Tesla, 2014 – 2016
Franz von Holzhausen mit einem frühen »Robotaxi«
Musk hatte mit Larry Page über eine mögliche Zusammenarbeit von Tesla und Google bei der Entwicklung eines Autopilot-System s verhandelt, mit dem Ziel, selbstfahrende Autos herzustellen. Doch ihr Zerwürfnis über künstliche Intelligenz stachelte Musk an, für Tesla Pläne für ein eigenes System zu entwickeln.
Googles Autopilot-Programm , genannt Waymo, nutzte die Laser-Radar-Technik LiDAR , ein Akronym für »Light Detection and Ranging« (Lichterkennung und Entfernungsmessung). Musk widerstrebte die Verwendung von LiDAR und anderer radarähnlicher Technologien. Er beharrte darauf, für autonome Fahrzeuge lediglich Bilddaten von Kameras zu verwenden. Es war ein Fall für seine Grundprinzipien. Menschen fuhren ausschließlich mit Bilddaten, also mussten auch Maschinen dazu in der Lage sein. Zudem war es eine Kostenfrage. Wie immer konzentrierte Musk sich nicht nur auf das Design eines Produkts, sondern auch darauf, wie es in großer Stückzahl produziert werden konnte. »Das Problem an der Herangehensweise von Google ist, dass deren Sensorsystem zu teuer ist«, bemerkte er 2013. »Ein optisches System, also Kameras mit einer Software, die allein durch Beobachtung der Außenwelt berechnet, was vor sich geht, ist besser.«
Im Laufe des nächsten Jahrzehnts lieferte Musk sich ein Tauziehen mit seinen Ingenieuren, von denen viele für eine Radarvariante in den autonomen Tesla-Fahrzeu gen plädierten. Dhaval Shroff , ein lebhafter junger Ingenieur aus Mumbai, der 2014 nach seinem Abschluss an der Carnegie Mellon University für die Autopilot-Abteilung bei Tesla eingestellt worden war, erinnert sich an eines seiner ersten Treffen mit Musk: »Damals hatten wir Radargeräte im Auto und erklärten Elon, dass sie aus Sicherheitsgründen auch genutzt werden sollten. Er war damit einverstanden, das Radargerät zu belassen, aber er war eindeutig der Meinung, dass wir darauf abzielen sollten, nur noch mit Kamerabildern zu arbeiten.«
2015 verbrachte Musk mehrere Stunden pro Woche mit dem Autopilot-Team. Er fuhr von seinem Zuhause im Viertel Bel Air in Los Angeles zur SpaceX -Zentrale in der Nähe des Flughafens, um über die Probleme des Autopilot-System s zu diskutieren. »Jede Besprechung begann damit, dass Elon sagte: ›Warum kann das Auto nicht selbst von meinem Zuhause zur Arbeit fahren?‹«, erzählt Drew Baglino , Vice President Technology bei Tesla.
Dies führte beim Tesla-Team zu absurden hektischen Versuchen à la Keystone Kops. Auf der Interstate 405 gab es eine Kurve, die Musk immer Schwierigkeiten bereitete, weil die Fahrbahnmarkierung verblasst war. Der Autopilot konnte die Spur nicht halten und stieß fast mit entgegenkommenden Autos zusammen. Musk erschien wütend im Büro. »Macht etwas, um das richtig zu programmieren«, forderte er wieder und wieder. So ging das über Monate, während das Team versuchte, die Autopilot -Software zu optimieren.
In ihrer Verzweiflung schlugen Sam Teller und die anderen eine einfachere Lösung vor: die zuständige Straßenbehörde zu bitten, die Fahrbahnmarkierung in diesem Abschnitt der Autobahn auszubessern. Als sie keine Antwort erhielten, dachten sie sich einen kühneren Plan aus. Sie beschlossen, sich eine Fahrbahnmarkiermaschine auszuleihen, die Autobahn nachts für eine Stunde zu sperren und die Markierung zu erneuern. Sie hatten bereits eine Markiermaschine aufgetan, als man endlich einen Mitarbeiter in der Verkehrsbehörde erreichte, der zudem ein Musk-Fan war. Er erklärte sich bereit, die Markierung erneuern zu lassen, wenn er und ein paar weitere Mitarbeiter der Behörde dafür eine Führung durch die SpaceX-Anlagen erhielten. Teller führte sie durch das Unternehmen, sie machten gemeinsam ein Foto, und die Fahrbahnmarkierung wurde aufgefrischt. Von da an meisterte Musks Autopilot die Kurve.
Baglino gehörte zu der Fraktion von Ingenieuren, die sich als Ergänzung für die Kameradaten eine Radarnutzung wünschte. »Es gab einfach eine riesige Kluft zwischen Elons Ziel und dem, was möglich war«, erklärt Baglino . »Er wollte die Herausforderungen einfach nicht sehen.« Einmal analysierte Baglinos Team, welche Entfernungswahrnehmung ein Autopilot-System für Situationen wie etwa vor einem Stoppschild bräuchte. Wie weit müsste das Auto nach links und rechts sehen können, um zu wissen, wann es sicher über die Kreuzung fahren konnte? »Wir versuchten, solche Dinge mit Elon zu besprechen, um festzulegen, was die Sensoren können mussten«, erzählt Baglino. »Das waren wirklich schwierige Gespräche, denn er kam immer wieder auf die Tatsache zurück, dass Menschen nur zwei Augen hätten, aber ein Auto steuern könnten. Doch diese Augen haben nun mal die Verbindung zu einem Hals, und der kann sich drehen, und dann können die Leute ihren Blick über den ganzen Raum wandern lassen.«
Musk gab vorerst nach. Jeder neue Model-S-Tesla durfte nicht nur mit acht Kameras ausgestattet sein, sondern auch mit zwölf Ultraschallsensoren und einem nach vorne gerichteten Radar, was die Sicht bei Regen und Nebel ermöglichte. »Zusammengenommen liefert dieses System eine Erfassung der Umgebung, die ein Fahrer allein nicht erreichen kann, es blickt in alle Richtungen gleichzeitig und erkennt Wellenlängen, die weit über die menschlichen Sinne hinausreichen«, hieß es 2016 auf der Tesla-Website. Doch trotz Musks Zugeständnis war klar, dass er nicht aufgeben würde, an einem System zu arbeiten, das ausschließlich über Kameras funktionierte.
Musks Festhalten an seiner Idee autonomer Fahrzeuge führte dazu, dass er immer wieder hartnäckig die Fähigkeiten des Tesla-Autopilot-Systems übertrieb. Das war gefährlich, denn dadurch glaubten manche Fahrer, sie könnten einen Tesla fahren, ohne sich groß auf den Verkehr konzentrieren zu müssen. Zudem wurde Tesla 2016, als Musk seine großen Versprechungen machte, von Mobileye fallen gelassen, einem der Kamerazulieferer. Tesla gehe »in Bezug auf die Sicherheit an die Grenzen«, lautete die Begründung für den Rückzug.
Dass es zu tödlichen Unfällen mit dem Autopiloten kommen würde, war so unvermeidlich, wie es das auch bei Fahrten ohne Autopilot ist. Musk betonte, dass das System nicht daran gemessen werden dürfe, ob es Unfälle vermied, sondern ob es zu weniger Unfällen führe. Das war ein schlüssiger Standpunkt, allerdings ließ er die gefühlte Wahrheit außer Acht, dass ein Unfalltoter mit dem Autopilot-System deutlich mehr Schrecken auslöste als hundert Tote, die durch menschliche Fahrfehler verursacht wurden.
Der erste gemeldete tödliche Unfall in den USA im Zusammenhang mit dem Autopilot-System ereignete sich im Mai 2016. Ein Fahrer in Florida kam zu Tode, als ein Sattelschlepper vor seinem Tesla nach links abbog. »Weder der Autopilot noch der Fahrer erkannten die weiße Flanke des Sattelschleppers vor dem grellen Himmel, weshalb nicht automatisch gebremst wurde«, hieß es in der Stellungnahme von Tesla . Ermittler konnten belegen, dass sich der Fahrer zum Zeitpunkt des Zusammenstoßes einen Harry-Potter-Film auf einem Computer angesehen hatte, der am Armaturenbrett lehnte. Die amerikanische Verkehrssicherheitsbehörde fand heraus, dass »es der Fahrer unterlassen hatte, den Tesla bis zum Unfall vollständig zu kontrollieren«. Tesla hatte übertriebene Autopilot-Fähigkeiten angepriesen und der Fahrer wahrscheinlich geglaubt, ständige Aufmerksamkeit sei nicht notwendig. Im gleichen Jahr gab es Berichte von einem weiteren tödlichen Unfall in China, bei dem mutmaßlich ein Tesla im Autopilot-Modus beteiligt war.
Die Nachrichten über den Unfall in Florida wurden bekannt, als Musk zum ersten Mal in 16 Jahren wieder in Südafrika war. Er flog sofort in die USA zurück, gab aber keine öffentliche Erklärung ab. Er begriff nicht, warum ein oder zwei Tote, verursacht durch den Tesla-Autopiloten, einen Aufschrei provozierten, wenn es zugleich jährlich mehr als 1,3 Millionen Verkehrstote gab. Niemand zähle die Unfälle, die mit dem Autopiloten vermieden, und die Leben, die so gerettet werden könnten. Warum wurde nicht untersucht, ob das Fahren mit Autopilot sicherer war als das ohne?
Im Oktober 2016 hielt Musk eine Telekonferenz mit Reportern ab; er reagierte sehr verärgert, als sich die ersten Fragen auf die beiden Unfallopfer bezogen. Wenn sie Artikel schrieben, die die Leute von autonomen Fahrsystemen abschreckten oder Regulierungsbehörden von der Zulassung abhielten, »dann töten Sie Menschen«. Er schwieg einen Moment, dann bellte er: »Nächste Frage!«
Musks große Vision – die manchmal eher einer Fata Morgana glich, die immer am fernen Horizont blieb, ohne je näher zu rücken – war, mit Tesla ein komplett autonomes Auto zu bauen, das völlig ohne menschliches Eingreifen fahren konnte. Er glaubte, das würde unseren Alltag völlig verändern und Tesla zum wertvollsten Unternehmen der Welt machen. Vollständig autonomes Fahren beziehungsweise »Full Self-Driving«, wie man es bei Tesla nannte, würde, so versprach Musk, nicht nur auf Autobahnen funktionieren, sondern auch auf innerstädtischen Straßen mit Fußgängern, Radfahrern und komplizierten Kreuzungen.
Wie mit seinen anderen von einer Mission getriebenen Spleens, inklusive der Marsmission , machte er Ankündigungen zum Zeitplan, die sich bald als absurd erwiesen. Bei der Telekonferenz im Oktober 2016 mit der Presse erklärte er, ein Tesla werde Ende des folgenden Jahres in der Lage sein, von Los Angeles nach New York zu fahren, ohne dass man das Lenkrad auch nur einmal berühren müsse. »Wenn Ihr Auto zurückkommen soll, tippen Sie ›Rückholen‹ auf Ihr Handy«, sagte er, »und es wird Sie finden, auch wenn Sie sich gerade am anderen Ende des Landes befinden.«
Das hätte man als amüsantes Hirngespinst abtun können, nur dass er seine Ingenieure drängte, an Versionen des Tesla Model 3 und Model Y zu arbeiten, die kein Lenkrad und keine Pedale zum Beschleunigen und Bremsen hatten. Von Holzhausen tat so, als würde er diesem Ansinnen nachkommen. Ab Ende 2016 zeigte man Musk immer wieder Bilder und Modelle von »Robotaxis «, wenn er durch die Designabteilung lief. »Er war überzeugt, dass das Model Y, wenn es so weit wäre, als komplettes, vollautonomes Robotaxi in Produktion gehen würde«, erzählt von Holzhausen.
Von Jahr zu Jahr gab Musk weitere Prognosen ab, wann es mit dem vollständig autonomen Fahren so weit sei. »Wann wird man eines Ihrer Autos kaufen können und buchstäblich die Hände vom Lenkrad nehmen, schlafen, und man ist angekommen, wenn man aufwacht?«, fragte Chris Anderson bei einem TED -Talk im Mai 2017. »In etwa zwei Jahren«, antwortete Musk. In einem Interview mit Kara Swisher auf der Code Conference Ende 2018 sagte er, Tesla sei »auf dem besten Weg dazu im nächsten Jahr«. Anfang 2019 legte er noch einmal nach. »Ich schätze, dass wir noch dieses Jahr ein vollständig selbstfahrendes Auto haben werden«, erklärte er in einem Podcast mit ARK Invest . »Ich bin mir da ziemlich sicher. Da gibt es kein Fragezeichen.«
»Wenn er zugibt, dass es noch lange dauern wird«, meinte von Holzhausen Ende 2022, »wird sich keiner mehr dafür einsetzen, und wir werden keine Fahrzeuge mehr entwickeln, die autonom fahren.« Bei einer Gewinnmitteilung mit Analysten im selben Jahr gestand Musk, dass die Abläufe komplexer seien, als er noch 2016 erwartet hatte. »Letztlich läuft es darauf hinaus«, erklärte er, »dass wir für vollständig autonomes Fahren zuerst künstliche Intelligenz in der realen Welt brauchen.«