Twitter, April 2022
Am Tag nach dem Giga Rodeo , am Freitag, den 8. April 2022, traf sich Musk mit Kimbal zum Brunch. Elon war von seinen Gesprächen mit Mitgliedern des Twitter-Boards frustriert. »Die sind nett, aber keiner von denen nutzt Twitter «, sagte er. »Ich habe nicht das Gefühl, dass sich irgendwas ändern wird.«
Kimbal ermutigte ihn nicht gerade. »Alter, du hast null Ahnung, wie sehr dich das fertigmachen wird«, sagte er. »Du erzählst denen, was du denkst, und die lächeln und nicken und ignorieren dich dann.«
Kimbal fand, es wäre für seinen Bruder besser, eine eigene Social-Media-Plattform auf der Grundlage von Blockchain zu gründen. »Vielleicht mit integriertem Dogecoin -Bezahlsystem?«, überlegte Elon. Nach dem Brunch schickte er Kimbal ein paar Nachrichten, in denen er die Idee skizzierte für ein »Blockchain-Social-Media-System, das sowohl Zahlungen als auch kurze Textnachrichten wie Twitter abwickelt«. Da es keinen Zentralserver gäbe, »wäre da auch kein Hals zum Würgen und freie Meinungsäußerung garantiert«.
Die andere Option wäre, so Musk, dem Board nicht nur beizutreten, sondern Twitter zu kaufen. »Ich kam immer mehr zu der Ansicht, dass Twitter auf eine Klippe zusteuerte und ich dagegen nichts unternehmen konnte, solange ich nur Mitglied des Boards war«, sagt er. »Also dachte ich, vielleicht sollte ich den Laden einfach kaufen und in Ordnung bringen.« Per Textnachricht und öffentlichem Tweet hatte er bereits sein Einverständnis gegeben, dem Twitter-Board beizutreten. Aber nach dem Brunch mit Kimbal rief er Birchall an und erklärte ihm, er solle noch nichts finalisieren. Er müsse da noch über etwas nachdenken.
Am selben Abend flog Musk nach Lanai . Der Oracle-Gründer Larry Ellison hatte sich auf einem Hügel mitten auf der Privatinsel einen ruhigen Landsitz gebaut und überließ Musk sein älteres Haus am Strand. Musk hatte die Reise als ruhiges Rendezvous mit der australischen Schauspielerin Natasha Bassett geplant, eine jener Frauen, mit denen er gelegentlich zusammen war. Doch statt eines entspannten Miniurlaubs verbrachte Musk den Großteil der vier Tage grübelnd zu. Was sollte er hinsichtlich Twitter unternehmen?
Die erste Nacht raubten ihm die Probleme bei Twitter den Schlaf. Als er sich die Liste der User mit den meisten Followern ansah – beispielsweise Barack Obama , Justin Bieber und Katy Perry –, bemerkte er, dass diese nicht mehr nennenswert aktiv waren. Also twitterte er um 3:32 Uhr hawaiianischer Zeit: »Die meisten dieser ›Top‹-Accounts tweeten kaum etwas und posten sehr wenig Content. Stirbt Twitter ?«
In San Francisco bei Twitter-CEO Agrawal war es 6:32 Uhr. Ungefähr anderthalb Stunden später schickte er Musk eine Nachricht: »Es steht dir frei, ›Stirbt Twitter?‹ oder irgendetwas anderes über Twitter zu tweeten, aber es fällt in meinen Verantwortungsbereich, dir mitzuteilen, dass mir das im momentanen Kontext nicht hilft, Twitter zu verbessern.« Die Formulierungen waren zurückhaltend, sorgfältig gewählt, um den Eindruck zu vermeiden, Musk habe nicht mehr das Recht, das Unternehmen zu kritisieren. Agrawal fügte hinzu, dass sie bald darüber sprechen sollten, wie sie derlei »Ablenkungen« vermeiden könnten, die »unsere Arbeitsfähigkeit beeinträchtigen«.
Als Musk die Nachricht erhielt, war es kurz nach fünf, aber er war noch immer nicht müde, vielleicht sogar ein bisschen zu munter für die Tageszeit und Situation. Eine Minute später schoss er eine beleidigende Antwort zurück: »Was hast du denn diese Woche erledigt?« Die ultimative Herabwürdigung seitens Musk.
Dann feuerte er eine verhängnisvolle Salve von drei Schüssen ab: »Ich trete dem Board nicht bei. Das ist Zeitverschwendung. Werde ein Angebot unterbreiten, um Twitter privat zu übernehmen.«
Agrawal war entsetzt. Dass Musk dem Board beitreten würde, war bereits allgemein verkündet. Es hatte keine Warnhinweise gegeben, dass er stattdessen eine feindliche Übernahme versuchen würde. »Können wir reden?«, reagierte Agrawal kläglich.
Binnen drei Minuten wandte sich auch Bret Taylor , Vorsitzender des Twitter -Boards, mit der Bitte um ein Gespräch an Musk. Der Samstagmorgen begann für die Twitter-Chefetage nicht gerade gut.
Inmitten der Korrespondenz mit Taylor und Agrawal, erhielt Elon eine Antwort von Kimbal auf seine Nachrichten zum Thema neues soziales Netzwerk auf der Grundlage von Blockchain. »Ich möchte mehr erfahren«, meinte Kimbal. »Hab mich intensiv mit Web3 beschäftigt (nicht so sehr mit Krytpo), und die Stimmrechtsbefugnisse sind toll und belegt. Blockchain verhindert, dass Leute Tweets löschen. Pro und Contra, aber lasset die Spiele beginnen!«
»Ich denke, eine neue Social-Media-Company ist nötig, auf der Basis von Blockchain, Zahlungssystem eingeschlossen«, antwortete Elon.
Doch noch während er mit Kimbal über die Gründung eines neuen sozialen Netzwerks nachdachte, bekräftigte er gegenüber Agrawal und Taylor , dass er Twitter übernehmen wolle: »Bitte rechnet mit einem privaten Übernahmeangebot«, schrieb er beiden.
»Hast du fünf Minuten, damit ich den Zusammenhang verstehen kann?«, fragte ihn Taylor.
»Twitter in Ordnung zu bringen, indem ich mit Parag plaudere, wird nicht funktionieren«, reagierte Musk. »Drastische Maßnahmen sind erforderlich.«
»Du bist seit gerade mal 24 Stunden im Board«, schrieb Taylor daraufhin. »Ich weiß, was du meinst, aber ich möchte die plötzliche Kehrtwende verstehen.«
Es dauerte fast zwei Stunden, bis Musk darauf antwortete. Auf Lanai war es inzwischen nach sieben, und er hatte noch immer kein Auge zugetan. »Ich muss jetzt schlafen, aber wir können morgen reden«, schrieb er.
Auf der Insel, erklärt Musk, sei ihm klar geworden, dass er als Board-Mitglied nicht imstande sein würde, Twitter in Ordnung zu bringen. »Eigentlich haben die bei mir eine Ermüdungstaktik angewendet«, sagt er. »Sie hörten zu, nickten und taten dann nichts. Ich wollte nicht vereinnahmt und zu einer Art Kollaborateur des Boards werden.« Im Nachhinein klingt das wie ein wohlüberlegter Schritt. Aber damals gab es noch einen weiteren Grund: Musk war in einer manischen Phase, und wie so häufig handelte er dann, ohne lange zu überlegen.
Am Nachmittag des 9. April, ein Samstag, schrieb er Birchall , dass er beschlossen habe, Twitter zu übernehmen. »Das ist mein Ernst«, versicherte er ihm. »Als 9-Prozent-Aktionär kann ich den Laden nicht in Ordnung bringen, und die Börsen haben Schwierigkeiten, über das nächste Quartal hinaus zu denken. Twitter muss die Bots und Scammer aussortieren, was sich in einem massiven Rückgang der täglichen Userzahlen niederschlagen wird.«
Birchall tippte eine Nachricht an einen Banker bei Morgan Stanley : »Ruf mich an, wenn du einen Moment Zeit hast.« Noch am selben Abend begannen sie mit der Arbeit, einen angemessenen Preis für Twitter zu errechnen und herauszufinden, wie Musk das finanzieren könnte. Der verteilte in der Zwischenzeit weitere Seitenhiebe auf Twitter und postete eine Umfrage über die Büros des Unternehmens in San Francisco: »Twitter SF HQ in ein Obdachlosenheim umwandeln, weil da ja sowieso niemand arbeitet?« Innerhalb eines Tages beteiligten sich 1,5 Millionen an der Abstimmung, 91 Prozent waren dafür.
»Hey – hast du heute Abend Zeit für ein Gespräch?«, schrieb ihm Taylor . »Hab deine Tweets gesehen und möchte gern dringend deine Haltung verstehen.« Musk antwortete nicht.
Am Sonntag gab Taylor auf. Er erklärte Musk, Twitter würde eine Mitteilung herausgeben, dass er seine Meinung geändert hätte und dem Board nicht beitreten würde. »Klingt gut«, reagierte Musk. »Meiner Ansicht nach ist es besser, Twitter privat zu übernehmen, zu restrukturieren und sobald das erledigt ist, wieder an die Börse zu bringen.«
Agrawal verkündete die Entscheidung per Tweet spät am Abend: »Elons Ernennung zum Board-Mitglied sollte offiziell am 9.4. in Kraft treten, aber Elon teilte heute Morgen mit, dass er dem Board nicht angehören wird. Ich glaube, das ist das Beste für uns. Wir haben den Input unserer Aktionäre immer wertgeschätzt und werden das auch in Zukunft tun, ob sie in unserem Board sind oder nicht.«
Am Montagnachmittag hawaiianischer Zeit hatte Musk eine Telefonkonferenz mit Birchall und den Leuten von Morgan Stanley . Sie unterbreiteten einen Vorschlag für den Aktienpreis: 54,20 Dollar. Musk und Birchall lachten, weil das wieder an den Internet-Slang für Marihuana erinnerte, genau wie der »Privatisieren«-Preis von 420 Dollar für Tesla. »Das ist wahrscheinlich der überstrapazierteste Witz überhaupt«, sagte Musk.
Die Aussicht, Twitter zu kaufen, versetzte ihn in eine derartige Aufregung, dass die Idee einer neuen Blockchain-basierten Social-Media-Plattform zu »Plan B« degradiert wurde.
Grimes drängte Musk immer wieder, mit ihr in ihre Heimatstadt Vancouver zu reisen, damit sie X ihren Eltern und ihren alternden Großeltern vorstellen konnte. »Mein Grandpa ist Ingenieur, und er hatte sich schon so lange ein Urenkelkind gewünscht«, sagt Grimes, »und meine Grandma ist sehr alt und hält sich gerade noch so.«
Sie kamen überein, dass der 14. April ein guter Termin für einen Besuch wäre, ein Donnerstag, an dem Chris Anderson in Vancouver auch seine jährliche TED -Konferenz abhielt. Eine Woche zuvor hatte Anderson in der Giga Texas ein Interview mit Musk aufgenommen, aber er wollte ihn, vor allem angesichts der sich schnell ändernden Twitter -Saga, auch live auf der Konferenz interviewen. Eine von Grimes’ Freundinnen sollte bei der Veranstaltung ebenfalls einen Vortrag halten.
Am Vorabend trafen sie in Vancouver ein. Grimes aus Austin und Musk aus Hawaii. In einer Nordstrom-Filiale kaufte er einen schwarzen Anzug, da er keinen feinen Zwirn nach Lanai mitgenommen hatte. Am Nachmittag des 14. April fuhr Grimes mit X die rund 120 Kilometer nach Agassiz, wo ihr Großeltern lebten. Musk blieb im Hotel in Vancouver. »Er war im Stress-Modus wegen der Twitter-Sache«, entschuldigt sie ihn.
Natürlich war er das. Später am Nachmittag teilte er von diesem Hotelzimmer aus Bret Taylor seine offizielle Entscheidung mit. »Nach etlichen Tagen sorgfältiger Überlegung – es handelt sich ganz offensichtlich um eine folgenschwere Angelegenheit – habe ich entschieden, die private Übernahme von Twitter weiterverfolgen zu wollen«, schrieb er. »Ich werde dir noch heute ein schriftliches Angebot zukommen lassen.«
Darin hieß es:
Ich habe in Twitter investiert, weil ich an das Potenzial als weltweite Plattform für freie Meinungsäußerung glaube, und ich glaube, dass freie Meinungsäußerung ein gesellschaftliches Muss einer funktionierenden Demokratie ist. Seit meiner Investition ist mir jedoch klar geworden, dass die Company in ihrer jetzigen Form weder florieren noch diesem gesellschaftlichen Nutzen dienen wird. Twitter muss in ein Privatunternehmen umgewandelt werden.
Daher biete ich an, 100 Prozent von Twitter zu übernehmen, für 54,20 Dollar cash pro Aktie. Das sind 54 Prozent mehr als seit dem Tag, als ich begann, in Twitter zu investieren, und ein Aufschlag von 38 Prozent gegenüber dem Tag, bevor meine Investition öffentlich bekannt wurde. Das Angebot ist mein bestes und letztes, und sollte es nicht angenommen werden, muss ich meine Rolle als Aktionär überdenken.
Twitter hat außergewöhnliches Potenzial. Ich werde es freisetzen.
Am Abend nahm Musk in einem örtlichen Restaurant an einem kleinen Dinner für die TED -Redner teil. Statt über Twitter zu sprechen, fragte er die anderen Gäste, was ihrer Meinung nach der Sinn des Lebens sei. Anschließend kehrten er und Grimes ins Hotel zurück, wo er sich entspannte und in ein neues Videospiel vertiefte, das er auf seinen Laptop geladen hatte. Bei Elden Ring muss man sich durch eine Fantasiewelt voller bizarrer Bestien bewegen, die einen vernichten wollen. Das aufwendig gestaltete Spiel mit seinen kryptischen Hinweisen und seltsamen Handlungssträngen erfordert höchste Konzentration und viel Aufmerksamkeit für Details, vor allem, um den richtigen Zeitpunkt für einen Angriff zu berechnen. »Ich habe ein paar Stunden gespielt, dann ein paar Nachrichten und E-Mails beantwortet und dann weitergespielt«, sagt er. Er verbrachte viel Zeit in den gefährlichsten Bereichen des Spiels, einer feuerroten Dämonenhölle namens Caelid. »Statt zu schlafen«, so Grimes, »spielte er bis halb sechs in der Früh.«
Kaum hatte er das Spiel beendet, twitterte er: »I made an offer« – er hatte ein Angebot für Twitter abgegeben.
Seit er auf Geheiß von Peter Thiel das Gaspedal seines McLaren bis zum Anschlag durchgetreten und den Wagen zu Schrott gefahren hatte, hatte es keine dermaßen teure Demonstration seiner Impulsivität mehr gegeben.
Als Musk zurück in Austin war, kam sein Freund aus Queen’s-Unizeiten zu Besuch: Navaid Farooq , der mittlerweile in London lebte. Mehr als dreißig Jahre, nachdem sich diese beiden Geeks kennengelernt hatten – im Umang mit anderen unbeholfen, nur Strategie-Games spielend und Science-Fiction lesend –, war Farooq immer noch Musks echter Freund, einer der wenigen, der ihm persönliche Fragen stellen, mit dem er über seinen Vater und seine Familie sprechen und sich über gelegentliche Anfälle von Einsamkeit unterhalten konnte. Am Samstag, als sie nach Boca Chica flogen, um die Starbase-Anlagen zu besichtigen, wollte Farooq wissen, was viele von Musks Freunden bezüglich Twitter beschäftigte: »Warum tust du das?«
Musk dachte nicht mehr nur über das Thema der Meinungsfreiheit nach. Er beschrieb Farooq seine Hoffnung, Twitter zu einer großartigen Plattform für nutzergenerierten Content zu machen, einschließlich Musik, Videos und Storys. Prominente, professionelle Journalisten und gewöhnliche Menschen könnten dort ihre Kreationen wie bei Substack oder WeChat veröffentlichen und auf Wunsch dafür bezahlt werden.
Als die beiden Freunde bei dem Weltraumbahnhof ankamen, machte Musk mit Farooq einen Rundgang durch die Montagezelte. Wie so oft ärgerte er sich darüber, wie lange manche Dinge dauerten. Für Farooq war das am Ostersonntag und zurück in Austin der Aufhänger, um einen weiteren Punkt anzuschneiden, der Elons Freunde beschäftigte. »Was ist mit deiner Zeit und deiner Gesundheit?«, fragte er. »Tesla und SpaceX brauchen nach wie vor deine Hilfe. Wie lange würde es wohl dauern, Twitter zu sanieren?«
»Mindestens fünf Jahre«, antwortete Musk. »Ich müsste mich von einem Großteil der Angestellten trennen. Sie arbeiten nicht hart genug, und manche kommen nicht mal zur Arbeit.«
»Willst du dir das echt wieder antun?«, hakte Farooq nach. »Du hast für Tesla in der Fabrik geschlafen, das Gleiche für SpaceX. Willst du das wirklich alles noch mal auf dich nehmen?«
Musk machte eine der für ihn typischen langen Pausen. »Ja, würde ich tatsächlich«, sagte er schließlich. »Ich hätte nichts dagegen.«
Musk hatte bereits den Business-Case für den Kauf von Twitter formuliert: Er glaubte, den Umsatz bis 2028 auf 26 Milliarden Dollar verfünffachen und gleichzeitig die Abhängigkeit von Werbung von 90 auf 45 Prozent der Einnahmen reduzieren zu können. Die neuen Umsätze sollten aus Nutzerabonnements und Datenlizenzen stammen. Er rechnete ebenfalls mit Umsätzen aus Geldtransaktionen via Twitter, wie es etwa bei WeChat bereits möglich war.
»Wir müssen mit der Funktionalität von WeChat mithalten«, erklärte er mir nach einem Gespräch mit Bankern im April. »Einer der wichtigsten Punkte wird sein, Leuten, die Content schaffen, die Möglichkeit zu geben, via Twitter bezahlt zu werden.« Ein Online-Zahlungssystem hätte den zusätzlichen Vorteil, dass es die User authentifizierte. Twitter könnte prüfen, welche Nutzer echte Menschen waren, indem eine geringe monatliche Gebühr und die Hinterlegung der Kreditkartendaten verlangt würden. Eine Idee, die er bereits mit Howery und Nosek diskutiert hatte. Falls das funktionierte, hätte es deutliche Auswirkungen auf das Internet im Allgemeinen. Twitter könnte als die Plattform dienen, die die Identität des jeweiligen Nutzers verifizierte, und es könnte den Verfassern von Inhalten – von großen Medienunternehmen bis hin zu Einzelpersonen – neue Möglichkeiten bieten, Geld mit diesem Content zu verdienen.
Er erläuterte auch, warum er die »offene Blende« freier Meinungsäußerung auf Twitter erlauben und das dauerhafte Blockieren von Personen, auch solchen mit politischen Ideen des äußersten Rands, vermeiden wollte. Im Talkradio und im Kabelfernsehen gab es getrennte Informationsquellen für Progressive und Konservative. Weil die Content-Moderatoren von Twitter, die seiner Meinung nach zu mehr als 90 Prozent aus progressiven Demokraten bestanden, die Rechten verdrängten, könnte eine Balkanisierung der Social Media herbeigeführt werden. »Wir wollen aber eine Welt verhindern, in der sich die Leute in ihre jeweiligen Echokammern der Social Media abspalten, wie bei Parler oder Truth Social «, sagte er. »Wir wollen einen Ort, an dem Menschen mit unterschiedlichen Standpunkten interagieren können. Das wäre gut für die Zivilisation.« Ein nobler Gedanke, doch am Ende untergrub Musk diese wichtige Mission mit Aussagen, die dazu führten, dass progressive und Mainstream-Medien zu anderen sozialen Netzwerken abwanderten.
Dann wollte auch ich wie Farooq und andere Freunde hartnäckig wissen: Wäre das alles nicht extrem schwierig, zeitaufwendig und kontrovers, und würde er damit nicht seinen Aufgaben bei Tesla und SpaceX schaden? »Vom kognitiven Standpunkt aus glaube ich nicht, dass Twitter annähernd so schwierig ist wie SpaceX oder Tesla «, beharrte er. »Es ist nicht so schwer, wie zum Mars zu reisen. Es ist nicht so schwer, wie die gesamte industrielle Basis der Erde auf nachhaltige Energie umzustellen.«
Musk hatte, wie er zu sagen pflegte, SpaceX gegründet, um die Überlebenschancen des menschlichen Bewusstseins zu erhöhen, indem er uns zu einer multiplanetaren Spezies machte. Das verbindende Grundprinzip von Tesla und SolarCity war, den Weg zu einer nachhaltigen Energiezukunft zu ebnen. Optimus und Neuralink wurden aus der Taufe gehoben, um Mensch-Maschine-Schnittstellen zu schaffen, die uns vor böser künstlicher Intelligenz schützen sollten.
Und Twitter? »Zuerst fand ich, das passt nicht zu meinen großen Hauptmissionen«, sagte er im April zu mir. »Doch ich bin zu der Überzeugung gelangt, dass Twitter ein Teil der Mission sein kann, die Zivilisation zu erhalten und unserer Gesellschaft mehr Zeit zu verschaffen, um multiplanetar zu werden.« Wie das? Es gehe dabei um freie Meinungsäußerung. »In den Medien scheint immer mehr Gruppendenken zu herrschen, Linientreue, was dazu führt, dass man – bewegt man sich nicht im Gleichschritt – geächtet wird oder nicht mehr dazugehört.« Für das Überleben der Demokratie sei es seiner Ansicht nach wichtig, die woke Kultur bei Twitter zu säubern und Biases auszumerzen, damit die Leute Twitter als einen offenen Raum für alle Meinungen wahrnehmen würden.
Aber es gab, glaube ich, noch zwei weitere Gründe, warum Musk Twitter besitzen wollte. Der erste war einfach. Twitter bedeutete Spaß, wie ein Vergnügungspark. Twitter bot politischen Schlagabtausch, intellektuelle Gladiatorenkämpfe, dämliche Memes, wichtige öffentliche Bekanntmachungen, wertvolles Marketing, schlechte Wortspiele und ungefilterte Meinungen. Unterhalte ich euch nicht?
Der zweite Grund reichte tiefer: Letztendlich glaube ich, dass Twitter in Musk eine psychologische, persönliche Sehnsucht erfüllte. Twitter war der ultimative Schulhof. Als Kind wurde Musk auf dem Schulhof verprügelt und schikaniert, da er nicht mit dem emotionalen Geschick ausgestattet war, das man braucht, um auf diesem felsigen Boden zu gedeihen. Das hat ihm eine tiefe Verletzung zugefügt, die ihn von Zeit zu Zeit veranlasst, auf Beleidigungen viel zu emotional zu reagieren, aber es hat ihn auch in die Lage versetzt, sich der Welt zu stellen und jede Schlacht mit aller Kraft zu kämpfen. Wenn er sich unter Druck, in die Enge getrieben oder gemobbt fühlte, sei es online oder in der Realität, führte ihn das an einen äußerst schmerzhaften Ort zurück, an dem er von seinem Vater runtergemacht und von seinen Klassenkameraden tyrannisiert wurde. Jetzt aber konnte ihm der Schulhof bald gehören.