24. Kapitel

„Was ist los?“, fragte Zoltan.

Neona berichtete auf Englisch: „Zwei Eier sind am Ausschlüpfen. Kannst du ins Nachbartal gehen und Nima oder Winifred herbringen?“

„Kannst du dich nicht um die Eier kümmern?“

Sie schüttelte den Kopf. „Die Schlüpflinge prägen sich auf den ersten Menschen, den sie sehen. Es muss jemand sein, der mit ihnen kommunizieren kann. Beeil dich! Wir warten auf dich.“ Sie nahm Norjee an der Hand und rannte mit ihm gemeinsam zurück in die Höhle.

Zoltan teleportierte sich in Frederics Tal. Es war so gut wie leer, weil fünf der Teams ausgezogen waren. Emma war noch da und koordinierte die Missionen. Ein paar Wandler waren als Wachen zurückgeblieben. Tashi saß auf einem Stein in der Nähe und sah sehr blass aus.

„Emma!“ Zoltan rannte zu ihr. „Wo sind Nima und Winifred?“

„Winifred ist gerade weg“, sagte Emma.

Die Eule landete auf dem Stein neben Tashi, und sie sprang auf. „Stimmt etwas nicht in der Höhle?“

„Zwei Eier schlüpfen“, berichtete Zoltan ihr.

„Oh nein!“, keuchte Tashi auf. „Wir brauchen Nima oder Freddie.“

Emma zuckte zusammen. „Ich habe mein Bestes versucht, damit eine von beiden immer hier ist. Nimas Team sollte jede Sekunde zurück sein. Ich hätte Freddie sonst nicht gehen lassen.“

„Nima muss sofort zurückkommen!“, beharrte Tashi.

„Ich rufe ihr Team an.“ Emma gab eine Nummer in das Satelliten-Telefon ein.

Tashi stöhnte. „Das ist alles meine Schuld. Ich war an der Reihe, aber ich habe mich übergeben, deswegen ist Winifred gegangen.“

„Dafür konntest du nichts“, tröstete Emma sie. „Und wenn du schwanger bist, wie wir vermuten, dann solltest du sowieso nicht in der Schlacht dabei sein.“ Sie legte das Ohr ans Telefon. „Mikhail? Wir brauchen Nima sofort zurück. Okay. Danke.“

Sie legte auf. „Mikhail und Pamela sind in Tiger Town und liefern die letzten Soldaten dort ab. Sie sollten Nima in ein paar Minuten hier haben.“

Tashi wandte sich der Felswand zu. Neonas zahmer Leopard ging an ihrem Rand auf und ab. Zoltan hörte auch die Gedanken des Leoparden.

Keine Zeit! Die Eier schlüpfen in diesem Augenblick!

„Wir haben keine paar Minuten Zeit“, sagte Zoltan. „Die Schlüpflinge prägen sich auf die erste Person, die sie sehen, und es muss jemand sein, mit dem sie kommunizieren können.“

„Das stimmt!“ Tashi verzog das Gesicht und rieb sich den Bauch. „Sie müssen sich schnell prägen, sonst geht ihnen diese Fähigkeit verloren. Einmal ist ein Ei unerwartet geschlüpft, als nur meine Mutter dabei war. Das Baby hat sich auf sie geprägt, aber als sie nicht mit ihm kommunizieren konnte, hat es die Fähigkeit dazu verloren. Nima konnte es überhaupt nicht hören. Dann hat es alle seine Sinne verloren. Das arme Ding hat einfach nur dagelegen und ist gestorben!“

Emma atmete tief ein. „In Ordnung, dann mache ich es.“

„Aber du kannst nicht …“ Tashi keuchte auf, als Emma verschwand. „Was macht sie denn? Die Babys sterben, wenn sie …“

„Sie kann mit ihnen kommunizieren“, sagte Zoltan.

Tashi riss die Augen auf. „Kann sie?“

Zoltan sah sich um und entdeckte Phil mit einigen der jüngeren Werwölfe, die noch in der Ausbildung waren. „Phil, übernimm du hier, bis Angus wieder da ist.“

Phil rannte zu ihm. „Was ist los?“

„Emma muss zwei Drachenjungen beim Schlüpfen helfen.“

„Was?“ Phil sah fassungslos aus.

Zoltan konnte sich vorstellen, dass Emmas Mann noch fassungsloser wäre, wenn er die Konsequenzen erfuhr. „Gehen wir.“ Er griff sich Tashi und teleportierte sie zum Eingang der Höhle.

„Geh du vor.“ Sie rieb sich den Bauch. „Ich komme gleich nach. Ich muss einen Augenblick ruhig sitzen.“

Er sauste den schmalen Gang hinab in die riesige Höhle, in der die Drachenkinder lebten. Norjee und die drei Drachenwandler saßen auf Nimas großer Matratze und sahen besorgt aus.

Norjee sprang auf. „Nima?“

„Sie kommt bald“, antwortete Zoltan, frustriert, weil er wusste, dass der Junge ihn nicht verstehen konnte. Er lächelte den Kindern aufmunternd zu und eilte dann den schmalen Korridor hinab in die Höhle, in der sich die Eier befanden.

Neona drückte sich am Eingang herum, teilweise hinter einer Steinmauer verborgen. Sie sah sich nach ihm um.

„Nima wird bald hier sein.“

Neona zuckte zusammen. „Dann ist es vielleicht zu spät.“

Er spähte in den Raum, der trübe von einer einzigen Fackel ausgeleuchtet wurde. Emma kniete vor einem Nest, in dem sich zwei Eier befanden. Sie waren beide mit Rissen übersät und bewegten sich kaum merklich von einer Seite zur anderen.

Er blinzelte, als plötzlich ein Fuß aus der Schale ragte. Ein winziges Bein streckte sich aus dem Ei und fing an zu treten.

Emma keuchte auf. „Es sieht so menschlich aus.“ Sie warf Neona einen wilden Blick zu. „Was mache ich jetzt?“

„Wenn der Kopf herauskommt, sorg dafür, dass sie dich sehen“, sagte Neona. „Sieh ihnen in die Augen und kommuniziere mit ihnen.“

Ein weiteres Bein platzte durch die Schale, und das Ei fing an zu beben. Zwei Arme kamen heraus, die winzigen Hände zu Fäusten geballt.

„Sieh dich mal an.“ Emma fasste nach den winzigen kleinen Händen. „Toll machst du das.“

Eine kleine Hand öffnete sich und fasste um Emmas Daumen.

„Oh mein Gott“, flüsterte sie.

Das Ei wackelte, und Stücke der Eierschale fielen vom Kopf des Babys. Mit ihrer freien Hand zupfte Emma ihm die Schale aus dem Gesicht.

Neona zog Zoltan zurück hinter die Steinmauer. „Wir dürfen nicht riskieren, dass die Babys uns sehen.“

Er wartete, dann hörte er ein weinerliches Wimmern von Emma kommen.

„Ich kann ihn weinen hören.“ Sie schniefte. „Er ist ein Junge. Ein wunderschöner Junge.“

Neona atmete erleichtert auf und lächelte. „Sie prägen sich aufeinander. Zum Glück.“

Zoltan spähte in die Höhle. Emma zupfte gerade die letzte Eierschale von dem kleinen Jungen. Seine Arme und Beine fuchtelten durch die Luft, aber sein Blick war nur auf sie gerichtet. Sie lächelte ihn an, und Tränen liefen ihr die Wangen hinab.

In dem Moment platzte auch ein Bein aus der zweiten Schale.

„Dein Zwilling kommt“, flüsterte Emma.

Als eine kleine Faust zu sehen war, griff sie danach. Das Ei schüttelte sich heftig, und der Kopf tauchte auf.

Zoltan trat wieder hinter die Steinmauer und wartete.

Emma lachte. „Ich habe ein kleines Mädchen.“

Neonas zahmer Leopard kam zu ihr und Zoltan gerannt.

„Zhan.“ Neona tätschelte ihm den Kopf. „Braver Kater. Danke, dass du auf die Kinder aufgepasst hast.“

Er rieb sich an ihrem Bein und sah dann Zoltan an. Die Königin ist angekommen. Sie versuchen, dich anzurufen.

Danke. „Ich bin gleich wieder da.“ Er teleportierte sich an den Eingang der Höhle. Sein Telefon vibrierte, und er antwortete.

„Ich habe Nima bei mir“, sagte Mikhail. „Ich habe versucht, sie davon zu überzeugen, dass sie schneller nach Hause kommt, wenn ich sie teleportiere. Rede weiter.“

„Okay. Ich bin hier am Höhleneingang“, erzählte Zoltan, „und warte auf euch …“

Mikhail tauchte mit Nima auf, die sofort in die Höhle rannte. Als Zoltan und Mikhail ihr folgten, drehte sie sich um und starrte sie wütend an. „Männer sind hier nicht gestattet. Geht!“

Mikhail schnaubte und verschwand.

Zoltan folgte ihr, als sie den schmalen Gang hinab in die größere Höhle rannte. Tashi war dort und kümmerte sich um die Kinder. Zhan hatte es sich auf einer Matratze bequem gemacht und ließ sich von Norjee und Xiao Fang streicheln.

„Den Babys geht es gut“, sagte Zoltan der Königin.

Sie wirbelte zu ihm herum. „Sie sind schon geschlüpft? Und niemand war hier, auf den sie sich prägen konnten?“

„Emma hat es getan.“

Was? Meine Drachen haben sich auf einen Vampir geprägt!“ Nima zog ihr Schwert. „Du hast zugelassen, dass ein Monster mir die Kinder raubt? Ich sollte euch alle töten. Ihr zerstört unsere Welt!“

„Genug!“ Neona kam in die große Höhle gerannt. „Steckt Euer Schwert ein, Mutter.“ Sie neigte den Kopf in Richtung der Kinder, die sich ängstlich zusammengekauert hatten. „Nicht hier.“

Zoltan böse anstarrend, steckte Nima ihr Schwert wieder ein.

„Gebt den Vampiren nicht die Schuld“, sagte Tashi, die die zwei jüngsten Kinder an sich gedrückt hatte. „Freddie musste früher wieder los, weil ich krank geworden bin. Ihr und Freddie seid nur sehr kurze Zeit gemeinsam fort gewesen.“

„Genug Zeit für diese Monster, unsere Babys zu stehlen“, zischte Nima.

„Emma hat die Babys gerettet.“ Neona deutete auf den Raum mit den Eiern. „Seht selbst.“

Zoltan folgte Nima und Neona den schmalen Tunnel hinab in den Raum der Eier.

Emma hatte die Babys in ein sauberes Nest gelegt. „Sollte ich sie nicht baden? Und ihnen Windeln anlegen? Mit was füttert man sie?“

Nima schnaubte. „Meinst du, wir lassen dich unsere Drachenjungen stehlen?“

Emma sah zu ihr auf. „Ich tue, was immer ich tun muss. Ich bin jetzt ihre Mutter.“

Nima gab einen verächtlichen Laut von sich. „Wie kannst du dich um sie kümmern? Du bist die halbe Zeit tot.“

„Ich werde dir helfen“, bot Neona an. „Die Babys mögen Ziegenmilch. Wir haben hier im Tal ein paar Ziegen. Ich werde sie melken.“

„Danke.“ Emma erstarrte plötzlich und sah ihre Babys an. „Was ist los? Ich kann sie weinen hören!“

Alle stellten sich um sie herum.

„Sie können nicht atmen!“, rief Emma. „Oh Gott, sie werden schon ganz blau.“

Neona streckte die Hand nach einem von ihnen aus. „Vielleicht kann ich …“

„Nein!“ Nima riss sie zurück. „Das ist mit Xiao Fangs Schwester auch passiert. Als Calliope versucht hat, ihr zu helfen, sind sie beide gestorben.“

Neona verzog das Gesicht. „Wir können sie nicht einfach sterben lassen.“

Emma keuchte verzweifelt auf. „Ich muss sie retten.“

„Wir können nichts tun“, rief Nima. „Oh Gott, wir werden sie beide verlieren!“

„Nein!“ Emma nahm ein Baby in den Arm und bemühte sich dann, auch das andere hochzunehmen. Zoltan beugte sich vor, um ihr zu helfen.

„Ich bringe sie zu einem Arzt.“ Emma stand auf. „Leah weiß, wie man Gestaltwandler behandelt.“

„Du kannst die Drachen nicht aus ihrem Zuhause fortbringen!“, rief Nima.

„Und ob ich kann.“ Emma verschwand und nahm beide Babys mit.

Nima war furchtbar empört. „Sie wagt es, sie uns zu stehlen! Wohin bringt sie die beiden?“

„Nach Tiger Town“, erklärte Zoltan. „Dort befindet sich Leah. Sie ist eine brillante Ärztin und Genetikerin. Sie kann herausfinden, was mit den beiden nicht stimmt.“ Er betrachtete die fünf Nester. Nur noch zwei Eier waren übrig. „Ich würde sagen, es liegt an zu viel Inzucht.“

Neona nickte. „Darüber machen wir uns schon lange Sorgen, aber man kann nicht viel machen. Sie sind die einzigen Drachen, die es auf der Welt noch gibt.“

„Vielleicht fällt Leah etwas ein. Wir haben ein paar ausgezeichnete Wissenschaftler auf unserer Seite. Sie werden ihr Bestes tun, um zu helfen.“

Neona lächelte und hakte sich bei ihm ein. „Danke.“

„Du dankst ihm auch noch? Diese Vampire machen alles kaputt.“ Empört marschierte Nima davon. „Ich gehe in mein Haus. Ich will nicht gestört werden.“

Er sah der Königin nach und murmelte dann: „Wie sollen wir nur den Rest der Nacht ohne sie überstehen?“

Neona warf ihm einen schiefen Blick zu.

„Endlich allein.“ Er schlang die Arme um sie. „Danke. Danke, dass du an mich geglaubt hast. Und an meine Freunde.“

Sie legte den Kopf an seine Schulter. „Danke, dass ihr uns geholfen habt.“

Er führte sie in die große Höhle. „Ich muss Angus erzählen, was passiert ist.“

Neona nickte. „Ich bleibe hier bei Tashi und versuche, die Kinder zum Schlafen zu bringen.“ Sie gähnte. „Es war für uns alle eine lange Nacht.“

Zoltan teleportierte sich ins Nachbartal. Alle Teams waren zurückgekehrt. Lydia erklomm gerade die Strickleiter an der Felswand, um nach Hause zurückzukehren. Freddie und Freya gingen in Begleitung von J. L. und Rajiv ebenfalls zur Felswand.

„Wir sind für heute Nacht fertig“, verkündete Angus stolz. „Insgesamt haben wir uns einhundertdreiundfünfzig Soldaten geschnappt.“

„Fantastisch.“ Zoltan lächelte. Lord Liao blieben weniger als fünfzig Soldaten übrig. „Liao muss fuchsteufelswild sein.“

„Aye.“ Angus grinste. „Wie geht es Emma? Ich habe gehört, sie ist ins nächste Tal gegangen. Irgendwas über schlüpfende Eier.“

Zoltan legte Angus die Hand auf die Schulter. „Ich habe Neuigkeiten für dich.“

Angus’ Lächeln verblasste. „Geht es Emma gut?“

„Mit ihr ist alles in Ordnung. Wusstest du, dass sie mit den Drachenkindern kommunizieren kann?“

„Aye. Was ist passiert, Mann? Sag es mir endlich.“

„Die Küken sind geschlüpft und haben sich auf Emma geprägt. Sie glauben, sie sei ihre Mutter.“

Angus blinzelte. „Sie … haben Emma adoptiert?“

„Ja. Und sie hat die beiden adoptiert. Einen Jungen und ein Mädchen.“

Angus blinzelte wieder. „Wir haben … Kinder?“

Zoltan nickte. „Aber sie sind plötzlich sehr krank geworden. Sie konnten nicht atmen. Emma hat sie nach Tiger Town teleportiert.“

„Hol’s der Teufel“, murmelte Angus. „Die Kleinen konnten nicht atmen?“ Er schüttelte sich. „Ich muss zu ihr. Sag Robby, er hat das Kommando.“ Er verschwand.

Zoltan ging zu Robby MacKay herüber, um ihm die Nachricht zu überbringen, dass zur Familie MacKay jetzt zwei Drachenwandler-Babys gehörten. Während alle auf die frischgebackenen Eltern anstießen, teleportierte Zoltan sich zurück in Neonas Haus.

Sie war dort, nackt, und wusch sich gerade an einer Schüssel Wasser.

„Wow“, hauchte er, als sie sich das Haar zusammennahm und den Nacken mit einem Waschlappen abwusch.

Sie wirbelte zu ihm herum. „Du bist wieder da.“

„Gerade rechtzeitig.“ Er nahm eine Flasche gepanschtes Blut und trank sie leer.

Lächelnd sah sie ihm beim Trinken zu. „Ich frage mich, ob dein Samen schon wiederbelebt ist.“

„Es gibt nur eine Möglichkeit, das herauszufinden.“ Er ließ seinen Blick über ihren süßen Körper wandern, blieb dann aber an dem Verband an ihrem Arm hängen. „Wie geht es dir? Hast du Schmerzen?“

„Ein wenig.“ Sie ging zum Bett und lockte ihn mit dem Finger. „Ich nehme an, Höhepunkt Nummer sieben wird mich davon ablenken können.“

Sie errötete, als seine Augen sich rot färbten. „Ich nehme an, da hast du recht.“