Kapitel 49
Grimes

2018

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Claire Boucher, gekannt als Grimes, zurechtgemacht für einen Auftritt (links ); mit Musk bei der Met-Gala (rechts )

© L.: Mit freundlicher Genehmigung von Grimes; r.: © Amy Sussman/WWD /Penske Media/Getty Images

EM + CB

Hin und wieder, nicht selten, wenn es gerade schon kompliziert genug ist, lassen sich die Schöpfer unserer Simulation – diese Halunken, die das heraufbeschwören, was wir für die Realität halten –, etwas ganz Besonderes einfallen und setzen chaotische neue Nebenhandlungen in Gang. Und so trat im Frühling 2018, inmitten des durch die Trennung von Amber Heard ausgelösten emotionalen Tsunamis, eine ätherische Klangweberin in Musks Leben: Claire Boucher, besser bekannt als Grimes , eine kluge, faszinierende Performancekünstlerin, deren Auftritt drei weitere Kinder, vorübergehende Phasen der Häuslichkeit und sogar ein öffentliches Battle mit einer aufgebrachten Rapperin zur Folge haben sollte.

Als sie und Musk zusammenkamen, hatte die in Vancouver geborene Musikerin vier Alben veröffentlicht. Ihre hypnotische, von Science-Fiction und Meme-Kultur inspirierte Musik kombiniert Klangstrukturen mit Elementen aus Dream-Pop und Elektro. Eine gewisse intellektuelle Abenteuerlust macht sie für allerlei eklektische Ideen empfänglich, etwa für das Gedankenexperiment um Rokos Basilisk , dem zufolge eine künstliche Intelligenz außer Kontrolle geraten und sämtliche nicht an seiner Entwicklung beteiligten Menschen foltern könnte. Darin ähnelt sie Musk. Als der ein Wortspiel zu Rokos Basilisk twittern wollte, entdeckte er bei der Google-Suche nach einem Bild, dass Grimes dieselbe Idee bereits 2015 in ihrem Musikvideo »Flesh without Blood« verarbeitet hatte. Ein Austausch auf Twitter mündete, wie es heutzutage eben so läuft, schließlich in private Textnachrichten.

Die beiden waren sich schon einmal begegnet, und zwar ironischerweise als Musk gemeinsam mit Amber Heard in einem Aufzug stand. »Weißt du noch, das Treffen im Lift?«, fragt Grimes, als ich mich spätnachts mit ihr und Musk unterhalte. »Das war wirklich richtig seltsam.«

»Dass wir uns ausgerechnet dort getroffen haben … Du hast mich ziemlich eindringlich angesehen.«

»Nein«, korrigiert sie ihn, »du warst derjenige, der mich komisch angestarrt hat.«

Nachdem sie durch den Twitter-Chat über Rokos Basilisk wieder in Kontakt gekommen waren, lud Musk sie in die Fabrik in Fremont ein, was wohl seiner Vorstellung eines gelungenen Dates entsprach. Es war Ende März 2018, und das irre Projekt, pro Woche 5000 Autos zu produzieren, lief gerade auf Hochtouren. »Wir sind die ganze Nacht durch die Werkshallen gelaufen, und ich habe ihm zugeschaut, wie er versuchte, Probleme zu lösen«, erinnert sich Grimes. Am nächsten Abend zeigte er ihr auf der Fahrt in ein Restaurant, wie schnell sein Tesla beschleunigen konnte, nahm die Hände vom Lenkrad, hielt sich die Augen zu und machte sie so mit dem Autopiloten bekannt. »Ich dachte, ach du scheiße, der Typ ist komplett durchgeknallt«, sagt sie. »Das Auto hat selbstständig geblinkt und die Spur gewechselt, wie in einem Marvel-Film.« Im Restaurant ritzte er »EM + CB « in die Wand.

Als sie seine Macht einmal mit der von Gandalf verglich, nahm er sie ins Kreuzverhör und stellte ihr Wissensfragen zu Herr der Ringe . Er wollte herausfinden, ob sie ein echter Fan war, und sie bestand den Test. »Das war mir wichtig«, sagt Musk. Sie schenkte ihm eine Schachtel mit selbst gesammelten Tierknochen. Abends hörten sie gemeinsam Hardcore History von Dan Carlin und andere Geschichtspodcasts und – hörbücher. »Ich kann nur eine ernsthafte Beziehung mit jemandem führen, der sich vor dem Schlafengehen auch eine Stunde lang etwas über Kriegsgeschichte oder so was anhören kann«, meint sie. »Elon und ich haben uns schon so viel zusammen angehört, über die griechische Antike, Napoleon und Militärstrategien im Ersten Weltkrieg.«

Das alles ereignete sich während Musks mentaler und professioneller Talfahrt 2018. »Sieht aus, als ob du gerade in einer richtig heftigen Phase bist«, sagte sie zu ihm. »Soll ich mein Musikequipment zu dir rüberbringen und bei dir arbeiten?« Die Idee gefiel ihm. Er wollte nicht allein sein. Sie ging davon aus, ein paar Wochen bei ihm zu bleiben, bis sich sein Gefühlschaos etwas gelegt hätte. »Aber irgendwie ging der Sturm nie vorüber, und so blieb ich einfach an Bord.«

Abends begleitete sie ihn manchmal in die Fabrik, wenn er im Kampfmodus war. »Er hält ununterbrochen Ausschau danach, was mit dem Motor nicht stimmt, mit dem Hitzeschutz, mit dem Flüssigsauerstoffventil«, sagt sie . Eines Abends saßen sie in einem Restaurant, und Musk wurde plötzlich still und nachdenklich. Nach ein, zwei Minuten fragte er sie, ob sie einen Stift habe. Sie zog einen Eyeliner aus der Tasche, und er begann, eine Idee für einen überarbeiteten Hitzeschutz auf seiner Serviette zu skizzieren. »Mir wurde klar, selbst wenn wir zusammen waren, war er mit dem Kopf manchmal woanders, meistens bei der Arbeit«, sagt sie.

Im Mai nahm er eine kurze Auszeit von der Fabrikhölle in Fremont und flog mit ihr nach New York, zur jährlichen Gala des Metropolitan Museum , einem glamourösen Spektakel mit extravaganten Kostümen. Musk hatte ein paar Vorschläge zu ihrem Outfit gemacht – eine punkig-mittelalterliche Kombination in Schwarz-Weiß, mit einem gläsernen Korsett und einem spitzen Halsschmuck, der an das Tesla-Logo erinnerte – und sogar jemanden aus dem Tesla-Design-Team gebeten, bei der Umsetzung zu helfen. Musk selbst trug ein weißes Hemd mit Stehkragen und einen blütenweißen Smoking, auf der Ton in Ton die Worte novus ordo seclorum aufgestickt waren – die Beschwörung einer neuen Ordnung der Zeitalter.

Rap Battle

Sosehr Grimes ihm über sein inneres Chaos hinweghelfen wollte, so wenig wirkte ihr Einfluss beruhigend auf ihn. Die Intensität, die sie zu einer exzentrischen Künstlerin machte, ging mit einem unsteten Lebenswandel einher. Meistens blieb sie die ganze Nacht wach und schlief tagsüber. Musks Hauspersonal gegenüber verhielt sie sich fordernd und misstrauisch, und auch die Beziehung zu seiner Mutter gestaltete sich schwierig.

Musk war süchtig nach Drama, und passenderweise zog Grimes das Drama geradezu magisch an, ob sie es wollte oder nicht. Inmitten des geballten Chaos um die Rettungsaktion der jungen Fußballer aus der Höhle in Thailand und der mutmaßlichen Privatisierung von Tesla im August 2018 lud Grimes die Rapperin Azealia Banks in Musks Haus ein, um mit ihr Musik zu machen. Dass Musk und sie eigentlich geplant hatten, Kimbal in Boulder zu besuchen, war ihr komplett vom Schirm gerutscht. Grimes sagte Banks, sie könne dennoch das Wochenende über im Gästehaus bleiben. Am Freitagmorgen, drei Tage nach seinem »Tesla privatisieren«-Tweet, stand Musk auf, machte ein Work-out, führte ein paar Telefonate und nahm nur am Rande wahr, dass Banks da war. Wenn er sich auf etwas konzentriert, bekommt er nicht viel von dem mit, was um ihn herum passiert. Er wusste gar nicht genau, wen er vor sich hatte, nur, dass sie irgendeine Freundin von Grimes war.

Vor lauter Wut darüber, dass Grimes die gemeinsame Musiksession abgeblasen hatte, um Zeit mit Musk zu verbringen, ließ Banks auf ihrem reichweitenstarken Instagram-Account die reinste Hasstirade los: »Ich hing das ganze Wochenende nur herum, während Grimes ihren Freund betüddelte, der zu blöd war, sich von Twitter fernzuhalten, wenn er Acid genommen hatte«, postete sie. Das stimmte nicht (Musk nahm nie Acid), rief aber natürlich sowohl die Presse als auch die Börsenaufsichtsbehörde SEC auf den Plan. Bank’s Beiträge über Grimes und Musk wurden immer wahnwitziger:

LOL , Elon Musk hätte sich lieber ein Escort-Girl holen sollen. Das hätte zumindest nichts über seine Geschäfte ausgeplaudert. So hat er es mit einer schmutzigen Inzest-Hillbilly-Meth-Junkie-Braut zu tun, die überall rumläuft und JEDEM ALLES ÜBER IHN erzählt. Und alles nur, weil er jemanden brauchte, um auf der Met-Gala seine schrumpfenden Eier vor Amber Heard zu verstecken LOL … Er ist auf dem Down-Syndrom-Spektrum. Irgendwas stimmt ganz und gar nicht mit dem Typen. Ihn als Alien zu bezeichnen, wäre noch zu viel der Ehre. Der ist ein Mutant … scheiß Cracker. Das war das letzte Mal, dass ich versucht habe, mit einer weißen Schlampe zu arbeiten.

In einem Telefoninterview mit dem Wirtschaftsmagazin Business Insider brachte Banks die Situation mit Musks Privatisierung sankündigung in Verbindung, was die rechtliche Lage noch verschärfte. »Ich habe ihn in der Küche gesehen, wie er mit eingezogenem Schwanz seine Investoren angebettelt hat, ihm nach diesem Tweet den Arsch zu retten«, sagte sie. »Er war gestresst und ganz rot im Gesicht.«

Wilde Geschichten um Musk hatten damals bereits eine kurze Halbwertszeit. Die Story beschäftigte die Boulevardpresse vielleicht eine Woche und versandete dann, nachdem Banks eine Entschuldigung gepostet hatte. Grimes gelang es, die ganze Geschichte musikalisch zu verarbeiten. 2021 veröffentlichte sie einen Song mit dem Titel »100 % Tragedy«, der ihr zufolge davon handelt, »wie ich Azealia Banks besiegen musste, als sie mein Leben zerstören wollte«.

Many Shades of Musk

Trotz solcher Kapriolen passte Grimes gut zu Musk. Sie hatte zwar – wie Amber Heard (und Musk selbst) – einen Hang zum Chaos, aber im Gegensatz zu Amber verbarg sich unter ihrem Chaos eine grundlegende Freundlichkeit. »In der Charakter-Klassifizierung von Dungeons & Dragons wäre ich ›chaotic good‹«, sagt sie. »Amber wäre wohl eher ›chaotic evil‹.« Ihr war klar, dass das auch Ambers Attraktivität für Musk ausmachte. »Er fühlt sich zum chaotisch Bösen hingezogen. Das hat mit seinem Vater und seiner Kindheit zu tun. Er neigt dazu, sich immer wieder schlecht behandeln zu lassen, weil er Liebe mit gemeinem, missbräuchlichem Verhalten assoziiert. Zwischen Errol und Amber besteht eine direkte Verbindungslinie.«

Grimes mochte Elons intensive Art. Eines Abends wollten sie sich den 3D-Film Alita: Battle Angel ansehen, doch als sie im Kino ankamen, gab es keine 3D-Brillen mehr. Musk bestand darauf, dass sie den Film trotzdem anschauten, obwohl das Bild völlig verschwommen war. Als Grimes an den Tonaufnahmen für das Videospiel Cyberpunk 2077 arbeitete, in dem sie einen Cyber-Popstar spielt, tauchte er mit einem 200 Jahre alten Gewehr im Studio auf und drängte auf einen Gastauftritt. »Die Typen im Studio kamen echt ins Schwitzen«, lacht Grimes, worauf Musk hinzufügt: »Ich habe denen gesagt, dass ich zwar bewaffnet bin, aber ungefährlich.« Die Macher der Produktion ließen sich schließlich breitschlagen. Die Cyberimplantate in dem Spiel waren eine Science-Fiction -Variante seiner Arbeit bei Neuralink . »Das war genau mein Ding«, sagt er.

Grimes’ wichtigste Erkenntnis über Musk bestand darin, dass sein Gehirn anders funktionierte als das anderer. »Asperger macht einen zu einem sehr schwierigen Menschen«, sagt sie. »Elon kann die Stimmung in einem Raum nicht gut einschätzen. Sein emotionales Bewusstsein ist einfach anders entwickelt als beim Durchschnittsmenschen.« Diese psychische Disposition, meint sie, müsse man bei seiner Beurteilung berücksichtigen. »Wenn jemand Depressionen oder Angstzustände hat, haben wir dafür Verständnis. Aber bei Leuten mit Asperger heißt es einfach, das ist ein Arschloch.«

Sie hat gelernt, mit den vielen Facetten seiner Persönlichkeit umzugehen. »Er hat verschiedene Gemüter und viele ziemlich verschiedene Persönlichkeiten«, erklärt sie. »Und er wechselt extrem schnell zwischen ihnen hin und her. Man spürt, wie sich die Energie im Raum komplett verändert, und plötzlich verschiebt sich die ganze Situation einfach in Richtung seines neuen Zustands.« Sie bemerkte, dass seine verschiedenen Persönlichkeiten auch unterschiedliche Geschmäcker haben, sogar in Bezug auf Musik oder Einrichtungsstile. »Meine Lieblingsversion von E fährt zum Burning Man Festival , schläft auf dem Sofa, isst Dosensuppe und ist einfach ein entspannter Typ.« Auf Kriegsfuß steht sie hingegen mit der Version von Musk, die sie als »Dämon-Modus« bezeichnet. »Im Dämon-Modus wird er düster und zieht sich in den Sturm in seinem Kopf zurück.«

Eines Abends, bei einem Dinner mit einigen anderen Leuten, erlebte ich selbst, wie sich die Wolken zusammenzogen und sich Musks Laune veränderte. Grimes ging auf Abstand. »Wenn wir zusammen sind, achte ich darauf, dass ich auch mit dem richtigen Elon Zeit verbringe«, erklärte sie mir später. »In diesem Kopf gibt es Typen, die mich nicht mögen und die ich nicht mag.«

Manchmal hat es den Anschein, als erinnerte sich eine Version von Elon nicht an die Aktionen einer anderen. »Du sagst irgendwas zu ihm, und er erinnert sich einfach überhaupt nicht daran, weil er komplett woanders war«, sagt Grimes . »Wenn er sich auf irgendetwas konzentriert, erreichen ihn keine Reize und kein Einfluss aus der Außenwelt. Da kann etwas direkt vor seiner Nase sein, er sieht es einfach nicht.« Genau wie früher in der Schule.

Während des emotionalen Durcheinanders bei Tesla 2018 versuchte sie, ihn dazu zu bringen, sich zu entspannen. »Es muss nicht alles scheiße sein«, sagte sie eines Abends zu ihm. »Und du musst auch nicht immer von allem begeistert sein.« Doch gleichzeitig verstand sie besser als alle anderen, dass seine Rastlosigkeit auch seinen Erfolg ausmachte. Dasselbe galt für den Dämon-Modus , wenngleich es etwas länger dauerte, bis sie auch diesen zu schätzen lernte. »Der Dämon-Modus bringt einiges durcheinander«, sagt sie. »Aber in diesem Modus kriegt er eben auch jede Menge gewuppt.«