Kapitel 42
Solar

Tesla Energy, 2004 – 2016

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Lyndon und Peter Rive

Burning Man

»Ich will eine neue Firma gründen«, sagte Musks Cousin Lyndon Rive , als sie im Spätsommer 2004 in einem Wohnmobil zum Burning Man Festival unterwegs waren, dem jährlichen Kunst- und Tech-Rave in der Wüste von Nevada. »Eine, die der Menschheit hilft und etwas gegen den Klimawandel tut.«

»Dann steig in die Solarindustrie ein«, erwiderte Musk.

Diese Antwort, erinnert sich Lyndon, habe sich angefühlt wie ein »Marschbefehl«. Gemeinsam mit seinem Bruder Peter machte er sich daran, das spätere SolarCity zu gründen. »Den Großteil der Anschubfinanzierung hat Elon übernommen«, erzählt Peter. »Er gab uns eine klare Zielvorgabe mit auf den Weg: Erreicht so schnell wie möglich eine Größenordnung, mit der ihr etwas bewirkt.«

Die drei Rive-Cousins – Lyndon, Peter und Russ – waren die Söhne von Maye Musks Zwillingsschwester und mit Elon und Kimbal aufgewachsen. Sie fuhren zusammen Fahrrad, rauften und schmiedeten Geschäftsideen. Genau wie Elon hatten sie Südafrika so schnell wie möglich verlassen, um in den USA ihre unternehmerischen Träume zu verwirklichen. Der ganze Clan, so Peter , folge derselben Maxime: »Risiko ist wie ein Treibstoff.«

Der jüngste Bruder Lyndon war besonders zäh. Er spielte leidenschaftlich Unterwasserhockey – ein Sport, der enormes Durchhaltevermögen erfordert – und war als Mitglied der südafrikanischen Nationalmannschaft in die USA gekommen. Er wohnte in Elons Wohnung, mochte die Stimmung im Silicon Valley, ergriff die Initiative und gründete mit seinen beiden Brüdern eine EDV -Firma. Auf Skateboards sausten sie zu ihren Serviceeinsätzen durch Santa Cruz. Irgendwann entwickelten sie ihre eigene Software, die viele der Aufgaben selbstständig erledigte, und konnten das Unternehmen schließlich an Dell verkaufen.

Nachdem Elon vorgeschlagen hatte, in die Photovoltaik einzusteigen, versuchten Lyndon und Peter herauszufinden, warum so wenige Menschen Solarmodule kauften. Die Antwort war schnell gefunden: »Wir stellten fest, dass die Erfahrungen der Kunden mit dem Anschaffungsprozess einfach furchtbar waren und die hohen Kosten viele abschreckten«, sagt Peter. Also suchten sie nach Möglichkeiten, den Prozess zu vereinfachen. Kunden sollten eine kostenfreie Telefonnummer anrufen können, ein Vertriebsteam würde anhand von Satellitenbildern die Größe des Daches ermitteln und wie viel Sonnenlicht darauf fiel, und anschließend würde ihre Firma einen Vertrag aufsetzen, aus dem Kosten, Energieersparnis und Finanzierungskonditionen hervorgingen. Stimmte der Kunde zu, würden sie ein Installationsteam in grünen Uniformen schicken, das die Module installierte und staatliche Subventionen beantragte.

Mit diesem neuen Konzept wollten Lyndon und Peter SolarCity als nationale Konsumgütermarke etablieren. Musk investierte 10 Millionen Dollar, und am 4. Juli 2006, kurz bevor Tesla den Roadster präsentierte, wurde das Unternehmen gegründet – mit Musk als Vorsitzendem des Boards.

Übernahme von SolarCity

Eine Weile lief SolarCity ziemlich gut. Ende 2012 ging das Unternehmen an die Börse, und drei Jahre später übernahm die Firma schon jede vierte nicht von einem öffentlichen Versorgungsbetrieb vorgenommene Installation von Solaranlagen. Doch es haperte an einem tragfähigen Geschäftsmodell. Weil die Solarmodule den Kunden zunächst anschaffungskostenfrei zur Verfügung gestellt wurden, wuchsen die Schulden, und der Aktienkurs sank von 85 Dollar im Jahr 2014 bis auf 20 Dollar Mitte 2016.

Musk wurde immer unzufriedener mit den Methoden von SolarCity, besonders mit dem aggressiven Stil des Vertriebspersonals, das über Kommission entlohnt wurde. »Ihre Verkaufstaktik ähnelte irgendwann dieser Masche, bei der einem an der Haustür irgendwelche Messersets oder so ein Schrott angedreht werden«, sagt Musk. Er hatte instinktiv immer genau das Gegenteil getan und nie viel Energie in Vertrieb oder Marketing gesteckt, sondern darauf vertraut, dass ein hochwertiges Produkt für sich sprechen würde.

Musk bedrängte seine Cousins . »Seid ihr eine Vertriebsgesellschaft, oder bietet ihr ein Produkt an?«, fragte er immer wieder. Sie hingegen konnten mit seiner Produktfixierung nichts anfangen. »Unsere Aktien waren durch die Decke gegangen«, erzählt Peter , »und Elon mäkelte an der Ästhetik herum und drehte durch, weil er die Montageclips hässlich fand.« Musk wurde dermaßen ungehalten, dass er schließlich drohte, vom Vorsitz des Boards zurückzutreten. Kimbal konnte ihn davon abhalten. Im Februar 2016 rief Elon seine Cousins an, um ihnen seinen neuesten Plan mitzuteilen: den Kauf von SolarCity durch Tesla .

Nach der Eröffnung der Batteriefabrik in Nevada hatte Tesla mit der Herstellung einer kühlschrankgroßen Heimbatterie begonnen. Diese »Powerwall« ließ sich mit Solarmodulen verbinden, wie SolarCity sie installierte. Mit diesem Konzept vermied Musk den Fehler, den viele Unternehmensleiter machten, die ihr Geschäft nicht breit genug aufstellten. »Tesla ist nicht nur eine Autofirma«, erklärte er bei der Ankündigung der Powerwall im April 2015. »Es ist eine Firma für Energieinnovation.«

Mit Solardächern, die eine Heimbatterie und den Tesla in der Garage mit Energie versorgten, könnten sich die Menschen unabhängig von großen Versorgern und Ölkonzernen machen. Die Kombination dieser Angebote würde Tesla in die Lage versetzen, mehr gegen den Klimawandel zu tun als jedes andere Unternehmen – oder sogar jede andere Instanz – weltweit. Allerdings hatte Musks integriertes Energiekonzept einen Haken: Das Photovoltaik-Unternehmen seiner Cousins gehörte nicht zu Tesla . Das wollte er nun ändern. Eine Übernahme von SolarCity würde ihm zweierlei ermöglichen: Heimenergie in sein Geschäft einzugliedern und gleichzeitig das inzwischen strauchelnde Unternehmen seiner Cousins zu retten.

Zunächst stellte sich jedoch der Tesla-Verwaltungsrat quer, was ungewöhnlich war, weil er sich Musk gegenüber normalerweise äußerst loyal zeigte. Das vorgeschlagene Geschäft wirkte wie eine Rettungsaktion für Musks Cousins und sein eigenes Investment in SolarCity – und dies ausgerechnet zu einer Zeit, da Tesla selbst mit Produktionsproblemen zu kämpfen hatte. Nachdem sich die finanzielle Situation von SolarCity weiter verschlechtert hatte, winkte das Gremium den Plan schließlich vier Monate später doch durch. Tesla bot einen recht großzügigen Aufschlag von 25 Prozent auf den Erwerb von SolarCity -Aktien, deren größter Anteilseigner Musk war. Er selbst hatte sich bei einigen der Abstimmungen enthalten, aber an vielen der privaten Diskussionen mit seinen Cousins teilgenommen.

Bei der Verkündung des Deals im Juni 2016 sprach Musk von einem »Selbstläufer«, der »rechtlich und moralisch einwandfrei« sei. Die Übernahme fügte sich perfekt in den ursprünglichen »Masterplan« für Tesla ein, den er 2006 verfasst hatte: »Das übergeordnete Ziel von Tesla Motors besteht darin, den Übergang von einer Kohlenwasserstoff-Wirtschaft zu einer Solarstrom-Wirtschaft zu beschleunigen.« Sie entsprach auch Musks Bedürfnis, all seine Unternehmungen von Anfang bis Ende zu kontrollieren. »Elon hat uns überzeugt, dass man Solarenergie und Batterien zusammenbringen muss«, sagt sein Cousin Peter. »Wir wollten unbedingt hin zu einem integrierten Produktmodell, aber das war schwierig, solange die Ingenieure in zwei verschiedenen Firmen saßen.«

Der Deal wurde von 85 Prozent der »uneigennützigen« Aktionäre (Musk selbst durfte also nicht abstimmen) sowohl von Tesla als auch von SolarCity bewilligt. Dennoch reichten einige Tesla-Aktionäre eine Sammelklage ein. Ihr Vorwurf lautete: »Elon hat den servilen Verwaltungsrat dazu gebracht, die Übernahme des insolventen SolarCity zu einem offenkundig unlauteren Preis zu genehmigen, durch die die von ihm (und weiteren Familienmitgliedern) getätigten Investitionen gerettet werden sollen.« 2022 entschied ein Kanzleigericht in Delaware den Fall schließlich zu Musks Gunsten: »Die Übernahme stellt einen entscheidenden Schritt für ein Unternehmen dar, das dem Markt und seinen Aktionären schon seit Jahren sein Vorhaben kommuniziert, von einem Hersteller von Elektrofahrzeugen zu einem Unternehmen für alternative Energien zu expandieren.«

»Das ist scheiße«

Bei einer Präsentation vor SolarCity -Investoren im August 2016, unmittelbar vor der Aktionärsabstimmung, die die Fusion mit Tesla zum Abschluss bringen würde, deutete Musk ein neues Produkt an, das die ganze Industrie auf den Kopf stellen sollte. »Was, wenn wir Ihnen ein Dach anbieten könnten, das viel besser aussieht als ein normales Dach? Das viel länger hält als ein normales Dach? Eine ganz andere Nummer wäre das!«

Die Idee, an der er und die Rive -Brüder arbeiteten, war ein Solardach im Wortsinn, nicht ein Dach mit aufmontierten Solarmodulen. Es sollte aus Ziegeln mit integrierten Solarzellen bestehen, die das existierende Dach ersetzen oder auf ein bestehendes geschichtet werden sollten. Das Ergebnis würde im Gegensatz zu den bisherigen Solarmodulen eher an ein traditionelles Dach erinnern.

Das Solardach-Projekt sorgte zwischen Musk und seinen Cousins für enorme Spannungen. Im August, etwa um die Zeit, als er das neue Produkt anpries, lud Peter Rive ihn ein, sich eine Version anzusehen, die das Unternehmen auf dem Dach eines Kunden installiert hatte. Es handelte sich um ein Stehfalzdach, bei dem die Solarzellen statt in Dachziegeln in Metallbahnen integriert waren.

Als Musk vorfuhr, wartete Peter bereits mit 15 Personen vor dem Haus. »Wie so oft«, erinnert er sich, »kam Elon erst zu spät, blieb dann im Auto sitzen und schaute auf sein Handy, während wir alle sehr angespannt darauf warteten, dass er endlich ausstieg.« Als er das schließlich tat, war er sichtlich wütend. »Das ist scheiße«, urteilte er nach einem schnellen Blick auf das Dach. »Totaler Scheißdreck. Fürchterlich. Was habt ihr euch dabei gedacht?« Peter erklärte, eine bessere Version hätten sie in der Kürze der Zeit nicht auf die Beine stellen können und so eben ästhetische Abstriche machen müssen. Musk befahl ihnen, sich nicht mit Metalldächern abzugeben, sondern auf Solarziegel zu konzentrieren.

Die Rives und ihr SolarCity -Team arbeiteten rund um die Uhr, bis sie ein paar Solarziegel-Prototypen entwickelt hatten. Für Oktober wurde eine öffentliche Enthüllungsfeier angekündigt. Sie fand auf dem Gelände der Universal Studios in Hollywood statt, wo eine Reihe von Häusern aus der Serie Desperate Housewives mit Solarziegeln ausgestattet worden waren. Es gab vier verschiedene Versionen, unter anderem solche, die französischem Schiefer und toskanischen Tonziegeln nachempfunden waren, aber auch eines jener Metalldächer sollte zu sehen sein, die Musk so verabscheute. Als er das Gelände zwei Tage vor der Veranstaltung besuchte und es entdeckte, flippte er aus. »Welchen Teil von ›Ich finde dieses Produkt zum Kotzen‹ habt ihr nicht verstanden?«, brüllte er. Einer der Ingenieure wehrte sich und sagte, in seinen Augen sehe es akzeptabel aus, zudem sei es nun mal am einfachsten zu montieren. Musk nahm Peter zur Seite und forderte: »Ich finde, der Typ sollte nicht Teil des Teams sein.« Peter feuerte den Ingenieur und ließ das Metalldach vor der Veranstaltung entfernen.

Für die Präsentation kamen 200 Menschen in die Universal Studios . Musk hob zu einem Vortrag über steigende CO 2 -Emissionen und die Bedrohung durch den Klimawandel an. »Rette uns, Elon!«, rief jemand. In diesem Moment deutete Musk hinter sich. »Die Häuser, die ihr hier seht, sind alle Solarhäuser«, sagte er. »Habt ihr das bemerkt?« In jeder der Garagen befand sich eine aufgerüstete Version der Powerwall und ein Tesla. Die Solarzellen generierten den Strom, der in Powerwall und Autobatterie gespeichert wurde. »Das ist die integrierte Zukunft«, verkündete Musk. »Wir können die ganze Energiegleichung lösen.«

Auf persönlicher Ebene forderte diese ehrgeizige Vision jedoch einen hohen Preis. Innerhalb eines Jahres verließen sowohl Peter als auch Lyndon Rive die Firma.