Kapitel 71
Bill Gates

2022

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Mit Bill Gates beim Boao Forum im chinesischen Quinghai, 2015

© Imagine China/AP

Der Besuch

»Hey, ich würde gerne mal vorbeikommen und über Philanthropie und Klima reden«, sagte Bill Gates zu Musk, als sie 2022 am selben Meeting teilnahmen. Nach seinen Aktienverkäufen hatte Musk aus Steuergründen beschlossen, 5,7 Milliarden Dollar in einen eigens dafür eingerichteten Wohltätigkeitsfonds einzuzahlen. Gates, der sich damals vorrangig mit Philanthropie beschäftigte, hatte eine ganze Reihe von Vorschlägen.

Sie hatten sich schon bei einigen Gelegenheiten freundschaftlich ausgetauscht, unter anderem als Gates mit seinem Sohn Rory SpaceX besucht hatte. Musk, der das Microsoft-Betriebssystem immer gemocht hatte – anders als die meisten Techies –, konnte sich gut mit jemandem identifizieren, der unerbittlich und »hardcore« ein Unternehmen aufgebaut hatte. Sie vereinbarten einen Treffen, und Gates, der ein ganzes Team von Assistenten beschäftigt, kündigte an, sein Büro werde sich bei Musks Terminmanagern melden.

»So jemanden habe ich nicht«, antwortete Musk. Er hatte sich von seiner persönlichen Assistentin getrennt, um voll und ganz über seinen Kalender verfügen zu können. »Deine Sekretärin soll mich einfach direkt anrufen.« Gates, der das für »bizarr« hielt, empfand es als unangemessen, eine seiner Assistentinnen bei Musk anrufen zu lassen, und tat es selbst. Die beiden vereinbarten einen Termin für ein Treffen in Austin.

»Gerade gelandet«, schrieb Gates am Nachmittag des 9. März 2022.

»Cool«, antwortete Musk und schickte Omead Afshar zum Eingang der Gigafactory , um Gates in Empfang zu nehmen.

Abgesehen davon, dass sie beide zum exklusiven Club der reichsten Menschen der Welt gehören, verbinden Musk und Gates einige weitere Gemeinsamkeiten. Beide denken analytisch, besitzen ein ausgesprochen hohes Konzentrationslevel und sind mit einer an Arroganz grenzenden Art und Weise von ihrem Intellekt überzeugt. Beide ertragen keine Dummheit. All diese Eigenschaften machten es fast unausweichlich, dass es früher oder später zu einem Konflikt zwischen ihnen kommen würde, und genau das geschah, als Musk Gates durch die Fabrik führte.

Gates wandte ein, dass man mit Batterien keine großen Sattelzüge betreiben könnte und dass Solarenergie keinen grundlegenden Beitrag zur Lösung des Klimaproblems leisten würde. »Ich habe ihm die Zahlen gezeigt«, sagt Gates. »Auf diesem Gebiet kannte ich mich eindeutig besser aus.« Auch in Bezug auf den Mars setzte er Musk hart zu. »Mit dem Mars kann ich nicht viel anfangen«, so Gates mir gegenüber. »Er übertreibt es mit der Marssache. Ich habe mir erklären lassen, wie er sich das vorstellt, und ich halte das für ziemlich bizarr. Er hat diese verrückte Vorstellung von einem möglichen Atomkrieg auf der Erde und von Leuten, die auf dem Mars leben und dann zurückkommen, nachdem wir uns gegenseitig umgebracht haben.«

Dennoch war Gates von Musks Fabrik und seinem detaillierten Wissen über all die Maschinen und Abläufe beeindruckt. Auch SpaceX und der Einsatz einer Konstellation von Starlink-Satelliten für die Bereitstellung von Internet aus dem All imponierten ihm. »Starlink ist die Umsetzung dessen, was ich vor zwanzig Jahren mit Teledesic versucht habe.«

Gegen Ende des Rundgangs sprachen sie über philanthropische Projekte. Musk meinte, das meiste davon sei »Bullshit«. Von jedem investierten Dollar, so seine Einschätzung, verpufften 80 Cent. Er könne mehr gegen den Klimawandel ausrichten, indem er sein Geld in Tesla steckte.

»Ich werde dir fünf Projekte über je 100 Millionen vorstellen«, antwortete Gates. Es ging um Geld für Geflüchtete, amerikanische Schulen, ein Heilmittel gegen AIDS , die Ausrottung bestimmter Moskitoarten durch Gene Drive sowie genverändertes Saatgut, das widerstandsfähig gegen die Auswirkungen des Klimawandels ist. Was seine philanthropischen Projekte angeht, ist Gates sehr gewissenhaft, und er versprach Musk »eine superlange Beschreibung der Ideen.«

Ein heikles Thema galt es noch anzusprechen. Gates hatte Leerverkäufe auf Tesla-Aktien getätigt und eine große Summe auf fallende Kurse gesetzt und sich verzockt. Bei seinem Besuch in Austin hatte er bereits 1,5 Milliarden Dollar verloren. Als Musk die Sache zu Ohren gekommen war, kochte er vor Wut. Shortseller hatten in seinen Augen einen besonderen Platz in der Hölle verdient. Gates entschuldigte sich, doch das besänftigte Musk nicht. »Nachdem er von den Leerverkäufen erfahren hatte, war er ziemlich fies zu mir, aber er ist zu vielen Leuten fies, das sollte man also nicht zu persönlich nehmen«, meint Gates.

Die Auseinandersetzung war Ausdruck entgegengesetzter Ansichten. Als ich Gates nach dem Grund für die Leerverkäufe fragte, erklärte er mir, er habe damit gerechnet, dass das Angebot von E-Autos die Nachfrage übersteigen und die Preise daher sinken würden. Ich nickte, aber meine Frage blieb dieselbe. Warum die Leerverkäufe? Gates sah mich an, als hätte ich nicht verstanden und als läge die Antwort nicht klar auf der Hand: Er sei davon ausgegangen, durch die Leerverkäufe der Tesla-Aktien Geld zu verdienen, sagte er.

Eine solche Denkweise war Musk völlig fremd. Er glaubte an die Mission, die Welt in die Elektromobilität zu führen, und steckte all sein verfügbares Geld in dieses Ziel, selbst wenn es nicht wie eine sichere Investition erschien. »Wie kann man behaupten, dass einem der Kampf gegen den Klimawandel am Herzen liegt, und dann aktiv die Gesamtinvestition in das Unternehmen schmälern, das am meisten dafür tut?«, fragte er mich einige Tage nach Gates’ Besuch. »Das ist doch die reine Scheinheiligkeit. Warum bereichert man sich am Scheitern einer nachhaltigen Autofirma?«

Grimes hat ihre eigene Meinung dazu: »Es geht dabei wohl auch ein bisschen um den Schwanzvergleich.«

Mitte April meldete Gates sich wieder und schickte Musk, wie versprochen, die von ihm zusammengestellte Liste potenzieller philantropischer Investments. Musk antwortete mit einer einfachen Frage: »Setzt du immer noch eine halbe Milliarde gegen Tesla?«

Gates saß mit seinem Sohn Rory , der gerade seinen Abschluss machte, im Speisesaal des Four Seasons in Washington, als die Antwort einging. Lachend zeigte er sie seinem Sohn und bat ihn um Rat, wie er darauf reagieren solle.

»Sag einfach Ja und wechsle dann schnell das Thema«, schlug Rory vor.

Das versuchte Gates. »Ich muss leider zugeben, dass ich daran noch nichts geändert habe«, tippte er. »Ich würde gerne über philanthropisches Engagement sprechen.«

Das ging daneben. Musk feuerte sofort zurück: »Ich kann dein Engagement für das Klima nicht ernst nehmen, wenn du gleichzeitig eine Riesensumme gegen Tesla wettest – die Firma, die am meisten zur Lösung des Klimaproblems beiträgt.«

Wenn er sauer ist, kann Musk gemein werden, besonders auf Twitter . Er postete ein Foto von Gates in einem Poloshirt, unter dem sich sein Bauch abzeichnete, was ihn ein wenig schwanger aussehen ließ. Der Kommentar dazu: »Falls ihr mal schnell einen Ständer loswerden müsst.«

Gates war wirklich verblüfft darüber, dass die Leerverkäufe Musk so wütend machten. Und Musk war gleichermaßen irritiert, dass Gates das nicht verstand. »Ich bin inzwischen überzeugt davon, dass er vollkommen unzurechnungsfähig ist (und außerdem ein Arschloch durch und durch)«, schrieb Musk mir nach dem Gespräch mit Gates. »Ich wollte ihn wirklich mögen (seufz).«

Gates’ Urteil fiel um einiges gnädiger aus. Später im selben Jahr nahm er an einem Abendessen in Washington teil, wo einige Leute Musk kritisierten. »Man kann über Elons Verhalten denken, was man will«, sagte Gates, »aber es gibt niemanden in unserer Zeit, der die Grenzen der Wissenschaft und Innovation so herausgefordert hat wie er.«

Philanthropie

Musk hatte über die Jahre wenig Interesse für Philanthropie gezeigt. Seiner Meinung nach tat er der Menschheit den größten Gefallen, indem er sein Geld weiterhin in seine eigenen Unternehmen steckte und dadurch nachhaltige Energie, die Erkundung des Weltraums und den verantwortungsvollen Umgang mit künstlicher Intelligenz vorantrieb. Und Gates hatte ihn auch nicht vom Gegenteil überzeugen können.

Dennoch war Musk auf der Suche nach Anlageideen mit mehr Praxisbezug als sie traditionelle Stiftungen haben. Also setzte er sich einige Tage nach Gates’ Besuch an einem Tisch im Zwischengeschoss über den Fließbändern der neuen Tesla-Gigafabrik in Texas mit Birchall und vier Finanzberatern zusammen. Birchall schlug die Gründung einer nicht gewinnorientierten Holdinggesellschaft vor, die verschiedene NGO s berät und finanziert. Birchall zufolge sollte die Struktur der Organisation der des Howard Hughes Medical Institute ähneln. »Wir gehen in ganz kleinen Schritten vor«, erläuterte mir Birchall die Idee. »Aber irgendwann könnte das eine ziemlich große Sache werden, vielleicht sogar eine ausgewachsene Einrichtung für höhere Bildung.«

Obwohl das Konzept Musk zusagte, war er noch nicht bereit, sich festzulegen. »Ich muss mich gerade um zu viel anderes kümmern«, sagte er am Ende des Gesprächs.

Und das musste er in der Tat. An diesem Tag – dem 6. April 2022 – bereitete er die Eröffnung von Giga Texas vor. Den Vormittag hatte mit einer eingehenden Inspektion der Montagebänder für das Model Y verbracht und die Einzelheiten der anstehenden Cyber-Rodeo-Party in der Gigafabrik abgesegnet. Es war auch der Tag einer Telefonkonferenz mit Vertretern des Weißen Hauses über Handel, China und die Subventionierung von Batterien. Und dann war da noch das Thema, das ihn an diesem Tag am meisten umtrieb: ein Angebot, das er soeben angenommen hatte, mit dem er aber noch immer haderte. Es ging um den Eintritt in das Board eines Unternehmens, von dem er seit Januar heimlich Aktien angehäuft hatte.