SpaceX, April 2023
Musk, Juncosa und McKenzie auf einem der Hochlager in Boca Chica (oben links) ; beim Verfolgen des Starship-Starts im Kontrollraum (oben rechts) ; mit Griffin und X im Kontrollraum (unten links) ; mit Grimes und Tau im Freien vor dem Kontrollraum (unten rechts)
»Mein Magen ist ein einziger Knoten«, vertraute Musk Mark Juncosa an, als beide auf der Terrasse über dem 80 Meter hohen High-Bay-Montagegebäude der Starbase standen. »So ist das vor jedem großen Start. Von den Fehlschlägen auf Kwaj habe ich eine PTBS .«
Man schrieb April 2023, der Probestart der Starship stand unmittelbar bevor. Bei seiner Ankunft in Südtexas beschäftigte sich Musk mit dem, was er oft vor wichtigen Raketenstarts tat, einschließlich des allerersten vor 17 Jahren: Er zog sich in die Zukunft zurück. Musk überschüttete Juncosa mit Ideen und Anordnungen für den Ersatz der 24 Quadratkilometer bedeckenden Montagezelte durch ein gigantisches Werksgebäude, in dem sich Raketen schneller als lediglich eine pro Monat fertigen ließen. Sie sollten sofort mit der Errichtung der Fabrik beginnen, nebst einem neuen Dorf solargedeckter Häuser für Arbeitskräfte. Eine Rakete wie das Starship-System zu kreieren, war anstrengend und schwierig, doch wie Musk wusste, bestand der bedeutsamere Schritt darin, sie in großen Stückzahlen zu fertigen. Um eine menschliche Kolonie auf dem Mars zu unterhalten, wäre schließlich eine Flotte von tausend Stück nötig. »Die größten Sorgen bereitet mir die Zeitschiene. Gibt es unser Entwicklungsverlauf her, dass wir den Mars erreichen, bevor unsere Zivilisation zerfällt?«
Die anderen Ingenieure schlossen sich ihnen zu einem dreistündigen Startfreigabe-Meeting an. Im Besprechungsraum über dem High Bay hielt Musk eine Motivationsrede. »Während ihr all diese Schwierigkeiten durchmacht, lohnt es sich, euch stets vor Augen zu halten, dass die Sache, an der ihr arbeitet, die verdammt coolste Sache der Welt ist. Bei Weitem. Was ist die zweitcoolste Sache? Das hier ist wesentlich cooler als das, was auch immer die zweitcoolste Sache sein mag.«
Dann griff er das Thema Risiko auf. Etwa ein Dutzend Aufsichtsbehörden mussten den Testflug genehmigen, und sie teilten Musks Risikoaffinität nicht. Die Ingenieure berichteten ihm von all den Sicherheitsüberprüfungen und – anforderungen, mit denen sie sich auseinandersetzen mussten. »Die Genehmigung zu erlangen, war im Grunde innerlich zermürbend«, lautete Juncosas Fazit. Shana Diez und Jake McKenzie steuerten Einzelheiten bei. »Mein verdammtes Hirn schmerzt«, kommentierte Musk und hielt sich den Kopf. »Ich versuche herauszukriegen, wie wir die Menschheit trotz all dem Unfug auf den Mars bekommen.«
Zwei Minuten lang dachte er schweigend nach. Als er wieder aus seiner Trance auftauchte, äußerte er sich philosophisch. »Auf diese Art verfallen Zivilisationen. Sie hören auf, Risiken einzugehen. Und wenn sie sich nicht mehr auf Risiken einlassen, verhärten sich ihre Arterien. Jahr für Jahr gibt es mehr Schiedsrichter und weniger Macher.« Deshalb könnten die USA keine Dinge mehr bauen wie Hochgeschwindigkeitszüge oder Raketen, die zum Mond fliegen. »Wenn man zu lange Erfolg hatte, verliert man das Verlangen, Risiken einzugehen.«
An jenem Montag wurde der Countdown wegen eines Ventilproblems 40 Sekunden vor der Zündung abgebrochen. Der Start wurde um drei Tage verschoben, auf den 20. April. War dieses Datum – 4/20 in US -amerikanischer Schreibung – eine weitere absichtliche Anspielung auf »420« als Code für Cannabiskonsum? In diese Richtung hatte bereits Musks Ankündigung gewiesen, Tesla bei einem Kurs von 420 Dollar von der Börse zu nehmen, oder sein Übernahmeangebot für Twitter-Aktien zum Preis von 54,20 Dollar. In Wirklichkeit lag es vor allem an den Wetterprognosen und den erforderlichen Vorbereitungen. Musk indes amüsierte es, schließlich hatte er seit Wochen behauptet, das Datum 4/20 sei »vom Schicksal bestimmt«. Der Filmemacher Jonah Nolan begleitete die Mission als Dokumentarfilmer und verfocht die Maxime, wonach das ironischste Ergebnis das wahrscheinlichste sei. Musks Lesart lautete hingegen: »Das unterhaltsamste Ergebnis ist das wahrscheinlichste.«
Nach dem Abbruch des ersten Countdowns war Musk nach Miami geflogen, um dort bei einer Werbekonferenz zu sprechen und seine Pläne für Twitter zu bekräftigen. Am 20. April traf er kurz nach Mitternacht wieder in Boca Chica ein. Musk schlief drei Stunden, trank etwas Red Bull und begab sich um 4:30 Uhr in den Kontrollraum, vier Stunden vor dem geplanten Start . Vierzig Ingenieure und Flugbetriebsmitarbeiter – viele mit »Occupy Mars!«-T-Shirts – saßen an Reihen von Konsolen in einem hitzegeschützten Gebäude, das Aussicht über die Sümpfe auf den zehn Kilometer entfernten Startplatz bot. Grimes traf in der Morgendämmerung ein und brachte X , Y und beider jüngstes Baby mit, einen Jungen namens Techno Mechanicus , bekannt als Tau.
Eine halbe Stunde vor dem Start kam Juncosa auf die Terrasse hinaus und informierte Musk über ein Problem, das einer der Sensoren entdeckt hatte. Musk dachte einige Sekunden darüber nach und erklärte dann: »Ich denke nicht, dass das eine echte Gefahr darstellt.« Juncosa vollführte einen kurzen Freudentanz, bevor er mit einem »Perfekt!« wieder in den Kontrollraum schoss. Musk folgte ihm bald und setzte sich an eine Konsole in der ersten Reihe, wobei er Beethovens »Ode an die Freude« pfiff.
Einen weiteren kurzen Stopp gab es bei T minus 40 Sekunden. Nach einer abschließenden Beurteilung nickte Musk, und der Countdown wurde fortgesetzt. Im Moment der Zündung gewährten das Fenster des Kontrollraums und die Monitore einen Blick auf die Flammen aus den 33 Booster-Raptoren. Sehr langsam stieg die Rakete empor. »Heilige Scheiße, sie hebt ab!«, rief Musk, sprang dann von seinem Stuhl auf und rannte schnell genug auf die Terrasse hinaus, um das tiefe Dröhnen des Starts zu hören. Mehr als drei Minuten lang schob sich die Rakete in die Lüfte und geriet außer Sichtweite.
Als Musk wieder hineinging, war auf den Monitoren jedoch deutlich zu sehen, dass die Rakete wackelte. In den Sekunden vor dem Start waren zwei Triebwerke schlecht angesprungen, und der Befehl zu ihrer Abschaltung war gesendet worden. Die verbleibenden 31 Triebwerke hätten für die Durchführung der Mission ausgereicht. Doch dreißig Sekunden nach dem Start stießen wegen eines offenen Ventils zwei weitere Triebwerke am Rand des Boosters Kraftstoffnebel aus, und Feuer breitete sich in den angrenzenden Triebwerksschächten aus. Die Rakete setzte ihren Steigflug fort, aber inzwischen war klar, dass sie den Orbit nicht erreichen würde. Laut Protokollvorgaben mussten sie die Rakete gezielt über Wasser sprengen, wo sie keine Gefahr darstellte. Musk nickte dem für den Start verantwortlichen Launch Director zu, der drei Minuten und zehn Sekunden nach dem Start einen Befehl zur Selbstzerstörung an die Rakete sandte. 48 Sekunden später brach die Videoübertragung von der Rakete ab. Die Monitore wurden schwarz, wie das auch schon bei den ersten drei Starts von Kwaj geschehen war. Um die Ereignisse zu beschreiben, konnte das Team wieder einmal auf die leicht ironische Formulierung von der »raschen, ungeplanten Demontage« zurückgreifen.
Eine erneute Betrachtung der Startvideos zeigte, dass die Druckstöße der Raptor-Triebwerke das Fundament des Startplatzes beschädigt hatten, wodurch große Betonbrocken aufgewirbelt worden waren. Möglicherweise hatten Teile dieser Trümmer einige Triebwerke getroffen.
Musk war, wie üblich, bereit gewesen, verschiedene Risiken einzugehen. Als der Startplatz 2020 eingerichtet wurde, hatte er beschlossen, keinen Flammengraben unter dem Startgerüst auszuheben, wie ihn die meisten Launch Pads besitzen, um die Druckwelle von den Triebwerken abzuleiten. »Das könnte sich als Fehler erweisen«, hatte er seinerzeit ahnungsvoll geäußert. Das Startplatz-Team hatte Anfang 2023 zusätzlich mit der Konstruktion einer großen Stahlplatte begonnen, die an der Oberseite des Startgerüstfundaments montiert und mit schwallartigen Wassergüssen gekühlt werden sollte. Zum Startzeitpunkt war sie allerdings noch nicht fertig, und Musk hatte anhand der Daten von statischen Brandprüfungen berechnet, dass sich der hochfeste Beton als widerstandsfähig genug erweisen würde.
Wie die Entscheidung, bei der frühen Version der Falcon 1 auf Schwallbleche zu verzichten, erwies sich das Eingehen dieser Wagnisse als Fehler. Es ist unwahrscheinlich, dass die NASA oder Boeing mit ihrer »stay safe «-Maxime dieselben Entscheidungen getroffen hätten. Doch beim Bau von Raketen setzte Musk auf einen »fail fast «-Ansatz : Risiken eingehen. Lernen, indem man Dinge in die Luft jagt. Überarbeiten. Wiederholen. »Wir wollen nicht so konstruieren, dass jedes Risiko ausgeschlossen wird«, erklärte Musk, »sonst werden wir nie etwas erreichen und gelangen nie irgendwohin.«
Im Vorfeld hatte Musk angegeben, für ihn wäre der Probestart erfolgreich, wenn die Rakete den Startplatz verließe, hoch genug aufstiege, um außer Sichtweite zu explodieren, und eine Menge nützlicher neuer Informationen und Daten liefern würde. Diese Ziele hatte die Rakete erreicht. Trotzdem war sie explodiert. Die Öffentlichkeit würde das größtenteils als flammenumtosten Misserfolg sehen. Und einen Moment lang starrte Musk auf seinen Monitor und wirkte niedergeschlagen.
Doch alle Übrigen im Kontrollraum begannen zu applaudieren. Sie freuten sich über das, was sie erreicht hatten, und über die Erkenntnisse, die sie daraus ziehen konnten. Schließlich stand Musk auf, hob beide Hände über den Kopf und wandte sich den anderen im Raum zu. »Gut gemacht, Leute!«, rief er. »Erfolg! Unser Ziel war es, das Pad zu verlassen und außer Sichtweite zu explodieren, und das haben wir geschafft. Wenn man zum ersten Mal den Orbit erreichen will, kann einfach zu viel schiefgehen. Das ist ein großartiger Tag!«
An diesem Abend versammelten sich etwa hundert SpaceX-Mitarbeiter und – Freunde bei der Strandbar der Starbase zu einer halbwegs ausgelassenen Feier mit Spanferkel und Tanz. Hinter dem Podium waren einige ältere Starships aufgereiht, in deren Edelstahl sich die Lichter der Party spiegelten, während am Nachthimmel direkt über ihnen und wie aufs Stichwort rot und strahlend der Mars aufging.
Auf der einen Seite der Wiese unterhielt sich Gwynne Shotwell mit Hans Königsmann , seinerzeit SpaceX’ vierter Mitarbeiter, der Shotwell vor 21 Jahren mit Musk bekannt gemacht hatte. Königsmann, Veteran der Kwaj-Starts, war auf eigene Faust nach Südtexas geflogen, um diesen Start als Teil des Publikums zu sehen. Seit dem Inspiration4 -Start, als er aus dem Unternehmen herausgedrängt worden war, hatte er Musk nicht wiedergesehen. Königsmann überlegte, zu ihm hinüberzugehen, um ihn zu begrüßen, entschied sich aber dagegen. »Elon ist niemand, der zurückschaut und sentimental wird«, erklärte er, »diese Art von Empathie ist nicht seine Stärke.«
Musk und Grimes saßen an einem der Campingtische mit seiner Mutter Maye zusammen. Sie war am späten Abend eingetroffen, nachdem sie ihren 75. Geburtstag in New York gefeiert hatte. Maye schwelgte in Kindheitserinnerungen, wie ihre Eltern jedes Jahr mit der Familie in die südafrikanische Kalahari-Wüste geflogen waren. Elon komme ganz nach ihnen, behauptete sie, eine Generation Risikoaffiner, die diese Eigenschaft an die nächste vererbte.
X lief zu einer der Feuerstellen, und als Musk versuchte, ihn sanft von dort fortzuziehen, zappelte und strampelte er, weil er sich nicht gerne zurückhalten lassen mochte. Und so ließ ihn sein Vater schließlich laufen. »Als ich klein war, warnten mich meine Eltern eines Tages davor, mit Feuer zu spielen«, erinnerte sich Musk, »also verzog ich mich mit einer Streichholzschachtel hinter einen Baum und begann, sie anzuzünden.«
Die Explosion der Starship war geradezu ein Sinnbild für Musk, eine taugliche Metapher für seinen Drang, hoch hinaus zu wollen, impulsiv zu handeln, gewaltige Risiken einzugehen und erstaunliche Dinge zu vollbringen – aber auch Dinge in die Luft zu jagen und schwelende Trümmer zu hinterlassen, während er wie irre kicherte. Lange Zeit war sein Leben eine Mischung aus historisch bedeutsamen Errungenschaften und wilden Flammabrissen gewesen, mit gebrochenen Versprechen und arroganten Impulsen. Spektakulär war beides: seine Erfolge wie auch seine Misserfolge. Das führte dazu, dass ihn seine Anhänger verehrten und seine Kritiker schmähten, wobei beide Seiten die fiebrige Leidenschaft des hyperpolarisierenden Twitter-Zeitalters zeigten.
Musk, seit Kindertagen von Dämonen und heldenmütiger Unrast angetrieben, schürte Kontroversen, indem er brisante politische Äußerungen tätigte und sich in unnötige Auseinandersetzungen begab. Zeitweise war er völlig besessen und gelangte regelmäßig an die Kármán-Linie des Wahnsinns, jene unscharfe Grenze zwischen Vision und Halluzination. In seinem Leben gab es zu wenig, was die Flammen ablenkte.
In dieser Hinsicht gehörte der Start zu einer typischen Woche, die von der Bereitschaft geprägt war, Risiken zu schultern, wie sie in reifen Branchen oder von reifen CEO s nur selten eingegangen werden.
Entschuldigen Kühnheit und Selbstvertrauen, die ihn zu Höchstleistungen anspornen, sein schlechtes Benehmen, seine Kaltschnäuzigkeit, seine Rücksichtslosigkeit? Die Zeiten, in denen er ein Arschloch ist? Die Antwort lautet: Nein, natürlich nicht. Man kann die guten Eigenschaften eines Menschen bewundern und die schlechten beklagen. Doch es ist auch wichtig, zu verstehen, wie die einzelnen Stränge miteinander verwoben sind, und das zuweilen aufs Engste. Die dunklen Partien zu entfernen, ohne das gesamte Gewebe zu beschädigen, kann sich als schwierig erweisen. Mit Schwächen behaftet sind, wie Shakespeare uns lehrt, alle Helden – manche tragisch, andere besiegt –, und diejenigen, die wir als Schurken abstempeln, sind mitunter vielschichtig. Selbst der Beste, schrieb Shakespeare, sei »geformt aus Schuld«.
In der Woche des Starts besprachen Antonio Gracias und einige andere Freunde mit Musk die Notwendigkeit, seine ungestümen und zerstörerischen Instinkte zu bändigen. Sollte er zum Anführer einer neuen Ära der Weltraumerkundung werden, so müsste er, wie sie ihm auseinandersetzten, erhabener agieren und in Sachen Politik über den Dingen stehen. Sie sprachen von der Zeit, in der Gracias dafür gesorgt hatte, dass Musk sein Handy über Nacht in den Hotelsafe legte, und Gracias den Code eingab, sodass Musk in den frühen Morgenstunden keinen Zugriff darauf hatte, um zu twittern. Musk erwachte gegen 3 Uhr morgens und rief die Sicherheitskräfte des Hotels zusammen, damit sie ihm den Safe öffneten. Nach dem Start zeigte Musk ein wenig Selbsterkenntnis und witzelte: »Ich habe mir so oft in den Fuß geschossen, ich sollte mir schusssichere Stiefel zulegen.« Vielleicht, so sann er nach, sollte es bei Twitter eine Schaltfläche für Verzögerungen zwecks Impulskontrolle geben.
Die Vorstellung hatte etwas für sich: Eine Schaltfläche für die Impulskontrolle, die seine Tweets sowie seine finsteren, impulsiven Aktionen und Ausbrüche im Dämon-Modus entschärfen könnte, die jede Menge Trümmer hinterließen. Aber würde ein gezügelter Musk genauso viel bewerkstelligen wie ein entfesselter? Besteht ein wesentliches Element dessen, was ihn ausmacht, nicht darin, ungefiltert und aller Bande ledig zu sein? Ließen sich Raketen in den Orbit schaffen oder der Wechsel zu Elektrofahrzeugen, ohne alle Aspekte seiner Persönlichkeit hinzunehmen, die Normalo-Anteile wie die ausgeklinkten? Manchmal sind große Innovatoren risikofreudige jungenhafte Männer, die sich gegen die Reinlichkeitserziehung sperren. Sie können rücksichtslos, peinlich und zuweilen sogar toxisch sein. Gelegentlich sind sie auch verrückt. Verrückt genug zu glauben, sie könnten die Welt verändern.
Mit Grimes und Maye nach dem Start