SpaceX, September 2021
Jared Isaacman (oben ); Musk mit Hans Königsmann (unten )
© O.: Mit freundlicher Genehmigung von SpaceX; u.: Mit freundlicher Genehmigung von Kim Shiflett/NASA
Die Flüge von Branson und Bezos im Juli warfen die Frage auf, ob Musk ihnen folgen und damit als dritter Milliardär selbst in den Weltraum fliegen würde. Auch wenn Musk große Freude an Aufsehen und waghalsigen Abenteuern hatte, zog er dies nie in Erwägung. Vielmehr bestand er darauf, bei seiner Mission gehe es um die Menschheit, nicht um ihn persönlich. So hochtrabend das klang, enthielt es doch einen wahren Kern: Die Vorstellung, Raketen wären ein Spielzeug für Milliardäre, drohte, die zivile Raumfahrt zu etwas Anrüchigem zu machen.
Für den ersten zivilen SpaceX-Flug wählte Musk daher stattdessen einen einfachen Unternehmer und Jetpiloten: Jared Isaacman legte die Bescheidenheit eines Abenteurers mit kantigem Kinn an den Tag, der sich auf so vielen Gebieten bewiesen hatte, dass er keines großspurigen Auftretens bedurfte. Er hatte die Highschool mit 16 abgebrochen und für einen Zahlungsdienstleister gearbeitet. Später gründete er mit Shift4 Payments sein eigenes Unternehmen, das jedes Jahr Zahlungen von mehr als 200 Milliarden Dollar für Restaurants und Hotelketten abwickelte. Er wurde ein versierter Pilot, der bei Flugshows auftrat und einen Weltrekord aufstellte, indem er in einem Leichtflugzeug in 62 Stunden die Erde umrundete. Zudem war Isaacman Mitbegründer eines Unternehmens, das 150 Jets besaß und Schulungen für Rüstungsunternehmen und das Militär durchführte.
Von SpaceX erwarb Isaacman das Recht, einen dreitägigen Flug namens Inspiration4 zu leiten, der die erste private Orbitalmission der Geschichte werden sollte. Isaacman wollte Spenden für das in der Krebsforschung tätige St. Jude Children’s Research Hospital in Memphis, Tennessee sammeln. Neben zwei weiteren Zivilisten holte er daher auch die 29-jährige Assitenzärztin Hayley Arceneaux , die selbst Knochenkrebs überstanden hatte, mit in die Crew.
Eine Woche vor dem geplanten Start führte Musk ein zweistündiges Vorbereitungstelefonat mit dem SpaceX-Team durch. Wie bei bemannten Missionen üblich, hielt er seine Standardrede über Sicherheit. »Ich möchte, dass jeder, der Bedenken oder Vorschläge hat, mich direkt benachrichtigt«, verlangte er.
Musk war sich gleichwohl darüber im Klaren, dass große Abenteuer mit Risiken verbunden sind, und er wusste auch – genau wie Isaacman –, wie wichtig es für Abenteurer war, diese einzugehen. Zu Beginn der Telefonschalte wurde allerdings eines angesprochen, das noch nicht publik gemacht worden war. »Es gibt ein Risiko, über das wir Sie informieren wollen«, sagte einer der Flugmanager zu Musk. »Wir planen, höher zu fliegen als bei typischen Missionen zur Raumstation oder bei den meisten anderen bemannten Raumflügen.« Tatsächlich würde SpaceX’ Dragon-Kapsel eine Umlaufbahn in 585 Kilometern Höhe erreichen. Seit einer Space-Shuttle-Mission zur Wartung des Hubble-Weltraumteleskops im Jahr 1999 war das der höchste Orbit für eine menschliche Besatzung. »Das Risiko ist wirklich sehr hoch und hängt mit dem Weltraumschrott zusammen«, erklärte der Manager.
Gemeint war der im Weltraum schwebende Müll von nicht mehr existierenden Satelliten, Raumfahrzeugen und anderen menschengemachten Objekten. Zum Zeitpunkt des Starts von Inspiration4 befanden sich 129 Millionen Teile im Weltraum, die zu klein waren, um einzeln verfolgt zu werden. Durch sie waren bereits mehrere Raumfahrzeuge zu Schaden gekommen. Die angestrebte Höhe der Mission machte alles noch schlimmer: In größeren Höhen halten sich diese schwebenden Teile länger, weil dort ein geringerer Widerstand auf sie einwirkt, der sie verglühen oder auf die Erde fallen lässt. »Wir befürchten, das Eindringen eines Trümmerteils in die Kabine oder eine Beschädigung der Hitzeschilde könnte das Fahrzeug beim Wiedereintritt gefährden«, so der Manager beim Briefing.
Hans Königsmann , den Musk in den Ruhestand gedrängt hatte, war als Vice President für den Bereich Flugzuverlässigkeit von Bill Gerstenmaier abgelöst worden, einem knorrigen, als »Gerst« bekannten, früheren NASA -Funktionär. Er unterbreitete Musk einen Vorschlag seines Teams, zur Verringerung des Risikos die Ausrichtung der Dragon-Kapsel in der Erdumlaufbahn zu ändern, wodurch sie den Trümmern weniger ausgesetzt wäre. Eine zu starke Veränderung würde zwar dazu führen, dass die Radiatoren zu kalt würden, doch man hatte sich auf eine Vorgehensweise verständigt, die beide Risiken ausbalancieren sollte. Mit der ursprünglichen Ausrichtung läge das Risiko eines Trümmereinschlags bei 1:700, die neue Ausrichtung würde es auf 1:2000 senken. Dann aber zeigte Gerst eine Folie mit einer drastischen Warnung: »Die Vorhersage des Risikos ist mit beträchtlicher Unsicherheit behaftet.« Musk billigte den Plan.
Gerstenmaier fuhr mit dem Hinweis fort, es gebe einen noch sichereren Ansatz: nicht so hoch fliegen. »In geringeren Höhen gibt es potenzielle Umlaufbahnen«, sagte er, »bis hinunter zu 190 Kilometern.« Es seien bereits Planungen für diese verringerte Höhe und das sichere Erreichen das Landeplatzes erfolgt.
»Und warum machen wir es nicht?«, wollte Musk wissen.
»Der Kunde will höher hinauf als zur Internationalen Raumstation «, beschrieb Gerstenmaier Isaacmans Haltung. »Er will wirklich so hoch hinauf, wie es irgend geht. Wir haben ihn über die ganze Sache mit dem Weltraumschrott informiert. Er und seine Crew verstehen das Risiko und akzeptieren es.«
»Okay, prima«, antwortete Musk, der Respekt für Menschen hatte, die bereit sind, Risiken einzugehen. »Solange er umfassend informiert ist, geht das für mich in Ordnung.«
Als ich Isaacman später fragte, warum er sich nicht für die geringere Höhe entschieden habe, erklärte er: »Wenn wir wieder zum Mond und zum Mars fliegen wollen, müssen wir uns ein wenig aus unserer Komfortzone hinausbewegen.«
Zivilisten waren zuletzt 1986 in den Orbit geschossen worden: Damals hatte sich die Lehrerin Christa McAuliffe bei der »Challenger«-Mission mit an Bord des Space-Shuttle befunden, das eine Minute nach dem Start explodierte. Grimes hielt dies für eine seelische Wunde der USA , die der Heilung bedurfte, wofür Inspiration4 sorgen würde. Sie übernahm daher die Rolle der »obersten Fee« und belegte die Rakete vor dem Start mit Segenswünschen.
Wie immer in stressigen Momenten lenkte sich Musk mit Gedanken an die Zukunft ab. Im Kontrollraum saß er neben Kiko Dontchev , und während dieser versuchte, sich auf den Countdown zu konzentrieren, stellte Musk ihm Fragen zum Starship -System, das in Boca Chica gebaut wurde, und dazu, wie man wohl die Ingenieure dazu bringen könnte, aus Florida dorthin zu ziehen.
Hans Königsmann war das letzte Mal bei einem Start dabei. Nachdem er zwanzig Jahre lang bei SpaceX gearbeitet hatte – anfangs als Teil des hartgesottenen Trupps, der die ersten Falcon-1-Flüge auf Kwaj durchführte, – war er nach seinem Bericht über die Missachtung der FAA -Wetteranweisungen von Musk kaltgestellt worden. Als die Inspiration4 -Rakete aufgestiegen war, ging er hinüber zu Musk und umarmte ihn ungelenk, um sich zu verabschieden. »Ich fürchtete, ich könnte mich ein wenig aufregen oder sentimental werden«, erinnert sich Königsmann, »ich war schließlich länger dabei gewesen als jeder andere.« Musk und er sprachen ein paar Minuten darüber, welche Bedeutung diese zivile Mission für die Erforschung des Weltraums haben würde. Als sich Königsmann dann zum Aufbruch bereit machte, wandte sich Musk seinem Handy zu und ging seine Twitter-Nachrichten durch. Grimes stupste ihn an: »Es ist seine letzte Mission.«
»Ich weiß«, antwortete Musk, blickte dann zu Königsmann auf und nickte ihm zu.
»Das hat mich nicht verletzt«, erklärt Königsmann. »Musk nimmt zwar stark Anteil, ist aber in Gefühlsdingen nicht fürsorglich.«
»Gratulation @elonmusk und @SpaceXteam zu ihrem erfolgreichen Inspiration4-Start gestern Abend!«, tweetete Bezos . »Ein weiterer Schritt in Richtung einer Zukunft, in der das All für alle erreichbar ist.« Höflich, wenngleich knapp, antwortete Musk: »Danke.«
Isaacman war so begeistert, dass er 500 Millionen Dollar für drei weitere Flüge bot, die eine noch höhere Umlaufbahn anstreben sollten, sowie für einen Weltraumspaziergang in einem neuen, von SpaceX entwickelten Anzug. Ferner wollte Isaacman auch ein Anrecht darauf erwerben, eines Tages der erste zahlende Starship-Gast zu werden.
Auch andere potenzielle Kunden versuchten, Flüge zu buchen. Einer von ihnen, ein Veranstalter von Mixed-Martial-Arts -Kämpfen, wollte im All einen Kampf in der Schwerelosigkeit austragen lassen. Lachend erwog Musk diese Möglichkeit an einem durchzechten Abend in Boca Chica. »Das wollen wir nicht tun«, bremste ihn Bill Riley .
»Warum nicht?«, fragte Musk. »Laut Gwynne würden sie eine halbe Milliarde Dollar zahlen.«
»Genau so viel büßen wir an Ansehen ein!«, versetzte Sam Patel , der für die Errichtung des Weltraumbahnhofs Starbase verantwortliche Ingenieur.
»Yeah, wir sollten es nicht zu bald machen«, stimmte Musk zu. »Vielleicht, wenn Orbitalflüge banal geworden sind.«
Die Inspiration4- Mission – von einem privaten Unternehmen für Privatleute gestartet – war der Auftakt zu einer neuen Weltraumwirtschaft, die von unternehmerischen Initiativen, kommerziellen Satelliten und großen Abenteuern geprägt sein würde. »SpaceX und Elon schreiben eine erstaunliche Erfolgsgeschichte!«, bestätigte mir der NASA -Administrator Bill Nelson am nächsten Morgen. »Es gibt Synergien zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor, und alles geschieht zum Wohle der Menschheit.«
Während Musk die Bedeutung des Starts verarbeitete, wurde er in seiner Per Anhalter durch die Galaxis -Manier philosophisch und sann über die Bestrebungen der Menschheit nach. »Elektroautos für den Massenmarkt zu bauen, war unvermeidlich«, behauptete er. »Das wäre auch ohne mich geschehen. Aber eine raumfahrende Zivilisation zu werden, ist nicht unvermeidlich.« Fünfzig Jahre zuvor hatten die USA Menschen auf den Mond geschickt. Seither hatte es keinen Fortschritt mehr gegeben, im Gegenteil: Die Space-Shuttle-Flotte hatte nur eine niedrige Erdumlaufbahn erreichen können, und nach ihrer Ausmusterung waren die USA nicht einmal dazu mehr in der Lage. »Die Technologie macht nicht aus sich heraus Fortschritte«, sagte Musk. »Dieser Flug war ein großartiges Beispiel dafür, dass Fortschritt Engagement erfordert.«