D as Feuer prasselte, die Flammen schickten glühende Lichtpunkte in die mondhelle Nacht. Die riesigen Schatten der Mädchen und Jungen zuckten im Feuerschein die Felswände empor. Durch den Vollmond war es nicht völlig dunkel, und weit oben konnte man den Teufelsspalt erahnen.
»Findet ihr nicht auch, dass der Spalt im Mondlicht so einladend funkelt, als würde uns da unten tatsächlich der Teufel erwarten?« Felicitas richtete sich jäh schwankend auf und blickte umher. »Hört ihr das auch? Da ist doch noch jemand.«
»Das bildest du dir bloß ein.« Manuela kicherte und zog an ihrer Zigarette.
»Das ist keine Halluzination.« Felicitas tat sich schwer, die Worte verständlich auszusprechen. Die Pillen, die sie bei dem Arzt entwendet hatte, versetzten sie zwar in eine euphorische Stimmung, verlangsamten aber ihr Denken. Es war die Kombination mit Wodka-Cola, das hatte eine fatale Wirkung. Jeder Handgriff geschah in Zeitlupe, und sie fragte sich, ob es den anderen auch so erging. Wieder hörte sie das Geräusch. Es klang wie kleine Steine, die zwischen den Felsen nach unten kollerten.
»Addi, kommst du mit? Ich muss nachsehen, ob da jemand ist.« Felicitas streckte die Hand aus, um Adrian aufzuhelfen, der mit verdrehten Augen auf einem Schlafsack lag.
»Okay, lass uns mal auf eine Expeditionsreise gehen«, meinte der mit schwerer Zunge. Er stützte sich auf Felicitas, um nicht umzukippen. »Aber dazu brauche ich eine Waffe.« Suchend blickte er umher, sah dann einen Ast auf dem Boden liegen.
»Joe, gibst du mir den Stock?«
»Aber klar doch, mein Süßer.« Johannes stand auf und spitzte die Lippen. »Aber nur für einen Kuss.«
»Du spinnst doch.« Adrian drehte sich zur Seite.
»War nur ein Scherz.« Johannes lachte schallend und streckte Adrian den Ast entgegen. »Macht aber keinen Unsinn, ihr zwei!«, rief er den beiden hinterher. Dann plumpste er wieder auf einen Schlafsack und legte seinen Kopf in Manuelas Schoß. »Ich verdurste. Gib mir schnell was zu trinken, Manu.«
Eng umschlungen tasteten sich Felicitas und Adrian an den Felsen entlang. Felicitas liebte den Geruch von Adrians Aftershave und den Druck seiner Hand auf ihrer Schulter. Ihre vom Feuer rot umrandeten Schatten ragten hoch auf und strichen über die Felsen. Felicitas hob ihren Arm, und ihre schattenhaften Fingerspitzen berührten den bläulich verfärbten Himmel.
Sie wollte gerade Adrian auffordern, das Gleiche zu tun, als sie wieder das Geräusch hörte. Diesmal klang es wie Schritte, die über das Geröll eilten.
»Addi, da ist jemand!«
»Stimmt, jetzt höre ich auch was. Da klettert jemand bei den Felsen zum Spalt hoch.« Er löste sich aus ihrer Umarmung und packte den Ast fester. »Bleib hinter mir«, flüsterte er. Der Mond strahlte kalt auf Steine und Geröll, und auf Felicitas wirkte es, als wäre heller Tag. Adrian schlängelte sich vor ihr gebückt zwischen den Felsen hindurch. Mit dem Ast klopfte er wahllos auf Steine, trommelte einen immer wilderen Rhythmus. Wie ein Echo pflanzte der Lärm sich in Felicitas’ Kopf fort, und sie presste die Handflächen auf ihre Ohren.
»Addi, lass das bleiben!«
Schlagartig stoppte das Trommeln, doch mit einem Mal hatte sie Adrian aus den Augen verloren. Suchend drehte sie sich um die eigene Achse.
»Wo bist du?« Als sie keine Antwort erhielt, wollte sie umkehren, doch ihr Denken war so verlangsamt, dass sie stattdessen weiterging. Eine jäh aufragende Felswand stoppte Felicitas, und da sah sie auch Adrian wieder, der auf einem Felsvorsprung balancierte. Mit hocherhobenem Stock stand er vor einem Tier, das geduckt ein Stück höher verharrte und ihn mit gelben Augen anstarrte.
»O mein Gott!« Felicitas blieb wie angewurzelt stehen. Sie erkannte geschwungene Hörner auf dem Schädel und einen langen Bart am Kinn.
»Fuck, hier gibts Bergziegen«, hörte sie Adrians Stimme, der bedenklich vor- und zurückschwankte. »Das ist ein Ziegenbock. Sehen wir zu, dass wir so schnell wie möglich wieder zum Feuer zurückkommen, ehe er wütend wird.«
»Ein Ziegenbock?« Grundlos musste Felicitas lachen. »Und ich dachte erst, der Teufel wäre aus dem Spalt gestiegen, um uns zu holen.«
»Sei still, sonst verstörst du ihn.«
Doch Felicitas konnte nicht mehr aufhören zu lachen, so absurd erschien ihr die ganze Situation. Auge in Auge mit einem Ziegenbock, das war ein echtes Abenteuer.
Aufgeschreckt durch den Lärm hob der Ziegenbock den Schädel und blickte in Felicitas’ Richtung. Für einen kurzen Moment hatte es den Eindruck, als würde er sich mit gesenktem Schädel auf Adrian stürzen, doch dann drehte er um und sprang leichtfüßig die Felswand nach oben.
»Komm, lass uns sofort umkehren.« Obwohl er betrunken war, sprang Adrian geschickt von dem Felsvorsprung und stand mit einem Mal neben Felicitas. »Vielleicht gibt es trächtige Bergziegen, dann bewacht sie der Bock und ist extrem gefährlich.«
»Du hättest mich doch verteidigt, mein Held.« Felicitas strich mit der Hand über Adrians wilde Locken.
»Aber sicher doch.«
Ihre Blicke trafen sich, verschränkten sich ineinander, und für einen kurzen Moment schien die Zeit stillzustehen. Adrian beugte sich zu ihr, und ihre Lippen berührten sich. Zuerst zaghaft, dann immer heftiger, bis beide in einen tiefen Kuss versanken. Doch plötzlich zuckte Adrian zurück. »Wir sind Freunde. Das andere zerstört alles.« Er ließ Felicitas’ Arm los und rannte zurück zum Feuer.
»Warum geht das andere nicht!«, rief ihm Felicitas hinterher, doch Adrian hörte sie nicht. »Scheiße«, murmelte sie und wankte weiter. Sie verdrängte die Gedanken an ihn. Diesen Abend würde sie sich nicht von Liebeskummer verderben lassen.
»Hallo, ihr wart ja lange weg.« Manuela erhob sich und umarmte Felicitas. »Ich habe mir schon Sorgen um dich gemacht.«
»Wir haben einen wilden Ziegenbock vertrieben.« Atemlos erzählte Felicitas von dem Abenteuer. »Wenn er mich aufgespießt hätte, dann wäre gar keine Gelegenheit mehr für meine Überraschung.« Sie langte in die Tasche ihrer Jacke.
»Was hast du da?« Im Feuerschein wirkte das feine Gesicht von Manuela wie ein altertümliches Gemälde.
»Ich habe ein Geschenk für dich, Manu.« Felicitas ließ ein rotes Band vor ihrem Gesicht hin und her baumeln.
»Oh, wie cool ist das denn! So lieb von dir, Feli. Ein Freundschaftsarmband.«
»Und wir kriegen keins?« Johannes und Adrian tauchten hinter Manuela auf und bewunderten das rote Band.
»Woher hast du das, Feli?«, fragte Adrian.
»Ich habe es selbst geknüpft. Das blaue Band dazwischen ist wie eine Lebenslinie und läuft direkt zu ihrem Namen: MANU. Das Band wird sie immer an unsere Freundschaft erinnern.« Felicitas nahm es und legte es um das zarte Handgelenk ihrer Freundin. Sie verknotete die Enden und drückte ihre Lippen auf den Knoten. »Jetzt ist es versiegelt.«
»Du bist so süß und meine beste Freundin. Ich werde dieses Band tragen, bis ich sterbe.«