Kapitel 85
Halloween

Twitter, Oktober 2022

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Mit Maye, verkleidet für Halloween 2022 (oben ); Maye verfolgt eine Präsentation ihres Sohnes (unten )

© O.: Mit freundlicher Genehmigung von Elon Musk/Twitter; u.: Mit freundlicher Genehmigung von Maye Musk

New-York-Besuch

Gerade als die Beziehung von Yoel Roth und Musk überraschend gut zu laufen schien, fragte Roths Ehemann am späten Morgen des 30. Oktober, ein Sonntag: »What the fuck ist das?« Die Frage erinnerte Roth an Trump -Zeiten, als er jeden Morgen aufwachte und sich innerlich darauf gefasst machte, was der damalige Präsident wohl in der Nacht getwittert hatte. An diesem Sonntagvormittag jedoch handelte es sich um einen Tweet von Musk bezüglich eines hammerschwingenden Eindringlings, der Paul Pelosi , den 82-jährigen Ehemann der Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi , angegriffen hatte. Hillary Clinton hatte einen Tweet gepostet, in dem sie Menschen, die »Hass und geistig wirre Verschwörungstheorien « verbreiten, für solche Gewalttaten verantwortlich machte. Musk reagierte mit einem Link zu einer rechten Verschwörungsseite, die fälschlicherweise und ohne jegliche Beweise behauptete, dass Paul Pelosi bei »einem Streit mit einem Callboy« verletzt worden sein könnte. Musk kommentierte: »Es besteht die winzige Möglichkeit, dass an dieser Geschichte mehr dran ist, als auf den ersten Blick zu erkennen ist.«

Musks Tweet belegte seine wachsende Neigung (wie sein Vater ), irre Fake-News-Seiten zu lesen, die Verschwörungstheorien verbreiten, ein Problem, das bei Twitter ganz groß geschrieben wurde. Musk löschte seinen Tweet schnell wieder, entschuldigte sich und sagte später im persönlichen Umfeld, dass dieser Tweet einer seiner dümmsten Fehler gewesen sei. Es war auch ein kostspieliger. »Das gibt definitiv Probleme mit den Werbekunden«, schrieb Roth an Alex Spiro .

Musk merkte langsam, dass die Schaffung eines guten Umfelds für Werbetreibende mit seinen Plänen kollidierte, den Onlinedienst für eine rauere freie Meinungsäußerung zu öffnen. Ein paar Tage zuvor hatte er einen Brief an »Liebe Twitter-Werbekunden« geschrieben, in dem er versprach, dass »Twitter natürlich nicht zu einer allen Leuten zugänglichen Höllenlandschaft werden kann, in der alle alles ohne Konsequenzen sagen dürfen!« Doch sein Paul-Pelosi-Tweet unterminierte dieses Versprechen, indem beispielhaft verdeutlicht wurde, was den Werbekunden an Twitter missfiel: Die Plattform konnte zu einem Sumpf von impulsiv und rücksichtslos verbreiteten Unwahrheiten und vernichtenden Desinformationen (auch über Musk selbst) werden. 90 Prozent der Twitter-Einnahmen wurden über Werbung generiert. Sie waren aufgrund einer generellen Zurückhaltung bei der Schaltung von Werbung bereits gesunken, wovon auch andere Unternehmen betroffen waren, doch nachdem Musk die Führung übernommen hatte, ging es rapide bergab. Im nächsten halben Jahr sollten sich die Einnahmen aus dem Werbegeschäft mehr als halbieren.

Spät am Abend jenes Sonntags flog Musk nach New York City, um sich mit dem Verkaufsteam von Twitter zu treffen; er wollte ausloten, wie die Werbekunden und ihre Agenturen zu beruhigen seien. Er hatte X auf den Trip mitgenommen, und gegen 3 Uhr kamen die beiden in Mayes Wohnung in Greenwich Village an. Musk mochte weder Hotels noch allein sein. Am nächsten Morgen begleiteten ihn Maye und X zur Twitter -Zentrale in Manhattan und dienten als Schutzschilde und emotionale Unterstützung für die sich abzeichnenden spannungsgeladenen Meetings.

Musk besitzt ein intuitives Gespür für technische Fragen, aber seine neuronalen Netze haben Schwierigkeiten mit menschlichen Gefühlen, was seinen Twitter-Kauf so problematisch machte. Er hielt Twitter für ein Techunternehmen, obwohl es in Wirklichkeit ein Werbeträger war, der auf menschlichen Gefühlen und Beziehungen beruhte. Er wusste, dass er auf dieser New-York-Reise sorgsam vorgehen musste, aber er war wütend. »Seit der Deal im April öffentlich wurde, wird gegen mich eine Kampagne gefahren«, klagte er mir gegenüber. »Aktivistengruppen haben Werbekunden gedrängt, Verträge nicht zu unterzeichnen.«

Die Meetings an jenem Montag trugen wenig zur Beruhigung der Werbekunden bei. Während seine Mutter zuhörte und X spielte, sprach Musk erst gelangweilt-monoton zu seinen Vertriebsmitarbeitern, und Gleiches galt für die Gespräche mit der Werbebranche später. »Ich möchte, dass Twitter für eine große Anzahl von Menschen interessant ist, vielleicht eines Tages für eine Milliarde Menschen«, sagte er in einer der Sitzungen. »Das geht Hand in Hand mit dem Thema Sicherheit. Wenn man mit einer Flut von Hatespeech konfrontiert oder angegriffen wird, geht man eben.«

Bei jedem der Meetings wurde er auf seinen Paul-Pelosi-Tweet angesprochen. »Ich bin halt, wer ich bin«, meinte er irgendwann, was seine Zuhörer nicht wirklich besänftigte, die sich etwas anderes erhofft hatten. »Mein Twitter-Account ist eine Art Erweiterung meiner Person, und ich werde ein paar dumme Dinge twittern, und ich werde Fehler machen.« Er sagte dies nicht mit achselzuckender Bescheidenheit, sondern kühl distanziert. Bei einem der Calls konnte man sehen, wie ein paar der Werbekunden die Arme verschränkten oder sich schlicht abmeldeten. »What the fuck?«, murmelte einer. Twitter sollte ein milliardenschweres Geschäft einbringen und keine Ergänzung von Elon Musks persönlichen Mängeln und Macken sein.

Am nächsten Tag kündigten viele der Twitter-Topmanager, denen die Werbebranche vertraute, oder wurden entlassen, allen voran Leslie Berland , Jean-Philippe Maheu und Sarah Personette . Weitere große Marken und Werbeagenturen meldeten eine Twitter-Werbepause an oder setzten diese schlicht im Stillen um. Die Twitter-Verkaufszahlen sanken in jenem Monat um 80 Prozent. Musks Botschaften wechselten von beruhigend über bettelnd zu drohend. »Twitter hat einen massiven Umsatzrückgang zu verzeichnen, weil Aktivistengruppen Druck auf die Werbetreibenden ausüben, obwohl sich an der Content-Moderation nichts geändert hat und wir alles getan haben, um die Aktivisten zu beschwichtigen«, twitterte Musk nach den Treffen. »Sie versuchen, die freie Meinungsfreiheit in Amerika zu vernichten.«

Space Commanders

Halloween ist einer von Musks Lieblingsfeiertagen. Abgesehen von der Beschwichtigung der Werbekunden war ein Grund für die Reise nach New York, dass er seiner Mutter versprochen hatte, sie zu Heidi Klum s alljährlicher Halloween-Party zu begleiten, bei der übertriebene Kostüme auf einem roten Teppich vorgeführt wurden, um die Paparazzi zu erfreuen. Musk kam erst gegen 21 Uhr von seinen Meetings mit den Werbeleuten zurück in Mayes Wohnung, wo sie ihm zusammen mit einer Freundin half, sich in ein rot-schwarzes »Devil’s Champion«-Kostüm aus Leder zu werfen, das sie besorgt hatte.

Obwohl die Musks bei der Halloween-Party in einen VIP -Bereich geleitet wurden, gefiel es ihnen nicht. Maye war es zu laut und Elon nervte, dass alle versuchten, ein Selfie mit ihm zu machen. Also gingen die beiden nach zehn Minuten wieder. Aber Musk änderte sein Twitter-Profilbild, das ihn von nun an in der Rüstung des Devil’s Champion zeigte. Er fand, das passte zu seiner aktuellen Situation.

Am nächsten Morgen stand er früh auf, um mit seiner Mutter und seinem Sohn den Livestream des Starts von Falcon Heavy zu verfolgen, dem ersten Start der von 27 Triebwerken angetriebenen Schwerlastträgerrakete seit drei Jahren. Anschließend flog Musk nach Washington, um an einer Zeremonie teilzunehmen, bei der die obersten Generäle des US -Space Commands ausgewechselt wurden. Trotz der Spannungen mit der Biden -Regierung wurde er vom Pentagon herzlich empfangen, vor allem, weil SpaceX als einziger amerikanischer Anbieter in der Lage war, große Militärsatelliten und Besatzungen in den Orbit zu schicken. Während der Zeremonie wurde Musk von General Mark Milley , dem Vorsitzenden der Joint Chiefs of Staff, der Vereinigten Generalstabschefs, besonders hervorgehoben. »Was er symbolisiert«, sagte Milley, »ist die Kombination aus ziviler und militärischer Zusammenarbeit und Teamwork, die die Vereinigten Staaten zum mächtigsten Land im Weltraum macht.«