla-Boards ein. »Wenn du schätzen müsstest, was meinst du, wie hoch die Stückkosten für den Wagen sind?«, fragte er Eberhard . Wenn Musk sich in dieser Weise in ein Verhör stürzt, ist klar, dass es kein Happy End geben wird. Eberhard hatte denn auch Mühe, eine präzise Antwort zu geben, sodass Musk jetzt sicher war, dass er log. Den Begriff der Lüge benutzt Musk häufig und oft relativ locker. »Er hat mich angelogen, als er meinte, die Kosten wären kein Problem«, behauptet Musk.

»Das ist üble Nachrede«, erwidert Eberhard, als ich Musks Anschuldigungen zitiere. »Ich würde niemanden anlügen. Warum sollte ich das tun? Die Kosten liegen doch ohnehin irgendwann auf dem Tisch.« Er wird lauter, als er das sagt, doch in seinen Zorn mischt sich ein Unterton von Schmerz und Kummer. Er versteht nicht, warum Musk nach 15 Jahren immer noch so wild darauf ist, ihn in Verruf zu bringen: »Der reichste Mann der Welt schlägt auf jemanden ein, der ihm nicht das Wasser reichen kann.«

Eberhards ursprünglicher Partner Marc Tarpenning gibt zu, dass sie sich bei den Kosten übelst verrechnet hätten, verteidigt Eberhard aber gegen Musks Vorwurf der Lüge. »Es war mit Sicherheit keine Absicht«, sagt er. »Wir mussten mit den Preisinformationen umgehen, die wir hatten. Gelogen haben wir nicht.«

Ein paar Tage nach dem Board Meeting war Eberhard auf dem Weg zu einer Tagung in Los Angeles, als sein Telefon klingelte. Es war Musk, der ihn darüber informierte, dass er mit sofortiger Wirkung als CEO abgesetzt war. »Es war wie ein Schlag mit einem Ziegelstein gegen die Schläfe, ich hatte das nicht kommen sehen«, erklärt Eberhard , der es eigentlich hätte kommen sehen müssen. Obwohl er selbst mit seinen Rücktrittsplänen die Suche nach einem neuen CEO angestoßen hatte, hatte er nicht damit gerechnet, kurzerhand entlassen zu werden, noch bevor ein Nachfolger gefunden war. »Sie haben ein Meeting ohne mich abgehalten und mich einfach rausgeworfen.«

Er versuchte, einige Board-Mitglieder zu erreichen, aber niemand nahm seine Anrufe an. »Die Entscheidung, dass Martin gehen musste, war einstimmig gefallen mit Unterstützung der Board-Mitglieder, die er selbst ins Board geholt hatte«, so Musk. Wenig später verließ auch Tarpenning das Unternehmen.

Eberhard legte eine kleine Website an – »Tesla Founders Blog« –, machte seine Frustration öffentlich und beschuldigte die Firma, sie versuche, »die letzten Reste seines schlagenden Herzens herauszureißen und zu zerstören«. Einige Board-Mitglieder baten ihn, leisere Töne anzuschlagen, doch das blieb ohne Wirkung. Daraufhin drohte der Anwalt von Tesla , ihm die Aktienoptionen zu entziehen – das funktionierte.

Manche Menschen nehmen in Musks Kopf dauerhaft die Rolle des Bösen ein. Sie reizen ihn, verdüstern seine Stimmung und rufen kalten Zorn in ihm hervor. Sein Vater ist die Nummer eins auf dieser Liste, aber seltsamerweise ist Martin Eberhard , den sonst kaum jemand kennt, die Nummer zwei. »Dass ich mich mit Eberhard eingelassen habe, war der schlimmste Fehler in meiner gesamten Laufbahn«, sagt Musk.

Als sich die Probleme bei Tesla im Sommer 2008 weiter verschärften, ließ Musk eine ganze Reihe von Angriffen auf Eberhard los. Der antwortete mit einer Verleumdungsklage. »Musk hat sich vorgenommen, die Geschichte neu zu schreiben«, begann die Klageschrift. Bis heute geht Eberhard an die Decke, wenn er an Musks Anschuldigung denkt, er habe gelogen. »Was soll das denn?«, fragt er. »Die Firma, die Marc und ich gegründet haben, hat ihn zum reichsten Mann der Welt gemacht. Genügt das denn nicht?«

2009 kam es schließlich zu einem faulen Vergleich, bei dem beide Seiten erklärten, einander fortan nicht mehr in Verruf zu bringen. Außerdem sollten Musk und Eberhard künftig als Mitgründer von Tesla genannt werden, zusammen mit JB Straubel , Marc Tarpenning und Ian Wright . Und zu guter Letzt bekam Eberhard auch noch den versprochenen Roadster. Danach veröffentlichten beide freundlich klingende Erklärungen über den jeweils anderen, an die sie beide nicht glaubten.

Trotz der im Vergleich erzielten Übereinkunft ließ Musk alle paar Monate einen weiteren Zornausbruch folgen. Noch 2019 twitterte er: »Tesla lebt trotz, nicht wegen Eberhard, aber er sucht ständig Anerkennung, und ein paar Dummköpfe schenken sie ihm.« Im Jahr darauf erklärte er: »Er ist wirklich der schlimmste Mensch, mit dem ich jemals zusammengearbeitet habe.« Und Ende 2021: »Die Gründungsgeschichte von Tesla , wie Eberhard sie darstellt, ist schlicht und einfach falsch. Ich wünschte, ich hätte ihn nie kennengelernt.«

Michael Marks und die Arschloch-Frage

Eigentlich hätte Musk inzwischen begriffen haben sollen, dass er nicht gut dafür geeignet war, die Macht mit einem CEO zu teilen. Dennoch wollte er die Tesla-Geschäftsführung nach wie vor nicht selbst übernehmen. 16 Jahre später sollte er der selbst ernannte Chef von fünf großen Unternehmen sein, doch 2007 glaubte er, sich wie fast jeder andere CEO nur an eine einzige Firma binden zu dürfen, in seinem Fall SpaceX . Also bat er den Tesla-Investor Michael Marks , als Interim-CEO zu fungieren.

Marks war CEO von Flextronics gewesen, einem Unternehmen, das Dienstleistungen für die Fabrikation von Elektronik anbot. Marks hatte Flextronics zu einem hochprofitablen industriellen Leader gemacht, und zwar mit einer Strategie, die Musk gefiel: vertikale Integration. Damit hatte Marks’ Unternehmen die End-to-End-Kontrolle über mehrere Schritte des Herstellungsprozesses erreicht.

Die beiden Männer kamen anfangs gut miteinander aus. Musk, der die seltsame Angewohnheit hatte, der reichste Couchsurfer der Welt zu sein, pflegte bei Marks zu übernachten, wenn er ins Silicon Valley kam. »Wir tranken Wein und plauderten«, berichtet Marks. Doch dann beging er den Fehler zu glauben, dass er Tesla tatsächlich leiten könne, anstatt nur Musks Befehle auszuführen.

Der erste Krach ergab sich, als Marks schlussfolgerte, Musks Hang zu realitätsfernen Zeitplänen würde bedeuten, dass auch Teile bestellt und bezahlt wurden, die auf absehbare Zeit nicht in ein Auto verbaut würden. »Warum lassen wir uns all diese Materialien liefern?«, fragte Marks bei einer Sitzung. Ein Manager erwiderte: »Weil Elon darauf besteht, dass wir im Januar die ersten Wagen ausliefern.« Weil der Cashflow für diese Teile Teslas Kassen – wie er fand – unnötig belastete, stornierte Marks kurzerhand die meisten dieser Bestellungen.

Marks versuchte auch, Einfluss auf Musks harsche Umgangsweise mit anderen Menschen zu nehmen. Er selbst war von Natur aus freundlich und bekannt für seine höfliche, respektvolle Art gegenüber Mitarbeitenden, vom Hausmeister bis hin zu den höchsten Führungskräften. Dass Musk den größten Teil der Romane, die seine Frau Justine geschrieben hatte, nicht einmal gelesen hatte, entsetzte ihn. »Elon ist einfach kein besonders netter Mensch und behandelte die Leute nicht gut«, sagt er. Aber hier ging es nicht nur um Nettigkeit: »Ich erklärte, dass die Leute ihm nicht die Wahrheit sagen, weil er sie einschüchtert«, so Marks. »Er konnte tyrannisch und brutal sein.«

Marks kämpft immer noch mit der Frage, ob Musks Grundstruktur – seine ausgeprägte Persönlichkeit und das, was er sein Asperger-Syndrom nennt – zumindest einen Teil seines Benehmens erklären oder gar entschuldigen kann. Könnte sie sogar irgendwie nützlich sein, wenn es um die Führung von Unternehmen geht, in denen die Mission wichtiger ist als individuelle Befindlichkeiten? »Er leidet unter einer Autismus-Spektrum-Störung, ich denke also, er kann wirklich überhaupt keine Verbindung zu anderen Menschen aufbauen«, meint Marks.

Musk hält dagegen: Es könne in höchstem Maße hinderlich für einen Unternehmensführer sein, wenn man sich am anderen Ende der Skala befände. Wer jedermanns Freund sein wolle, sagte er zu Marks, kümmere sich zu viel um die Emotionen der Person, die man gerade vor sich hat, und zu wenig um den Erfolg des ganzen Unternehmens. Und dieser Ansatz könne dazu führen, dass einer wesentlich größeren Zahl von Menschen wehgetan werde. »Michael Marks wollte niemanden rauswerfen«, so Musk. »Ich sagte ihm immer wieder, Michael, du kannst den Leuten nicht sagen, sie sollen den Arsch hochkriegen, und dann nichts unternehmen, wenn sie den Arsch nicht hochkriegen.«

Zudem zeigten sich Unterschiede in der Strategie. Marks war der Auffassung, dass Tesla einen erfahrenen Fahrzeugproduzenten mit ins Boot holen sollte, um den Roadster zusammenzubauen. Das widersprach Musks Grundinstinkten ganz und gar. Sein Ziel waren Gigafabriken, in denen am einen Ende die Rohstoffe hinein- und am anderen Ende die fertigen Autos herauskamen. Während ihrer Diskussionen über den Vorschlag, den Zusammenbau des Tesla-Roadster s outzusourcen, wurde Musk immer wütender. Ihm fehlte nun einmal der natürliche Filter, um seine Reaktionen zu mäßigen. »Das ist das Dümmste, was ich je gehört habe«, sagte er bei mehreren Besprechungen – ein Satz, den schon Steve Jobs oft benutzt hatte, ebenso wie Bill Gates und Jeff Bezos . Ihre brutale Ehrlichkeit konnte einem auf die Nerven gehen und sogar beleidigend wirken. Und sie konnte einen aufrichtigen Dialog eher hemmen als ermutigen. Aber sie war manchmal eben auch effektiv, wenn es – wie Jobs einmal formuliert hatte – darum ging, ein Team aus A-Spielern zu bilden, die keine Lust auf unpräzise und schwammig formulierende Leute hatten.

Marks war allerdings zu versiert und stolz, um Musks Verhalten einfach so hinzunehmen. »Er behandelte mich wie ein Kind, und ich bin kein Kind«, erklärt er. »Ich bin älter als er, und ich hatte bereits ein Unternehmen geleitet, das 25 Milliarden Dollar wert war.« Es dauerte nicht lange, bis er Tesla verließ.

Heute räumt Marks ein, dass Musk letztlich recht hatte, was die vollständige Kontrolle über alle Aspekte des Fertigungsprozesses anging. Zwiegespaltener ist er bei der Kernfrage in Sachen Musk: Lässt sich dessen schlechtes Benehmen von seinem draufgängerischen Antrieb trennen, der ihn so erfolgreich macht? »Ich stecke ihn inzwischen in dieselbe Kategorie wie Steve Jobs . Manche Leute sind einfach Arschlöcher, aber sie erreichen so viel, dass mir nichts anderes übrig bleibt, als mich zurückzulehnen und zu sagen: ›Offenbar gehört das zusammen.‹« Ich frage ihn, ob das Musks Benehmen entschuldigt. »Vielleicht ist es so: Wenn der Preis, den die Welt für diese Art von Errungenschaften zahlen muss, darin besteht, dass ein echtes Arschloch die Sache auf sich nimmt, dann ist es das womöglich wert. Jedenfalls denke ich inzwischen so.« Nach einer Pause fügt er hinzu: »Aber ich möchte nicht so sein.«

Als Marks das Unternehmen verließ, stellte Musk einen CEO ein, den er für tougher hielt: Ze’ev Drori , einen kampferprobten Mann, der in der israelischen Armee als Offizier bei den Fallschirmjägern gedient hatte, dann ins Halbleitergeschäft eingestiegen war und dort als Unternehmer großen Erfolg gehabt hatte. »Der Einzige, der den Job als CEO von Tesla wirklich wollte, war ein Mensch, der sich vor nichts fürchtete. Denn es gab vieles, wovor man sich fürchten konnte«, so Musk. Allerdings hatte Drori keine Ahnung von der Produktion eines Autos. Nach ein paar Monaten erklärte eine Delegation von Führungskräften mit JB Straubel an der Spitze, sie hätten Probleme, weiterhin unter Droris Geschäftsführung zu arbeiten. Ira Ehrenpreis , Mitglied des Boards, half mit, Musk davon zu überzeugen, die Geschäftsführung selbst zu übernehmen. Nachdem er eingewilligt hatte, sagte er zu Drori : »Ich muss beide Hände am Lenkrad haben. Wir können nicht beide gleichzeitig fahren.«

Drori trat würdevoll zurück, und Musk wurde im Oktober 2008 der offizielle CEO von Tesla – der vierte innerhalb eines Jahres (ungefähr).