26. Kapitel

Aila

Einer der Reiter löst sich aus dem Pulk und lässt sein Pferd gemächlich auf uns zu trotten. Bevor das Licht der Flammen sein Gesicht ausleuchtet, dreht er sich zu den Kirottu um und winkt einen weiteren berittenen Soldaten herbei. Vor dem Mann sitzt eine zusammengesunkene, zierliche Gestalt.

»Lahja!«, ruft Lord Jenne entsetzt und stolpert mit vor Schreck verzerrter Miene aus dem Pulk an Soldaten heraus.

Scharf sauge ich den Atem ein. Die Prinzessin!

»Sie schläft nur«, sagt der vordere Kirottu, der vom Rücken seines Pferdes gleitet und in dessen Schatten verschwindet. Seine lederne Uniform, die ihn als Ritter der schwarzen Armee auszeichnet, beschleunigt meinen Puls. Langsam tritt er um das Tier herum, bis er wieder im Schein der Flammen auftaucht. »Wo ist Kronprinz Jari? Ist ihm seine Schwester nicht wichtig genug, um selbst zu kommen?« Mit einem spöttischen Grinsen überblickt er die Menge an Soldaten. Sein Gesicht lässt mir das Blut in den Adern gefrieren. Lord Pyry! Wie ein Echo hallt seine Stimme in meinem Kopf.

Ich bin wie erstarrt und wage es nicht einmal zu blinzeln, aus Angst, die Bilder jener verhängnisvollen Nacht würden wieder lebendig werden. Ebenso wie das finstere Grinsen der drei Kirottu, die an Rakkains Seite waren, als er meine Familie ausgelöscht hat.

»Der Kronprinz hat seine besten Männer geschickt«, entgegnet Tuure mit fester Stimme und geht auf den schwarzen Ritter zu. Wachsam mustert er ihn. Dabei zeichnet sich der Hass auf die Kirottu in seiner Mimik ab. »So einen armseligen Wurm wie dich verspeise ich zum Frühstück!« Langsam mahlt er mit dem Unterkiefer.

Auf die Provokation reagiert Lord Pyry mit einem müden Grinsen. Er kreuzt die Hände über der Sattelkammer und beugt sich entspannt nach vorne, als wollte er sich bloß locker unterhalten. »Dann verliert Euer Prinz diese Nacht nicht nur seine Schwester, sondern auch seine besten Krieger. Wie erfreulich«, höhnt er. Gehässig lacht er, legt den Kopf schief und mustert Tuure aufreizend langsam. »Das macht es meinem König leichter, den letzten Nachfahren der Blutlinie von Valokirkas auszulöschen.«

»Der Einzige, der diese Nacht stirbt, bist du!«, blafft Tuure ihn an und baut sich drohend auf. Sein Gesicht ist rot vor Zorn, während er auf den Ritter zu stürmen will. »Du Bastard einer …« Er kommt nicht dazu, seine Beschimpfung auszusprechen, denn Lord Arne packt ihn am Ellbogen und zerrt ihn zurück. Eindringlich redet sein Freund auf ihn ein.

Aus dem Augenwinkel nehme ich wahr, dass Otso neben mich tritt. »Soll ich dich von hier fortbringen?«, fragt er und greift mich am Unterarm, als ich nicht reagiere. »Aila?«

Steif schüttle ich den Kopf. »Dafür ist es zu spät«, entgegne ich. Er weiß selbst, dass wir nicht mehr von hier wegkommen, ohne uns durch den Trupp der Kirottu zu kämpfen. Was wir nicht überleben würden. Außerdem bin ich nicht mitgekommen, um mich jetzt zu verstecken, nur weil dort vorne ein Teil meiner Vergangenheit steht.

Während sich Tuure beruhigt, überblicke ich aufmerksam die feindlichen Soldaten. Ich entdecke keinen weiteren Ritter. Der Trupp untersteht also Lord Pyry, weshalb ich erleichtert ausatme.

»Genug der Plauderei«, sagt der schwarze Ritter und richtet sich im Sattel auf. Das Schmunzeln auf seinen Lippen erstirbt, ehe er einen Arm hebt und sich zu seinen Männern umdreht. Dann lässt er ihn hinabschnellen. Fast gleichzeitig galoppieren seine Soldaten ihre Pferde an und stürmen an ihm vorbei. In halsbrecherischem Tempo halten sie auf uns zu.

Die Panik jagt wie eine Druckwelle durch meinen Körper. Ich wappne mich gegen den Angriff, doch Otso greift meine Hand und zieht mich auf die brennenden Trümmer zu. Das Donnern der Pferdehufe verfolgt uns. Es wird immer lauter. Deutlich spüre ich unter den Füßen das Beben der Erde. Bevor wir bei den Karren ankommen, holt uns ein berittener Kirottu ein. Otso wirbelt herum und wehrt den Hieb des Verfluchten im letzten Augenblick ab.

Meine Finger rutschen aus seinem Griff. Ich stolpere zurück und packe mein Schwert, während ich mir einen Überblick verschaffe. Mein Kopf ist wie leergefegt. Einzig das Rauschen des Blutes untermalt die Geräusche, die wie ein tosender Sturm an Lautstärke zunehmen. Jedes Klirren und Schleifen von Eisen lässt mich zusammenzucken. Unweigerlich fühle ich mich in die Schlacht von Vuohi zurückversetzt, als wir mitten in der Nacht von einer Vorhut der schwarzen Armee angegriffen wurden.

Mein Blick streift Lord Arne, der sich gegen zwei Männer wehrt, um zu mir zu gelangen. Plötzlich stürzt sich ein Kirottu auf mich. Routiniert entgehe ich dem Angriff mit einem Ausfallschritt, wirble zu ihm herum und hole mit dem Schwert aus. Die Klinge zieht sich schwer durch sein Fleisch. Er schreit auf, krümmt sich und presst den Arm auf den Bauch. Blut rinnt an seinem Körper hinab, während er wenige Schritte von mir fort torkelt und dann zusammenbricht.

Innerlich um Ruhe bemüht atme ich tief durch. Es ist mein Vorteil, dass mich viele unterschätzen. Das Rauschen meines Blutes wird leiser. Ich muss einen klaren Kopf bewahren, um nicht von der nächstbesten Klinge durchbohrt zu werden. Leevi hat mich gelehrt, mich nicht auf andere zu verlassen. Mein Leben liegt einzig in meiner Hand.

Suchend blicke ich mich um. Otso spaltet seinem Gegner gerade den Schädel, Tuure entdecke ich nicht und Lord Pyry steht nicht mehr neben seinem Pferd. Dann sehe ich den Reiter mit der bewusstlosen Prinzessin vor sich auf dem Sattel. Etwas abseits der Kämpfe beobachtet er das Geschehen. Ob ich zu ihm gelange, ohne mein Leben zu verlieren? Zwar sind die Kirottu in der Überzahl, aber Jaris Soldaten schlagen sich wacker. Während ich noch überlege, wie ich der Prinzessin helfen könnte, regt sie sich. Kurz darauf kippt der Reiter hinter ihr vom Pferd und schlägt auf dem Boden auf. Er rührt sich nicht mehr. Im Licht der Flammen sehe ich eine Dolchklinge in der Hand der Prinzessin aufblitzen. Flink lässt sie sich aus dem Sattel gleiten und zieht ein Schwert aus der Satteltasche. Dann tritt sie auf die kämpfende Meute zu. Überrascht stelle ich fest, dass sie kein Kleid, sondern Hosen und ein Hemd trägt. Furchtlos stürzt sie sich ins Getümmel und stellt sich einem der Kirottu entgegen. Mir bleibt keine Zeit, um sie weiter zu beobachten, denn der nächste Verfluchte greift an. Bevor ich mich wehren kann, prescht Tuure wie aus dem Nichts herbei und stößt dem Mann seine Klinge zwischen die Rippen, sodass dieser mit einem Aufschrei zusammenbricht.

Atemlos wendet sich der Ritter mir zu. Bei seinem Anblick zucke ich zusammen. Sein Gesicht und die Kleidung sind blutverschmiert, doch es scheint nicht seines zu sein. »Setz deine Magie erst ein, wenn es nicht mehr anders geht«, sagt er und sieht sich flüchtig um. »Wir dürfen nicht riskieren, dass einer der Kirottu flieht und seinem König Bericht erstattet.«

Verstehend nicke ich. Mit dem Schwert weiß ich wenigstens umzugehen, mit der Magie noch nicht.

Schlagartig verzerrt sich Tuures Gesicht, er zieht die Mundwinkel verächtlich nach unten und blickt auf eine Stelle hinter mir. Während er mich beiseiteschiebt und sich schützend vor mich stellt, sehe ich mich um und erhasche einen kurzen Blick auf die Uniform des schwarzen Ritters. Fluchend versuche ich mich hinter Tuures breiter Gestalt zu verbergen.

»Euer Prinz versteckt sich wie ein Feigling!«, sagt Lord Pyry und spuckt ihm vor die Füße.

Tuure streckt den Rücken durch. »Euer Geschwafel interessiert mich nicht«, entgegnet er schneidend. Er streckt einen Arm nach hinten aus und deutet mir mit einer Geste an, fortzulaufen.

Ohne zu zögern, drehe ich mich um, doch da steuert ein Kirottu auf uns zu. Verdammt! Langsam weiche ich zurück und stoße mit dem Rücken gegen Tuures, ehe er mit einem tiefen Grummeln auf Lord Pyry zu prescht. Ich zwinge mich dazu, nicht zu den beiden zu schauen und halte das Schwert abwehrend vor mich, während ich dem Mann entgegensehe, der mit einem hämischen Grinsen näherkommt. Übermütig schwingt er seine Waffe hin und her. Plötzlich stößt jemand von hinten gegen meinen Rücken und fällt mir zwischen die Beine. Aus dem Gleichgewicht gebracht stolpere ich nach vorne, fange mich im letzten Augenblick und wirble herum. Tuure rappelt sich mühsam vom Boden auf, bis er auf alle viere kommt. Blut quillt aus einer Wunde an seiner Schläfe. Gefährlich schwankt er, bevor er die Augen zusammenpresst und laut stöhnt. Pyry muss ihn hart am Kopf erwischt haben.

Verdammt. Lord Pyry! Wie vom Blitz getroffen schnellt mein Blick zu ihm.

Der schwarze Ritter wirkt mitten in der Bewegung erstarrt und stiert mich mit aufgerissenen Augen an. »Verflucht, was hast du hier zu suchen?« Er betrachtet mich wie eine zum Leben erwachte Tote. Schnell fasst er sich jedoch wieder und prescht auf mich zu.

Erschrocken weiche ich zurück und bereite mich darauf vor, seinen Schlag abzuwehren. Doch er greift nicht mich an, sondern fegt an mir vorbei und stößt dem Kirottu, der sich mit gezogener Waffe auf mich stürzen wollte, die Klinge in den Hals.

Ich zucke zusammen und beobachte fassungslos den Mann, der mit gurgelnden Lauten vor meinen Füßen landet. Mein Verstand begreift zu langsam. Im nächsten Augenblick schlägt mir der schwarze Ritter das Schwert aus der Hand. Scharf ziehe ich die Luft ein, als meine Finger von dem Schlag schmerzhaft pochen. Während ich mich nach der Waffe bücke, stellt er sich mit einem Fuß auf die Klinge. Kurz erstarre ich, bevor ich mich steif aufrichte und in zwei tiefschwarze Iriden blicke, die von dunklen Linien eingerahmt sind.

»Pyry«, sage ich gepresst und verenge die Augen.

»Was tust du hier?«, wiederholt er zischend seine Frage, bevor er sich umsieht. »Du könntest sterben!« Grob packt er mich am Handgelenk und zerrt mich mit sich.

»Seit wann interessiert dich meine Unversehrtheit?«, will ich provokativ wissen und zerre an seinem Griff, komme jedoch nicht gegen seine Stärke an.

Wie aus dem Nichts stellt sich uns Lord Arne in den Weg und zwingt den schwarzen Ritter dazu, stehen zu bleiben. Ohne mich loszulassen, nimmt der Kirottu eine Abwehrhaltung ein.

»Lasst sie los!«, fordert Lord Arne und droht ihm mit dem Schwert.

»Niemals«, raunt er und greift den Ritter an.

Ruckartig werde ich mitgezogen und stolpere durch die unvorhergesehenen Bewegungen. Ich schreie, als Lord Arne den Angriff des Kirottus abwehrt und seine Schwertklinge mich dabei nur knapp verfehlt. Erschrocken reißt der kahlköpfige Ritter die Augen auf und weicht fluchend zurück.

Lord Pyry zieht mich vor sich wie einen verdammten, lebendigen Schutzschild. »Ihr wollt doch nicht, dass sie verletzt wird«, raunt er und presst mich an sich.

In mir begehrt alles auf. In seinem Griff zapple ich und versuche ihm gegen die Kniescheibe zu treten, woraufhin er den Arm so fest um meinen Oberkörper schlingt, dass er mir fast die Rippen bricht. Starr vor Schmerz halte ich inne, da stößt er mich kraftvoll von sich. Strauchelnd stolpere ich auf Lord Arne zu. In dem Augenblick, in dem er mich auffängt, prescht mir der schwarze Ritter hinterher und stößt ihm seine von dunklem Nebel umschlungene Klinge in den Hals. Während ich mich vor Schreck versteife, rempelt der Kirottu gegen meinen Rücken, packt mich an der Taille und zieht mich von Lord Arne weg. Schnell sehe ich auf und starre in das verzerrte Gesicht des kahlköpfigen Ritters. Es quillt so viel Blut aus seiner Kehle! Ein Wimmern entweicht mir, als er in die Knie sackt und nach vorne kippt.

Nein. Nein! Er regt sich nicht mehr! Schluchzer steigen meine Kehle empor und jagen mir Tränen in die Augen. In Lord Pyrys Griff wehre ich mich so heftig, dass ich mich drehen und ihm ins Gesicht sehen kann. »Du bist ein Monster!«

»Das sind wir alle«, entgegnet er ungerührt, packt mein Handgelenk und zieht mich erneut unerbittlich mit sich. Fort von den Kämpfenden und Lord Arne, der sterben musste, weil er mich schützen wollte. Wie eine Schlange windet sich die Trauer durch mein Inneres.

Mein Blick huscht zurück, bis ich Tuure entdecke, der uns mit vor Schmerz verzerrter Miene hinterher sieht. Wacklig kommt er auf die Beine und schwankt wie ein Betrunkener.

»Lass mich los!«, fauche ich und versuche erneut, mich zu befreien. Egal, wie sehr ich die Arme zurückziehe und an seinem Griff zerre, es beeindruckt den schwarzen Ritter nicht.

Am Rande der Kämpfe bleibt er endlich stehen, dreht sich zu mir um und packt auch mein zweites Handgelenk. Er drückt so fest zu, dass ich protestierend aufstöhne. Eindringlich sieht er mir in die Augen, nachdem er sich zu mir gebeugt hat. »Ich werde dich jetzt auf eines der Pferde setzen und wehe, du versuchst zu fliehen!«

Panik flammt heiß in mir auf und lässt die Magie aufbegehren, die sich daraufhin prickelnd in meinem Inneren ausdehnt und bis in die Fingerspitzen ausstrahlt. Über meine Haut wandert Wärme, als würden Sonnenstrahlen darüberstreichen. Das Licht muss die Dunkelheit spüren, die Lord Pyrys Seele erfüllt. Mein Blick gleitet hinab, ich hefte ihn auf die Hände des Ritters, mit denen er meine Handgelenke umschlingt. Vielleicht reicht schon unsere Berührung aus, um die Magie in seine Seele zu entsenden. Diesmal muss ich es jedoch unauffälliger angehen, um nicht die Aufmerksamkeit des gesamten feindlichen Trupps auf mich zu ziehen.

Pyry stutzt auf einmal und sieht auf meine Arme hinab. Wie vom Blitz getroffen zuckt er zusammen, bevor er den Atem tief einsaugt und die schwarzen Augen aufreißt.

Was hat das zu bedeuten? Mein Licht hat seine Seele noch gar nicht geflutet!

Krampfend sinkt der Ritter auf die Knie, seine Finger gleiten von meinen Handgelenken. Hinter ihm ragt die Gestalt einer Frau auf. Fassungslos starre ich die Prinzessin an. Sie greift nach unten und zieht mit einem Ruck ihren Dolch aus dem Fleisch des schwarzen Ritters.

Stöhnend überstreckt er den Rücken, ehe er ungläubig zu mir aufsieht. Sein Körper bebt, leises Rasseln und Röcheln begleiten die Atemzüge.

Ich gehe in die Hocke und lege ihm eine Hand über die Stelle seines schwach schlagenden Herzens. Tief sehe ich ihm in die dunklen Augen und lasse dabei Licht in seine Seele fließen. Unter meiner Handfläche leuchtet es, als hätte ich dort Sonnenstrahlen eingefangen. Die Ornamente auf seiner Haut verlieren ihre Kontur und das Schwarz in den Iriden flackert, bis es verblasst. Im Gegensatz zu dem Soldaten aus dem Dorf bäumt sich die Dunkelheit in Lord Pyry nicht auf. Weil das Leben ihres Wirts fast erloschen ist.

»Das Licht …«, haucht er. Kurz blinzelt er überrascht, dann lächelt er mit bebenden Lippen. »Es ist keine Legende.« Seine Mimik entspannt sich, die Härte und Kälte des Fluchs sind daraus gewichen.

»Ist es nicht«, entgegne ich leise.

»Dann besteht noch Hoffnung für unsere Seelen«, sagt er und schließt die Augen. Tränen rinnen seine Wangen hinab. Ein letzter gepresster Atemzug, dann hört sein Herz auf zu schlagen und er sackt in sich zusammen.

Für einen Augenblick fühle ich mich leer und ausgelaugt. Zu sehen, wie rasch sich das Wesen eines Kirottus ändert und all der Hass und die Gier verschwinden, bringt mich aus dem Gleichgewicht. Ich habe gelernt, die Kirottu zu fürchten. Sie zu verachten. Aber im Grunde sind sie nur Marionetten, deren Wille gebrochen ist. Sie sind kaum mehr als Hüllen, die durch den Fluch missbraucht werden.

Als ich aufblicke, sehe ich in das Gesicht der Prinzessin. Aufmerksam beobachtet sie, wie ich mich steif erhebe. Bevor sie überhaupt den Mund aufmachen kann, um etwas zu sagen, zucke ich zusammen. »Tuure!«, rufe ich aus und sehe zu den Kämpfenden. »Er ist verletzt.« Ohne auf eine Reaktion der Prinzessin zu warten, schnappe ich mir Pyrys Schwert und renne los. Mein Blick huscht hin und her, während ich an kämpfenden Männern vorbeieile und versuche, jedem Schwerthieb zu entgehen. Dann entdecke ich Tuure endlich. Schwankend und mit halbherzigen Bewegungen wehrt er sich gegen einen Kirottu, der erbarmungslos mit dem Schwert auf ihn eindrischt. So schnell mich die Beine tragen, renne ich zu ihm und greife seinen Gegner an. Im letzten Augenblick wendet sich dieser mir zu, sodass meine Schwertklinge gegen seine prallt. Der dunkle Nebel, der um die verfluchte Waffe wabert, breitet sich aus und kriecht über meine Arme. Seine Kälte klirrt auf der Haut. Sofort verkrampfe ich mich in Erinnerung an den Schmerz, als sich der Nebel am vorigen Tag in meine Brust gebohrt hat. Das darf ich nicht noch einmal zulassen! Mit zusammengebissenen Zähnen weiche ich zurück und dränge Tuure hinter mich.

»Verschwinde, Pieni!«, bringt er heraus.

»Vergesst es!« Über die Schulter werfe ich ihm flüchtig einen Blick zu. »Ich lasse Euch nicht im Stich.«

Zornig schnauft er, dann presche ich vor und greife den Kirottu erneut an. Gekonnt reagiert er auf meine Bewegungen und fängt jeden Angriff ab. Schnell werden meine Arme jedoch schwer, jeder Atemzug sticht zwischen den Rippen.

Mit einem höhnischen Grinsen weicht der Kirottu zurück. Schweißperlen glänzen im Licht der Flammen auf seiner Stirn. Die schwarzen Linien auf der Haut pulsieren, als pumpte der Fluch neue Kraft durch seinen Körper. Verdammt! Lange kann ich ihm nicht mehr standhalten.

»Pieni«, zischt Tuure und zerrt an meinem Kleid.

Ich sehe mich um und entdecke zwei weitere Kirottu, die uns umzingeln. Mein Puls schnellt in die Höhe. »Otso!«, rufe ich in dem Versuch, den Lärm zu übertönen. Panik wallt siedend heiß auf und jagt ein Zittern durch den Körper. Tuure ist kaum mehr in der Lage zu kämpfen und ich komme allein nicht gegen drei Kirottu an.

Einer von Jaris Soldaten eilt uns zu Hilfe. Bevor er uns erreicht, wirft sich ein Verfluchter auf ihn und verwickelt ihn in eine Rangelei. Die drei Kirottu ziehen den Kreis um uns immer enger.

In meinem Rücken verkrampfen sich die Muskeln vor Anspannung.

»Wie wäre es mit etwas Licht?«, fragt Tuure mit dünner Stimme. Um nicht zusammenzubrechen, lehnt er sich mit dem Rücken gegen mich.

Meine Gabe ist tatsächlich das Einzige, das uns noch aus dieser Lage retten kann. Doch wie stelle ich das an? Bisher habe ich Magie nur eingesetzt, wenn ich den Kirottu nah war. Wie in aller Welt soll ich zeitgleich den Fluch von dreien durchbrechen? Vor allem, wenn ich sie nicht in meine Nähe lassen kann, ohne dabei mein Leben zu verlieren? Die Gedanken überschlagen sich in meinem Kopf.

Die Hand krampft, als ich die Finger verzweifelt um den Schwertgriff klammere. Wie setze ich meine Magie bloß richtig ein? Unruhe pocht in mir. Dieses Sterben muss endlich ein Ende finden! Tief vergraben unter dem Fluch hoffen diese Männer auf Rettung – so wie alle anderen Menschen auch. Ich will nicht ihr Untergang sein, sondern ihre Erlösung.

Bei der Vorstellung strömt Wärme pulsierend durch meinen Körper. Sie erfüllt mich bis zum Haaransatz und fließt durch den Arm hinab zur Hand. Erst blass, dann immer heller leuchten die Finger. Das Licht geht auf mein Schwert über und breitet sich wie ein Sonnenstrahl auf der Klinge bis hin zur Spitze aus. Gleißend hell erstrahlt der Stahl, bis es wirkt, als hielte ich einen gestaltgewordenen Lichtstrahl in der Hand.

Fassungslos starre ich das Schwert an. Der Lärm flaut ab, die eingekehrte Stille irritiert mich. Ich blicke auf und sehe in erstaunte Gesichter. Die Kirottu haben innegehalten und die Waffen sinken lassen. Gebannt schauen sie in das Licht, das in meiner Hand erstrahlt. Hinter mir sinkt Tuure auf die Knie. Schnell drehe ich mich zu ihm um, um mich zu vergewissern, dass er nicht das Bewusstsein verloren hat.

Mühsam hebt er den Kopf, Tränen schimmern in seinen Augen. »Es ist wunderschön«, haucht er. Ein Lächeln huscht über sein Gesicht.

Zuversicht breitet sich in mir aus und lässt das Zittern meiner Muskeln enden. Instinktiv hebe ich das Schwert, sodass sein Licht die Nacht durchdringt. Funken lösen sich von dem Leuchten und schwirren erst um die Waffe und dann meinen Arm hinab. Wie funkelnder Staub setzen sie sich auf meine Kleidung und bringen sie zum Strahlen. Tief atme ich durch, nachdem ich begreife, was zu tun ist. Mit beiden Händen packe ich den Griff und ramme die Klinge mit der Spitze voraus in den Erdboden. Als bärste etwas kraftvoll von innen heraus, breitet sich das Licht aus. Die Druckwelle zerrt an mir, lässt meinen Rock flattern und peitscht mir das Haar um den Kopf. Innerhalb weniger Atemzüge taucht uns die Magie in gleißende Helligkeit. Geblendet presse ich die Augen zu. Es ist so still, dass ich den Eindruck habe, alleine in dem Leuchten zu sein.

Nach und nach verblasst das Licht wieder. Wie verirrte Glühwürmchen tanzen vereinzelt Lichtpunkte in der zurückkehrenden Finsternis der Nacht, bis auch sie verschwinden. Nur das Leuchten der Flammen, die sich unerbittlich in das Holz der Karren fressen, ist geblieben. Ich blinzle, bis die Umgebung wieder Schärfe annimmt. Ungläubig lasse ich den Blick über die Männer schweifen, die allesamt auf die Knie gesunken sind und mich mit ehrfürchtiger Miene ansehen. Die schwarzen Linien auf der Haut der Kirottu sind verschwunden, ihre Waffen sind nicht mehr von dunklem Nebel umhüllt. Ist ihr Fluch gebrochen? Mit zitternder Hand fasse ich mir an die Brust, um das trommelnde Herz zu beruhigen. Mein Schwert hat geleuchtet. Das war meine Magie! Euphorie rauscht durch mein Inneres und belebt mich. Endlich verstehe ich, wie ich das Licht einsetzen kann!

Freudig sehe ich mich um. Meine Aufmerksamkeit wird von einer Gestalt gebannt, die sich durch die Knienden schlängelt und auf mich zu kommt: Prinzessin Lahja von Valokirkas.

»Ihr seid Valoa«, haucht sie. Ungläubig schüttelt sie den Kopf. Dann ergreift sie meine Hand und ihre Lippen formen ein Lächeln. Tränen schimmern in ihren Augen. »Euch haben die Götter geschickt«, wispert sie.

Mir stockt der Atem, als ich sie das erste Mal eingehend betrachte. Einzelne braune Locken haben sich aus ihrem geflochtenen Zopf gelöst und kringeln sich um das hübsche Gesicht. Die gutmütigen, dunkelbraunen Augen und das Lächeln, das dem Sonnenschein an einem trüben Tag gleicht, sind mir so vertraut. Zart flattert es in meinem Magen, während sich ihr Antlitz vor meinem inneren Auge in Jaris wandelt. Sehnsucht flammt auf und lässt den Wunsch nach seiner Nähe unbändig werden. Nach seinem Duft und dem Klang seiner Stimme. Nach seiner Wärme und den vorsichtigen, sanften Berührungen.

Resignierend senke ich den Kopf. Egal, wie sehr ich mich bemühe, es ist zu spät, um mich und mein Herz zu schützen. Jari hat es geschafft, mich wieder von Liebe und Glück träumen zu lassen. Von Frieden. Und das ohne Einmischung des Schicksals oder der Götter. Der Gedanke macht mir auf einmal keine Angst mehr. Die Gefühle zu akzeptieren, lässt mich freier atmen und löst die Ketten, die um mein Herz geschlungen waren.

Ich sehe auf und erwidere das Lächeln der Prinzessin. Mit gesenktem Haupt geht sie vor mir auf die Knie und lehnt die Stirn gegen meinen Handrücken. Ihre Geste ist mir unangenehm, weshalb ich in die Hocke gehe.

»Tut das nicht, Hoheit«, bitte ich.

Mit gerunzelter Stirn sieht sie mich an. »Euer Licht ist das eines Gottes. Es hat dieses Königreich erschaffen und meine Familie zu Herrschern auserkoren. Ich will Euch meine Ehre erweisen.«

»Es war das Licht, das in meiner Seele erwacht ist. Nicht ich.«

Zart lächelt sie. »Ihr seid einer Legende entstiegen.«

»Einer Legende, von der ich bis vor wenigen Tagen nichts wusste«, murmle ich und verziehe mürrisch die Lippen.

Ihr Blick steckt voller Mitleid, während sie meinen Handrücken tätschelt. »Wir wachsen mit unseren Aufgaben, nicht wahr?« Ein Leuchten liegt in ihren Augen, das mich nicht an ihren Worten zweifeln lässt.

Hinter mir stöhnt Tuure gequält. Besorgt wende ich mich ihm zu und krieche auf allen vieren zu ihm, um vorsichtig seinen Kopf abzutasten. »Habt Ihr Schmerzen?«

Gereizt grummelt er. »Mein Schädel ist ein einziger Schmerz.«

»Dein Schädel ist dick genug, um das zu überstehen«, ertönt Otsos Stimme.

Nachdem ich zu dem blonden Ritter aufsehe, entspanne ich mich. Zwar durchtränkt Blut den linken Ärmel und Schrammen ziehen sich über sein rußverschmiertes Gesicht, doch er scheint nur leichte Verletzungen davongetragen zu haben. Kurzerhand packt er seinen Bruder und zieht ihn hoch. Protestierend stöhnt Tuure, stützt sich jedoch dankbar auf ihm ab.

»Otso. Tuure …«, haucht die Prinzessin. Gemeinsam mit mir steht sie auf und betrachtet die beiden Ritter mit liebevoller Mimik.

»Wie schön, dich wohlauf zu sehen, Lahja«, entgegnet Otso und senkt das Haupt vor ihr.

»Jari?«, fragt sie bloß.

»Wartet im Lager auf deine Ankunft.« Otso sieht sich um, dann verzieht er traurig das Gesicht.

Die Prinzessin folgt seinem Blick und schreit entsetzt. Der erschütternde Klang zieht mir das Herz zusammen. Ich sehe ihr nach, wie sie losstürmt und auf zwei Soldaten zuhält, die einen leblosen Körper tragen.

»Jenne«, schluchzt sie und streicht dem Ritter in einer liebevollen Geste über die Wange. Als die Männer den Toten ablegen, sinkt sie zu Boden und vergräbt das Gesicht in seiner Uniform. Es treibt mir Tränen in die Augen, wie verzweifelt sie die Arme um seinen Nacken schlingt und um ihn weint. Das ist keine Trauer um eine Leibwache. Das ist viel mehr …

Der Verlust der Prinzessin trifft mich. Es tut schrecklich weh, jemanden zu verlieren, den man liebt. Aus Anstand vor der Trauernden drehe ich mich fort und sehe dafür in die traurigen Mienen der beiden Brüder.

»Jenne wird nicht das letzte Opfer des Fluchs sein«, sagt Tuure und wendet mir das Gesicht zu. Er ist blass. Bestimmt dröhnt es in seinem Kopf. Dennoch ist sein Blick durchdringend, als er mir in die Augen sieht.

»Arne … Er ist …« Vor Kummer presse ich die Lippen aufeinander, ich kann es nicht aussprechen. Es quält mich, dass er meinetwegen gestorben ist.

»Ich weiß«, entgegnet er leise und legt mir den Arm um die Schultern, um mich tröstend an sich zu drücken. Er schwankt und seine Muskeln zucken, weshalb ich zu ihm aufsehe. Seine Mimik wirkt verbissen, Schweißperlen glänzen auf der Stirn. Er muss am Ende seiner Kräfte sein. Vorsichtig drücke ich eine Hand auf seine Brust und lasse Licht in ihn fließen, in der Hoffnung, dass es die Schmerzen lindert. Allmählich entspannt sich seine Mimik und das Zittern ebbt ab. Magie ist nicht nur mächtig, sondern auch heilsam, wie es scheint.

Tuure zieht sich langsam von mir zurück, weshalb ich zu Otso sehe, der mich beobachtet. Die Trauer hat sich auch in sein Gesicht gegraben. Die beiden Brüder haben heute einen guten Freund verloren. Ich finde keine Worte, die ihren Verlust erträglicher machen könnten.

Traurig senke ich den Blick und versuche, die Tränen zurückzudrängen, die meine Fassung ins Wanken bringen. Lord Arne hat sein Leben ebenso für mich gegeben wie meine Eltern und Leevi. Seine selbstlose Tat werde ich auf ewig in Ehren halten.

»Was habt ihr mit den erlösten Kirottu vor?«, frage ich nach einer Weile, in der jeder in seine Gedanken vertieft gewesen ist.

»Das ist eine gute Frage«, entgegnet Otso und lässt den Blick über die Männer der schwarzen Armee schweifen. Sie haben ihre Waffen abgelegt und hocken auf dem Boden. Viele starren ins Leere, als hingen sie grausamen Erinnerungen nach. Tuures Männer lassen sie dennoch nicht aus den Augen.

»Ihr werdet sie doch nicht töten, so wie die Kirottu im Dorf?«, hake ich nach. Sofort beginnt mein Herz wieder zu trommeln. Als Tuure bedrückt das Gesicht verzieht, baue ich mich vor ihm auf und zerre am Hemd seiner Uniform. »Das kommt nicht infrage!«, begehre ich auf und weise auf die ganzen Männer. »Sie sind nicht mehr verflucht. Wenn ihr sie jetzt hinrichtet, seid ihr nicht besser als die schwarze Armee!« Entschlossen bohre ich meinen Blick in ihn.

Bevor er etwas erwidern kann, kommt einer der tummavarjorischen Soldaten auf uns zu und verbeugt sich tief vor uns.

»Ihr habt den Fluch gebrochen, mit dem uns der König belegt hat. Wir stehen auf ewig in eurer Schuld«, sagt der Mann und mustert mich. Sein aufmerksamer Blick wird mir schon unangenehm, da schüttelt er kaum merklich den Kopf und sieht zu Otso. »Wir waren nicht wir selbst. Dennoch ist es unentschuldbar, was wir getan haben. Tummavarjo ist verwüstet, unsere Familien sind tot. Wir …« Sein Kinn bebt und Schluchzer mischen sich unter die Worte, weshalb er abbricht. Tränen schimmern in seinen grünen Augen. Er presst sich die zitternde Hand auf die Brust und ringt sichtlich um Fassung. Trauer verzerrt sein Gesicht, dann strafft er die Schultern und fasst sich wieder. »Lasst uns für Kronprinz Jari und Valokirkas kämpfen! Um zumindest etwas Wiedergutmachung zu leisten.« Seine Mimik ist zwar verbissen, aber entschlossen. Obwohl ihn Erinnerungen heimsuchen müssen, nimmt er Haltung an und weicht Otsos Musterung nicht aus.

»Ihr schwört Jari von Valokirkas die Treue?«, fragt der blonde Ritter.

Nachdem der Mann nickt, wendet sich Tuure an mich. »Du sagst, sie seien nicht mehr verflucht. Spürst du denn, ob die Dunkelheit vollends aus ihren Seelen gewichen ist? Wir dürfen die Sicherheit unserer Leute nicht riskieren«, spricht er leise. »Jari verlässt sich auf uns.« Eindringlich sieht er mich an. Trotz meines Aufbegehrens würde er die Tummavarjorer hinrichten lassen, wenn nur der Hauch eines Zweifels bestünde, dass sie keine Gefahr für uns und die Lagerbewohner darstellen. Nichts geht ihm über den Schutz seiner Landsleute.

Es wäre fatal, wenn wir den Fluch ins Lager einschleppen, da gebe ich ihm recht. Prüfend sehe ich den Mann vor uns an. Jegliche sichtbare Anzeichen sind verschwunden. Ich spüre die Dunkelheit nicht mehr, die sonst in der Nähe von Kirottu an meinem Bewusstsein zerrt und wie eiskalte Klauen nach mir greift. Nichts als Licht umschmeichelt mich und die Menschen um uns herum. Stumm nicke ich Tuure daher zu, er versteht sofort.

»Dann sei es so«, sagt er, bevor er sich abwendet und gestützt von seinem Bruder davon geht.

Die Erleichterung über sein Nachgeben löst meine angespannten Muskeln.

»Werdet Ihr Tummavarjo wieder Frieden schenken?«, fragt der Mann und sieht mich hoffnungsvoll an. Er ringt die Hände vor der Brust. Die Dunkelheit und seine Taten müssen ihn gebeutelt und gebrochen haben.

»Es liegt an dem Kronprinzen, den Frieden zurückzubringen. Nicht an mir«, antworte ich und sehe in die Flammen, die an den eingefallenen Trümmern der Holzkarren lecken. Bin ich stark genug, um den Fluch Tausender Männer zu brechen? Selbst wenn nicht, muss ich Jari und seine Schwester mit meiner Magie schützen. Damit sie als letzte Nachfahren der Blutlinie des Reiches des Lichts dem Grauen ein Ende bereiten.