SpaceX, 2014 – 2015
Beim Betrachten des gelandeten Boosters
© Mit freundlicher Genehmigung von Jehn Balajadia
Aus Musks Bemühungen, eine wiederverwendbare Rakete zu bauen, ging ein experimenteller Falcon-9-Prototyp namens Grasshopper hervor. Er besaß Landebeine sowie lenkbare Gitterflossen und konnte auf der Testanlage im texanischen McGregor langsame Hüpfer bis in 900 Meter Höhe und wieder hinunter vollführen. Begeistert von den Fortschritten, die sie machten, lud Musk im August 2014 die Mitglieder des SpaceX-Boards dorthin ein, um »die Zukunft in Aktion« zu erleben.
Für Sam Teller war es der zweite Arbeitstag. Der vor Energie strotzende, risikoaffine Harvard-Absolvent hatte sich gewissermaßen als Musks Stabschef einstellen lassen. Mit sauber getrimmtem Vollbart, der sein breites Lächeln betonte, und wachen Augen besaß er jenes Sensorium für Gefühle und den dringenden Wunsch, es Menschen recht zu machen, die seinem Chef abgingen. Als früherer Geschäftsführer der studentischen Satirezeitschrift The Harvard Lampoon wusste er, wie sich Musks Humor und seine manische Heftigkeit zügeln und nutzen ließen. (Und kurz nachdem er begonnen hatte, für Musk zu arbeiten, brachte er ihn sogar einmal zu einer Party im historischen Lampoon Castle mit.)
Bei seiner Sitzung in der Testanlage von McGregor diskutierte das SpaceX -Board bereits das Design der Raumanzüge, die das Unternehmen entwickelte, obwohl man noch Jahre davon entfernt war, Menschen ins All zu transportieren. »Die sitzen hier und erörtern ernsthaft Pläne, eine Stadt auf dem Mars zu bauen, und debattieren darüber, was die Leute dort anziehen werden«, wunderte sich Teller , »und alle tun so, als wäre es ein ganz normales Gespräch.«
Das wichtigste Ereignis war natürlich die Beobachtung eines Falcon-9 -Landeversuchs. Es war ein gleißend sonniger Augusttag in der texanischen Wüste, an dem riesige Grillen schwärmten und die Mitglieder des Boards sich unter einer kleinen Zeltplane zusammendrängten. Die Rakete sollte 900 Meter hochsteigen, ihre Bremsraketen zünden, über dem Landeplatz schweben und aufrecht landen. Das tat sie jedoch nicht. Kurz nach dem Abheben hatte eines der drei Triebwerke eine Fehlfunktion, die Rakete explodierte.
Nach kurzem Schweigen fiel Musk in den Abenteurermodus zurück. Er wies den Standortleiter an, den Lastwagen zu holen, damit sie zu den schwelenden Trümmern fahren konnten. »Geht nicht«, widersprach der Manager, »zu gefährlich.« – »Wir fahren!«, entschied Musk. »Wenn sie explodiert, können wir genauso gut durch brennende Trümmer laufen. Wie oft hat man dazu schon Gelegenheit?«
Alle lachten nervös und folgten ihm. Krater im Boden, brennendes Gras und verkohlte Metallstücke: Es sah aus wie die Kulisse in einem Ridley-Scott-Film. Steve Jurvetson fragte Musk, ob sie einige Stücke als Souvenirs mitnehmen könnten. »Klar«, antwortete der und sammelte selbst einige ein. Antonio Gracias wollte alle aufmuntern und verkündete, die besten Lehren im Leben stammten nun mal aus Misserfolgen. »Wenn ich die Wahl habe«, versetzte Musk, »lerne ich lieber aus Erfolgen.«
Es war der Beginn einer Pechsträhne, und das nicht nur für SpaceX , sondern für die gesamte Branche. Bei einer Mission zur Lieferung von Nutzlast an die Raumstation explodierte eine Rakete von Orbital Sciences . Dann schlug eine russische Nutzlastmission fehl. Es bestand die Gefahr, dass den Astronauten auf der Raumstation Lebensmittel und Vorräte ausgingen. Viel hing damit von der Nutzlastmission ab, die am 28. Juni 2015 für die SpaceX-Falcon-9 geplant war – an Musks 44. Geburtstag. Doch nur zwei Minuten nach dem Abheben knickte eine Strebe der Oberstufe ab, die einen Heliumtank hielt, und die Rakete explodierte. Nach sieben Jahren erfolgreicher Starts war dies der erste Fehlstart einer Falcon 9.
Bezos hingegen machte inzwischen gewisse Fortschritte. Im November 2015 schickte er eine Rakete zu einem elfminütigen Hüpfer hinauf und wieder herunter. Sie erreichte eine Höhe von 100 Kilometern, was als Grenze zum Weltraum gilt. Gelenkt durch ein GPS -System und Leitwerke kehrte die Rakete anschließend wieder zur Erde zurück und zündete erneut ihr Booster-Triebwerk, um den Abstieg zu verlangsamen. Mit ausgefahrenen Landebeinen schwebte die Rakete knapp über dem Boden, korrigierte ihre Position und setzte weich auf.
Am nächsten Tag gab Bezos den Erfolg in einem Pressegespräch bekannt. Dann versendete er seinen allerersten Tweet: »Das seltenste aller Tiere – eine gebrauchte Rakete. Kontrollierte Landung nicht leicht, kann aber, richtig gemacht, leicht aussehen.«
Musk war genervt. Für ihn war das gerade mal ein suborbitaler Hopser, weit entfernt vom wahren heiligen Gral, dem Nutzlasttransport in den Orbit. Musk twitterte zurück: »@JeffBezos Nicht wirklich ›seltenstes‹. SpaceX-Grasshopper-Rakete hat vor Jahren 6 Suborbitalflüge gemacht & ist noch da.«
Musks Grasshopper war gerade einmal 900 Meter in die Höhe geflogen – ein Hundertstel der Strecke, die die Blue-Origin -Rakete absolviert hatte. Trotzdem hatte Musk mit seiner Unterscheidung recht. Raketen, die bis an den Rand des Weltraums und wieder zurück hüpfen konnten, mochten zwar für Weltraumtouristen interessant sein, doch für Missionen wie Satellitentransporte und Flüge zur Internationalen Raumstation wurden Flugkörper mit dem Schub der Falcon 9 benötigt. Die Landung und Wiederverwendung einer solchen Rakete wäre eine Leistung ganz anderen Kalibers.
Die Gelegenheit dazu bot sich Musk am 21. Dezember 2015, nur vier Wochen nach Bezos’ suborbitalem Flug.
In seinem unermüdlichen Streben, die Schwerkraft zu besiegen, hatte Musk die Falcon 9 umgestaltet. Bei der neuen Version wurde mehr Flüssigsauerstoff in die Rakete geladen, indem dieser extrem gekühlt wurde: bis auf minus 207 Grad Celsius, wodurch er dichter wurde. Wie immer suchte Musk nach jedem erdenklichen Weg, um mehr Leistung in die Rakete hineinzustopfen, ohne ihre Größe oder Masse bedeutend zu erhöhen. »Elon plagte uns unablässig damit, einen winzigen Prozentsatz mehr Leistung herauszuschlagen, indem wir den Treibstoff immer weiter kühlten«, erzählt Mark Juncosa . »Es war genial, aber uns hat das wirklich schwer zu schaffen gemacht.« Einige wenige Male hielt Juncosa dagegen und argumentierte, dies könne zu Problemen mit den Ventilen und Lecks führen. Doch Musk blieb unerbittlich. »Kein physikalischer Grundsatz sagt, dass es nicht funktionieren kann«, urteilte er. »Es ist außerordentlich schwierig, das weiß ich, aber ihr müsst euch da einfach durchkämpfen.«
»Beim Countdown habe ich mir schier die Hosen vollgemacht«, erinnert sich Juncosa . Plötzlich erregte etwas in der Videoübertragung aus dem Hohlraum zwischen Booster und Oberstufe der Rakete seine Besorgnis. Da zeigten sich kleine Tropfen, und er wusste nicht, ob es flüssiger Stickstoff war, also unbedenklich, oder flüssiger Sauerstoff aus dem supergekühlten Tank, was problematisch sein könnte. »Ich war zu Tode geängstigt«, erzählt Juncosa.
»Du musst abbrechen«, forderte er Musk auf, als der Countdown die letzte Minute erreichte. Musk verharrte einige Sekunden. Wie gefährlich wäre das Vorhandensein von flüssigem Sauerstoff in der Zwischenstufe? Es gab ein Risiko, aber nur ein geringes. »Scheiß drauf«, erklärte er, »machen wir einfach weiter!«
Jahre später sah Juncosa eine Aufzeichnung von dem Moment, in dem Musk diese Entscheidung fällte. »Ich dachte, er hätte einige komplexe, schnelle Berechnungen angestellt, um über das Vorgehen zu entscheiden. In Wirklichkeit hat er bloß mit den Schultern gezuckt und die Anweisung erteilt. Er hatte eben ein Gespür für die physikalischen Gegebenheiten.«
Musk sollte recht behalten. Der Start verlief einwandfrei.
Nun galt es, zehn Minuten abzuwarten, um zu sehen, ob der Booster zurückkäme und wohlbehalten auf dem Landeplatz aufsetzen würde, den SpaceX gut anderthalb Kilometer von Pad 39A entfernt eingerichtet hatte. Kurz nach der Abtrennung der Oberstufe zündete der Booster seine Triebwerke, um sich umzudrehen und nach Cape Canaveral zurückzukehren, seinen Boden nach unten auszurichten und seinen Sinkflug zu verlangsamen. Geleitet durch GPS und Sensoren, und mit Gitterflossen ausgestattet, die die Lenkung unterstützen, sank der Booster dem Landeplatz entgegen. (An dieser Stelle sollte man einen Moment innehalten und sich klarmachen, wie großartig das alles ist!)
Musk stürmte aus dem Kontrollraum, rannte quer über den Highway und starrte in die Finsternis, um die Rakete wieder auftauchen zu sehen. »Komm schon runter, komm schon langsam runter«, murmelte er, während er, die Hände in die Seiten gestemmt, neben dem Highway stand. Dann ertönte ein Knall. »Oh, Mist!«, fluchte er, drehte sich um und machte sich niedergeschlagen auf den Weg zurück zum Kontrollraum.
Dort waren währenddessen laute Jubelschreie zu hören. Die Monitore zeigten die Rakete aufrecht auf ihrem Landeplatz, und der Ansager des Bodenkontrollteams griff die Formulierung auf, die Neil Armstrong auf dem Mond verwendet hatte: »Der Falke ist gelandet.« Bei dem lauten Geräusch hatte es sich nur um den Überschallknall beim Wiedereintritt der Rakete in die obere Atmosphäre gehandelt. Einer der Flugingenieure eilte Musk entgegen: »Sie steht auf dem Landeplatz!«, rief er. Musk machte abermals kehrt und trabte in seinem charakteristischen Schritt dorthin zurück. »Verdammte heilige Scheiße!«, sagte er immer wieder zu sich selbst. »Verdammte heilige Scheiße!«
An diesem Abend versammelten sich alle in der Strandbar Fishlips, um zu feiern. Musk stemmte ein Bier in die Höhe: »Wir haben gerade die größte Rakete der Welt gestartet und gelandet!«, rief er den einhundert Mitarbeitern und den anderen begeisterten Zuschauern zu. Als die Menge im Chor »USA , USA !« brüllte, hüpfte Musk auf und ab und boxte mit den Fäusten in die Luft.
»Glückwunsch@SpaceX zur Landung von Falcons suborbitalem Booster: Willkommen im Club!«, schrieb Bezos in einem Tweet. Die offenkundige Liebenswürdigkeit verbarg einen Dolchstich: Der von SpaceX gelandete Booster habe einen Suborbitalflug absolviert und fiele damit in dieselbe Kategorie wie der Booster von Blue Origin . Technisch gesehen hatte Bezos recht. Die SpaceX-Booster waren nie bis in die Umlaufbahn selbst geflogen, sondern dienten nur als Antrieb für Nutzlasten, die das taten. Doch Musk war erbost: Aufgrund der Fähigkeit, eine Nutzlast in die Umlaufbahn zu bringen, spielte für ihn die SpaceX-Rakete in einer anderen Liga.