KAPITEL SIEBEN­UND­VIERZIG

B ienen schwirrten aufgeregt durch die lang gestreckte Holzhalle, kreisten in dicken Trauben um unsere Köpfe, prallten hektisch gegen die Wände. Adrian stand mit dem Rücken zum Eingang und war mit dem Reinigen eines hölzernen Kastens beschäftigt.

»Tut mir leid, dass ich den Honig heute früh nicht liefern konnte. Aber eine meiner Bienenköniginnen ist gestorben. Ich musste schnell reagieren und den Bienenstock reinigen. Denn die Arbeiterinnen müssen Weiselzellen nachschaffen. In drei Tagen kann die Larve einer Arbeiterin in eine Königinnenlarve umgewandelt werden. Dann hat das Volk wieder eine Königin. Wenn ich das nicht schaffe, sterben diese Bienen.«

»Adrian, ich muss mit dir reden«, unterbrach ich seine Ausführungen.

»Oh, Felicitas, du bist es. Ich dachte, es wäre der Sepp vom Laden, dem ich die Honiglieferung versprochen habe. Wieso bist du heute Morgen so schnell verschwunden?«, fragte er und wandte sich zu mir. »Wie siehst du denn aus? Ist was passiert? Hauptsache, du bist da.« Ein Strahlen zog über sein Gesicht, verschwand aber sofort wieder, als er Grafinger entdeckte, der hinter mir stand.

»Du hast den Inspektor mitgebracht. Es handelt sich also um was Ernstes.«

»Ich bin nicht mehr bei der Polizei, das weißt du doch«, korrigierte ihn Grafinger.

»Aber du schnüffelst noch immer in der alten Geschichte herum. Das ist zwanzig Jahre her«, brauste Adrian auf.

»Adrian, bitte«, beschwichtigte ich ihn, »können wir das drüben im Haus besprechen.«

»Na gut, wenn ihr meint.« Er warf seine Handschuhe auf den Holztisch. »Gehen wir.« Er verharrte dicht vor mir und strich sich eine Locke aus der Stirn. »Ich dachte, die gestrige Nacht hätte dir etwas bedeutet.«

»Hat sie«, flüsterte ich und wendete mich schnell ab. »Doch einige Dinge haben sich anders entwickelt.«

»Darf ich vielleicht erfahren, worum es geht? Und warum du Grafinger mitbringst?«

»Das können wir in deiner Stube in aller Ruhe besprechen«, meinte Grafinger mit einem beruhigenden Unterton in der Stimme.

Der Wohnraum sah noch genauso aus wie letzte Nacht, doch die Atmosphäre hatte sich für mich verändert. Jetzt empfand ich sein Zuhause als nüchtern und kalt. Mein Porträt an der Wand gefiel mir nicht mehr, am liebsten hätte ich es abgehängt.

»Setzen wir uns doch.« Grafinger ließ sich auf das Sofa fallen und verschränkte die Hände vor seinem Bauch.

»Danke, ich stehe lieber.«

Aus den Augenwinkeln erkannte ich, dass Adrians Kiefermuskeln nervös zuckten. Auf mich wirkte er wie ein Vulkan, der kurz vor dem Ausbruch stand. So hatte ich ihn noch nie erlebt. Was war er in Wirklichkeit für ein Mensch? Ich zog das Foto aus der Tasche meiner Jeans und zeigte es ihm.

»Ach, hast du eine bessere Aufnahme gefunden.« Adrian griff danach und betrachtete es eingehend. »Das könnte Ragnis sein. Wie alt ist sie auf dem Bild? Acht oder neun Jahre? Woher hast du das?«

»Aus deinem Regal mit den Schallplatten!«

»Machst du Witze?« Adrian verzog überrascht das Gesicht. »Was soll das alles. Wollt ihr mich verarschen?«

»Bitte! Können wir sachlich darüber reden?« Ich ging zu seinem Plattenregal und kniete mich vor die LPs.

»Was machst du da?«

»Warte ab.« Ich blätterte die Hüllen durch, bis ich die richtige Platte gefunden hatte. Millennium Songs . Ich zog die LP heraus und schwenkte sie in der Hand. »Da hast du die Fotos versteckt. Songs des Jahrtausends, wie treffend.« Ich zog den Umschlag aus der Hülle und reichte ihn Adrian.

»Für Manu«, las er die Worte auf dem Umschlag und öffnete ihn. Blätterte durch die Fotos. Dann blickte er uns ratlos an. »Ach, das sind die alten Fotos, ich habe doch nicht alle weggeworfen. Das habe ich gestern vergessen zu erwähnen.«

»Ist das deine Handschrift auf dem Umschlag?«, fragte Grafinger Adrian.

»Ja, das habe ich geschrieben. Aber das muss in einem anderen Zusammenhang gewesen sein. Damals, als Manu noch gelebt hat.« Adrian fuhr sich durch die Haare und blickte verzweifelt zu mir.

»Warum hast du gelogen?« Ich wollte mir Klarheit verschaffen. Insgeheim wünschte ich, dass er damit nichts zu tun hatte, aber alles sprach gegen ihn. Ich durfte mich nicht von meinen Gefühlen leiten lassen.

»Reg dich nicht so auf wegen dieser dummen Fotos.« Adrian deutete mit dem Finger auf Grafinger. »Frag doch den da, was er mit seinen Verdächtigungen bezweckt.«

»Mich interessieren nur Fakten«, gab Grafinger trocken zurück.

»Blödsinn!« Adrian streckte Grafinger seine umgedrehten Hände entgegen, so als könnte er mit dieser Geste seine Unschuld beweisen. »Du steckst doch die ganze Zeit schon mit Dora zusammen. Was plant ihr denn? Wollt ihr mir etwas anhängen, nur weil ich gegen Doras Wellness-Projekt bin?

»Stimmt das?«, fragte ich Grafinger. »Sprichst du mit Dora über das Projekt und auch über mich?«

»Natürlich habe ich mit der Bürgermeisterin zu tun. Sie will mich in beratender Funktion für das Projekt hinzuziehen. Ich habe gesagt, dass ich mir das überlege. Dabei muss ich taktisch vorgehen. Es geht um die alten Akten. Ich möchte sie gerne einsehen, und dafür brauche ich ihr Einverständnis, mich im Archiv umzusehen.«

»Davon hast du gar nichts erwähnt.« Ich war wie vor den Kopf gestoßen und fühlte mich mit einem Mal so, als würde ich in ein schwarzes Loch fallen. Konnte ich Grafinger jetzt auch nicht mehr trauen? War er von Dora auf mich angesetzt, um zu verhindern, dass ich mit meinen Fragen ihr Projekt gefährdete?

»Bisher war auch keine Zeit dafür. Ich hätte es sicher noch getan. Das ist bloße Taktik, um uns auseinanderzudividieren«, rechtfertigte sich Grafinger und drehte sich wieder zu Adrian. »Die Fotos allein machen dich nicht verdächtig. Die Tatsache, dass du Felicitas belogen hast, aber sehr wohl.«