10. Kapitel

Neona gestand sich ein, immer noch Angst zu haben, als Zoltan sich auf dem Bett neben ihr ausstreckte, aber ihr Begehren war stärker als ihre Angst.

Sie musste sich auf eine Art geliebt fühlen, die nur Zoltan ihr geben konnte. Wie er sie anfasste, als wäre sie ein seltener Schatz, wie er sie ansah, als verzehrte er sich nach ihrer Seele, wie er sie küsste, als könnten sie miteinander verschmelzen und eins werden.

Genau das tat er gerade. Er berührte sie. Er brachte ihren Bauch zum Kribbeln und ihren Puls zum Rasen. Sie schlang die Arme um ihn, wollte mehr. Mehr. Warum war sie bloß so verzweifelt? Fing sie an, sich in ihn zu verlieben? Oder war sie nur so hungrig nach Zuneigung, dass sie sich etwas vormachte?

Sie schauderte, als er anfing, an ihrem Hals zu knabbern. „Zoltan.“

„Hmm?“

„Das geht alles sehr schnell. Ist das … normal?“

Er stützte sich auf einen Ellenbogen und sah sie an. Eine Sekunde wirkten seine Augen rot und glühend, und sie erstarrte. Aber nachdem er geblinzelt hatte, hatten sie wieder ihren normalen bernsteinfarbenen Ton angenommen. Das Feuer im Kamin musste sich in ihnen gespiegelt haben.

„Ich mache so langsam, wie du willst.“ Er strich ihr das Haar aus der Stirn. „Ich weiß, dass es schwer für dich ist, mir zu vertrauen.“

„Ich bin mir nicht sicher, ob ich mir selbst trauen kann. Ich leide noch so sehr unter dem Verlust meiner Schwester, ich sehne mich vielleicht nur verzweifelt nach Liebe.“

Er runzelte die Stirn. „Wenn das so wäre, könntest du ins nächste Dorf gehen und dir jeden beliebigen …“

„Nein, könnte ich nicht.“ Sie hatte in ihrem Leben viele Dorfbewohner gesehen, und keiner zog sie so an wie Zoltan. Sie berührte seine Wange. „Sie sind nicht du.“

Er drehte den Kopf, um ihr die Handfläche zu küssen. „Wenn deine Schwester noch am Leben wäre, würdest du dann anders für mich empfinden?“

Sie fuhr ihm mit den Fingerspitzen über die Bartstoppeln. „Nein. Ich würde das Gleiche empfinden.“ Ihre Angst war also unbegründet. Das hätte sie schon vorher gewusst, wenn sie noch über alles mit ihrer Schwester sprechen könnte.

Von jetzt an wäre es Zoltan, dem sie ihre innersten Gedanken und Gefühle offenbarte. „Noch nie hat ein Mann auf mich so eine Wirkung gehabt wie du.“

Einer seiner Mundwinkel hob sich. „Das ist gut. Denn ich bin verrückt nach dir.“

„Verrückt?“

„Ich werde versuchen, es besser zu erklären.“ Er fuhr mit dem Finger ihre Nase hinab. „Ich denke die ganze Zeit nur an dich. Du bist die schönste, mutigste und verlockendste Frau, der ich je begegnet bin.“ Er fuhr ihr mit dem Finger über die Lippen. „Ich möchte die Freude zurück in dein Leben bringen. Immer, wenn ich spüre, dass es dir schlecht geht, leide ich mit dir.“

Sie atmete scharf ein. Wie hatte sie ihre Gefühle für diesen Mann je infrage stellen können? „Ich will dich so sehr, dass es sich anfühlt, als müsste mein Herz zerspringen. Wie kannst du nur so perfekt sein?“

Er zuckte zusammen. „Das bin ich nicht. Es gibt Dinge an mir, die … dir nicht gefallen könnten.“

„Ich weiß. Du kommst nur langsam in Stimmung.“ Sie vergrub ihre Finger in seinem langen weichen Haar. „Aber daran können wir arbeiten.“

Die Muskeln an seinem Kiefer traten hervor.

Sie wickelte sich eine Strähne seiner Haare um den Finger. „Du bist auch unfassbar stur, aber das gefällt mir, weil du mich deswegen nicht aufgegeben hast.“

„Das stimmt. Ich werde dich nicht aufgeben. Ich werde dich nicht hintergehen und dich nicht verlassen.“

Gott, wie sehr wollte sie ihm vertrauen. War es wirklich so einfach? Ein Vertrauensvorschuss? Sie schlang ihm die Arme um den Hals. „Dann nimm mich, Zoltan. Liebe mich.“ Sie sah auf seine Hose hinab. „Wenn du so weit bist, meine ich.“

Knurrend presste er sich an sie.

„Oh.“ Ihr stockte der Atem. Er war eindeutig bereit.

Er öffnete ihre Tunika und betrachtete ihre Brüste. Sie schauderte unter seinem heißen Blick. Wurden seine Augen wieder rot? Ehe sie genau hinsehen konnte, hatte er sich über sie gebeugt und umspielte ihre Brustspitze mit seiner Zunge.

Sie keuchte auf. „Oh! Ich wusste nicht …“ Sie schrie auf, als er die Spitze in seinen Mund saugte.

„Zoltan!“ Sie vergrub die Finger noch tiefer in seinem Haar.

Er saugte weiter an ihr und strich dann auf dem Weg zur anderen Brust mit den Bartstoppeln über die Haut an ihrem Brustbein.

Sie presste die Schenkel zusammen, als eine tiefe Sehnsucht zwischen ihren Beinen entbrannte. Hitze prickelte ihr durch die Adern, sodass sie sich die Kleider vom Leib reißen wollte. Sie zerrte an seiner Jacke –

Plötzlich setzte er sich auf und sah zur Tür.

Sie ging auf die Knie und zupfte an seiner Jacke. „Zieh sie aus.“

„Warte.“ Er rannte zur Tür, als es draußen anfing, wild zu kratzen. „Sie kommen.“

„Was?“

Er öffnete die Tür, und ihr Kater kam fauchend hereingerannt.

„Sie kommen!“ Er ging nach draußen, um ihre Schärpe und ihr Messer zu holen.

„Zoltan!“ Sie sprang aus dem Bett. „Du musst gehen!“

Er knallte die Tür zu, verriegelte sie und reichte ihr das Messer. Während sie es zurück in die Hülle steckte, die sie an ihr Bein gebunden hatte, knotete er rasch ihre Schärpe zusammen. „Zieh die schnell wieder an und mach die Schleife über den Knoten, damit man ihn nicht sieht.“

Sie nahm die Schärpe an sich. „Mach dir um mich keine Sorgen. Verschwinde sofort von hier.“

Er sah sich noch einmal im Inneren der Hütte um. „Ich will nicht, dass du in Schwierigkeiten gerätst.“

„Zoltan, sie bringen dich um, wenn sie dich hier finden. Klettre aus dem hinteren Fenster, sofort!“

Er nahm eines von Frederics Büchern von der Holztruhe und gab es ihr. „Erzähl ihnen, du konntest nicht schlafen und wolltest dir von hier ein Buch holen. Du hast es im Bett gelesen.“

Draußen wurden Rufe laut, gefolgt von dem Klirren von Schwertern, die aus ihren Hüllen gezogen wurden.

Neona wurde von Panik ergriffen und schob Zoltan zum hinteren Fenster.

„Mach dir um mich keine Sorgen“, flüsterte er, und hielt noch kurz inne, um den Plastikbehälter mit Essen vom Boden aufzuheben.

Jemand trommelte mit der Faust gegen die Tür.

„Neona!“, rief die Königin. „Öffne diese Tür!“

„Nur einen Augenblick.“ Neona stellte sicher, dass Zoltan am Fenster war, ehe sie den Riegel zurückschob. Sie öffnete die Tür einen Spalt. „Gibt es ein Problem?“

Königin Nima stieß die Tür auf, und Neona sprang zurück. Sie sah über die Schulter, aber Zoltan war verschwunden.

„Wer war hier?“, verlangte die Königin zu wissen, während sie den Raum umrundete, das Schwert gezogen und zum Angriff bereit.

Neona hob das Buch in ihren Händen. „Ich wollte nur …“

„Niemand draußen.“ Winifred blieb im Türrahmen stehen.

„Hast du bei diesem Fenster nachgesehen?“ Nima deutete mit dem Schwert auf das hintere Fenster.

„Habe ich.“ Freya trat von außen vor das Fenster und spähte zu ihnen herein. „Ich habe hier gewartet, aber es ist niemand herausgekommen.“

Nima sah ihre Tochter stirnrunzelnd an. „Was machst du hier? Warum berichtet die Eule mir immer wieder von einem Eindringling?“

Neona musste schlucken. „Ich hatte Probleme beim Einschlafen.“ Das stimmte immerhin. „Ich habe mein Haus so lange mit Minerva geteilt, und jetzt ist sie nicht mehr da. Deshalb bin ich hergekommen, ich dachte, ein Buch könnte vielleicht helfen.“

Ihre Mutter kniff misstrauisch die Augen zusammen.

Freya sah sie mitfühlend an. „Ich bin mir sicher, es ist schwer für dich. Ich wüsste nicht, was ich machen sollte, wenn ich Freddie verlieren würde.“

Winifred nickte. „Es war schon schlimm genug, unsere Mutter und Farah zu verlieren.“

Königin Nima sah sich im Zimmer um und seufzte. „Wir hatten die Hütte umstellt. Uns wäre aufgefallen, wenn jemand sie verlassen hätte.“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht, was in letzter Zeit mit dieser Eule los ist. Freddie, lösch das Feuer, und dann siehst du dich mit Freya noch kurz im Wald um.“

„Ja, Euer Majestät“, murmelten die beiden Frauen.

„Neona, nimm das Buch mit nach Hause. Und verlass das Tal nicht mehr mitten in der Nacht.“

Neona folgte ihrer Mutter zur Tür hinaus, und Zhan trottete dabei neben ihr her. Sie sah zum Wald und fragte sich, ob Zoltan bis ins nächste Dorf rannte. Er hatte einen guten Vorsprung, sollte es also schaffen, ohne von Freddie und Freya eingeholt zu werden.

Aber sie hatten die Hütte umstellt gehabt. Sie sah sich noch einmal nach dem Haus um. Wie war Zoltan die Flucht gelungen?

Zoltan sah von einem Baumwipfel aus zu, wie Neona ihre Mutter zurück zu der Strickleiter begleitete.

Zwei der Kriegerinnen waren noch da und durchsuchten das Gelände.

Ein saurer Geschmack nach Selbsthass breitete sich in seiner Kehle aus. Er fühlte sich wie ein verdammter Feigling dabei, Neona allein mit den Nachwirkungen ihres Handelns zu lassen. Aber sie käme in noch viel größere Schwierigkeiten, wenn er geblieben wäre. Ganz zu schweigen davon, dass die Frauen aussahen, als hätten sie ihn erst aufgespießt und später Fragen gestellt. Diese Frauen nahmen ihre Regel, dass Männer im Tal nicht gestattet waren, sehr ernst. Ehe er sich ihnen zu erkennen gab, würde er beweisen müssen, dass er auf ihrer Seite war.

Er teleportierte sich direkt in die Bibliothek seiner Burg und beauftragte dann Milan damit, mehr über das Gebiet in Tibet herauszufinden, auf dem die Frauen von Beyul-La lebten.

„Wir müssen das Areal für sie absichern, dafür sorgen, dass sich niemand von außerhalb dessen bemächtigen kann“, sagte er Milan, während er ihm die GPS-Daten von seinem Telefon per E-Mail schickte. „Und kauf auch so viel von dem umliegenden Gebiet, wie du kannst.“

„Verstanden“, antwortete Milan. „Ihnen ist klar, dass der Preis dafür in die Millionenhöhe gehen wird?“

„Ja, weiß ich. Halt mich auf dem Laufenden.“ Zoltan legte auf und rief Angus an. „Konntest du Frederic Chesterton ausfindig machen?“

„Aye“, antwortete Angus. „Er ist hier in London während eines Bombenangriffes im Zweiten Weltkrieg ums Leben gekommen. Ich habe seinen Sohn, Franklin, aufgespürt, und er hat sich einverstanden erklärt, sich morgen mit mir zu treffen. Ich wollte dich anrufen und fragen, welche Fragen ich ihm stellen soll.“

„Du wirst vorsichtig sein müssen. Franklin erinnert sich eventuell nicht an die ersten sechs Jahre seines Lebens. Wenn er der ist, für den ich ihn halte, war seine Mutter eine der Kriegerinnen von Beyul-La. Calliope. Sie ist vor sechs Jahren gestorben. Er hat zwei Schwestern, Freya und Winifred, die noch am Leben sind. Wenn er sich an sie erinnert, freut er sich vielleicht, von ihnen zu hören.“

„In Ordnung. Ich werde vorher etwas Gedankenkontrolle benutzen, um zu sehen, woran er sich erinnert, ehe ich weitermache.“ Angus hielt inne. „Howard hat mir alles gesagt, was er weiß. Dass diese Frauen etwas verstecken, was Master Han und Lord Liao wollen. Irgendeine Ahnung, was das sein könnte?“

Zoltan zögerte, noch nicht bereit, seinen Verdacht mitzuteilen, dass die Frauen so etwas wie den Quell der ewigen Jugend besaßen. Neonas heftige Reaktion schien es zu bestätigen. „Ich arbeite daran. Und daran, Neonas Vertrauen zu gewinnen. Ich habe mich gefragt, ob Emma vielleicht …“

Angus lachte leise. „Da dachten wir das Gleiche. Da sie Männern nicht vertrauen, sollten wir unsere eigene Kriegerin schicken. Emma ist abreisebereit.“

„Gut. Ich lasse euch wissen, wann.“ Zoltan legte auf und fing an, in der Bibliothek auf und ab zu gehen. Er zog an der Glocke, damit Domokos ihm seine späte Flasche aufgewärmtes Blut bringen konnte.

Während er im Raum umherging, fragte er sich, wie er bei den Frauen von Beyul-La einen guten ersten Eindruck machen konnte. Geschenke vielleicht? Aber was würde ihnen gefallen? Er dachte daran, was Neona ihm von den langen Wintern erzählt hatte. Sie machten ihre Kleider selbst. Sollte er ihnen einige Ballen Seide mitbringen? Stickgarn? Sie übten sich auch jeden Tag in Kampfkunst.

Natürlich! Waffen. Er hatte in seiner Waffenkammer einige neue Jagdmesser, die ihnen gefallen könnten. Und vielleicht einen Vorrat an Pfeilen? Ein paar neue Schwerter?

Was noch? Sein Blick fiel auf die Bücherregale seiner Bibliothek. Die Bücher in Frederics Hütte waren vom vielen Lesen kurz vorm Auseinanderfallen.

Er setzte sich an seinen Schreibtisch und fand im Internet einen Buchversand. Aber was sollte er kaufen? Anscheinend hatte den Frauen „Ivanhoe“ und „Die Geschichte zweier Städte“ gut gefallen, also bestellte er einige Bücher von Sir Walter Scott und Charles Dickens. Und Neona hatte gesagt, „Stolz und Vorurteil“ wäre ihr Lieblingsbuch, also bestellte er auch noch mehr von Jane Austen.

Domokos kam hereingeschlurft und stellte sein Tablett auf dem Tisch neben dem Kamin ab. „Kann ich sonst noch etwas für Euch tun, Mylord?“

„Nein, mir geht es gut. Morgen sollte ein Paket ankommen. Bücher.“

„Ja, Mylord.“ Domokos füllte das Weinglas mit synthetischem Blut.

„Kennst du Autoren, die so ähnlich sind wie Jane Austen?“

„Wie bitte?“

„Ich brauche Bücher, die so sind wie ‚Stolz und Vorurteil‘.“

„Ah.“ Domokos sah ihn neugierig an. „Interessiert Ihr Euch auf einmal für das England der Regency-Epoche?“

„Ich kaufe Geschenke“, murmelte Zoltan. „Ich muss mich mit einer Gruppe Frauen anfreunden.“

„Frauen?“

„Du hast richtig gehört.“ Zoltan warf seinem Steward einen genervten Blick zu, als der alte Mann ihm sein Weinglas brachte. „Fällt dir etwas ein?“

„Meine Frau liest gerne historische Liebesromane.“ Domokos reichte ihm das Weinglas. „Ich glaube, die sind ganz ähnlich.“

„In Ordnung. Dann besorge ich noch welche von denen.“ Er nahm einen tiefen Schluck.

„Besonders gern mag meine Frau Liebesromane mit Vampiren.“

Zoltan schluckte so heftig, dass ihm Tränen in die Augen stiegen. „Ist das dein Ernst? So etwas schreiben die Leute? Und gelesen wird es auch?“

„Ich fürchte ja, Mylord. Sie scheinen sehr beliebt zu sein.“

„Warum?“ Zoltan stellte sein Glas hin. „Die halbe Zeit sind wir tot. Und bis vor Kurzem konnten wir keine Kinder zeugen.“

Domokos’ Mundwinkel zuckten. „Ich vermute, die Autoren konzentrieren sich auf Eure anderen Attribute, Mylord.“

Zoltan starrte ihn verständnislos an.

Domokos räusperte sich. „Euer Können im Schlafzimmer, Mylord.“

Er riss die Augen auf. „Woher wollen die wissen, was ich im Bett mache?“

„Tun sie nicht, Mylord. Das ist Fiktion.“

„Oh. Richtig.“

„Auch wenn die Helden grundsätzlich als sehr talentiert und gut bestückt dargestellt werden. Mit Fähigkeiten, die geradezu legendär sind.“ Domokos zuckte mit den Achseln. „Wie gesagt, Fiktion.“

„Richtig, ja …“

Domokos’ Augen funkelten amüsiert. „Kann ich sonst etwas für Euch tun, Mylord?“

„Nein.“ Zoltan sah ihn zerknirscht an. „Du hast schon genug geholfen.“

„Dann wünsche ich Euch einen guten Abend, Mylord.“ Domokos verbeugte sich und humpelte zur Tür.

„Fiktion“, murmelte Zoltan vor sich hin, während er sich die meistverkauften Bücher in der Sparte historischer Liebesroman ansah. Er fügte seinem Einkaufswagen noch ein paar Bücher hinzu und bezahlte dann extra für deren Lieferung am nächsten Tag.

Bücher und Waffen. Was konnte er ihnen noch als Friedensgabe mitbringen? Es fühlte sich an, als hätte er etwas vergessen. Da Lord Liao auf der Suche nach ihnen war, war er versucht, sie mit Kurzstreckenraketen auszustatten.

Er trank seine Flasche Blut aus und brachte sie dann zusammen mit dem Weinglas in die Küche. Dort hinterließ er Howard eine Nachricht auf seiner Donut-Schachtel.

Heute Nachmittag Burgführung, schlafe deswegen in Budapest. Komme bei Sonnenuntergang wieder.

Du liebe Zeit, dieser blöde Bär hatte ihm schon antrainiert, sich abzumelden. Er ging in die Waffenkammer und wählte dort ein halbes Dutzend Jagdmesser und Schwerter aus, dazu eine Schachtel mit Pfeilen. Er ließ alles auf dem Tisch liegen und teleportierte sich in die Bibliothek in seinem Stadthaus. Dort ging er unruhig auf und ab und wünschte sich, er wäre noch bei Neona. Liebe mich, hatte sie ihn gedrängt. Würde sie immer noch so begierig sein, wenn sie erfuhr, dass er ein Vampir war?

Er schob diesen Gedanken zur Seite und konzentrierte sich stattdessen darauf, wie wundervoll sie sich in seinen Armen angefühlt hatte. Fest, muskulös, mit süßen Rundungen. Wie alt sie auch sein mochte, sie sah nicht älter aus als fünfundzwanzig.

In ihrer Rüstung hatte sie wie ein Soldat aus dem antiken Griechenland ausgesehen. Kam diese Rüstung von ihrem Vater? Wann war eine griechische Armee so weit nach Osten gekommen?

Er schaltete seinen Computer an und suchte danach. Alexander der Große war bis nach Indien gekommen, ehe seine Armee rebelliert und verlangte hatte, nach Hause zurückzukehren. War einer der Soldaten desertiert und nach Norden in die Berge geflohen? Als er das genaue Datum las, zuckte er zusammen: 326 vor Christus. Konnte Neona über zweitausend Jahre alt sein?

„Verdammt“, flüsterte er. Er war daran gewöhnt, immer der Ältere zu sein, aber dagegen wirkten seine achthundert Jahre fast mickrig.

Zweitausend Jahre, die sie in Beyul-La lebten und für den Schutz von … was genau verantwortlich waren? Die Tatsache, dass sie alt waren? Was hatte es für einen Sinn, so lange zu leben, wenn man dieses Leben in Gefangenschaft verbrachte? Es sei denn, es gab noch etwas anderes, das sie beschützten.

Was zum Beispiel? Gold und Juwelen konnten es nicht sein, so einfach, wie sie lebten, mit ihren handgemachten Kleidern und Schuhen. Er zermarterte sich das Hirn, aber ihm fiel einfach nichts ein.

Plötzlich kam ihm ein Gedanke, der ihm einen kalten Schauer über den Rücken jagte. Neona war vielleicht 1241 am Leben gewesen. Sie könnte eine der wilden Kriegerinnen gewesen sein, die den Tod seiner Mutter gerächt hatten. Sie könnte sogar den Pfeil geschossen haben, der seinen Vater getötet hatte.

„Mist.“ War er dabei, sich in die Mörderin seines Vaters zu verlieben?