Tesla, 2018
In der Montagestraße der Fabrik in Fremont und bei einer Ruhepause unter dem Schreibtisch
© O. l.: Mit freundlicher Genehmigung von Omead Afshar; o. r. und u. l.: Mit freundlicher Genehmigung von Sam Teller; u. r.: Mit freundlicher Genehmigung von Jehn Balajadia
Als sich die Engpässe in der Batteriefabrik in Nevada im Frühling 2018 auflösten, richtete Musk seine Aufmerksamkeit auf das Tesla-Werk in Fremont , das am äußeren Rand des Industriegebiets des Silicon Valley lag, von Palo Alto gesehen auf der gegenüberliegenden Seite der San Francisco Bay. Anfang April wurden dort pro Woche nur 2000 Exemplare des Model 3 produziert. Schon rein physikalisch schien es völlig ausgeschlossen, die Montagestraßen so weit zu strapazieren, dass die magische 5000er-Marke, deren Realisierung er der Wall Street bis Ende Juni in Aussicht gestellt hatte, in den Bereich des Möglichen rückte.
Musk hatte mit seiner vollmundigen Ankündigung vollendete Tatsachen geschaffen und seine Führungskräfte aufgefordert, ausreichend Teile und Materialien für die geplante Produktionszahl zu bestellen. Die galt es zu bezahlen, und wenn sie nicht zu fertigen Autos weiterverarbeitet wurden, drohte Tesla in eine Liquiditätskrise und schließlich eine fatale Abwärtsspirale zu geraten. Um das zu verhindern, verordnete Musk eine weitere jener Phasen gesteigerten Leistungsdrills, die er selbst als »Fieber« bezeichnet.
In jenen Monaten bewegte sich die Tesla-Aktie zwar auf ein Allzeithoch zu und war sogar mehr wert als General Motors , obwohl GM im Vorjahr 10 Millionen Autos verkauft und 12 Milliarden Dollar Profit gemacht hatte, während Tesla nur 100 000 Autos verkauft und sogar 2,2 Milliarden Dollar verloren hatte. Diese Zahlen und die Skepsis gegenüber Musks Versprechen, 5000 Autos pro Woche zu produzieren, machte die Tesla-Aktie allerdings zu einem Magneten für Shortseller , die von fallenden Aktienkursen profitieren. Musk machte das wütend. Er hielt Shortseller nicht einfach für skeptisch, er unterstellte ihnen Böswilligkeit und bezeichnete sie als »Blutegel am Hals der Wirtschaft«. Die Shortseller griffen Tesla und Musk persönlich in aller Öffentlichkeit an. Wenn er durch seinen Twitter-Feed scrollte, kochte er angesichts der Fehlinformationen vor Wut. Noch schlimmer waren korrekte Informationen. »Sie hatten aktuelle Daten aus fabrikinternen Quellen. Drohnen über dem Fabrikgelände versorgten sie in Echtzeit mit Zahlen«, sagt er. »Die Shorts organisierten sich in Luft- und Bodentruppen. Es war unfassbar, wie viel Insiderwissen sie hatten.«
Genau das sollte ihnen schließlich zum Verhängnis werden: Den Shortsellern lagen belastbare Informationen darüber vor, wie viele Autos maximal von den beiden Montagebändern gehen konnten, und schlossen daraus, dass Tesla unter keinen Umständen bis Mitte des Jahres auf 5000 produzierte Wagen pro Woche kommen konnte. »Wir denken, die Irreführung wird TESLA nun zum Verhängnis«, schrieb David Einhorn, einer der Leerverkäufer . »Elon Musks unberechenbares Verhalten deutet darauf hin, dass er das auch weiß.« Der bekannteste Shortseller, Jim Chanos , erklärte die Tesla-Aktie öffentlich für so gut wie wertlos.
Etwa zur selben Zeit ging Musk die entgegengesetzte Wette ein. Das Tesla-Board sagte ihm das umfangreichste Gehaltspaket der US -Geschichte zu, bei dem er zwar leer ausging, wenn der Aktienpreis nicht dramatisch anstieg, das jedoch 100 Milliarden Dollar oder mehr versprach, wenn es der Firma gelang, einige extrem hochgesteckte Zielvorgaben zu erfüllen, unter anderem enorme Produktions-, Umsatz- und Kurssteigerungen. Kaum jemand glaubte ernsthaft daran, dass er die Ziele erreichen konnte. »Mr Musk wird nur bezahlt, wenn es ihm gelingt, den Marktwert und die Geschäftstätigkeit des Unternehmens in einem kaum denkbaren Ausmaß zu steigern«, schrieb Andrew Ross Sorkin in der New York Times . »Andernfalls bekommt er nichts.« Den Höchstbetrag erhalte er nur, so Sorkin, »wenn es Mr Musk irgendwie gelingt, den Wert von Tesla auf 650 Milliarden Dollar zu erhöhen – eine Zahl, die viele Experten für völlig absurd halten.«
In der Mitte der Fabrik in Fremont befindet sich der zentrale Konferenzraum, auch »Jupiter« genannt. Musk nutzte ihn als Büro, Besprechungsraum, Rückzugsort bei schwerer psychischer Belastung und manchmal als Schlafplatz. Eine Reihe Monitore, die sich wie die Anzeigen an der Börse ständig blinkend aktualisierten, gaben in Echtzeit Auskunft über die gesamte Produktion der Fabrik sowie der einzelnen Stationen.
Musk hatte festgestellt, dass die Gestaltung einer guten Fabrik dem Designen eines Mikrochips glich. Es ging darum, Zusammenspiel und Fluss der einzelnen Stationen optimal zu koordinieren. Am meisten Aufmerksamkeit schenkte er deshalb dem Monitor, auf dem alle Stationen einer Montagestraße zu sehen waren und ein grünes, gelbes oder rotes Lämpchen anzeigte, ob alles reibungslos lief oder nicht. Auch an den Stationen selbst waren grüne, gelbe und rote Lichter angebracht, sodass Musk bei seinen Rundgängen gezielt problemanfällige Stellen ansteuern konnte. Sein Team nannte das den »Walk to the red« .
Die Phase des Fiebers in Fremont begann in der ersten Aprilwoche 2018. Schon am Morgen lief Musk mit seinem schnellen, bärenhaften Schritt das Werk ab und steuerte die rot blinkenden Störstellen an. Was ist das Problem? Ein Teil fehlte. Wer ist für das Teil verantwortlich? Holt ihn her. Ein Sensor löste immer wieder aus. Wer hat das kalibriert? Holt jemanden, der die Konsole öffnen kann. Lassen sich die Einstellungen ändern? Wozu überhaupt dieser Scheißsensor?
Am Nachmittag musste Musk seinen Kontrollgang unterbrechen, weil für SpaceX ein wichtiger Versorgungsflug zur Raumstation anstand. Musk ging zurück in den Jupiter-Konferenzraum, um den Start über einen der Monitore zu verfolgen. Dennoch wanderte sein Blick währenddessen immer wieder auf die Bildschirme mit den Produktionszahlen und Engpässen an den Tesla-Bändern. Sam Teller bestellte thailändisches Essen, dann setzte Musk seine Patrouille durch die Fabrik fort, immer auf der Suche nach roten Lichtern. Um 2:30 Uhr stand er mit der Nachtschicht unter einem Auto auf einer Hebebühne und überwachte die Montage von Befestigungselementen. Warum setzen wir hier vier Bolzen? Wer hat das festgelegt? Reichen auch zwei? Probiert es aus.
Den ganzen Frühling und Frühsommer hindurch tigerte er durch die Fabrik, wie er das schon in Nevada getan hatte, und gab kurzfristige Anweisungen. »Elon drehte völlig durch, er raste von Abteilung zu Abteilung«, sagt Juncosa . Musk selbst schätzt, dass er an einem guten Tag bei seinen Rundgängen um die hundert Entscheidungen traf. »Mindestens 20 Prozent stellten sich im Nachhinein als Fehler heraus und wurden wieder korrigiert«, erklärt er. »Aber wenn ich nichts entscheide, gehen wir unter.«
Lars Moravy , ein wichtiger leitender Angestellter, arbeitete gerade in der Hauptgeschäftsstelle ein paar Kilometer von Palo Alto entfernt, als er einen dringenden Anruf von Omead Afshar erhielt. Afshar bat ihn, zur Fabrik zu kommen. Dort fand er Musk im Schneidersitz unter einem erhöhten Förderband mit Karosserien vor. Einmal mehr trieb ihn die festgelegte Anzahl verbauter Bolzen um. »Warum sind da jetzt sechs?«, fragte er und deutete mit dem Finger darauf.
»Damit der Wagen bei einem Unfall stabil bleibt«, antwortete Moravy .
»Nein, die Hauptlast bei einem Aufprall wird über diese Schiene da abgeleitet.« Musk hatte sich die neuralgischen Punkte der Karosserie vergegenwärtigt und ratterte jetzt die jeweiligen Toleranzwerte herunter. Moravy gab die Zahlen an die Ingenieure weiter, die das Design überarbeiten und anschließend testen sollten.
An einer anderen Station wurden die halb fertigen Karosserien zum Weitertransport zu den letzten Montageschritten auf einem Werkstückträger angeschraubt. Die Roboter arme, die die Bolzen festzogen, arbeiteten für Musks Geschmack zu langsam. »Das würde ja sogar ich schneller hinbekommen«, schimpfte er und forderte die Arbeiter auf, die Einstellungen zu überprüfen. Aber niemand wusste, wie man die Kontrollkonsole öffnete. »Gut«, sagte Musk. »Ich bleibe einfach so lange hier stehen, bis wir jemanden aufgetrieben haben, der die Konsole aufbekommt.« Schließlich fand man einen Techniker, der wusste, wie man auf die Steuerung des Roboters zugreifen konnte. Musk stellte fest, dass der Roboter auf 20 Prozent seiner Maximalgeschwindigkeit konfiguriert war. Außerdem sah die Werkseinstellung vor, dass der Arm die Bolzen zunächst zweimal zurückdrehte, bevor er sie festzog. »Werkseinstellungen sind immer idiotisch«, befand Musk und änderte kurzerhand den Code, um die Rückwärtsdrehung abzuschalten. Dann stellte er die Geschwindigkeit auf 100 Prozent. Weil das allerdings die Gewinde zu sehr strapazierte, musste er sie schließlich auf 70 Prozent verringern. Das funktionierte einwandfrei und reduzierte die Befestigungsdauer der Autos auf den Werkstückträgern um mehr als die Hälfte.
Bei einem Schritt der Lackierung, der kathodischen Tauchlackierung , wurde die Außenhaut der Wagen in einem Tank versenkt. Sie ist an mehreren Stellen perforiert, damit die Flüssigkeit nach dem Bad aus den Hohlräumen ablaufen kann. Anschließend werden diese Löcher mit Aufklebern aus synthetischem Gummi, sogenannten Butyl-Patches, abgedichtet. »Warum benutzen wir die?«, fragte Musk einen der Bandleiter und erhielt die Antwort, dies sei von der Abteilung für Fahrzeugkonstruktion so festgelegt worden. Musk zitierte den Verantwortlichen zu sich. »Wofür, zur Hölle, sind die Dinger gut?«, wollte er wissen. »Die halten hier den ganzen Betrieb auf.« Die Butyl-Patches , so die Antwort, sollten im Falle eines Hochwassers verhindern, dass der Fußraum zu nass wurde. »Das ist doch irre«, entgegnete Musk. »So ein Hochwasser gibt es vielleicht alle zehn Jahre mal. Dann werden die Fußmatten eben nass.« Die Patches wurden gestrichen.
Oft stoppten die Bänder, weil Sicherheitssensoren ausgelöst wurden. Musk entschied, sie seien zu sensibel und schlügen an, obwohl es gar kein Problem gebe. Er testete einige davon, um herauszufinden, ob Kleinigkeiten wie ein vor dem Sensor herunterfallendes Stück Papier zu einem Stillstand führte, und begab sich dann auf einen regelrechten Kreuzzug gegen Sensoren, der sowohl die Autos von Tesla als auch die Raketen von SpaceX betraf. »Sofern ein Sensor nicht unbedingt notwendig ist, um den Motor zu starten oder explosionsfrei abzuschalten, ist er wegzulassen«, schrieb er in einer Rundmail an die SpaceX -Ingenieure. »In Zukunft wird jeder, der ohne offensichtliche Notwendigkeit einen Sensor (oder irgendetwas anderes) an einem Motor anbringt, aufgefordert werden, die Firma zu verlassen.«
Einige Manager hielten dagegen. Sie warfen Musk vor, Sicherheit und Qualität zu riskieren, um mit aller Gewalt die Produktion voranzutreiben. Der Senior Director des Bereichs Qualitätskontrolle kündigte. Einige aktuelle und ehemalige Mitarbeiter erklärten gegenüber CNBC , man habe sie »unter Druck gesetzt, Abkürzungen zu nehmen, um die ehrgeizigen Produktionsziele für das Model 3 zu erreichen«. Außerdem sei von ihnen erwartet worden, provisorische Reparaturen durchzuführen, etwa defekte Plastikteile mit Isolierband auszubessern. Die New York Times berichtete, Angestellte hätten sich unter Druck gesetzt gefühlt, zehnstündige Schichten zu schieben. »Es ist ein ständiges ›Wie viele Autos haben wir schon gebaut?‹ – ein ständiger Druck weiterzubauen«, erklärte ein Arbeiter gegenüber der Zeitung. Die Vorwürfe waren nicht von der Hand zu weisen. Die Verletzungsrate bei Tesla lag 30 Prozent über dem Industriestandard.
Bei seinen Bemühungen, die Produktionszahlen in der Batteriefabrik in Nevada hochzuschrauben, hatte Musk die Erfahrung gemacht, dass es bestimmte, teils sehr einfache Arbeitsschritte gab, die Menschen besser gelingen als Robotern . Wir können unsere Augen benutzen, um einen Raum nach genau dem passenden Werkzeug abzusuchen, wir können darauf zugehen, es mit den Fingern aufheben, mit einem Blick herausfinden, an welcher Stelle man es am besten ansetzt, und es mit einer Armbewegung dorthin bewegen. Ganz einfach, oder? Nicht für einen Roboter, wie gut seine Kameras auch sein mögen. In Fremont , wo an jedem Montageband 1200 Maschinen ihren Dienst verrichteten, kam Musk, wie bereits in Nevada, zu dem Schluss, dass man Produktionsschritte zu leichtfertig automatisiert hatte.
Am Ende des letzten Montagebandes sollten Roboterarme die schmalen Gummidichtungen um die Fenster anbringen, was ihnen sichtlich schwerfiel. Eines Tages schaute sich Musk die Versuche der störrischen Roboter einige Minuten schweigend an und versuchte es schließlich selbst. Für einen Menschen war es einfach. Daraufhin erteilte er eine ähnliche Anordnung wie schon in Nevada: »Ihr habt 72 Stunden Zeit, jede überflüssige Maschine zu entfernen.«
Der Rauswurf der Roboter kam nur zäh in Gang. Die Leute hingen an den Maschinen. Doch bald schon entwickelte es sich zu einer Art Spiel. Musk lief die Bänder entlang und schwang eine orange Sprühdose. »Raus oder behalten?«, fragte er Nick Kalayjian , seinen Vice President of Engineering, oder andere Verantwortliche. Lautete die Antwort »raus«, wurde die entsprechende Maschine mit einem orangen X markiert und von Arbeitern abtransportiert. »Irgendwann lachte er richtig, wie ein Kind«, erzählt Kalayjian.
Die Verantwortung für die Überautomatisierung trug Musk selbst und gab das auch öffentlich zu. »Die exzessive Automatisierung bei Tesla war ein Fehler«, twitterte er. »Genauer gesagt, mein Fehler. Menschen sind unterbewertet.«
Nachdem die Deautomatisierung abgeschlossen und weitere Verbesserungen erfolgt waren, spuckte die Fabrik in Fremont Ende Mai 2018 wöchentlich 3500 Exemplare des Model 3 aus. Das war zwar beeindruckend, entsprach aber noch bei Weitem nicht dem von Musk für Ende Juni anvisierten Wochenpensum. Und die Shortseller mit ihren Spionen und Drohnen waren nach wie vor der Auffassung, dass die Fabrik die 5000er-Marke mit ihren zwei Montagestraßen unmöglich knacken konnte. Sie wussten auch, dass Tesla im Laufe des nächsten Jahres keine neue Fabrik aus dem Boden stampfen könnte, ja, noch nicht einmal eine Genehmigung dafür bekommen würde. »Die Shorts hielten sich für perfekt informiert«, sagt Musk. »Sie prahlten im Internet damit – ›haha, Tesla ist im Arsch‹.«
Musk interessiert sich für Militärgeschichte, besonders die Entwicklung von Kampfflugzeugen hat es ihm angetan. Bei einem Meeting in Fremont am 22. Mai gab er eine Geschichte aus dem Zweiten Weltkrieg zum Besten: Als die US -Regierung dringend die Produktion von Bombern beschleunigen musste, hatten die kalifornischen Luftfahrtunternehmen zusätzliche Fertigungsstätten auf ihren Parkplätzen eingerichtet. Wäre das nicht auch eine Möglichkeit für Tesla ? Er besprach die Idee mit Jérôme Guillen , den er schon bald zum Leiter des Automobilbereichs bei Tesla beförderte, und sie beschlossen, etwas Ähnliches auf die Beine zu stellen.
Der Flächennutzungsplan von Fremont ermöglichte die Einrichtung von »vorübergehenden Autoreparaturstätten«. Das sollte Tankstellen die Möglichkeit geben, Zelte zum Wechseln von Reifen oder Schalldämpfern zu errichten. Allerdings stand in der Regelung nichts über die zugelassene Maximalgröße solcher Zelte. »Hol so eine Erlaubnis ein, und lass ein riesiges Zelt bauen«, forderte Musk Guillen auf. »Schlimmstenfalls zahlen wir eben später ein Bußgeld.«
Noch am selben Nachmittag begannen die Arbeiter damit, Bauschutt von einem alten Parkplatz hinter der Fabrik abzutransportieren. Es blieb keine Zeit, den rissigen Asphalt auszubessern, also wurde einfach ein langer Streifen Pflaster verlegt. Einer von Musks Spitzenkräften für Infrastruktur, Rodney Westmoreland , wurde eingeflogen, um den Bau zu überwachen, und als Belohnung für die Arbeiter, die sich in der brütenden Hitze abschufteten, beorderte Sam Teller ein paar Eiswagen auf das Gelände. In nur zwei Wochen errichteten sie eine Zeltkonstruktion mit 300 Metern Länge und 45 Metern Breite – groß genug, um eine provisorische Fertigungsstraße darin einzurichten. Statt Maschinen arbeiteten an allen Stationen Menschen.
Ein Problem war das Fehlen eines Förderbandes, um die halb fertigen Autos innerhalb des Zeltes zu bewegen. Es gab lediglich eine alte Vorrichtung für den Transport von Autoteilen, die für Karosserien jedoch nicht leistungsstark genug war. »Wir sorgten einfach für einen gewissen Neigungswinkel unter dem Ding, sodass es die Autos mithilfe der Schwerkraft genau in der richtigen Geschwindigkeit befördern konnte«, sagt Musk.
Am 16. Juni kurz nach 16 Uhr, nur drei Wochen nachdem Musk auf die Idee gekommen war, rollten Exemplare des Model 3 über das neue Band im provisorischen Zelt. Neal Boudette von der New York Times , der über »Musk in Aktion« schreiben wollte, war dabei gewesen, als das Zelt auf dem Parkplatz aufgestellt wurde. »Wenn konventionelles Denken deine Mission verunmöglicht«, hatte ihm Musk erklärt, »ist es höchste Zeit, unkonventionell zu denken.«
Musks 47. Geburtstag am 28. Juni 2018 lag knapp vor dem Termin, bis zu dem er eine Produktionsrate von 5000 Autos pro Woche versprochen hatte. Den Großteil des Tages verbrachte er in der Lackiererei im Hauptgebäude der Fabrik. »Warum staut es sich da?«, fragte er bei jeder Verzögerung, steuerte den Engpass an und blieb stehen, bis Ingenieure kamen, um den Fehler zu beheben.
Er war ziemlich mieser Laune, seit Amber Heard ihn angerufen hatte, um ihm zu gratulieren und ihm anschließend sein iPhone hinuntergefallen und kaputtgegangen war. Teller konnte ihn immerhin überreden, kurz nach 14 Uhr eine Pause für eine kleine Geburtstagsfeier im Konferenzraum einzulegen. Auf der Eistorte, die Teller besorgt hatte, stand mit Zuckerguss: »Alles Gute zu 48 Jahren in der Simulation!« Weil es weder Messer noch Gabeln gab, aßen sie den Kuchen mit den Händen.
Zwölf Stunden später, kurz nach halb drei in der Nacht, verließ Musk schließlich die Produktionsstätte und ging zurück in den Konferenzraum. Bis er sich dort schlafen legte, sollte allerdings noch eine weitere Stunde vergehen. Denn auf den Monitoren verfolgte er den Start einer SpaceX -Rakete in Cape Canaveral . An Bord befanden sich ein Assistenzroboter und Verpflegung, darunter sechzig Päckchen »Death Wish Coffee« mit Extrakoffein für die Besatzung der ISS . Der Start lief reibungslos und markierte die 15. erfolgreiche Nutzlastmission, die SpaceX im Auftrag der NASA durchführte.
Der 30. Juni, die Deadline für die versprochenen 5000 Autos pro Woche, fiel auf einen Samstag. Als Musk sich an jenem Morgen vom Sofa im Konferenzraum erhob und auf die Monitore sah, wusste er, dass sie es schaffen würden. Er arbeitete ein paar Stunden an der Lackierstation, verließ dann schnell die Fabrik und fuhr, noch mit Schutzhandschuhen, zum Flughafen, um rechtzeitig zu Kimbals Hochzeit in einem mittelalterlichen katalanischen Dorf einzutreffen. Er sollte der Trauzeuge sein.
Am 1. Juli spuckte die Fabrik um 1:53 Uhr ein schwarzes Model 3 aus, auf dessen Windschutzscheibe ein Banner mit der Aufschrift »5000th « angebracht war. Als ein Foto davon auf seinem Handy aufploppte, schickte Musk eine Nachricht an alle Tesla-Angestellten: »Wir haben’s geschafft! … Wir haben völlig neue Lösungen entwickelt, die alle für unmöglich gehalten haben. Intense in tents . Was soll’s, es hat funktioniert … Ich glaube, wir sind soeben eine echte Autofirma geworden.«
Bei jeder Produktionsbesprechung, ob bei Tesla oder SpaceX , ist es ziemlich wahrscheinlich, dass Musk früher oder später mantraartig seinen Algorithmus aufsagt. Dieses Regelwerk ist geprägt von den Lehren, die er aus den höllischen Fieberphasen in den Fabriken in Nevada und Fremont gezogen hatte. Es kommt vor, dass seine Führungskräfte die Lippen bewegen und lautlos mitsprechen, als begleiteten sie die Liturgie ihres Priesters. »Der Algorithmus mag inzwischen wie eine alte Leier klingen«, sagt Musk. »Aber ich glaube, es ist wichtig, ihn so oft zu wiederholen, bis es nervt.«
Er umfasst fünf Gebote:
Manchmal fügte Musk dem Algorithmus noch ein paar Begleitsätze hinzu. Etwa:
Alle führenden technischen Angestellten müssen praktische Erfahrung sammeln. Die Leiter von Softwareabteilungen müssen also in 20 Prozent ihrer Zeit Codes schreiben. Manager im Solarbereich müssen aufs Dach und Montagearbeiten durchführen. Sonst sind sie wie Anführer der Kavallerie, die nicht reiten können, oder Generale, die nicht wissen, wie man ein Schwert führt.
Kameradschaft ist gefährlich. Sie erschwert es Menschen, die Leistung anderer infrage zu stellen. Man neigt dazu, Kollegen nicht vor den Kopf stoßen zu wollen. Diesen Effekt gilt es zu verhindern.
Es ist nicht schlimm, sich zu täuschen. Schlimm ist es nur, sich zu selbstbewusst zu täuschen.
Verlange nie etwas von deinen Truppen, das du selbst nicht zu tun bereit bist.
Suche bei Problemen nicht nur das Gespräch mit leitenden Angestellten. Lass eine Ebene aus und sprich mit den Leuten unter ihnen.
Stell Leute mit der richtigen Einstellung ein. Fähigkeiten kann man vermitteln. Die Einstellung zu verändern, kann eine Hirntransplantation erfordern.
Unser Arbeitsprinzip besteht in einem irrsinnigen Dringlichkeitsbewusstsein.
Die einzig wahren Regeln sind die Regeln der Physik. Alles andere sind nur Empfehlungen.
Am Montageband
© Mit freundlicher Genehmigung von Omead Afshar