Es war lange nach der Mittagsstunde, als Neona aufwachte.
Sie streckte sich im Bett aus und staunte darüber, wie sehr ihr Leben sich in der letzten Woche verändert hatte. Zoltan lag in seinem Todesschlaf nackt auf Minervas Bett ausgestreckt. Sie lächelte, als sie sich daran erinnerte, wie sie sich vor Sonnenaufgang noch einmal geliebt hatten; Höhepunkt Nummer sechs, hatte er gesagt. Als der Todesschlaf über ihn hereingebrochen war, hatte er sich in Minervas Bett zurückgezogen aus Angst, dass es sie töten würde, wenn sie sich in dieser Zeit berührten. Sie wusste nicht, ob das stimmte, aber es war ein zu großes Risiko, um es herauszufinden.
Sie fragte sich, wie es Norjee ging, und lächelte wieder. Er und Xiao Fang hatten sich sofort angefreundet.
Nachdem sie sich angezogen hatte, holte sie die Flasche mit dem Wasser des Lebens aus ihrer Truhe und füllte noch etwas mehr davon in Zoltans Blutflaschen. Schuldgefühle nagten an ihr, als sie die Flaschen wieder zuschraubte. Es war falsch, ihn auf diese Weise zu täuschen. Am Abend wollte sie ihm die Wahrheit sagen.
Sie strich ihm die Haare aus der Stirn und ließ ihre Hand dann seine breite Schulter entlang und seinen Arm hinabgleiten, bis sie auf seinem muskulösen Bizeps verweilte. Ihr schöner Vampir. Irgendwie würden sie gemeinsam eine Zukunft haben.
Nachdem sie aus der Tür geschlüpft war, machte sie einen kurzen Abstecher ins Klohäuschen und wusch sich dann im Fluss. Hoffentlich waren die anderen bereits auf und hatten in der Höhle ein Mittagessen zubereitet. Die Kinder mussten hungrig sein.
Am Abend zuvor, als die anderen nach Hause gegangen waren, um zu schlafen, war sie ins Nachbartal zurückgekehrt, um an den Schießübungen teilzunehmen. Zoltan hatte ihr noch weitere Vampire und Gestaltwandler vorgestellt, aber es waren so viele gewesen, dass es ihr schwerfiel, sich an die Namen zu erinnern. An Howard erinnerte sie sich. Der riesige Wer-Bär war tagsüber für die Operation verantwortlich. Emma und ihr Mann, Angus, trugen nachts die Verantwortung. Sie hatten alle in sechs Gruppen aufgeteilt, jeweils zusammengesetzt aus drei Vampiren, drei Wandlern und einer Kriegerin aus Beyul-La.
Neonas Team bestand aus Zoltan und zwei Vampiren namens Jack und Dougal. Sie sprachen beide mit merkwürdigen Akzenten, und einer von ihnen trug einen komischen Rock, aber sie kamen ihr sehr freundlich vor. Die drei Wandler in ihrem Team waren Howard und seine Neffen, die Zwillinge Jesse und Jimmy. Howard gab zu, dass die zwei jüngeren Wer-Bären noch in der Ausbildung waren, dass deshalb aber kein Grund zur Sorge bestand. Wenn sie einen Fehler machten, würde er sie einfach unangespitzt in den Boden rammen.
Jimmy und Jesse hatten ihrer Übung zugesehen und immer, wenn sie das Ziel getroffen hatte, gejubelt und ihr etwas aus einer weißen Schachtel zum Essen angeboten. Donuts, wie Howard ihr erklärt hatte. Anscheinend hatten die Wer-Bären einen riesigen Vorrat mitgebracht.
Ehe sie nach Tiger Town aufgebrochen waren, um dort in ihren Todesschlaf zu fallen, hatten die Vampire noch einen Wandler aus jedem Team dorthin teleportiert, wo Russell Lord Liaos Fortschritte überwachte. Als Vampir hatte Russell vor, sich zu seinem Todesschlaf an einen sicheren Ort zurückzuziehen. Tagsüber würden die sechs Wandler Liaos Armee verfolgen, und wenn die Suchtrupps ausgezogen waren, konnten sie sich aufteilen, um ihnen zu folgen.
Aus Neonas Team hatte man Jimmy als Späher ausgewählt. Nach Sonnenuntergang würde er sein Team anrufen, und die drei Vampire teleportierten dann Howard, Jesse und Neona dorthin, wo er sich befand, damit sie zum Angriff übergehen konnten. Zoltan hatte sie angewiesen, sich tagsüber gut auszuruhen, weil sie eine lange Nacht vor sich hatten.
Jetzt, als Neona die Höhle betrat, fand sie dort die anderen Frauen an einem kleinen Lagerfeuer ausgestreckt. Freddie und Freya lasen in ihren Büchern. Nima und Tashi schliefen auf den Matratzen. Lydia füllte Suppe für die Kinder in vier Schüsseln. Neona nahm sich eine fünfte Schüssel für sich selbst und half Lydia dabei, die Tabletts mit dem Essen in die größere Höhle zu tragen.
Irgendwann während des Tages musste Norjee die Höhle verlassen haben, um Pinienzapfen zu sammeln, denn es lagen etwa zwei Dutzend auf dem Höhlenboden, und er und Xiao Fang liefen herum, traten nach ihnen und lachten.
Neona blieb stehen, um auf Norjees Lachen zu lauschen. Selbst Lydia musste über den Klang lächeln. Aber Xiao Fangs Lachen war es, das sie wirklich überraschte. Weil ihre Kehlen zum Speien von Feuer gemacht waren, konnten Drachenkinder nicht reden. Man brachte ihnen bei, Tibetisch und Chinesisch zu verstehen, aber sie konnten nicht antworten. Um zu wissen, was sie dachten, brauchte es jemanden, der die Gabe hatte, sie zu verstehen, wie Nima, Freddie oder Norjee.
Der Klang, der aus Xiao Fangs Kehle kam, war eine merkwürdige Mischung aus Bellen und Röcheln. Nur die Freude in seinem Gesicht ließ sie wissen, dass es ein Lachen war. Wie traurig, dass er seit sechs Jahren auf der Welt war und sie jetzt zum ersten Mal sein Lachen hörte. Sie lächelte Norjee an. Der Junge hatte es an sich, Freude ins Leben der Menschen zu bringen.
Er kam grinsend auf sie zu gerannt. „Ich habe mich schon gefragt, wann du kommst. Ich habe dich vermisst.“
Sie stellte das Tablett hin und umarmte ihn. „Ich war die ganze Nacht wach, deshalb habe ich lange geschlafen. Wie geht es dir?“
„Super!“ Er legte Xiao Fang den Arm um die Schultern. „Ich habe jetzt einen Bruder, der ein Drache ist!“
„Das sehe ich.“ Neona deutete auf das Tablett. „Seid ihr beiden hungrig?“
Norjee und Xiao Fang setzten sich nebeneinander hin und aßen. Sie schauten sich immer an, Neona vermutete also, dass sie sich unterhielten. Die anderen zwei Drachenkinder, Huo und Chu, aßen ihre Suppe und warfen Xiao Fang sehnsüchtige Blicke zu. Neona nahm an, dass sie sich ausgeschlossen fühlten.
„Kann ich mit Xiao Fang draußen spielen?“, fragte Norjee.
Lydia schüttelte den Kopf. „Die Königin hat es lieber, wenn die Drachenkinder sicher in der Höhle bleiben.“
„Warum?“, fragte Norjee.
Lydia seufzte. „Weil wir sie beschützen wollen. Sie sind die einzigen Drachen, die es noch gibt.“
„Aber Xiao Fang will frei sein“, wendete Norjee ein.
„Er kann frei sein, wenn er erwachsen ist“, sagte Lydia. „Esst eure Suppe.“
Norjee zog die Stirn in Falten, tat dann aber, was von ihm verlangt worden war.
Während Neona aß, merkte sie, dass Norjee und Xiao Fang sich heimliche Blicke zuwarfen. Die beiden hatten eindeutig etwas vor. „Wann hast du das letzte Mal gebadet, Norjee?“
Er zuckte mit den Achseln. „Weiß ich nicht.“
Neona sah ihn eindringlich an. „Wusstest du, dass Drachen besonders empfindliche Nasen haben? Sie wittern ihre Beute aus meilenweiter Entfernung. Und schmutzige kleine Jungen auch.“
Norjee sah Xiao Fang an, der die Nase rümpfte und grinste. Dann blickte er auch die anderen zwei Drachenkinder an und zuckte schuldbewusst zusammen. „Sie sagen, ich stinke.“
Neona nickte. „Hier in der Nähe ist eine Stelle, wo der Bach eingedämmt ist und ein flaches Becken bildet. Ich bringe dich dorthin, damit du baden kannst. Und wenn Xiao Fang mitkommen will, kann er das gerne tun.“
Norjee setzte sich strahlend auf. „Wirklich?“
„Deiner Mutter wird das nicht gefallen“, murmelte Lydia.
„Ihnen passiert nichts. Ich passe auf sie auf.“ Neona stand auf.
Norjee sprang auf und umarmte sie. „Danke, Mama!“
Ihr Herz machte einen Sprung, und sie erstarrte einen Augenblick, in dem ihr das Wort „Mama“ im Kopf widerhallte. Tränen stiegen ihr in die Augen.
Norjee hakte sich bei Xiao Fang ein. „Gehen wir!“
„Helft mir erst, die Teller zurück ins Lagerhaus zu bringen.“ Neona beugte sich vor, um die Schüsseln einzusammeln, aber Norjee kam ihr zuvor, stellte alle fünf Schüsseln auf ein Tablett und hob es hoch.
Lächelnd deutete sie auf den schmalen Eingang. „Hier entlang. Und ganz leise, damit die Königin nicht aufwacht.“
Als sie die schmutzigen Teller ins Lagerhaus stellten, nahm Neona zwei Handtücher, zweimal saubere Kleidung und etwas Seife. Die Jungen tollten vor ihr her und hielten sich an ihre Anweisung, um das flache Becken ein Stück den Bach hinauf zu finden. Als sie dort ankam, hatten die beiden sich bereits ausgezogen, sprangen im Becken herum und spritzten einander nass.
Sie sah zu den Grabhügeln, die sich den Berg hinauf befanden. „Er ist hier, Minerva. Dein Sohn ist zu Hause.“
Als die Sonne viel tiefer am Himmel stand, ging sie mit den frisch geschrubbten Jungen zurück zur Höhle. „Wegen heute Abend habt ihr alles verstanden?“
Norjee nickte. „Die Königin hat es uns erklärt. Ihr müsst mit den bösen Männern kämpfen.“
„Ja, wir werden die ganze Nacht beschäftigt sein. Wechselt euch ab damit, die Eier zu bewachen. Die Eule der Königin wird bei euch bleiben. Und mein zahmer Leopard, Zhan. Wenn etwas passiert, schickt ihr die beiden ins nächste Tal, um uns zu verständigen. Wir kommen dann sofort.“
„Xiao Fang sagt, du sollst dir keine Sorgen machen. Wir schaffen das.“ Norjee sah sie besorgt an. „Aber du bist vielleicht in Gefahr.“
Sie umarmte ihn. „Ich schaffe das auch. Bei mir sind drei Vampire und drei Männer, die sich in riesige Bären verwandeln!“
Norjees Augen fingen an zu leuchten. „Hier ist es viel lustiger als im Kloster!“
„Sind alle so weit?“, fragte Angus.
Neona überprüfte noch einmal ihre Waffen. Ihr Schwert war in seiner Hülle, ihr Köcher voller Pfeile, ihr Bogen ruhte auf ihrer Schulter, und sie hatte sich ihr Messer an die Wade gebunden. In ihren engen Schwertgürtel hatte sie die Betäubungspistole gesteckt, und der Beutel daneben war voller Pfeile. Sie war in schlichtes braunes Leinen gekleidet, hatte darüber die Kevlar-Weste angelegt und die Haare zu einem festen Zopf zusammengenommen.
Angus sah auf die Uhr. „Bald werden die Anrufe ankommen. Wir müssen heute so viele wie möglich außer Gefecht setzen. Sobald Lord Liao merkt, dass seine Männer verschwinden, wird er zum Gegenschlag ausholen. Und dann geht es rund. Seid darauf vorbereitet.“
Neona warf Zoltan einen besorgten Blick zu. Er lächelte sie an und drückte ihr die Hand. Es war dunkel, da kein Feuer erlaubt war, aber im Mondlicht gelang es ihr trotzdem, Winifred und ihr Team zu erkennen. Sie stand sehr dicht bei Jin Long Wang. In ihrem Team gab es drei Werwölfe. Freya war in der Gruppe mit den Wer-Tigern.
Ein Telefon klingelte, und Emma antwortete. „Verstanden.“ Sie legte auf. „Das war Russell. Er hat Liao und den größten Teil seiner Armee ausfindig gemacht. Nachdem ihr euer Ziel neutralisiert habt, teleportiert ihr euren Späher zurück zu Russell, sodass er einem anderen Suchtrupp folgen kann. Dann fangen wir mit Runde zwei an.“
Alle murmelten zustimmend und warteten ab.
Neben Neona trat der Wer-Bär Jesse von einem Fuß auf den anderen. „Komm schon, Jimmy, ruf an.“
Ein weiteres Telefon klingelte, und alle sahen sich um.
„Das ist meins“, verkündete Mikhail und hob ab. „Carlos? Wir sind bereit. Sprich weiter.“ Er und ein weiterer Vampir packten die zwei Wandler. Pamela griff nach Königin Nima, und alle sechs teleportierten sich davon.
Neona atmete tief durch und sprach ein stummes Gebet für die sichere Rückkehr ihrer Mutter.
Howards Telefon klingelte.
„Ja!“ Jesse stieß seine Faust in die Luft. „Das ist Jimmy!“
Howard sah seinen Neffen streng an. „Kein Laut, wenn wir angekommen sind.“ Er ging ans Telefon und streckte es dann aus.
Dougal trat näher, damit er Jimmys Flüstern hören konnte. Er nahm Jesse und verschwand. Zoltan zog Neona fest an sich, und alles um sie herum wurde schwarz.
Sie landete mitten in einem dunklen Wald. Zoltan drückte ihr kurz die Schultern und ließ sie dann los. Dougal stand ganz in der Nähe. Jesse tat so, als würde er bei seinem Zwilling einschlagen, aber sie hielten ein paar Zentimeter voneinander entfernt inne und grinsten einander an.
Es versetzte ihr einen Stich. Auch sie hatte mit ihrem Zwilling diese Art von Beziehung gehabt.
Jack und Howard tauchten neben ihnen auf.
Jimmy hob die Hände und zeigte an seinen Fingern, dass der Suchtrupp aus acht Mann bestand. Er deutete in ihre Richtung.
Howard bedeutete Zoltan und Neona, ihm zu folgen, und sie schwenkten nach links. Der Rest des Teams ging nach rechts. Schweigend bewegten sie sich voran, bis sie den Feind entdeckt hatten.
Die acht Männer schlenderten dahin und redeten miteinander, ohne zu merken, dass man sie verfolgte. Howard zog seine Betäubungspistole aus dem Gürtel und schlich sich vor den Suchtrupp. Zoltan brachte sich in der Mitte in Position, und Neona übernahm das Ende. Hinter einem Baum versteckt und mit wild klopfendem Herzen zog sie ihre Pistole und suchte sich ein Ziel aus.
Ihr gegenüber brach ein Zweig. Die acht Männer blieben stehen, um sich nach rechts umzusehen. Sofort wurden vier von ihnen mit Betäubungspfeilen beschossen. Zwei weitere zuckten zusammen, als Howard und Zoltan ihre Waffen abfeuerten.
Neona schoss auf ihr Ziel. Er stolperte zurück, schüttelte dann den Kopf und zog sein Schwert. Sie lud schnell einen weiteren Pfeil nach. Zoltan hatte sie gewarnt, dass einige der Supersoldaten so stark waren, dass es mehr als einen Pfeil brauchte, um sie außer Gefecht zu setzen. Der Soldat hob sein Schwert und bewegte sich auf sie zu. Sie schoss wieder. Er geriet ins Schwanken, ließ sein Schwert fallen und fiel dann vornüber auf sein Gesicht.
Nachdem alle acht Mann des Suchtrupps gefallen waren, machte ihre Gruppe sich daran, ihnen Arme und Beine zu fesseln.
„Alles in Ordnung?“, fragte Zoltan sie.
„Ja.“ Sie lud ihre Waffe nach. „Es kam mir relativ leicht vor.“
Er lächelte. „Es wird schwieriger, wenn die Nacht voranschreitet und wir das Überraschungsmoment verlieren.“
Jack und Dougal hoben je einen Soldaten hoch und teleportierten sich mit ihnen davon.
Zoltans Lächeln verblasste. „Das ist der Teil des Plans, der mir nicht gefällt.“
„Ich komme zurecht“, versicherte sie ihm. „Ich habe drei Bären bei mir. Und ich konnte dich besiegen, weißt du noch?“
Er küsste sie auf die Stirn. „Ich bin so schnell wieder da, wie es geht.“ Er griff sich den nächsten Soldaten und verschwand.
Neona half Howard dabei, Schwerter und Waffen der betäubten Soldaten aufzusammeln, während die Zwillinge Donuts verschlangen. Sie fragte sich, wie es den anderen Kriegerinnen erging. Und wie es den Kindern in der Höhle gehen mochte. Sie hatten versprochen, gut auf die Eier aufzupassen. Sie sah auf ihre glitzernde Kätzchen-Uhr. Nach fünf Minuten tauchten die Vampire wieder auf.
„Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat“, sagte Zoltan zu ihr. „Wir sind zuerst in Tiger Town gewesen, aber in Japan ist es noch dunkel, deswegen haben sie uns die Soldaten dorthin bringen lassen. Sie wollen das Labor dort zuerst auffüllen.“
Dougal bückte sich, um noch einen Soldaten aufzuheben. „Meine Frau wird heute Nacht einiges zu tun haben.“ Er verschwand wieder.“
Jack schnaubte. „Er hatte es ziemlich eilig, wieder zu ihr zu kommen.“ Er teleportierte mit einem weiteren Soldaten davon.
„Seine Frau?“, fragte Neona.
„Dougal ist mit Leah verheiratet, der Ärztin, die die Supersoldaten wieder zurückverwandelt“, erklärte Zoltan ihr.
„Ehe du gehst“, sagte Howard zu Zoltan, „kannst du unseren Späher zu Russell zurückbringen? Wir müssen unser nächstes Ziel ausfindig machen.“
Jesse sprang auf. „Ich gehe diesmal. Jimmy ist müde.“
„Okay.“ Zoltan rief Russell an.
„Ruh dich aus, Bro.“ Jimmy klopfte seinem Zwilling auf den Rücken und reichte ihm die Donut-Schachtel.
Zoltan verschwand mit Jesse und tauchte dann ein paar Sekunden später wieder auf, um sich noch einen Soldaten zu schnappen.
Nach fünf weiteren Minuten waren die letzten Soldaten abgeliefert, und die Vampire teleportierten das ganze Team zurück ins Hauptquartier in Frederics Tal.
Als die Teams eins nach dem anderen von ihrer ersten Runde wieder eintrafen, erstatteten sie Emma Bericht darüber, wie viele Soldaten sie erwischt hatten.
„Zweiundfünfzig!“, verkündete Emma, als alle wieder da waren.
Nachdem sie damit fertig waren, einander zu gratulieren, entschied Neona, dass es ein guter Zeitpunkt war, Zoltan zu gestehen, was sie mit seinem Blutvorrat getan hatte. Sie zog ihn zur Seite. „Ich muss dir etwas über dein Blut in Flaschen gestehen …“
„Ach, das erinnert mich“, sagte er. „Ich sollte nach Hause teleportieren und noch etwas trinken. Ich bin schon wieder hungrig.“
Sie zuckte schuldbewusst zusammen.
„Zoltan.“ Die Königin kam auf sie zu. „Teleportierst du mich in die Höhle? Ich will nach den Kindern sehen.“
„Sicher.“ Er nahm Nimas Arm und lächelte Neona an. „Wir sind bald wieder da.“
Sie seufzte und ging dann im Lager umher und sah nach ihren Freundinnen. Lydia, Winifred und Freya aßen etwas von dem Essen, das die Wer-Tiger früher am Tag zubereitet hatten. Eigentlich sah es so aus, als würden Freddie und Freya mehr flirten als essen. Tashi saß allein auf einem Stein am Flussufer.
„Alles in Ordnung?“, fragte Neona und setzte sich neben sie.
„Mir ist immer wieder mal schlecht.“ Tashi sah zu den Wer-Tigern herüber. „Ich habe etwas von ihrem Essen gekostet. Wahrscheinlich habe ich es nicht vertragen.“
„Wenn dir heute Nacht nicht danach ist, noch mehr zu tun, dann schaffen sie es bestimmt auch ohne dich.“
Tashi tauchte eine Hand ins das kalte Wasser und presste sie sich gegen die Stirn. „Ich komme schon zurecht.“
Neona beugte sich dicht zu ihr und flüsterte: „Könntest du schwanger sein?“
„Vielleicht. Ich bin noch nicht sicher.“
Neona klopfte ihr auf die Schulter. „Du wirst eine wunderbare Mutter.“
„Ich hoffe es.“ Tashi sah sich stirnrunzelnd um. „Ich bin mir nicht sicher, was die Zukunft uns allen bringen wird.“
Nach einer Weile tauchte Zoltan mit Nima wieder auf, die berichtete, dass es den Kindern und Eiern gut ging. Neona ging mit dem festen Plan zu Zoltan, ihm von den Flaschen zu erzählen, aber Jesse rief an, und es war an der Zeit, sich wieder zu teleportieren.
Innerhalb weniger Minuten lagen neun Soldaten bewusstlos da. Die Vampire teleportierten sie nach Tiger Town und brachten Jesse zurück zu Russell.
„Es kommt mir zu einfach vor“, sagte Neona, als sie ins Hauptquartier zurückgekehrt waren.
„Das dauert nicht mehr lange“, warnte Zoltan sie. „Mittlerweile muss Lord Liao wissen, dass seine Suchtrupps sich nicht mehr melden.“
Emma verkündete, dass die Zahl auf einhundertdrei gestiegen war. Es war ihnen gelungen, Lord Liaos Armee zu halbieren.
Im Lager wurde es still, während die Teams auf den Anruf ihrer Späher warteten, sodass Runde drei beginnen konnte.
Neona zog Zoltan fort in den Schutz des nahen Waldes. „Es gibt da etwas, das ich dir sagen muss.“
„Dass du mich liebst?“
Sie lächelte. „Das habe ich dir schon gesagt.“
„Heute noch nicht.“ Er zog sie hinter einen Baum und flüsterte ihr ins Ohr: „Denkst du an Höhepunkt Nummer sieben?“
„Zählst du immer noch mit?“
„Ich habe dir zehn versprochen, und ich halte alle meine Versprechen.“
Sie wich zurück. „Es ist wichtig.“
„Also geht es um Sex?“
Sie schnaubte. Dieser Mann war einfach unersättlich. „Ich muss dir etwas gestehen. Es geht um dein Blut in Flaschen.“ Trotz ihres schlechten Gewissens nahm sie all ihren Mut zusammen. „Ich habe dir etwas von unserem Wasser des Lebens in die Flaschen geschmuggelt. Ich fürchte, du hast deswegen solchen Hunger …“
„Was?“ Er sah sie fassungslos an. „Du hast mir etwas unter den Blutvorrat gemischt?“
Sie nickte. „Es war falsch von mir. Ich hätte es dir sagen müssen. Ich verstehe, wenn du deswegen wütend bist …“
Er lachte.
Sie blinzelte. „Du bist nicht wütend?“
„Süße, ich habe mir ebenfalls etwas in die Flaschen gemischt. Liebe Güte, kein Wunder, dass ich so einen Hunger habe.“
„D-du hast Wasser des Lebens dazu gemischt? Wo hattest du es her?“
„Ich habe es gestohlen. Habe mich in die Höhle geschlichen und etwas genommen.“ Er lächelte sie zerknirscht an. „Ich verstehe, wenn du deswegen wütend bist.“
„I-ich bin erstaunt. Wir haben es beide getan?“
Er sah sie neugierig an. „Warum hast du es gemacht?“
„Und warum du?“
„Ich habe zuerst gefragt.“
Sie seufzte. „Du hast gesagt, dein Samen sei tot. Ich dachte, das Wasser des Lebens kann ihn vielleicht wieder erwecken.“
„Ah.“ Er streckte die Hand nach ihr aus. „Du willst Babys machen.“
„Jetzt gerade nicht.“ Sie stieß ihn spielerisch von sich. „Was war dein Grund?“
„Wir wollten wissen, was mit einem Vampir geschieht, der das Wasser des Lebens zu sich nimmt. Falls Liao oder Han es in die Finger bekommen, wollten wir wissen, was wir zu erwarten haben.“
„Verstehe.“ Sie legte den Kopf zur Seite, um ihn zu mustern. „Wie fühlst du dich?“
Er zuckte mit den Achseln. „Ungefähr so wie vorher. Ich habe nur die ganze Zeit Hunger.“
Sie nickte. „Es waren erst zwei Nächte. Vielleicht braucht es noch Zeit, bis die Wirkung spürbar wird.“
Howard pfiff, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen. „Jesse hat angerufen. Zeit für die nächste Runde.“
Sie teleportierten sich zu Jesse, der eine Gruppe aus fünf Männern vor ihnen anzeigte und aus zehn hinter ihnen.
„Zwei Gruppen?“, flüsterte Howard.
Jesse nickte, ein panischer Ausdruck in seinen Augen. „Sie sind mit AK-47 bewaffnet.“
Neona wusste nicht, was das sein sollte, aber am Ausdruck auf den Gesichtern der Männer erkannte sie, dass es schlechte Nachrichten waren.
„Diese Männer suchen nicht nach Beyul-La“, murmelte Dougal. „Sie sind auf der Jagd nach uns.“
Howard nickte. „Die erste Gruppe ist der Köder, und wenn wir anbeißen, holt die zweite zum Todesschlag aus.“
Jesse schluckte. „Was machen wir jetzt? Sollen wir lieber verschwinden?“
Howard sah ihn verärgert an.
„Ach ja, richtig.“ Jesse drückte die Schultern durch. „Wir treten denen in den Hintern.“
Zoltan sah Neona besorgt an, aber ehe er etwas sagen konnte, schüttelte sie den Kopf. „Ich bleibe.“
Er verzog das Gesicht. „Wir sollten uns so aufteilen, dass die Vampire ihre Partner sofort teleportieren können, wenn das Feuer eröffnet wird. Ich nehme Neona.“
„Guter Plan“, befand Howard. „Jimmy, du bleibst bei Jack. Jesse, geh mit Dougal.“
„Was ist mit dir?“, fragte Jimmy.
„Ich komme zurecht.“ Howard klopfte seinem Neffen auf den Rücken. „Wir sollten uns zuerst die Zehnergruppe vornehmen.“
Alle stimmten zu und schlichen sich leise durch den Wald, bis sie die zehn Mann hinter sich entdeckt hatten.
Neona stockte der Atem. Diese Supersoldaten waren bis an die Zähne bewaffnet. Nicht nur mit Schwertern und Messern, sie trugen auch die riesigsten Gewehre, die sie je gesehen hatte.
„Das sind Maschinengewehre“, flüsterte Zoltan ihr ins Ohr. „Bleib dicht bei mir, damit ich dich teleportieren kann.“
Sie schlich sich mit ihm gemeinsam vorwärts, verborgen hinter Büschen und Felsen. Als Howard seinen Vogelruf pfiff, befand sie sich mit Zoltan hinter einem Busch. Alle sechs Mitglieder ihrer Gruppe feuerten auf einmal ihre Betäubungspistolen. Neona traf ihr Ziel und wurde von Zoltan sofort hinter einen riesigen Felsen teleportiert.
Maschinengewehrfeuer war die Reaktion. Ihre Hände zitterten, als sie ihre Pistole mit neuen Betäubungspfeilen belud. Sie hatte noch nie eine so schreckliche Waffe gehört. Zoltan feuerte seine Pistole und teleportierte sie dann hinauf in einen Baum. Keuchend hielt sie sich am Baumstamm fest. Unter ihnen prallten Kugeln von dem Felsen ab. Der Busch, hinter dem sie und Zoltan sich gerade noch versteckt hatten, war in Stücke gerissen.
Nur zwei Soldaten waren noch übrig, aber die schossen mit ihren Maschinengewahren im Kreis um sich. Neona schoss genau zur gleichen Zeit auf einen der beiden, als auch vier andere aus ihrem Team ihre Munition abfeuerten. Die Soldaten hörten auf zu schießen, um die Betäubungspfeile herauszureißen, aber es folgten noch mehr. Langsam gingen sie zu Boden.
„Beeilt euch! Nehmt ihre Waffen“, rief Howard.
Zoltan teleportierte sie zurück auf den Boden. Das Team beeilte sich, die Waffen einzusammeln. Als Neona sich einem der Soldaten näherte, packte er ihren Knöchel, riss sie nieder und hob den Arm, das Messer zum Angriff bereit. Sie griff nach seinem Arm, aber er war stärker als sie. Gerade als ihr das Messer in den Arm schnitt, packte Zoltan den Mann im Nacken und zerrte ihn vom Boden hoch.
„Bastard!“ Zoltan schüttelte ihn.
„Deckung!“, brüllte Howard, und er und die Wer-Bären-Zwillinge duckten sich hinter die bewusstlosen Soldaten.
Ein Feuerhagel ging aus dem dichten Wald auf sie nieder. Die Fünfergruppe hatte sie erreicht. In Vampirgeschwindigkeit wirbelte Zoltan herum und stellte den Soldaten zwischen sich und die Kugeln. Der Soldat zuckte und bebte, als die Munition seinen Körper durchlöcherte.
Jack und Dougal teleportierten sich hinter zwei der Soldaten, rissen ihnen die Waffen aus den Händen und stachen mit drei Betäubungspfeilen auf sie ein, die sie in der Hand hielten. Die Männer sackten bewusstlos zusammen.
Drei von ihnen schossen noch. Hinter Zoltan verborgen zog Neona ihr Messer und schleuderte es nach einem von ihnen. Sie traf seinen Arm, sodass er seine Waffe fallen ließ. Dann schoss sie mit ihrer Betäubungspistole auf ihn. In der Zwischenzeit hatten Jack und Dougal sich hinter die verbliebenen zwei Soldaten teleportiert, sie entwaffnet und betäubt.
Im Wald war es einen Augenblick still, ehe Jimmy aufsprang und brüllte: „Das war astrein!“
„Aber so was von!“ Jesse schlug bei seinem Zwilling ein.
Zoltan ließ den toten Soldaten fallen und half Neona beim Aufstehen. „Alles in Ordnung?“
„Du warst spitze, Kriegerprinzessin!“ Jimmy hob seine Hand und wartete darauf, dass sie beim ihm einschlug.
Sie hob den Arm. Er war voller Blut.
„Mist“, flüsterte Zoltan. „Ich bringe dich nach Tiger Town, zu einem Arzt.“
„Das ist nur ein kleiner Schnitt. Ich komme zurecht, wenn du mich nur in den Lagerraum bringst, wo ich meine Medizin aufbewahre.“
„Bist du sicher?“, fragte er und sah dann die anderen an. „Wir müssen los.“
„Wir kommen hier zurecht.“ Howard winkte ihn fort. „Geht schon.“
Er teleportierte sie an die Feuerstelle in Beyul-La und führte sie dann in das Lagerhaus, wo sie ihre Medizin und das Verbandsmaterial aufbewahrte. Er öffnete ein Fenster, sodass das Mondlicht hereinscheinen konnte.
Sie gab ihm Anweisungen, und er wusch ihr den Arm, trug eine Salbe auf und wickelte fest in einen Streifen sauberes Leinen um ihre Wunde.
„Bist du dir sicher?“ Er sah ihren Arm zweifelnd an.
„Die Salbe funktioniert“, versicherte sie ihm. „Sie hat auch die Blutung aus deiner Wunde gestoppt, weißt du noch? Und sie sauber gehalten.“
„Aber ich heile in meinem Todesschlaf. Du nicht.“ Er führte sie aus dem Lagerraum. „Wir könnten ins Nachbartal gehen. Mikhail hat dort seine Sanitätsausrüstung.“
„Ich heile jetzt seit ungefähr zweitausend Jahren Wunden.“
„Nimm wenigstens etwas gegen den Schmerz.“ Er zog sie dicht an sich. „Ich ertrage den Gedanken nicht, dass du leidest.“
Sie drehte sich um, als sie ein Rufen hörte. Norjee und Zhan kamen aus der Höhle gerannt. Die Eule kam herausgeflogen und stürzte sich in das Nachbartal. Zhan rannte ihr hinterher.
„Was ist los?“, rief sie auf Tibetisch.
Norjee blieb schwer atmend vor ihr stehen. „Die Eier … zwei Eier schlüpfen.“