Das iPhone:
Drei revolutionäre Produkte in einem
Das Jahr 2005 brachte einen enormen Verkaufsanstieg beim iPod auf erstaunliche 20 Millionen, das Vierfache des Vorjahresabsatzes. Der iPod wurde für die Bilanz der Firma immer wichtiger und brachte in diesem Jahr 45 Prozent des Gesamtumsatzes; außerdem besserte er das »hippe« Image von Apple wieder auf und kurbelte so auch den Mac-Verkauf an.
Jobs machte sich wegen dieser Abhängigkeit Sorgen. »Er grübelte ständig darüber nach, was uns schaden könnte«, erinnerte sich Board-Mitglied Art Levinson. Schließlich erklärte Jobs dem Board: »Was uns die Butter vom Brot nehmen kann, ist das Handy.« Neue Telefone, die mit Kameras ausgestattet waren, dezimierten gerade den Digitalkameramarkt, und das Gleiche konnte auch dem iPod passieren, wenn Handys eines Tages auch Musik speichern und abspielen konnten. »Ein Handy hat jeder, und der iPod würde einfach überflüssig.«
Seine erste Strategie beinhaltete etwas, das, so hatte er Bill Gates gegenüber zugegeben, seine Firma nicht in der DNA hatte: eine Partnerschaft mit einem anderen Unternehmen. Er begann Gespräche zu führen mit seinem Freund Ed Zander, der 2003 CEO von Motorola geworden war, über ein Begleitmodell zu Motorolas beliebtem RAZR , einem Handy mit Digitalkamera. Das neue Gerät, der ROKR , würde zusätzlich einen eingebauten iPod haben.
Leider kam etwas dabei heraus, das weder den eleganten Minimalismus eines iPod noch die praktische Schlankheit eines RAZR aufwies. Der ROKR sah hässlich aus und konnte nur mickrige 100 Songs speichern – und selbst das war schwierig. Er war ganz offensichtlich das Produkt eines Komitees, also des Gegenteils von Jobs’ bevorzugter Arbeitsweise. Anstatt dass Hardware, Software und Content aus einer Hand geboten wurden, waren diese von Motorola, Apple und dem Mobilfunkbetreiber Cingular zusammengestückelt worden. »Das soll das Telefon der Zukunft sein?«, spottete die Zeitschrift Wired auf ihrem November-Titel.
Jobs war wütend. »Ich habe diese Idiotenfirmen wie Motorola wirklich satt«, erklärte er Tony Fadell und anderen bei einer iPod-Produktbesprechung. »Wir machen es jetzt selbst.« An den auf dem Markt befindlichen Handys war ihm etwas Seltsames aufgefallen: Sie waren alle sauschlecht wie früher die tragbaren Musik-Player. »Wir sprachen viel darüber, wie wir unsere Handys hassten«, erzählte er. »Sie waren viel zu kompliziert. Manche Funktionen waren unmöglich zu verstehen, inklusive des Adressverzeichnisses. Geradezu byzantinisch.« Der Anwalt George Riley erinnerte sich, wie er bei Meetings über Rechtsfragen referierte und Jobs, der sich schnell langweilte, Rileys Handy nahm und zu erklären begann, was daran alles »hirntot« sei. Jobs und sein Team waren bald richtig begeistert von der Aussicht, ein Handy zu entwickeln, das sie selbst gern benutzen würden. »Das ist die beste Motivation überhaupt«, sagte Jobs später.
Eine andere gute Motivation war der potenzielle Markt. Im Jahr 2005 wurden über 825 Millionen Handys verkauft; das Spektrum der Käufer reichte vom Grundschüler bis zur Großmutter. Die meisten waren Billigprodukte, es gab also durchaus eine Marktlücke für ein hochwertiges und hippes Gerät, ähnlich wie beim MP 3-Player. Zuerst unterstellte Jobs das Projekt der Gruppe, die die schnurlose AirPort-Basisstation entwickelte, weil das Handy ja ebenfalls ein schnurloses Produkt sein würde. Aber bald ging ihm auf, dass es sich eigentlich gleich dem iPod um ein Gerät der Unterhaltungselektronik handelte, also wurde es zu Fadell und seinem Team verlagert.
Die versuchten es zunächst mit einem modifizierten iPod. Das Click Wheel sollte nicht nur zum Scrollen durch das Menü der Telefonfunktionen dienen, sondern auch, anstelle einer Tastatur, zur Eingabe neuer Telefonnummern. Es klappte nicht besonders. »Mit dem Rad hatten wir eine Menge Probleme, besonders beim Wählen«, erinnerte sich Fadell. »Es war ziemlich umständlich.« Man konnte natürlich ganz gut damit durch ein Adressbuch scrollen, aber kaum etwas damit eingeben. Das Team versuchte sich zwar einzureden, dass die Nutzer hauptsächlich bereits gespeicherte Nummern aufrufen und selten neue eingeben würden, aber alle wussten, dass das Click Wheel einfach nicht ausreichen würde.
Nun lief damals bei Apple noch ein zweites Projekt: eine geheime Studie über die Machbarkeit eines Tablet-Computers. Im Jahr 2005 überschnitten sich dann beide Projekte, und die Ideen für das Tablet-Gerät flossen in die Entwicklung des iPhone ein. Mit anderen Worten: Streng genommen ist das iPad älter als das iPhone und half bei dessen Geburt mit.
Einer der Ingenieure, die bei Microsoft ebenfalls an einem Tablet-PC arbeiteten, war mit einer Freundin von Laurene und Steve verheiratet, und zu seinem 50. Geburtstag wünschte er sich ein Abendessen, zu dem neben Melinda und Bill Gates auch die Jobs’ kommen sollten. Jobs kam tatsächlich, wenn auch zögernd. »Steve war bei der Party sogar sehr nett zu mir«, erzählte Gates, aber »nicht besonders freundlich« zum Geburtstagskind.
Gates ärgerte sich allerdings darüber, dass der Ingenieur dauernd über den Tablet-PC sprach, den er für Microsoft entwickelt hatte. »Er ist schließlich unser Angestellter, und es war alles unser geistiges Eigentum«, so Gates. Auch Jobs war genervt, und das hatte genau die Folgen, die Gates fürchtete. Jobs erinnerte sich:
Dieser Typ quatschte mich voll, wie Microsoft mit diesem Tablet-PC die Welt verändern und das Notebook überflüssig machen würde und dass Apple seine Microsoft-Anwendungen in Lizenz nehmen solle. Aber er hatte das Gerät komplett falsch angefangen. Es hatte einen Griffel. Mit einem Griffel bist du tot. Bei diesem Abendessen fing er bestimmt zum zehnten Mal damit an, und ich hatte es so satt, dass ich zu Hause sagte: »Verdammt, wir zeigen dem jetzt mal, wie ein Tablet auszusehen hat.«
Am nächsten Tag versammelte Jobs sein Team im Büro und verkündete: »Ich will einen Tablet-Computer entwickeln, und er darf weder Griffel noch Tastatur haben.« Die Nutzer würden ihre Eingaben vielmehr auf einem Touchscreen, einem berührungsempfindlichen Bildschirm, machen. Der Bildschirm musste also über das sogenannte Multi-Touch verfügen, die Fähigkeit, mehrere Eingaben gleichzeitig zu verarbeiten. »Schafft ihr Jungs das, ein Multi-Touch-fähiges, berührungsempfindliches Display für mich zu entwickeln?«, fragte er. Sie brauchten etwa sechs Monate, aber dann hatten sie einen funktionsfähigen, wenn auch ziemlich primitiven Prototyp. Jobs gab ihn einem anderen Benutzeroberflächenentwickler, und der hatte einen Monat später das dynamische Scrollen hinzugefügt, bei dem sich die Symbole auf dem Schirm beim Verschieben so bewegen, als folgten sie dem physikalischen Gesetz der Massenträgheit. »Ich fiel fast vom Stuhl«, erzählte Jobs.
Jony Ive erinnerte sich anders an die Entwicklungsgeschichte von Multi-Touch. Er meinte, sein Entwicklerteam habe sich damals bereits mit einem entsprechenden Eingabemodus für die Trackpads des MacBookPro befasst und damit experimentiert, diese Technik auf einen Computerbildschirm zu übertragen. Sie projizierten das Bild auf eine Wand, um zu demonstrieren, wie es einmal aussehen würde. »Das hier verändert alles«, sagte Ive zu seinem Team. Allerdings zeigte er es vorerst nicht Jobs, vor allem weil seine Leute in ihrer Freizeit daran bastelten und er ihre Begeisterung nicht dämpfen wollte. »Weil Steve oft voreilig urteilt, zeige ich ihm normalerweise nichts, wenn jemand dabei war«, erzählte Ive. »Er bringt dann womöglich sein ›Das ist Mist‹, und die Idee ist gestorben. Ideen sind etwas sehr Empfindliches; man muss gut auf sie aufpassen, solange sie noch nicht reif sind. Wenn er diese wichtige Entwicklung vorzeitig ausgelöscht hätte, wäre es ein ziemlich trauriger Verlust gewesen.«
Ive arrangierte stattdessen eine Einzelvorführung für Jobs in seinem Konferenzzimmer, weil er wusste, dass Jobs ohne Publikum nicht so vorschnell urteilte. Zum Glück gefiel ihm die Idee ausnehmend. »Das ist die Zukunft!«, rief er.
Jobs ging auf, dass die Idee in der Tat so gut war, dass hierin die Lösung für die Benutzeroberfläche des geplanten Handys lag. Dieses Projekt war viel wichtiger als der Tablet, also wurde dessen Entwicklung eingefroren, und Jobs ließ die Multi-Touch-Oberfläche für ein Handy-Display adaptieren. »Wenn es auf einem Telefon klappte«, so Jobs, »würde es ganz sicher auch auf einem Tablet funktionieren.«
Bei einer Geheimbesprechung mit Fadell, Rubinstein und Schiller im Konferenzraum des Design-Studios hielt Ive in Jobs’ Anwesenheit eine Präsentation der Multi-Touch-Technologie ab. »Wow!«, sagte Fadell. Es gefiel allen, aber sie zweifelten daran, ob das Prinzip auf einem Handy wirklich laufen würde. Also wurden zwei parallele Projektentwicklungen betrieben: zum einen das Mobiltelefon auf iPod-Basis mit dem Click Wheel, Codename P1, zum anderen die neue Alternative mit dem Multi-Touch-Display, genannt P2.
Es gab bereits eine kleine Firma in Delaware namens FingerWorks, die Multi-Touch-Trackpads herstellte. John Elias und Wayne Westerman, zwei Akademiker der University of Delaware, hatten sie gegründet. FingerWorks hatte einige Tablets mit Multi-Touch-Fähigkeit entwickelt und verschiedene Patente zur Umwandlung von Fingergesten wie Kneifen und Wischen in Funktionen eingereicht. Anfang 2005 wurde FingerWorks in aller Stille von Apple aufgekauft, einschließlich aller Patente und der Dienste seiner beiden Gründer. Die Firma verkaufte ihre Produkte nicht mehr auf dem freien Markt und ließ alle folgenden Patente auf den Namen Apple ausstellen.
Nach sechsmonatiger Arbeit an P1 und P2 rief Jobs die Führungsriege erneut in seinem Konferenzraum zusammen, um eine Entscheidung zu treffen. Fadell hatte engagiert an der Click-Wheel-Technologie gearbeitet, gestand aber ein, dass es noch keine Lösung für das einfache Eingeben von Telefonnummern gab. Der Multi-Touch-Ansatz war natürlich riskanter, weil unklar war, ob er sich technisch umsetzen ließ, aber gleichzeitig auch wesentlich spannender und vielversprechender. »Wir wissen alle, dass es das ist, was wir wollen«, sagte Jobs und zeigte auf den Touchscreen. »Also sehen wir zu, dass wir es hinbekommen.« Es war einer der entscheidenden Momente, die er »Wetten gegen die Firma« nannte – hohes Risiko, aber hoher Gewinn bei Erfolg.
Einige Teammitglieder sprachen sich für eine zusätzliche Tastatur aus und beriefen sich dabei auf die Beliebtheit des BlackBerry, aber Jobs hielt dagegen. Eine feste Tastatur würde dem Bildschirm Platz wegnehmen und wäre auch nicht so anpassungsfähig wie eine auf den Touchscreen projizierte. »Die Hardware-Tastatur ist natürlich einfach zu machen, aber sie engt uns nur ein«, erklärte er. »Stellt euch doch vor, was wir alles mit der Tastatur machen können, wenn wir sie auf dem Display darstellen! lasst uns darauf setzen, und dann finden wir eine Methode, um es hinzubekommen.« Das Ergebnis war ein Bildschirm, der eine Zahlentastatur zeigt, wenn man eine Telefonnummer wählen möchte, eine Schreibmaschinentastatur, wenn man schreiben möchte, und die jeweils benötigten Buttons für andere Aktivitäten. Und alle verschwinden wieder, wenn man sich ein Video ansieht. Indem man die Hardware durch Software ersetzte, wurde die Benutzeroberfläche fließend und anpassungsfähig.
Jobs arbeitete sechs Monate lang täglich an der Verfeinerung der Anzeige. »Das war der komplizierteste Spaß, den ich je hatte«, erzählte er. »Es war, als wäre ich derjenige, der die Variationen von Sgt. Pepper schreibt.« Eine Menge Eigenschaften, die heute selbstverständlich wirken, kamen als Ergebnis kreativen Brainstormings zustande. Jobs hatte zum Beispiel eine angeborene Abneigung gegen Ein-Aus-Schalter, die er für »unelegant« hielt. Um zu verhindern, dass das Gerät aus Versehen Musik spielte oder eine Telefonnummer wählte, wenn es beim Tragen in der Tasche herumflog, entwickelte das Team die »Swipe-to-Open«-Funktion, den einfachen Schieber, der das Gerät aus dem Standby zurückholt. Ein anderer Durchbruch war der Sensor, der registriert, wenn man sich das Telefon ans Ohr hält, damit man durch den Druck der Ohrmuschel nicht versehentlich Funktionen auslöst. Und natürlich hatten die Icons die Grundform, die Jobs am besten gefiel: abgerundete Rechtecke, wie er sie Bill Atkinson schon für den ersten Macintosh hatte entwickeln lassen. So folgte Sitzung auf Sitzung, und Jobs vertiefte sich in jedes Detail. Das Team wurde immer besser darin, das zu vereinfachen, was andere Handys so kompliziert machte. So wurde etwa eine große leiste hinzugefügt, mit der man Gespräche in die Warteschleife legen oder Telefonkonferenzen schalten konnte, die Navigation durch die Mail-Funktionen gestrafft und Icons entwickelt, die man horizontal scrollen konnte, um von einer Anwendung zur nächsten zu gelangen – und alle diese Funktionen waren sehr viel leichter zu erreichen, weil man sie auf dem Display vor sich sah, anstatt sie auf einer Tastatur eintippen zu müssen.
Jobs hatte eine Leidenschaft für bestimmte Materialien ebenso wie für bestimmte Speisen. Als er 1997 zu Apple zurückkehrte und sich mit dem iMac zu befassen begann, hatte er sich für durchscheinenden farbigen Kunststoff begeistert. Die nächste Phase war Metall. Das PowerBook G3 aus kurvenreichem Plastik wurde vom PowerBook G4 in einem schlanken Titangehäuse abgelöst, das zwei Jahre später wiederum durch Aluminium ersetzt wurde; als sollten die Geräte die Vorliebe für verschiedene Metalle illustrieren. Dann folgten ein iMac und ein iPod nano aus galvanisiertem Aluminium. Jobs bekam zu hören, dieses Material ließe sich in der benötigten Menge nicht herstellen, also baute er eigens eine Fabrik in China dafür. Ive reiste während der SARS -Epidemie dorthin, um die Produktion zu beaufsichtigen. »Ich blieb drei Monate in meiner Gästeunterkunft, um daran zu arbeiten«, erinnerte er sich. »Ruby und andere hatten gesagt, es sei unmöglich, aber ich wollte es schaffen, weil Steve und ich fanden, dass galvanisiertes Aluminium eine besondere Art Integrität ausstrahlt.«
Darauf folgte Glas. »Nachdem wir das Metall durchhatten, nahm ich mir Jony vor und sagte ihm, jetzt müssten wir uns mit Glas befassen«, so Jobs. Für die Apple-läden hatten sie bereits große Schaufensterscheiben und gläserne Freitreppen entwickelt. Das iPhone sollte ursprünglich wie der iPod ein Kunststoffdisplay haben, aber Jobs fand, dass es besser – eleganter und substanzieller – wirken würde, wenn das Display aus Glas wäre. Also brauchte er eine bruch- und kratzfeste Glassorte.
Zuerst dachte Jobs an Asien, wo das Glas für die Apple Stores hergestellt wurde, aber sein Freund John Seeley Brown, der im Board von Corning im Bundesstaat New York saß, riet ihm, mit Wendell Weeks, dem jungen und dynamischen CEO dieser Firma, zu sprechen. Jobs rief die Telefonzentrale von Corning an, sagte seinen Namen und wollte mit Weeks verbunden werden. Er bekam einen Assistenten zu sprechen, der eine Nachricht an Weeks weitergeben wollte. »Nein, ich bin Steve Jobs«, beharrte er. »Stellen Sie mich durch.« Der Assistent lehnte ab, und Jobs rief Brown an und beschwerte sich über den »typischen Ostküstenscheiß«, den man ihm zugemutet habe. Als Weeks das zu Ohren bekam, rief er seinerseits die Telefonzentrale von Apple an und wollte mit Jobs verbunden werden. Man sagte ihm, er solle doch bitte ein Fax schicken. Jobs gefiel Weeks’ Reaktion, und er lud ihn nach Cupertino ein.
Jobs beschrieb ihm die Art Glas, die Apple für das iPhone benötigte. Weeks erzählte daraufhin, dass Corning bereits in den sechziger Jahren ein chemisches Verfahren entwickelt habe, mit dem sich sogenanntes »Gorilla-Glas« produzieren ließ, das unglaublich fest war. Leider gab es keinen Markt dafür, also wurde die Produktion wieder eingestellt. Jobs zweifelte daran, dass es für das iPhone stabil genug war, und begann Weeks zu erklären, wie Glas hergestellt wird. Weeks, der natürlich weit besser darüber Bescheid wusste als Jobs, war amüsiert. »Wenn du mal kurz die Klappe hältst«, warf er irgendwann ein, »bringe ich dir ein bisschen was über die Grundlagen bei.« Jobs war so überrumpelt, dass er tatsächlich schwieg, und Weeks erklärte an einer Tafel die Chemie des Herstellungsprozesses, den Ionenaustausch, der eine Kompressionsschicht auf der Oberfläche des Glases produzierte. Jobs ließ sich überzeugen, und er wollte so viel Gorilla-Glas abnehmen, wie Corning innerhalb von sechs Monaten beschaffen konnte. »Wir haben aber keine Kapazitäten«, wandte Weeks ein. »Wie gesagt, dieses Glas wird gar nicht mehr hergestellt.«
»Lass dich nicht abschrecken«, erwiderte Jobs. Das traf Weeks unerwartet. Er war zwar umgänglich und selbstsicher, aber nicht an Jobs’ Reality Distortion Field gewöhnt. Er versuchte zu erklären, dass man mit übertriebenem Selbstvertrauen keine ingenieurtechnischen Probleme lösen kann, aber Jobs zeigte einmal mehr, dass er diese Ansicht nicht teilte. Er starrte Weeks hypnotisch an. »Doch, ihr schafft das«, sagte er. »lass dich darauf ein. Du kannst es.«
Als Weeks diese Geschichte erzählte, schüttelte er immer noch erstaunt den Kopf. »Wir haben es sogar in weniger als sechs Monaten geschafft«, bemerkte er. »Wir haben ein Glas geliefert, das noch nie zuvor produziert worden war.« Das Corning-Werk in Harrisburg, Kentucky, wurde von der Herstellung von LCD -Displays praktisch über Nacht vollständig auf Gorilla-Glas umgestellt. »Wir haben unsere besten Wissenschaftler und Ingenieure darangesetzt und es tatsächlich hinbekommen.« In seinem großzügigen Büro hat Weeks nur ein einziges gerahmtes Erinnerungsstück. Es ist die Nachricht, die ihm Jobs an dem Tag geschickt hat, als das iPhone auf den Markt kam. »Ohne euch hätten wir es nicht geschafft.«
Weeks schloss Freundschaft mit Jony Ive, der ihn manchmal in seinem Ferienhaus an einem See im Bundesstaat New York besuchte. »Jony kann anhand verschiedener Glasstücke die Sorten erkennen, weil sie sich unterschiedlich anfühlen«, erzählte Weeks. »Das kann sonst nur der Leiter meiner Forschungsabteilung. Steve entscheidet auf der Stelle, ob er etwas mag oder nicht, aber Jony spielt damit herum, sieht es sich an, achtet auf die Feinheiten und Möglichkeiten, die darin stecken.« Im Jahr 2010 brachte Ive die Spitzenleute seines Teams mit zu Corning, damit sie dort unter Anleitung erfahrener Arbeiter selbst Glas herstellen konnten. In jenem Jahr arbeitete die Firma an einem noch stärkeren Glas mit dem Codenamen »Godzilla-Glas« und hoffte, eines Tages Glas- und Keramiksorten herstellen zu können, die so stabil waren, dass zukünftige iPhones ohne Metallfassung auskommen würden. »Jobs und Apple machen uns zu einem besseren Unternehmen«, so Weeks. »Wir setzen uns alle fanatisch für unsere Produkte ein.«
Bei vielen großen Projekten, etwa dem ersten Toy-Story-Film und den Apple Stores, drückte Jobs kurz vor Abschluss die »Pause«-Taste und leitete große Änderungen ein, so auch beim iPhone. Das anfängliche Design wies einen Glasbildschirm in einem Aluminiumgehäuse auf. An einem Montagmorgen kam Jobs zu Ive und sagte: »Ich konnte heute Nacht nicht schlafen, weil mir klar geworden ist, dass es mir einfach nicht gefällt.« Es sei das wichtigste Produkt seit dem Ur-Macintosh, und ihm gefiel einfach nicht, wie es wirkte. Ive erkannte zu seinem Entsetzen, dass Jobs recht hatte. »Ich weiß noch, wie peinlich es mir war, dass er mich erst darauf bringen musste.«
Das Problem war, dass beim iPhone eigentlich das Display im Zentrum stehen sollte, aber im bisherigen Design das Gehäuse mit dem Display konkurrierte. Das Ganze sah zu maskulin, aufgabenorientiert und effizient aus. »Jungs, ihr habt euch die letzten neun Monate an diesem Design totgearbeitet, aber jetzt müssen wir es ändern«, erklärte Jobs Ives Team. »Das bedeutet Nacht- und Wochenendarbeit für alle, und wenn ihr wollt, verteilen wir jetzt Pistolen, damit ihr uns erschießen könnt.« Anstatt sich zu sträuben, stimmten die Teammitglieder zu. »Es war einer meiner stolzesten Augenblicke bei Apple«, sagte Jobs.
Das neue Design hatte nur noch eine dünne Bodenplatte aus rostfreiem Stahl, sodass der Bildschirm bis unmittelbar an den Rand reichte. Das ganze Gerät ordnete sich dem Display unter. Der neue Look war karg, aber gleichzeitig freundlich. Man konnte damit herumspielen. Zwar mussten die Platinen, die Antenne und der Prozessor anders angeordnet werden, aber Jobs ließ die Änderungen durchführen. »Andere Firmen wären beim ursprünglichen Design geblieben und rechtzeitig fertig geworden«, meinte Fadell, »aber wir haben Reset gedrückt und noch einmal von vorn angefangen.«
Ein Aspekt des Designs, der nicht nur Jobs’ Perfektionismus, sondern auch seinen Kontrollzwang widerspiegelte, war, dass man das Gehäuse nicht öffnen konnte, nicht einmal, um den Akku auszutauschen. Wie schon beim Ur-Macintosh von 1984 wollte Jobs auch diesmal nicht, dass jemand sich am Innenleben des Gerätes zu schaffen machte. Als Apple 2011 herausfand, dass unabhängige Reparaturbetriebe das iPhone 4 doch öffneten, wurden die winzigen Schrauben durch Pentalobular-Schrauben ersetzt, die herkömmlichen Schraubenziehern keinen Ansatz boten. Der nicht austauschbare Akku machte das iPhone außerdem viel dünner, und dünner war für Jobs immer auch besser. »Er glaubt, dass schlank gleich schön ist«, sagte Tim Cook. »Das sehen Sie an allen seinen Designs. Wir haben das dünnste Notebook, das dünnste Smartphone, und das iPad haben wir sogar noch dünner gemacht.«
Als das iPhone in die Läden kam, gewährte Jobs wie üblich einer Zeitschrift ein spezielles Vorabinterview. Er rief John Huey, den Herausgeber von Time Inc., an und begann seine übliche Aufzählung von Superlativen: »Es ist das Beste, was wir je gemacht haben!« Er wollte Time ein Exklusivinterview geben, »aber bei Time gibt es ja niemanden, der schlau genug ist, den Artikel zu schreiben, also muss ich wohl woanders fragen.« Huey schlug ihm Lev Grossman vor, einen erfahrenen und geschliffenen Time-Journalisten. In seinem Artikel wies Grossman zu Recht darauf hin, dass das iPhone eigentlich nicht viele neue Fähigkeiten bringe, die vorhandenen aber viel besser nutzbar mache »Und das ist wichtig. Wenn unsere Werkzeuge nicht funktionieren, machen wir uns selbst Vorwürfe, zu dumm oder zu ungeschickt zu sein … Wenn unsere Werkzeuge kaputt sind, fühlen wir uns hilflos. Und wenn jemand ein Werkzeug repariert, fühlen wir uns gleich ein bisschen besser.«
Zur Vorstellung des iPhone auf der Macworld im Januar 2007 in San Francisco lud Jobs wieder Andy Hertzfeld, Bill Atkinson, Steve Wozniak und das Mac-Team von 1984 ein, wie er es schon bei der Präsentation des iMac getan hatte. Jobs hatte viele blendende Produktvorstellungen abgeliefert, aber diese war womöglich seine beste. »Hin und wieder stehen wir einem wirklich revolutionären Produkt gegenüber, das alles verändert«, begann er. Er nannte zwei Beispiele: den Ur-Macintosh, der »die ganze Computerindustrie verändert hat«, und den ersten iPod, der »die ganze Musikindustrie verändert hat«. Dann steigerte er kunstvoll die Erwartung auf das Produkt, das er diesmal vorstellte. »Heute stellen wir gleich drei revolutionäre Produkte dieser Größenordnung vor. Das erste ist ein Breitbild-iPod mit Touchscreen. Das zweite ist ein umwälzendes Handy. Und das dritte ist ein neues Internet-Kommunikationsgerät, das einen echten Durchbruch bedeutet.« Er wiederholte die Aufzählung mit Nachdruck und fragte: »Verstehen Sie, wie ich das meine? Das sind nicht drei separate Geräte, sondern nur ein einziges. Wir nennen es das iPhone.«
Als das iPhone fünf Monate später, Ende Juni 2007, in den Verkauf ging, schlenderten Jobs und seine Frau zum Apple Store in Palo Alto hinunter, um die Aufregung zu genießen. Weil er das oft tat, wenn ein neues Produkt in die Läden kam, erwarteten ihn bereits einige Fans, die ihn begeistert begrüßten, als sei er Moses, der sich eine Bibel kaufen wollte. Unter den Getreuen waren auch Hertzfeld und Atkinson. »Bill stand die ganze Nacht in der Schlange an«, sagte Hertzfeld. Jobs ruderte mit den Armen und fing an zu lachen. »Ich schenke ihm eins«, sagte er. Hertzfeld erwiderte: »Er braucht aber sechs Stück.«
Die Blogger-Szene taufte das iPhone sofort »Jesus Phone«; Apples Konkurrenten wiesen jedoch darauf hin, dass der Preis von 500 Dollar einen Erfolg verhindern müsse. »Es ist das teuerste Telefon der Welt«, meinte Steve Ballmer von Microsoft in einem Interview mit CNBC . »Und die Geschäftskunden werden es ablehnen, weil es keine Tastatur hat.« Aber wieder einmal unterschätzte Microsoft eines von Jobs’ Produkten. Ende 2010 hatte Apple bereits 90 Millionen Stück verkauft und sich über die Hälfte der globalen Profite auf dem Handymarkt gesichert.
»Steve kann Wünsche antizipieren«, sagte Alan Kay, der Computerpionier bei Xerox, der 40 Jahre zuvor von einem Tablet-Computer namens Dynabook geträumt hatte. Kay war gut in der Bewertung von Zukunftschancen, und Jobs fragte ihn, was er vom iPhone hielt. »Gib ihm einen 5 × 8-Zoll-Bildschirm, und du eroberst die Welt damit«, erwiderte Kay. Er wusste nicht, dass das iPhone von einem Design ausgegangen war – und eines Tages wieder zu ihm zurückkommen würde –, das Kays Dynabook-Vision sogar noch übertraf.