30. Kapitel

Aila

Jedes von Meris Worten löst unzählige Stiche aus, die mich wie Dolchklingen durchbohren. »Es führt wohl kein Weg daran vorbei«, wispere ich und schlucke den bitteren Geschmack hinunter, der sich auf meiner Zunge ausgebreitet hat. »Und was musst du mir über den Kronprinzen sagen?«

»Dazu muss ich etwas ausholen.« Entschuldigend verzieht sie das Gesicht. »Wir haben es nicht mit einem schlichten Fluch zu tun. Er hat sich mit der uralten Dunkelheit einer Göttin verbunden und kann daher nicht gebrochen werden, solange die Zauberin lebt, die ihn ausgesprochen hat. Außerdem schützt er seinen Wirt und verleiht ihm Macht.«

»Was bedeutet das?«, hakt Katriina nach und runzelt besorgt die Brauen.

»Dass der schwarze König unbesiegbar ist, solange die Zauberin lebt, die ihn verflucht hat.« Äußerlich wirkt sie gelassen, doch die bebenden Schultern beweisen, dass es in ihr brodelt.

Eine Schlinge zieht sich um meine Brust und erschwert mir das Atmen, als ich die Bedeutung der Worte begreife.

»Es ist Kronprinz Jari also nicht möglich, den schwarzen König zu töten?« Mit großen Augen starrt Katriina sie an.

»Er rennt in den sicheren Tod, wenn er es versucht«, hauche ich. Mir wird übel.

»Du musst den Kronprinzen warnen!«, redet Katriina eindringlich auf Meri ein. Unruhig rutscht sie auf dem Boden herum.

»Er weiß es längst«, entgegnet sie leise. Betrübt senkt sie das Haupt.

»Aber …« Zittrig atme ich ein. Ein Kloß im Hals erschwert mir das Schlucken und verschlägt mir die Sprache.

Meri hebt beschwichtigend die Hand. Zuversicht kehrt in ihre Mimik zurück, während sie uns ansieht. »Es erscheint ausweglos, ich weiß. Doch es gibt einen Weg, wie der Kronprinz siegen kann. Und da kommen wir ins Spiel.«

»Wir?«, haucht Katriina.

Meri nickt. »Magie fließt durch unsere Adern. Wir sind die Einzigen, die die Zauberin aufspüren können. Ich denke, dass sie sich in König Konstantins Nähe aufhält.«

»Sie ist noch bei ihm?« Ich bekomme die Worte kaum heraus.

»Mir sind viele Gerüchte zu Ohren gekommen. Diese Frau scheint besessen von ihm zu sein. Sie hat ihn sicher nicht verflucht, um ihn dann gehen zu lassen«, sagt Meri.

»Sollen wir sie etwa töten?«, fragt Katriina schrill, ehe sie zischend den Atem ausstößt. »Wir sind keine Krieger!« Ihr Blick streift mich. »Bis auf Aila.«

»Ich verlange viel von euch und es wirkt wie ein unbezwingbares Unterfangen. Leider kenne ich keinen anderen Weg, um den schwarzen König zu besiegen. Er wird nur verwundbar, wenn die Zauberin stirbt.«

»Sagtest du nicht, nur ich könne seinen Fluch durchbrechen?«, wende ich zögerlich ein. »Selbst wenn er nicht mehr unverwundbar ist, wütet die Dunkelheit einer Göttin in ihm und verleiht ihm unbändige Stärke.« Angespannt grabe ich die Fingernägel in die Handballen, doch der Schmerz lässt das Rumoren in meinem Innern nicht enden. »Muss ich …?« Die Worte kommen mir nicht über die Lippen.

»Ihn töten, wenn Jari es nicht schafft.«

»Der schwarze König soll der grausamste Mann weit und breit sein!«, begehrt Katriina auf und schüttelt den Kopf. »Weißt du, was du da von Aila verlangst?«

Während Meris Worte in meinem Kopf widerhallen, fühle ich mich wie betäubt. »Ich soll ihn umbringen?«, wispere ich und sehe sie mit großen Augen an. Die Situation raubt mir die Kraft. Meine Muskeln zittern und ich schwanke, während ich fürchte, gleich das Bewusstsein zu verlieren. Ich stemme die Hände auf die Oberschenkel und atme tief durch, bis der Schwindel nachlässt.

»Wir wachsen in diesem Krieg alle über uns hinaus, Aila. Du bist Valoa. Das Licht wird dich leiten und dir beistehen, wenn du der Dunkelheit entgegentrittst«, redet sie mit überzeugter Mimik auf mich ein.

Wie mechanisch schüttle ich den Kopf. »Ich kann das nicht«, hauche ich tonlos, bis ich von Meri zu Katriina schaue. »Es muss einen anderen Weg geben!«

Tränen schimmern in ihren blauen Augen, voller Kummer und Sorge betrachtet sie mich.

»Glaub mir, es gibt keinen anderen«, sagt Meri. »Ohne uns – ohne dich – wird Kronprinz Jari nicht siegen und der Frieden nicht zurückkehren.« Wie selbstverständlich packt sie mich an den Schultern und zieht mich an sich. »Verzeih mir, Aila, aber du bist unsere letzte Hoffnung, sollte Jari es nicht vollbringen, den schwarzen König zu töten«, spricht sie an meinem Ohr.

Ihr betörender Duft nach Wildkräutern benebelt meine Sinne und legt sich mildernd über die Unruhe, die wie ein Sturm in mir tobt. Die Wärme ihres Körpers strahlt auf mich ab und kämpft gegen die Kälte, die sich klirrend in mir ausgebreitet hat. Angestrengt atme ich durch, um die Fassung zurückzuerlangen.

»Gut so«, flüstert sie, als ich zur Ruhe komme. Sachte richtet sie mich wieder auf. »Wir stehen das zusammen durch.« Sie wendet sich Katriina zu, deren Haut auffallend blass ist. »Wir finden die Zauberin und lassen sie für unsere Verluste büßen. Für deine Mutter, Katriina.« Sie sieht wieder zu mir. »Für deine Familie.«

Katriina ballt die Fäuste, ihre Mimik wird entschlossen und die Farbe kehrt in ihr Gesicht zurück. »Du hast recht, Meri. Die Soldaten und der Kronprinz gefährden ihr Leben in diesem Krieg. Für den Frieden. Für uns! Ich bin zwar keine Kriegerin, wenn ich mit meiner Magie allerdings zum Sieg über die Dunkelheit beitragen kann, dann riskiere ich es.« Sie ergreift meine Hand und schenkt mir ein tapferes Lächeln. »Wir sind gemeinsam vor den Kirottu weggelaufen. Jetzt stellen wir uns ihnen Seite an Seite, Aila.« Ihr Mut beeindruckt mich.

»Wir finden also die Zauberin und ebnen dem Kronprinzen den Weg«, entgegne ich zögerlich und nicke. Dabei verdränge ich für einen Augenblick, was von mir verlangt wird und welches Schicksal auf meinen Schultern lastet.

Meri ergreift meine freie Hand und schließt mit Katriina den Kreis. »Magie gegen Magie. Licht gegen Dunkelheit«, raunt sie. »Mögen die Götter uns beistehen.«

Ein kalter Schauder breitet sich wie eine wachsende Eisblume im Nacken aus und richtet die Härchen auf. Es ist also nicht nur meine Bestimmung, die Blutlinie der Herrscherfamilie von Valokirkas zu schützen, sondern auch, die Dunkelheit zu zerstören. Indem ich den letzten Nachkommen der Königsfamilie von Tummavarjo töte. Allein der Gedanke daran stürzt mich in ein Loch ohne Boden. Nur die Hoffnung auf Licht im Leben, auf eine Zukunft mit Jari und meinen neuen Freunden ist die rettende Hand, die mich vor einem endlosen Fall bewahrt.