32. Kapitel

Aila

Dunkle, unheilverkündende Wolken hängen am Himmel. Ein kühler Wind fegt über die Ebene und trägt den Duft von Gras und Erde mit sich. Darunter hat sich ein Geruch gemischt, der mich an den Tod denken lässt. Er ist muffig und schwer, als würde er aus einem tiefen Grab hervordringen. Der Gestank von brennendem Pech schwingt darin mit. Die schwarze Armee ist nicht mehr weit.

Schon seit dem Morgengrauen sind wir unterwegs, auf dem Weg in die Schlacht, die unsere Zukunft entscheiden wird. Und die aller Reiche. Ich lasse den Blick über Jaris Männer und die des Königs von Aurinko schweifen. Sie haben sich zu einer gewaltigen Armee aus Fußsoldaten und berittenen Kriegern zusammengefunden. Das Geräusch der gleichmäßigen Schritte vereint sich mit dem Geklapper der Waffen und verschafft mir eine Gänsehaut.

Ich sehe auf Tuulas geschecktes Fell und ihre wippende Mähne hinab. Der Gedanke, gemeinsam mit Jari auf Aatami zu reiten, war verführerisch. Doch meine rumorende und unbezwingbare Unruhe hätte sich auf den Rappen übertragen und ihn nervös gemacht. Die geduldige Stute hält das Brodeln in mir besser aus.

Jari greift nach meiner Hand, nachdem er Aatami so nah an Tuula gelotst hat, dass sich unsere Schenkel berühren. Die Stute legt zwar die Ohren an, lässt die Nähe des Wallachs jedoch zu.

»Es wäre mir lieber, du wärst bei den anderen Frauen im Lager geblieben«, sagt er und reibt mit dem Daumen über meinen Handrücken. »Es gefällt mir nicht, dich dieser Gefahr auszusetzen.«

Er verdrängt wieder einmal, dass er mich und das Licht braucht. Dabei muss er endlich akzeptieren, dass ich mich ebenso dem Fluch stelle wie er und seine Schwester. Wie jeder Mann in der Armee von Valokirkas und jede Frau, die sich am heutigen Tag dazu entschlossen hat zu kämpfen, anstatt fortzulaufen. »Das Licht schützt mich, Jari«, entgegne ich und versuche, ihn mit einem Lächeln zu beruhigen. »Das tut es schon, seitdem ich von zu Hause geflohen bin.« Es muss so sein. Wie hätte ich sonst die Reise durch zwei Königreiche überlebt, in denen verfluchte Soldaten wüten?

»Du hast dich selbst geschützt«, sagt er. Anerkennung zeichnet sich in seiner Mimik ab, als er mein Lächeln erwidert. »Weil du stark und mutig bist.« Der zärtliche und sehnsüchtige Klang seiner Stimme löst wohlige Schauer aus, die wellengleich durch mein Inneres wandern.

Mir sind die Blicke bewusst, die auf uns liegen – auf dem Kronprinzen, dem die Soldaten bis in den Tod folgen, und auf mir, der gestaltgewordenen Legende. Obwohl wir beobachtet werden, weiche ich nicht zurück, als sich Jari zu mir beugt und mich küsst.

»Wir werden zurückkehren. Gemeinsam«, sagt er an meinen Lippen, ehe er zurückweicht.

»Ein schöner Gedanke«, entgegne ich. Die Art und Weise, wie er mich betrachtet, bannt mich. So liebevoll, sehnsüchtig und gleichzeitig respektvoll. Trotz der Anspannung, die mich in ihren Fängen hält, flattert es in meiner Brust angenehm. Dieser Mann schenkt mir Ruhe inmitten eines tosenden Sturms.

»Jari?«, ruft Prinzessin Lahja und winkt ihren Bruder zu sich.

Er haucht mir einen Kuss auf den Handrücken und trabt Aatami an, um zu seiner Schwester zu reiten. Ich folge ihm mit dem Blick, bis er zu ihr und Lasse von Aurinko stößt, um sich mit ihnen zu besprechen.

Nachdenklich betrachte ich den Herrscher über das Sonnenreich, dessen Haut einen dunkleren Bronzeton als Meris besitzt. Er ist zwar kleiner und schmaler als die Mehrheit der Soldaten, jedoch im Vergleich zu Jari, der viele der Männer überragt, nicht minder respekteinflößend. Nichts entgeht dem Blick aus dunkelbraunen Augen. Durch das schwarze Haar, das zu eng am Kopf anliegenden Zöpfen geflochten ist, ziehen sich schon die ersten, weißen Strähnen. Hoffentlich verschafft uns die Kriegserfahrung des in die Jahre gekommenen Sonnenkönigs den entscheidenden Vorteil gegen die schwarze Armee.

Meine Musterung endet jäh, da wir die Spitze einer Kuppe erreichen und uns sich der Anblick auf ein Meer aus schwarzuniformierten Soldaten eröffnet. Bis zum Horizont reicht es, als hätten Parasiten die weitläufige Ebene überfallen. Weit und breit sind keine Wälder in Sicht. Und damit keine Möglichkeit, sich zurückzuziehen. Es wirkt, als würden wir auf eine endlose Wand aus schwarzen Soldaten zu reiten.

Mein Herz schlägt einen Takt schneller. Über ein halbes Jahr ist vergangen, seitdem ich vor Rakkain davongelaufen bin. Jetzt bleiben nur Augenblicke, bis wir uns gegenüberstehen. Das weiß ich so sicher, wie die Sonne jeden neuen Tag am Himmel aufgeht. Ich werde nicht mehr weglaufen.

Rauschend fließt das Blut durch meine Adern. In dem Versuch, mich gegen das Aufeinandertreffen mit der Vergangenheit zu wappnen, packe ich die Zügel fester und presse die Zähne aufeinander, bis mein Kiefer krampft.

»Wir werden erwartet«, murrt Tuure neben mir. Sein Blick ist zornig. All der Hass, den er der schwarzen Armee gegenüber empfindet, zeichnet sich in der Mimik ab. Wie ein wildes Tier fletscht er die Zähne.

Ein Gedanke schüttelt mich beim Anblick der schwarzen Armee. Wäre König Lasse später eingetroffen, hätten uns die Kirottu, die ich nach meinem Sturz erspäht habe, in den Bergen aufgespürt. Und das Lager mitsamt seinen Bewohnern überrannt.

Jari hebt den Arm und sofort kommt alles zum Stillstand. Reglos haben die Kirottu ausgeharrt, während wir heran geritten sind. Wir sind ihnen mittlerweile so nah, dass ich die dunklen Fahnen erkenne, die an den Speeren mancher Soldaten flattern.

Aufregung breitet sich wie ein kraftvolles Pulsieren in mir aus, sodass ich mich verkrampfe. Ich habe noch nie so viele Verfluchte auf einem Fleck gesehen. Zwischen ihnen ragen Katapulte wie hölzerne Ungeheuer in die Höhe. Nervös tänzeln hinter den vorderen Reihen aus Fußsoldaten die Pferde der berittenen Kirottu.

Die Nähe des Fluchs und der darin wabernden Dunkelheit schlingt sich wie Klauen um meine Kehle. Nachdem ich mir das Licht und seine Macht in Erinnerung gerufen habe, schwinge ich mich von Tuula. Zwar kann ich mit dem Schwert umgehen, doch nicht vom Rücken eines Pferdes aus. Meri und Katriina steigen ebenfalls ab und treten zu mir, nachdem mir einer der Soldaten die gescheckte Stute abgenommen hat. In ihren verbissenen und bleichen Gesichtern nehme ich denselben Schrecken über die Masse an Kirottu wahr, der mir das Blut in den Adern gefrieren lässt.

»Wir harren aus, bis unsere Vorhut auf ihre trifft, nicht wahr?«, vergewissert sich Katriina. Obwohl sie flüstert, ist das Zittern ihrer Stimme nicht zu überhören.

Meri nickt. »Wir sind nicht zum Kämpfen hier. Uns interessiert nur die Zauberin.« In einer ehrfürchtigen Geste wirft sie die Arme gen Himmel und atmet geräuschvoll aus. »Götter, steht uns bei, wenn die Kirottu entfesselt werden.« Dann greift sie nach Katriinas und meiner Hand, als würde sie Halt in der Magie suchen, die durch die Verbindung durch unsere Adern pulsiert. »Die Zauberin ist in der Nähe«, spricht sie weiter und spannt die Gesichtsmuskeln an. »Bestimmt wird sie sehen wollen, wie ihr König Jari und Lasse von Aurinko besiegt. Der Fluch und somit ihr Schutz sind stärker, wenn sie ihm nahe ist.« Sie lässt den Blick über die Reihen an Männern gleiten, die wie ein unüberwindbarer, schwarzer Wall wirken. »Sie wird sich im Hintergrund halten. Alles andere wäre zu riskant für sie.«

»Wir müssen also da durch?«, fragt Katriina aufgebracht und weist auf die Kirottu.

»Wir werden euch begleiten.« Otso ist ebenfalls von seinem Pferd gestiegen. Wie selbstverständlich legt er ihr den Arm um die Taille und zieht sie zu sich. Den Blick auf die schwarze Armee gerichtet küsst er Katriina auf den Haarscheitel.

»Unsere Männer halten allesamt Ausschau nach der Zauberin«, verkündet Jari, der sich zu uns umdreht. Nervös tänzelt Aatami auf der Stelle. Als er gegen die Stute der Prinzessin stößt, quietscht der Schimmel warnend.

»Im Gegensatz zur Magierin versteckt er sich nicht«, sagt Tuure gepresst. In seiner Stimme schwingt Abscheu mit, die Miene ist eisern, während sein Blick nach links wandert.

Sofort wenden wir uns ebenfalls in die Richtung. Eine Handvoll Reiter galoppiert an der Frontseite der schwarzen Armee vorbei. Vorneweg führt ein Mann die Formation an, dicht hinter ihm folgen vier weitere. Die dunklen Fahnen an den Speeren in ihren Händen flattern im Wind.

»Du hättest im Lager bleiben sollen«, sagt Jari zu seiner Schwester.

Doch Prinzessin Lahja sieht ihn ungerührt an. »Wir wurden zusammen geboren und wenn es sein muss, sterben wir gemeinsam.«

Verzweifelt grummelnd verzieht er das Gesicht. Dann beugt er sich zu mir hinab. »Wenn mir etwas zustößt, nimm Lahja und Aatami und reitet so weit weg, wie nur möglich. Konstantin darf unsere Blutlinie nicht auslöschen«, spricht er so leise, dass nur ich ihn höre.

»Weder deine Schwester noch ich werden dich im Stich lassen!«, entgegne ich und halte seinem Blick stand.

Zähneknirschend lässt er den Kopf hängen, ehe er durchatmet und mich voller Zuneigung ansieht. »Ihr beide seid an Sturheit nicht zu übertreffen«, murmelt er und richtet sich wieder auf.

»Zeigen wir Konstantin, dass uns die zur Schau Stellung seiner Armee nicht einschüchtert«, wendet sich König Lasse an ihn. Er setzt seinen Wallach in Bewegung und reitet aus den Reihen der Soldaten heraus. Jari und Lahja folgen ihm, um sich neben ihn zu positionieren. Mit aufrechter Haltung sehen sie den Pferden und deren Reitern entgegen, die im Galopp auf uns zu halten.

Je näher sie kommen, desto enger wird es in meiner Brust. Eiskalte Finger schließen sich um meine Kehle und drücken zu, um mir den Atem zu rauben. Wie erstarrt beobachte ich die fünf schwarz gekleideten Kirottu. Dunkler Nebel schlingt sich rankenartig um ihre Pferde und die Fahnenstangen. Selbst aus der Ferne erkenne ich die Muster auf der Haut. Der blonde Reiter an der Spitze des Trupps bannt meine Aufmerksamkeit. Da ist er – der Mann, der zwei Königreichen Elend, Schmerzen und Grauen gebracht hat. Die gestaltgewordene Dunkelheit. Mit erhobenem Haupt sitzt er auf einem Rappen, der ebenso schwarz ist wie seine Seele. Nur noch wenige Pferdelängen trennen ihn von König Lasse, Jari und Prinzessin Lahja, als er sein Pferd zügelt, bis es in gemächlichem Schritt weiter trottet. Sein Blick schweift umher, bis er auf Jari liegen bleibt. Das hämische Lächeln, das er für ihn erübrigt, verschafft mir eine Gänsehaut. Leicht legt er den Kopf schief, scheint ihn dazu verleiten zu wollen, die Fassung zu verlieren. Er ist sich seiner Siege bewusst. Seiner grauenvollen Taten, die sich wie eine tödliche Schneise durch Tummavarjo und Valokirkas ziehen. Gebannt beobachte ich ihn, dabei würde ich lieber wegsehen. Gar weglaufen, weil sich eine Unruhe in mir ausbreitet, die mich kaum mehr stillstehen lässt.

»Der schwarze König«, haucht Meri neben mir und zerquetscht mir fast die Hand. Erstaunt sieht sie mich an. »Du zitterst ja, Aila.«

Stumm nicke ich, dann lasse ich den Blick über die Reiter gleiten, die nur noch wenige Schritte von uns trennen. In einem von ihnen erkenne ich Lord Usko, den dritten Ritter, der Rakkain in jener Nacht vor über sechs Monaten in mein Elternhaus begleitet hat. Die anderen kenne ich nicht. Hörbar atme ich durch. Ich fürchte das Ende dieses Tages und die Folgen, die er für mich haben wird. Nichts wird so sein wie zuvor. Wenn wir überleben.

Die Formation hält nur wenige Pferdelängen vor König Lasse, Jari und Prinzessin Lahja inne. Um uns herum werden Bögen gespannt und Pfeilspitzen auf die Reiter gerichtet.

Steif weiche ich zurück, bis sich die Lücke vor mir schließt und ich mich, verborgen hinter Soldaten, sicherer fühle. Meri folgt mir wortlos. Auch sie zittert. Tuures besorgter Blick streift uns, Mitleid flammt in seiner Miene auf. Mit vor Panik großen Augen starre ich die Kirottu an, die ich trotz meiner Vordermänner noch sehen kann. Lord Uskos Mimik ist arrogant und überheblich, während er sich umsieht. Stumm bete ich, dass er mich nicht entdeckt. Sein König hingegen hat nur Augen für die Herrscher, die sich ihm entgegenstellen.

»Lasse von Aurinko«, höhnt er und zieht die Brauen hoch. Der Klang seiner eisigen Stimme ist wie Stiche auf meiner Haut. Träge lässt er den Blick weiter schweifen. »Lahja von Valokirkas.« Für die Prinzessin hat er bloß ein müdes Lächeln übrig. Dann wendet er sich ihrem Bruder zu. »Jari, mein alter Freund.« Seine Stimme trieft nur so vor Hohn.

»Konstantin«, entgegnet er bloß. Ohne sich den Zorn anmerken zu lassen, behält er seine aufrechte Haltung und sieht seinem Gegenüber mit stoischer Ruhe ins Gesicht.

Bis hierhin erkenne ich den Fluch wie schwarzes Gift in den Augen der Kirottu. Kälte streift hauchzart über meine Haut, als bliese jemand seinen eisigen Atem in meine Richtung. Ein leises Wispern dringt an mein Ohr. Ich erschaudere, weshalb Meri mit dem Daumen beruhigend über meinen Handrücken streicht.

»Schwarze Magie«, wispert sie und sieht mich an. »Sie spürt dein Licht.«

Innerlich wappne ich mich gegen die Dunkelheit und grabe die Zähne in die Unterlippe, bis ich Blut schmecke.

»Wo ist die berüchtigte Zauberin, Konstantin? Ist sie als deine Königin nicht an deiner Seite?«, fragt Jari mit einem lauernden Tonfall und sieht demonstrativ zur schwarzen Armee hin.

Sein Gegenüber verzerrt so flüchtig das Gesicht, dass ich mich frage, ob ich mir die Regung nur eingebildet habe. »Sie ist nicht meine Königin. Sie ist gar nichts!« Abfällig zieht er die Mundwinkel nach unten. »Aber ich bin nicht hier, um mit dir über Belangloses zu reden, Jari«, spricht er weiter und reckt das Kinn. »Ergib dich und ich werde darüber nachdenken, dein Leben und das deiner Schwester zu verschonen.«

Jari schnaubt. »Wir wissen doch beide, dass dies nie geschehen wird. Wenn du rechtmäßiger König von Valokirkas sein und meine Armee besitzen willst, muss unsere Blutlinie enden. Nur dann greift der Fluch auf meine Männer über.«

Überrascht zieht der schwarze König die Brauen hoch. »Solche Worte aus deinem Mund, Jari?«, fragt er voller Hohn. Die Lippen formen einen Herzschlag lang den Hauch eines Lächelns, bevor sie wieder eine Linie bilden. »Du hast früher nie an Magie geglaubt. Weder an die Dunkelheit, die meiner Blutlinie entspringt, noch an das Licht, das Valokirkas erschaffen hat. Dabei ist sie so machtvoll.«

»Ich werde deiner Forderung nicht nachgeben, Konstantin«, beharrt Jari, ohne auf die Provokation einzugehen.

»Niemand von uns gibt nach«, bestätigt Lasse von Aurinko.

Leicht verengt der schwarze König die Augen. »Ich werde dich dazu bringen, nachzugeben, alter Freund«, sagt er zu Jari.

»Ich bin nicht dein Freund, Konstantin. Das war einmal. Zu einer Zeit, als ich dachte, dein Herz sei von Liebe und Gnade erfüllt. Aber dort existiert nichts als Dunkelheit.«

»Du irrst dich, Jari.« Der schwarze König dreht den Oberkörper, als sein Rappe nervös tänzelt und fort von uns trabt. Mit sicheren Hilfen leitet er das Pferd zu uns zurück. Währenddessen lässt er den Blick erneut über unsere Reihen schweifen. »Nicht nur Dunkelheit erfüllt mein Herz. Was denkst du, weshalb ich über jedes Reich herrschen will? Ich …« Er bricht ab, kurz entgleisen ihm die Gesichtszüge. Es ist das erste Mal, dass er seine Gefühle so offen zeigt und nicht hinter einer Maske verbirgt. Schnell hat er sich wieder gefasst.

Sein Blick bohrt sich in mich, sodass ich es nicht wage, mich zu bewegen. Mein Herzschlag beschleunigt sich und erschwert mir das Atmen. Dann sieht er erneut zu Jari. Mit von Zorn beherrschter Miene. »Übergib mir sofort die Prinzessin!«

»Ich werde Lahja mit meinem Leben beschützen!«, erwidert Jari und legt die Hand auf die seiner Schwester.

Daraufhin lacht der schwarze König. »Ich meinte nicht die Prinzessin von Valokirkas«, höhnt er und sieht demonstrativ zu mir. Die Gier in seinem Blick jagt mir einen Schauder über den Rücken. Aus dem Augenwinkel nehme ich wahr, dass sich jeder in meiner Nähe zu mir umdreht. »Ihre Eltern konnten sie mir nicht wegnehmen und du kannst es auch nicht, Jari.« Ein dunkles Grollen begleitet seine Worte. »Prinzessin Aada von Nenoveh gehört nur mir.«

Meine Hand rutscht aus Meris, als ihre Finger erschlaffen. Ich balle die Fäuste, um die Unruhe zu kontrollieren, die in mir brodelt.

Ein Raunen geht durch die Menge. Auf Rakkains Gesicht breitet sich ein zufriedenes Grinsen aus. »Du hast ihnen nicht gesagt, wer du bist, Minun

»Du bist die Tochter des Großherzogs von Nenoveh?«, haucht Meri neben mir. »Aber der schwarze König soll sie getötet haben.«

»Ich bin nicht tot«, sage ich um Fassung bemüht und sehe sie an. »Auch wenn es sich manchmal so angefühlt hat.«

»Aila …«, wispert sie und ergreift erneut meine Hand. Ihr Blick ist nicht zornig. Nicht hasserfüllt. Nur mitleidig und voller Kummer.

Tief atme ich durch, dann drehe ich mich zu Jari um, dessen Blick auf mir brennt. In seiner Miene zeichnet sich der Schreck ab. Seine Augen sind geweitet und er ist blass geworden.

»Du bist Prinzessin Aada? Konstantins Verlobte?«, fragt Lahja und starrt mich ungläubig an.

»Ich war seine Verlobte«, entgegne ich mit fester Stimme und recke das Kinn. Mit aller Macht dränge ich die Tränen nieder, die meine Nase zum Kribbeln bringen. Werden sie mich jetzt fortjagen? Weil ich einst den Mann geliebt habe, der das Grauen über uns gebracht hat? Der uns alle gejagt hat?

»Du bist es noch immer, Minun«, sagt Rakkain und sieht mich mit eiserner Mimik an. Obwohl sein Rappe zusehends unruhiger wird und mit den Vorderbeinen federt, als könnte er gleich steigen, sitzt er seelenruhig im Sattel. »Du wirst meine Königin und mir Kinder schenken, die ebenso wie ich die Dunkelheit in ihrer Seele tragen.«

»Ich bin nicht dein Besitz! Ich bin auch nicht mehr Dein«, werde ich laut und spiele damit auf seinen Kosenamen für mich an. Die Kälte, die nach mir gegriffen hat, wird auf einen Schlag von einer alles verzehrenden Hitze vertrieben, die durch meinen Körper wallt. Deutlich spüre ich das Licht, bis in die Fingerspitzen strahlt es aus und bringt sie zum Kribbeln. Am liebsten würde ich Rakkain das Licht entgegenschleudern, damit er endlich den Mund hält!

Jemand ergreift meine Hand. Überrascht zucke ich zusammen und blicke in Jaris dunkle Augen. Er ist von Aatami gestiegen und hat die Zügel seiner Schwester übergeben. Seine Berührung lässt die Hitze zur Ruhe kommen und ersetzt sie durch angenehme Wärme.

»Es ist mir egal, wer du bist. Mein Herz gehört dir und nichts wird das ändern.«

Zu wissen, dass er zu mir steht, nimmt mir eine Last von den Schultern.

»Du bist ein Teil von uns«, sagt Katriina und schenkt mir ein ehrliches Lächeln.

»Genau. Wir weichen nicht von deiner Seite, ob du jetzt Aila oder Aada bist«, stimmt Tuure nickend zu.

»Danke«, hauche ich und lächle gerührt. Der Beistand meiner Freunde richtet mich wieder auf und gibt mir die Kraft zurück, die mir Rakkains Anblick und seine Worte geraubt haben.

»Wie rührend …«, murmelt der schwarze König mit emotionsloser Mimik. »Das ist wohl dein Fluch, Minun. Die Herzen anderer zu stehlen und sie in ihr Unglück zu treiben.« Er betont seinen Kosenamen für mich und macht damit deutlich, was er von meinem Einwand hält.

»Du hast uns alle ins Verderben getrieben!«, werfe ich ihm vor. »Du hast meine Familie ermordet.« Ein Gemisch aus Wut und Trauer erschüttert mich. Tränen lassen die Sicht verschwimmen.

»Sie wollten dich mir wegnehmen«, entgegnet er entrüstet. »Aber du gehörst nur mir!« Seine tiefe, vor Zorn triefende Stimme lässt mir die Nackenhaare zu Berge stehen. Er starrt Jari an. »Nimm deine Hände von ihr! Wenn du Aada noch einmal anfasst, hacke ich sie dir ab«, droht er. Der Blick, mit dem er ihn bedenkt, lodert vor Hass.

Doch Jari weicht nicht. »Sie kann für sich selbst entscheiden«, entgegnet er und verengt die Augen. »Ergibst du dich nun König Lasse und mir, Konstantin?«

»Niemals«, raunt er. Grob reißt er die Zügel herum und drückt seinem Rappen die Schenkel in den Bauch, sodass dieser eine Drehung vollführt und auf die schwarzen Ritter zu galoppiert. »Ich will Prinzessin Aada!«, brüllt er. »Unversehrt. Wer ihr auch nur ein Haar krümmt, dem schlage ich den Schädel ab. Gebt es an meine Männer weiter.« Gleich einer Kriegserklärung zieht er sein vom Fluch getränktes Schwert und streckt es in die Luft. Dann sieht er über die Schulter zu uns. »Und ich will Jaris Kopf.«

Eine eiserne Faust schließt sich um mein Herz. Ich habe mehr Angst um Jari und meine Freunde als um mich; ich könnte heute meine Freiheit verlieren, sie hingegen ihr Leben.

Ohne auf eine Erwiderung zu warten, galoppieren Konstantin und seine Männer so eilig auf die Kirottu zu, dass Erdklumpen in die Luft spritzen. Das Trampeln der Hufe auf dem Boden gleicht Trommelschlägen. Bevor er seine Armee erreicht, streckt er das Schwert gen Himmel. Sein Brüllen hallt zu uns herüber, dann setzen sich seine Soldaten in Bewegung. Gleichzeitig ertönt lautes Rattern, gefolgt von mehrmaligem Knallen. Mein Blick schnellt zu den Katapulten, die Feuerbälle in den Himmel schleudern. Es vergehen nur wenige Herzschläge, bis Hektik unter den Männern hinter uns ausbricht.

Jari schiebt mich in Otsos Richtung und schwingt sich auf Aatami. »Bleib am Leben. Bitte!«, ruft er mir zu.

Kurz darauf schlägt hinter uns der erste Feuerball mit ohrenbetäubendem Lärm inmitten unserer Leute im Erdboden ein. Erschrocken zucke ich zusammen und kreuze instinktiv die Arme über dem Kopf, als Erdbrocken durch die Luft sausen. Sofort folgt das nächste Geschoss, das auf die Ebene kracht und die Erde erbeben lässt.

Jari drückt Aatami die Schenkel in den Bauch, woraufhin der Rappe aus dem Stand angaloppiert. Gebannt sehe ich ihm nach, während die Soldaten an uns vorbeiströmen und ihrem Kronprinzen folgen. König Lasse ruft seine Männer ebenfalls zum Sturm auf die Kirottu auf und prescht vor.

»Reitet mit ihm!«, rufe ich Otso und Tuure zu und sehe die beiden Brüder eindringlich an. »Er darf nicht sterben!«

»Aber wir sollen euch schützen«, entgegnet Tuure und versucht, seinen Fuchs zu beruhigen. Nervös tänzelt das Tier auf der Stelle. Es hat die Augen aufgerissen, seine Nüstern sind aufgebläht und die Muskeln am Rumpf zucken.

Die berittenen Soldaten und Fußsoldaten, die an uns vorüberstürmen, zerren uns fast mit sich. Katriina presst sich an mich, um mich nicht zu verlieren.

»Wir weichen nicht von eurer Seite!«, beharrt Otso.

»Aila … nein, Aada, hat recht«, versucht Meri den Lärm zu übertönen. Sie meinen wahren Namen aussprechen zu hören, überfordert mich. »Jari braucht euch an seiner Seite!« Sie legt ihre Hand auf Tuures Unterschenkel und sieht mit unnachgiebiger Mimik zu ihm auf. »Schütze unseren rechtmäßigen König! Er ist die Zukunft.«

Kurz verzieht Tuure angespannt das Gesicht. Sein Blick huscht von Meri zu seinem Bruder und dann zu mir. Ich sehe ihm an, wie er innerlich mit sich ringt. Seine Mundwinkel beben und er verkrampft die Finger um die Zügel. Dann presst er die Lippen aufeinander und nickt. Flüchtig legt er eine Hand über Meris. Sie schenkt ihm ein trauriges Lächeln, bevor er seinen Fuchs antreibt und von uns fort prescht.

Überrascht hebe ich die Brauen, als Otso seinem Pferd einen Klaps gibt, sodass es reiterlos davon trabt. Er ergreift Katriinas Hand und tritt auf mich zu.

»Ich sagte doch, dass ich nicht von eurer Seite weichen werde«, erklärt er mit eiserner Mimik. »Dein Licht ist ebenso wichtig für den Sieg wie Jari.«

Mein Blick huscht zu Katriina, die mich flehend ansieht. Sie hat Angst um ihn, dabei ist es in unserer Nähe nicht weniger gefährlich als in Jaris. Dennoch werde ich diesen Sturkopf nicht umstimmen können.

Dankbar nicke ich daher. Nicht für mich brauche ich Schutz, sondern für meine beiden Freundinnen, die auf diesem Schlachtfeld ihr Leben riskieren – um meinetwillen.

»Lasst uns ins Herz der schwarzen Armee vordringen«, ruft Meri und sieht sich aufmerksam um. Mit entschlossener Miene wendet sie sich uns wieder zu. »Wir werden die Zauberin finden und sie für ihre Taten strafen.« Ermutigend drückt sie meine Hand, nachdem sie sie ergriffen hat.

Ich sehe in die Richtung, in der unsere Soldaten auf die Kirottu treffen. Endlich, nach all der Zeit, werde ich der Frau gegenüberstehen, die mir mit ihrem Fluch alles genommen hat, was mir wichtig gewesen ist. Und das nur, weil sie nicht akzeptieren konnte, dass Rakkain ihre Liebe nicht erwidert hat. Weil sein Herz mir gehört hat – oder es noch immer tut. Sein verfluchtes, schwarzes Herz.