Kapitel 58
Bezos gegen Musk, Runde 2

SpaceX, 2021

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Jeff Bezos unmittelbar nach seinem Flug (links ); mit Richard Branson unmittelbar vor dessen Flug (rechts )

© L.: Mit freundlicher Genehmigung von Blue Origin; r.: Mit freundlicher Genehmigung von Elon Musk

Gegenseitige Provokationen

Zwischen Jeff Bezos und Elon Musk hatte es seit 2013 Hakeleien darüber gegeben, wer den berühmten Startplatz 39A in Cape Canaveral pachten würde (Musk gewann), wer als Erster eine Rakete hätte, die den Rand des Weltraums erreichte (Bezos), wer in die Umlaufbahn vordrang (Musk) und Menschen in die Umlaufbahn brachte (Musk). Für beide Männer war die Raumfahrt eine persönliche Leidenschaft, und ihr Wettstreit sollte dazu dienen – wie einhundert Jahre früher jener der Eisenbahnbarone –, das Thema voranzubringen. Trotz der Unkenrufe, die Raumfahrt könne sich zu einem Milliardärshobby entwickeln, war es ihre Vision privatisierter Starts, welche die USA , die hinter China und sogar Russland zurückgefallen waren, wieder an die Spitze der Weltraumforschung brachte.

Die Rivalität zwischen den beiden flammte im April 2021 erneut auf, als sich SpaceX gegen Bezos’ Blue Origin durchsetzte und den Auftrag erhielt, NASA -Astronauten auf die letzte Etappe einer Reise zum Mond zu bringen. Blue Origin focht die Entscheidung erfolglos an. Eine Grafik auf der Blue-Origin-Website kritisierte den SpaceX-Plan und bezeichnete ihn in Großbuchstaben als »äußerst komplex« und »risikoreich«. SpaceX reagierte mit dem Verweis darauf, dass Blue Origin weder eine Rakete noch ein Raumschiff produziert hatte, die beziehungsweise das in der Lage war, die Umlaufbahn zu erreichen. Musks Twitter -Fans bildeten einen Flashmob und verspotteten Blue Origin – und Musk machte mit. »Kriegt ihn nicht hoch (in den Orbit), lol«, twitterte er.

In mancherlei Hinsicht glichen Bezos und Musk einander: Durch Leidenschaft, Innovation und Willenskraft mischten beide disruptiv Branchen auf. Beide waren schroff gegenüber Mitarbeitern, nannten Dinge schnell dumm und reagierten mit Wut auf Zweifler und Neinsager. Außerdem richteten beide ihr Augenmerk eher auf Zukunftsvisionen als auf das Streben nach kurzfristigen Profiten. Als Bezos einmal gefragt wurde, ob er überhaupt wüsste, wie man Profit buchstabiert, antwortete er: »P-r-o-p-h-e-t«.

Doch was die technischen Grundlagen anging, unterschieden sich beide. Bezos ging methodisch vor. Sein Wahlspruch lautete gradatim ferociter oder »ungezügelt Schritt für Schritt«. Musks Instinkt hingegen ließ ihn drängeln und drängen und Menschen zu aberwitzigen Terminen antreiben – selbst um den Preis eingegangener Risiken.

Musks Gewohnheit, sich stundenlang in Ingenieur-Meetings mit technischen Vorschlägen einzubringen und unvermittelt Anweisungen zu erteilen, stand Bezos skeptisch, ja sogar ablehnend gegenüber. Ehemalige Mitarbeiter von SpaceX und Tesla hätten ihm berichtet, so Bezos, dass Musk selten so viel wisse, wie er vorgab, und seine Einmischungen in der Regel wenig hilfreich und geradezu problematisch wären.

Musk seinerseits hielt Bezos für einen Dilettanten, dessen mangelnde intensive Beschäftigung mit Technik ein Grund dafür war, dass Blue Origin weniger Fortschritte zu verzeichnen hatte als SpaceX . Ende 2021 zollte er Bezos in einem Interview widerwillig Anerkennung dafür, dass er eine »einigermaßen gute ingenieurmäßige Einstellung« habe. Um dann hinzuzufügen: »Er scheint allerdings nicht bereit zu sein, geistige Energie in die Beschäftigung mit den technischen Einzelheiten zu stecken. Der Teufel steckt im Detail.«

Musk, der inzwischen alle seine Domizile verkauft hatte und in einem gemieteten Häuschen in Texas lebte, ging nun auch dazu über, Bezos für dessen verschwenderischen Lebensstil mit mehreren Villen zu verspotten. »In gewisser Weise versuche ich, ihn dazu zu bringen, Blue Origin mehr Zeit zu widmen, damit sie mehr Fortschritte machen«, behauptet Musk. »Er sollte mehr Zeit bei Blue Origin verbringen und weniger Zeit im Whirlpool.«

Ein weiterer Streit entbrannte über ihre rivalisierenden Firmen für Satellitenkommunikation. Bis Sommer 2021 hatte SpaceX 2000 Starlinks in die Umlaufbahn gebracht. Musks weltraumgestütztes Internet war in 14 Ländern verfügbar. Bezos hatte 2019 Pläne für Amazon angekündigt, eine ähnliche Konstellation und einen ähnlichen Internetdienst mit dem Namen »Project Kuiper« zu schaffen. Bislang waren jedoch noch keine Satelliten ausgesetzt worden.

Musk war der Meinung, dass Innovation durch die Definition klarer Kennzahlen vorangetrieben wird: beispielsweise die Kosten pro in die Umlaufbahn beförderter Tonne oder die durchschnittlich per Autopilot ohne menschliches Eingreifen zurückgelegte Kilometerzahl. Bei Starlink überraschte er Juncosa mit der Frage, wie viele Photonen von den Solarzellen des Satelliten aufgefangen würden und wie viele sie sinnvollerweise zur Erde senden könnten. Das Verhältnis war enorm – vielleicht 10 000 zu eins. »Ich habe das nie als eine mögliche Kennzahl gesehen«, erklärt Juncosa. »Aber das zwang mich zu kreativen Überlegungen, wie wir die Effizienz steigern könnten.«

SpaceX entwickelte daraufhin eine zweite Starlink -Version und beantragte eine Genehmigung bei der für Kommunikationswege zuständigen US -Bundesbehörde FCC . In dem Antrag wurde die geplante Umlaufbahnhöhe für die künftigen Starlinks herabgesetzt, was die Latenzzeit des Netzwerks verringern würde. Weil sie damit aber in die Nähe der geplanten Umlaufbahn von Bezos’ konkurrierender Kuiper-Konstellation gelangen würden, legte Bezos Einspruch ein. Musk griff ihn erneut auf Twitter an und schrieb seinen Namen – absichtlich – falsch, nämlich wie das spanische Wort für Küsse. »Erkennbar hat sich Besos zur Ruhe gesetzt, um jetzt hauptberuflich Klagen gegen SpaceX einzureichen«, schrieb er. Die FCC entschied, Musks Pläne dürften umgesetzt werden.

Spritztouren von Milliardären

Einer von Bezos’ Träumen war es, selbst ins All zu fliegen. Inmitten all seiner Rangeleien mit Musk kündigte er daher im Sommer 2020 an, in einer Blue-Origin-Rakete mit seinem Bruder Mark einen elfminütigen Flug an den Rand des Weltraums (wenn auch nicht in die Umlaufbahn) unternehmen zu wollen. Damit wäre er der erste Milliardär im Weltraum.

Diesen Traum hegte auch Sir Richard Branson , der stets zu einem Lächeln aufgelegte britische Milliardär und Gründer von Virgin Airlines und Virgin Music . Er betreibt auch ein eigenes Raumfahrtunternehmen namens Virgin Galactic , dessen Geschäftsmodell weitgehend darin besteht, erlebnishungrige Reiche auf Vergnügungstouren mitzunehmen. Der geniale Marketingstratege – er war das Gesicht und verkörperte den Geist des Unternehmens – wusste: Für seinen Weltraumtourismus wäre keine bessere Werbung denkbar, als selbst in eine seiner Raketen zu steigen. Das würde ihm außerdem jede Menge Spaß machen (woran ihm sehr lag). Gerade als es für Bezos zu spät war, seinen Starttermin zu ändern, kündigte Branson seinen Flug für den 11. Juli an – also neun Tage vor Bezos’. Wie es sich für einen gewieften Schausteller gehört, bat er den bekannten Talkshowmoderator Stephen Colbert , die Liveübertragung zu moderieren, und ließ den US -amerikanischen Sänger Khalid zu diesem Anlass einen neuen Titel vortragen.

Am Morgen des Starts stand Branson nachts um eins auf, ging in die Küche des von ihm genutzten Hauses und traf dort auf Musk mit Baby X . »Elon war so nett, zu unserem Flug mit seinem neuen Baby vorbeizukommen«, erklärt Branson. Musk war barfuß und trug ein schwarzes T-Shirt mit der Aufschrift »Five Decades of Apollo«, das den fünfzigsten Jahrestag der Mondmission feierte. Sie setzten sich und sprachen mehrere Stunden miteinander. »Er scheint nicht viel zu schlafen«, bemerkt Branson.

Der Flug mit einer suborbitalen Flügelrakete, die ein Frachtflugzeug auf Starthöhe brachte, verlief reibungslos. Branson und fünf Virgin-Galactic -Mitarbeiter erreichten eine Höhe von 86 Kilometern. Das löste einen kleinen Streit darüber aus, ob sie damit den »Weltraum« erreicht hatten oder nicht. Laut der NASA -Definition beginnt dieser in 80 Kilometern Höhe über dem Meeresspiegel, für andere Nationen jedoch erst ab der sogenannten Kármán-Linie in 100 Kilometern Höhe.

Bezos’ Mission neun Tage später war ebenfalls erfolgreich. Hierbei trat Musk natürlich nicht in Erscheinung. Bezos, sein Bruder und die Besatzung erreichten eine Höhe von 106 Kilometern, also deutlich oberhalb der Kármán-Linie, was Bezos einen Hauch mehr Anspruch auf Großsprecherei verschaffte. An einem Fallschirm landete ihre Raumkapsel weich in der texanischen Wüste, wo sie von Bezos’ sehr besorgter Mutter und seinem ruhigeren Vater erwartet wurde.

Musk zollte Bezos und Branson zumindest schwaches Lob. So äußerte er im September bei der Code Conference gegenüber Kara Swisher : »Ich finde es cool, dass beide Geld in die Weiterentwicklung der Raumfahrt stecken.« Er wies jedoch darauf hin, dass Hüpfer bis in hundert Kilometer Höhe nur einen kleinen Schritt darstellten. »Um die Dinge mal ins rechte Licht zu rücken: Man benötigt einhundert Mal mehr Energie, um in die Umlaufbahn zu gelangen als in den Suborbit«, führte er aus. »Und um aus der Umlaufbahn zurückzukehren, muss man diese Energie wieder abbrennen, also ist ein Hochleistungshitzeschild erforderlich. Der Orbit ist etwa zwei Größenordnungen schwieriger als der Suborbit.«

Musk, behaftet mit dem Fluch des Verschwörungs glaubens, war der Auffassung, ein Großteil der negativen Presse über ihn ließe sich auf die versteckten Absichten oder korrupten Interessen von Personen zurückführen, denen Presseorgane gehörten. Besonders ausgeprägt war diese Auffassung, seit sein Rivale Bezos 2013 die Washington Post gekauft hatte: Als die Zeitung 2021 wegen eines Artikels eine Anfrage an Musk stellte, reagierte der mit einer E-Mail, die schlicht und einfach lautete: »Meine Empfehlung an Ihren Strippenzieher.« In Wirklichkeit hat Bezos gegenüber der Berichterstattung der Post stets bewundernswerte Zurückhaltung geübt, und ihr angesehener Weltraumreporter Christian Davenport veröffentlichte regelmäßig Artikel, die von Musks Erfolgen kündeten – und auch von dessen Rivalität mit Bezos. »Derzeit liegt Musk in praktisch allen Bereichen weit vorne«, schrieb Davenport. »SpaceX hat bereits drei Astronauten-Teams zur Internationalen Raumstation gebracht und plant für Dienstag den Start einer Crew aus zivilen Raumfahrern zu einem dreitägigen Ausflug in die Erdumlaufbahn. Blue Origin hat eine einzige suborbitale Mission in den Weltraum gestartet, die nur etwas mehr als zehn Minuten dauerte.«