Am nächsten Abend wachte Zoltan in seinem Bett in der Burg auf.
Er rasierte sich schnell und stieg unter die Dusche. Heute würden die Vampire und Gestaltwandler entscheiden müssen, wie sie mit Master Hans Armee von dreihundert Mann umgehen wollten. Und wenn alles gut ging, würde er auch noch Zeit für die Verabredung finden, die er Neona versprochen hatte.
In der Küche trank er eine Flasche Blut, während er eine Kühlbox mit weiteren Flaschen bestückte. Vom Essen der Drachenkinder waren noch Schokoladenkekse übrig. Die würden Neona und Norjee vielleicht schmecken. Dann erinnerte er sich an Zhan, ihren zahmen Leoparden. Er füllte Thunfisch in einen Plastikbehälter. Die Kühlbox war voll bis zum Rand, als er sich nach Beyul-La zurückteleportierte.
Und daneben landete. Er sah sich um. Er war in Frederics Tal, nahe der Felswand.
Verdammt. Lag es am Wasser des Lebens? In der Schlacht konnte er sich so einen Fehler nicht erlauben.
Hey! Zhan kam auf ihn zugetrottet. Wie geht es Neona? Ich vermisse sie.
Zoltan lächelte den Leoparden an. Es geht ihr gut. Ich habe dir etwas zum Essen mitgebracht. Er nahm den Plastikbehälter aus der Kühlbox und stellte den Thunfisch vor den Kater.
Ich liebe dieses Zeug! Zhan stieß mit dem Kopf gegen Zoltans Bein und machte sich dann daran, alles mit Genuss zu verschlingen.
Zoltan streichelte der Katze den Kopf. Da Neona fort ist, habe ich mir Sorgen gemacht, dass du nichts zu essen bekommst.
Die Katze sah hoch und leckte sich das Maul. Die anderen Frauen füttern mich. Und die Wer-Tiger geben mir auch was zu essen. Sie finden mich niedlich. Er machte sich wieder über sein Futter her.
Zoltan schnaubte belustigt. Dieser Schlingel ließ es sich in beiden Tälern gut gehen und bekam wahrscheinlich doppelt so viel zu essen, wie er gewöhnt war. Mach so weiter, und du wirst zu dick zum Jagen.
„Zoltan!“ Howard kam auf ihn zu. „Wir haben uns schon gefragt, wann du wiederkommst. Kannst du die Kriegerinnen bitten, zu uns zu kommen? Angus möchte in dreißig Minuten eine Besprechung abhalten.“
„In Ordnung.“ Zoltan teleportierte sich in Neonas Haus und stellte seine Kühlbox neben die alte, die jetzt bis auf eine Flasche halb voll mit dem Wasser des Lebens leer war. Er hatte vorgehabt, seine neuen Blutflaschen ebenfalls damit zu versetzen, entschied sich aber dagegen. Er konnte es sich nicht leisten, seine Teleportation aufs Spiel zu setzen. Und Neonas Wunsch, dass sein Samen wieder zum Leben erwachte, war wahrscheinlich ohnehin vergebens.
Er fand die verbliebenen vier Frauen in der Höhle und ging mit ihnen zur Felswand. Er schwebte hinab, während die Frauen die Strickleiter hinunterkletterten. Angus hatte alle vor Frederics Hütte versammelt. Das Evakuierungs-Team war zurück von seiner Weltumrundung, aber sie sahen völlig erschöpft aus.
„Habt ihr Xiao Fang schon gefunden?“, fragte Freddie, während sie sich auf einen Stein am Flussufer setzte.
„Er könnte mit Hans Armee reisen“, antwortete Angus. „Oder er ist in einer von Master Hans Militärbasen versteckt. In einem Augenblick werde ich um Freiwillige bitten, damit wir uns Hans Gelände in Myanmar ansehen können, falls sie Xiao Fang dort gelassen haben.“
Angus wartete, bis alle sich hingesetzt hatten, ehe er fortfuhr. „Erst einmal kann ich euch berichten, dass Nima, die Drachenkinder und die Eier sicher in ihrem neuen Zuhause angekommen sind. Master Han weiß davon nichts, also ist seine Armee noch immer auf dem Weg hierher. Russell folgt ihnen gerade, und Carlos ist ihnen tagsüber auf den Fersen. Sie schätzen, dass die Armee in drei Nächten hier sein wird. Damit haben wir heute und morgen, um uns vorzubereiten.“
Carlos’ Adoptivsohn und Lehrling, Emiliano, hob seine Hand. „Wenn die Drachen in Sicherheit sind, warum verschwinden wir dann nicht einfach? Würde Master Han dann nicht aufgeben und nach Hause gehen, wenn er die Drachen hier nicht findet?“
„Da ist immer noch das Wasser des Lebens“, antwortete Angus. „Han mag nichts davon wissen, aber wir können nicht riskieren, dass er in Beyul-La einfällt und die Kontrolle darüber übernimmt.“
„Und wir müssen früher oder später gegen ihn kämpfen“, ergänzte Howard. „Wenn wir diese dreihundert Mann vernichten können, bleiben Han nur noch vierhundert übrig.“
Lydia schnaubte. „Und wie sollen wir dreihundert Mann vernichten? Wir sind nur fünfzig.“
„Wir haben schon zweihundert vernichtet“, rief Freya ihr in Erinnerung.
Angus nickte. „Wir benutzen eine ähnliche Strategie. Laut Russell hat Hans Armee dieses Mal keine Suchtrupps entsendet. Brauchen sie nicht, sie wissen ja genau, wohin sie wollen. Sie kommen schnell voran, haben also nur wenig Gepäck dabei. Um dreihundert Mann zu versorgen, schicken sie Plündertrupps in die Dörfer, an denen sie vorbeikommen.“
„Dann greifen wir diese Plündertrupps an?“, fragte Howard.
Angus nickte. „So möchte ich es machen, aber ich muss euch warnen. Russell sagt, die Plündertrupps sind zwanzig bis fünfundzwanzig Mann stark, und jeder ist mit einer AK-47 bewaffnet.“
„Wir haben doch im Kloster ein paar AK-47 konfisziert“, sagte Jesse. „Wir könnten sie einfach über den Haufen schießen!“
„Das müssen wir vielleicht“, gab Angus zu. „Aber mir wäre es immer noch lieber, sie alle lebendig zu fassen und wieder in normale Männer zurückzuverwandeln. Wenn wir nur vier oder fünf dieser Plündertrupps gefangen nehmen können, haben wir seine Armee auf zweihundert Mann zusammengestaucht.“
„Und dann?“, fragte Jimmy. „Wir sind so was von in der Unterzahl. Und wir können mit unseren Pfeilen nur einen nach dem anderen umlegen.“
„Gäbe es einen Weg, sie alle auf einmal zu betäuben?“, fragte Zoltan.
Angus war nicht wohl bei dem Gedanken. „Ein so starkes Gas hätte das Risiko, sie alle umzubringen. Und uns. Es wäre schwer, es im Freien zu kontrollieren.“
„Wie wäre es mit einem geschlossenen Raum …“ Zoltan stockte der Atem, als ihm eine Idee kam. „Was ist mit der Höhle? Sie ist groß genug für zweihundert Soldaten. Wir könnten sie dort drinnen einsperren.“
„Warum sollten sie da reingehen?“, fragte Jimmy.
„Sie sind wegen der Drachen hier, richtig?“, antwortete Zoltan. „Darafer wird von Xiao Fang wissen, dass die Drachen in der Höhle leben.“
„Dann würde die Armee direkt zur Höhle gehen“, dachte Angus laut vor sich hin. „Wie sperren wir sie ein?“
„Ich könnte so eine Art Fallgatter improvisieren“, bot Howard an.
„Aber was ist mit dem Wasser des Lebens?“, fragte Lydia. „Es ist in der vordersten Höhle. Sie würden direkt daran vorbeikommen.“
„Könnten wir es ablassen?“, fragte Angus.
Lydia schüttelte den Kopf. „Es wird durch eine Quelle gespeist. Das Wasser würde das Becken wieder füllen.“
„Wir müssen jeden Monat einen Becher trinken, sonst fangen wir an zu altern“, sagte Freya.
„Wir könnten es verstecken“, schlug Howard vor. „Wir bauen einen Boden darüber und bedecken ihn mit Sand und Steinen.“
„Und wir lassen den Bereich im Dunkeln“, fügte Jesse hinzu. „Dann rennen sie einfach daran vorbei, ohne es zu bemerken.“
„Sobald die Soldaten gefangen sind, werden sie in Panik ausbrechen“, warnte Angus. „Es wäre zu gefährlich, sich zu ihnen zu teleportieren.“
J. L. hob die Hand. „Blendgranaten. Der Lichtblitz macht sie blind und der Knall taub. Wir können welche benutzen, die mehrmals hochgehen, und Tränengas. Dann werden sie so schwindelig und desorientiert, dass man sie einfach mit den Pfeilen abschießen kann.“
Robby nickte. „Gute Idee, aber wir müssen sehr vorsichtig sein. Unser Seh- und Gehörsinn ist noch empfindlicher als ihrer.“
„Dann gehen wir also wieder rein, um sie mit unseren Pfeilen zu beschießen, und bringen sie dann – Moment.“ Angus zuckte zusammen. „Die Kliniken sind schon fast voll. Wo sollen wir zweihundert zusätzliche Soldaten unterbringen?“
„Wir könnten sie einfach in der Höhle lassen“, schlug Zoltan vor. „Wir können Leah und ihr Team in die Höhle teleportieren, die Soldaten in Stasis versetzen und mit der Behandlung anfangen. In ein paar Wochen können die Soldaten die Höhle dann vollkommen normal wieder verlassen.“
„In Ordnung. Wir kümmern uns später um die Details.“ Angus sah sich alle noch einmal an. „Ich möchte, dass die Frauen und die Wandler die Höhle übernehmen. Vampire – ihr kommt mit mir. Los!“
In den nächsten paar Stunden waren alle beschäftigt. Howard und die anderen Wandler kletterten die Felswand hinauf nach Beyul-La, wo sie daran arbeiteten, das Wasser des Lebens zu tarnen und eine Falltür zu bauen, die hinabfallen und die Höhle verschließen sollte.
Zoltan teleportierte sich mit Angus und den anderen Vampiren zu Hans Gelände in Myanmar. Nur ein paar Soldaten waren dort, die sich leicht ausschalten und nach Tiger Town bringen ließen. Xiao Fang war nirgends zu sehen.
Russell rief an und gab ihnen den Standort eines Plündertrupps durch, also teleportierten die Vampire sich dorthin. Nach einigen angespannten Minuten, in denen sie dem Kugelhagel ausweichen mussten, gelang es ihnen, dreiundzwanzig Soldaten gefangen zu nehmen. Eine Stunde später wiederholten sie die Mission und fassten weitere zweiundzwanzig. Zwischen den Missionen teleportierte Zoltan sich nach Tiger Town, um Neona und Norjee die Schokoladenkekse zu bringen. Sie waren in einem der Gästehäuser untergebracht, weil jedes Bett in der Klinik belegt war.
Nach der dritten Mission entschied Angus, dass es für eine Nacht genug war. Zoltan nahm seine Kühlbox und ging zurück nach Tiger Town. Gott sei Dank hatte es nur noch einmal Probleme bei seiner Teleportation gegeben. Er hatte sich in einen Baum teleportiert, um dem Kugelhagel zu entgehen, und mit den Füßen den Ast nicht getroffen. Er konnte sich gerade noch an einem anderen Ast festhalten, um nicht zu fallen.
Es war nach drei Uhr morgens, und Norjee schlief auf einer Matratze im Gästehaus. Fast ganz Tiger Town schlief ebenfalls. Zoltan führte Neona leise durch das Labyrinth der Gebäude.
„Wohin gehen wir?“, flüsterte sie.
„Ins Badehaus. Ich habe es mit Jia so abgesprochen, das wir es für uns allein haben.“
„Wer ist Jia?“
„Sie hat hier die Verantwortung, solange der Große Tiger fort ist. Sie ist seine Cousine.“ Zoltan führte sie die Stufen hinauf zu einem kleinen Gebäude und zog sich an der Tür die Schuhe aus.
„Ich konnte sie noch nicht kennenlernen. Es ist hier sehr hektisch, seit die ganzen Soldaten hergebracht werden.“ Neona trat ebenfalls aus ihren Schuhen. „Welcher ist der Große Tiger? Rinzen oder Tenzen?“
„Keiner von beiden. Sie sind Rajivs Onkel. Er ist der Große Tiger.“
Neona keuchte auf. „Rajiv? Aber er ist noch so jung. Ich glaube nicht, dass Freya davon weiß.“
Zoltan zuckte mit den Achseln. „Ich bin mir sicher, er wird es ihr sagen, wenn er dazu bereit ist.“ Er führte sie in das Badehaus, schloss dann die Tür und legte den Riegel vor. „Ich hatte dir eine Verabredung versprochen. Ich hoffe, du bist hiermit zufrieden.“
Sie sah sich um. „Es ist sehr hübsch.“ Im Zentrum des Raumes befand sich eine große versenkte Badewanne. Die Oberfläche des Wassers schimmerte im Licht zweier Kerzen.
Sie kniete sich hin, um das Wasser zu berühren. „Es ist warm.“
In Vampirgeschwindigkeit zog Zoltan sich die Kleider aus. Sie richtete sich langsam auf und sah ihm zu. Dann lächelte sie, als er auf sie zukam.
„Dich werde ich nicht so schnell ausziehen Es macht mir zu viel Spaß.“ Er löste die Schärpe an ihrer Taille und befreite sie langsam von ihrer Tunika.
Sie strich mit der Hand seine Brust hinab. „Ich habe es genossen, dir zuzusehen. Wäre ich ein Vampir, würden meine Augen jetzt rot glühen.“
„So ungefähr?“ Er legte die Hände auf ihre nackten Brüste, und seine Sicht verfärbte sich rosa. Seine Erregung wuchs bei dem Gedanken, ihr Höhepunkt Nummer acht und neun zu schenken. Er neckte ihre harten Brustspitzen und zupfte vorsichtig daran.
„Ich will dich. Jetzt.“ Sie zog sich ihre Hose aus. „Eigentlich will ich dich seit letzter Nacht. Seit du uns aus dem Kloster gerettet hast.“
„Habe ich dir schon gesagt, was für schreckliche Angst ich hatte? Ich dachte, ich hätte dich verloren.“ Er stieg in die Badewanne und zog sie zu sich hinein. „Ich habe mich verzweifelt danach gesehnt, dich in den Armen zu halten.“
Sie schlang ihm die Arme um den Hals. „Ich wusste nicht, wie sehr ich dich liebe, bis ich fürchten musste, dich niemals wiederzusehen.“
Er küsste sie heftig, und sie küsste ihn zurück. Er konnte ihr nicht nahe genug kommen. Konnte sie nicht genug küssen. Oder genug berühren. Er hob sie an, sodass er ihre Brüste mit dem Mund liebkosen konnte. Dann hob er sie noch ein Stück weiter, bis sie auf dem Rand des Beckens saß und er zwischen ihre Beine tauchen konnte. Innerhalb von Sekunden schrie sie auf, und ihre Mitte pochte an seinen Lippen.
Mit einem zufriedenen Knurren drang er in sie ein. Sie schlang Arme und Beine um ihn. Seine Geschwindigkeit war schnell und heftig, aber sie drängte ihn, ihr noch mehr zu geben. Verzweiflung trieb ihre Leidenschaft an. Er pumpte härter, schneller, tiefer, und sie bäumte sich gegen ihn auf und begegnete jedem seiner Stöße.
Stöhnend packte er ihre Hüften und presste sich eng an sie. Sie schrie auf und kam ebenfalls, gerade, als er seinen Höhepunkt erreichte.
Sie ließen sich in das Becken sinken, aneinandergeklammert, während sie wieder zu Atem kamen. Und sie hielten einander auch noch fest, als das Wasser langsam kälter wurde.
Irgendwann jedoch zerrte die erste Welle des Todesschlafes an Zoltan. „Die Sonne wird bald aufgehen.“
Sie nickte. „Wann kommt die Armee in Beyul-La an?“
„Übermorgen Abend. Kann ich dich überreden hierzubleiben, wo es sicher ist?“
„Nein.“ Sie küsste ihn. „Ich komme mit dir.“
Die Nacht brach herein, und alle befanden sich an ihren verabredeten Plätzen.
Russell bestätigte, dass die Armee auf dem Weg in Frederics Tal war. Zoltan wartete mit Neona oben an der Felswand. Lydia, Freya und Freddie waren bei ihnen und dazu Angus, Robby und J. L. Tashi war in Tiger Town und half Emma dabei, sich um die Drachenbabys zu kümmern.
Zoltan drückte Neona die Hand, dann legten sie ihre Waffen an. Die Vampire benutzten Betäubungspistolen. Die Frauen hatten Pfeil und Bogen, ihre Pfeilspitzen waren mit dem gleichen Betäubungsmittel getränkt wie die der Vampire.
Mit seinem Supergehör konnte Zoltan hören, dass die Soldaten den Hügel hinabkamen. „Nur noch ein paar Sekunden“, flüsterte er.
Neona zog ihren Bogen straff. Er legte seine Pistole an.
Sobald die Soldaten aus dem Wald kamen, ließen Zoltan und seine Kumpane die erste Salve los. Sie trafen acht Ziele und luden dann nach. Weitere acht fielen.
„Runter!“, brüllte Angus, ehe kurz über ihren Köpfen ein Kugelhagel niederging.
„Verschwinden wir“, befahl Angus, und jeder Vampir nahm sich eine Kriegerin und teleportierte sich mit ihr davon. Sie hatten ihre Aufgabe erledigt und die Soldaten zu der Felswand gelockt, die der beste Zugangspunkt zu Beyul-La war.
Zoltan tauchte mit Neona neben der Feuerstelle wieder auf. Verdammt noch mal. Sie hätten neben dem Eingang zur Höhle auftauchen sollen. Er nahm sie hoch und sauste in Vampirgeschwindigkeit mit ihr zur Höhle.
„Was zum Teufel sollte das?“, fragte Angus. Er und die anderen waren an der richtigen Stelle angekommen.
„Lange Geschichte“, murmelte Zoltan.
Eine Reihe Explosionen wurde am Ende des Tals laut. Hans Armee verhielt sich genau wie erwartet. Sie hatten Granaten benutzt, um die Felswand zu sprengen. Jede Sekunde würden die Soldaten ins Tal strömen.
„Ihr wisst, was zu tun ist?“, fragte Angus die Frauen.
„Ja“, flüsterte Lydia. „Wir schreien ‚Rettet die Drachen‘ und rennen zur Höhle.“
„Fangt an zu schreien, sobald sie in der Nähe von Nimas Haus sind“, sagte Zoltan. „Sobald sie Neonas Haus erreicht haben, müsst ihr in der Höhle sein.“
Sie nickten. In der Nacht zuvor hatten die Vampire die Reichweite der AK-47 ausprobiert, um sicherzugehen, dass die Frauen außer Schussweite der heranziehenden Armee sein würden.
Zoltan drückte Neona die Schulter. „Pass auf dich auf.“ Er und die anderen drei Vampire schlüpften in die Höhle.
Da sie die Soldaten schnell in die Höhle locken wollten, schien es ihnen am besten, sie in dem Glauben zu lassen, dass nur ein paar verängstigte Frauen sie bewachten. Dann würden sie direkt darauf zuhalten, den schnellen Sieg vor Augen.
Zoltan wartete, die Hände zu Fäusten geballt, während er sich vorstellte, wie eine Armee direkt auf Neona zuhielt. Er und die anderen Vampire hatten in der Nacht zuvor noch mehr Plündertrupps unschädlich gemacht, Hans Armee bestand jetzt also nur noch aus etwa hundertneunzig Mann.
Er hörte die Frauen aufschreien und anschließend jemanden auf Chinesisch brüllen. Dann explodierte etwas auf einmal so laut, dass er ihre Stimmen nicht mehr hören konnte. Sein Herz machte einen Sprung. Hatten diese Schweine eine Rakete oder so etwas auf die Frauen abgefeuert? Er stürzte auf den Eingang der Höhle zu.
Die Frauen standen davor und sahen mit bestürzten Mienen aufs Tal hinaus.
„Neona!“, brüllte er. „Beeil dich!“
Sie und die anderen Frauen rannten hinein, und er packte sie.
„Was ist los?“ Es schmerzte ihn, die Tränen in ihren Augen zu sehen.
„Sie haben mein Haus hochgehen lassen!“, rief sie.
„Verschwinden wir!“, rief Angus.
Sie teleportierten die Frauen davon, ehe die Soldaten die Höhle erreichen konnten. Der vereinbarte Landepunkt war im Wald über den Grabhügeln.
Zoltan landete mit Neona hinter Minervas Grab. Rasch drückte er sie nach unten, damit sie flach auf dem Boden lagen. Unten im Tal waren die Soldaten im Anmarsch auf die Höhle. Aus den Ruinen ihrer Häuser stieg Rauch empor.
„Was ist los?“, flüsterte Neona. „Wir sollten doch im Wald sein.“
Er zuckte schuldbewusst zusammen. „Mit meiner Teleportation stimmt etwas nicht. Ich glaube, es liegt am Wasser des Lebens.“
Er rutschte an den Rand des Grabes und spähte hinab ins Tal. Wie erwartet rannten viele der Soldaten direkt in die Höhle, in der Hoffnung, die Ersten zu sein, die die Drachen fanden, damit ihnen die Ehre zuteilwurde, Master Han gefällig gewesen zu sein. Um sie in die zweite, größere Höhle zu locken, hatten die Wandler die leeren Nester dorthin geschleppt und ein Tonband versteckt, von dem Babygeschrei ertönte.
Einige der Soldaten blieben draußen vor der Höhle. Es war die Aufgabe der Wandler, sie ins Innere zu treiben. Die Wandler hatten sich in den umliegenden Wäldern versteckt und feuerten mit ihren AK-47 auf den Boden vor den Soldaten. Die Soldaten zogen sich in die Höhle zurück, blieben aber im ersten Raum. Ein mächtiges Brüllen brachte den Wald zum Beben, und drei große Grizzlybären, drei Tiger und zwei Panther kamen auf die Höhle zugerannt. Die Männer schrien auf und liefen in die zweite Höhle.
Sie hatten eine Falltür an der Decke des Höhlengangs befestigt. Ian schwebte verborgen an der Decke. Sobald alle Soldaten die Höhle betreten hatten, würde er das Seil durchtrennen, und die schwere Tür würde hinabschwingen, den einzigen Zugang versperren und die Männer alle in der Höhle einsperren.
Zoltan stand auf und half dann Neona dabei, sich aufzurichten. Das Tal war leer bis auf die Wandler in Tiergestalt, die vor dem Eingang der Höhle umherstrichen.
Angus und die anderen kamen aus dem Wald, um sich ihm bei den Grabhügeln anzuschließen.
„Stimmt etwas nicht mit deiner Teleportation?“, fragte Angus.
Zoltan seufzte. „Ich komme klar. Mach dir keine Gedanken.“
„Ich mache mir aber Gedanken. Du kommst nicht mit uns anderen in die Höhle.“
„Angus …“
„Ich meine es ernst, Kumpel.“ Angus sah ihn finster an. „Wenn du nur ein paar Schritte danebenliegst, könntest du in der Felswand wieder auftauchen.“ Er drehte sich um und sah sich den Rest der Vampire an. „Jack, du übernimmst für ihn.“
In Vampirgeschwindigkeit trug Robby eine große Tasche aus dem Wald und verteilte daraus Ohrstöpsel und Gasmasken mit Augenschutz an Angus, J. L., Dougal und Jack. Ein Set behielt er für sich selbst, dann teilte er die Blendgranaten aus.
Zoltan fluchte innerlich, als die fünf Männer sich bereit machten, ohne ihn zu teleportieren.
Russell stieß einen lauten Fluch aus. „Ich habe Han nicht bei der Armee gesehen. Hat irgendjemand ihn entdecken können? Er hat immer diese dämliche goldene Maske auf.“
„Ich habe nach Xiao Fang Ausschau gehalten“, seufzte Freya. „Aber ich konnte ihn nicht sehen.“
Unten im Tal kehrten die Wandler wieder in den Wald zurück, um menschliche Gestalt anzunehmen. Als sie wieder angezogen waren, rannten sie zu den Grabhügeln, um sich den anderen anzuschließen.
Ian nahm neben ihnen Gestalt an. „Die Falltür ist geschlossen! Sie sind alle drinnen.“
Die fünf Vampire verschwanden. Zoltan wusste genau, was sie taten, weil er eigentlich bei ihnen sein sollte. Sie würden sich dicht an die Decke teleportieren und sofort schweben, um nicht abzustürzen, dann würden sie die Blendgranaten abwerfen und sich wieder ins Freie teleportieren.
Neona keuchte. „Dort taucht jemand auf!“ Sie zeigte auf die Feuerstelle.
Zoltan wirbelte herum. Han war im Tal aufgetaucht, und er hatte Xiao Fang dabei. Entweder waren sie der Höhle entflohen oder gerade erst angekommen.
„Han!“ Russell teleportierte sich hinab und zog eine Pistole.
Zoltan sauste den Hügel hinab.
Han drehte sich zu Russell um, den Jungen wie einen Schild vor sich haltend.
Zoltan rannte zu ihnen und positionierte sich hinter Han. Er fluchte leise darüber, dass seine einzigen Waffen die Betäubungspistole und ein Messer waren. Er schoss einen Pfeil auf Han und warf dann sein Messer nach ihm.
Han erstarrte, als beides seinen Körper traf, dann verschwand er und nahm Xiao Fang mit.
„Verdammt!“ Russell schüttelte die geballte Faust gen Himmel.
Angus und die anderen vier Vampire tauchten an der Feuerstelle auf. Als sie ihre Gasmasken abnahmen, knallte es laut im Inneren des Berges. Die Blendgranaten waren losgegangen.
„Han war gerade noch mit Xiao Fang hier“, sagte Zoltan zu ihnen. „Er ist verletzt, aber er konnte entkommen.“
Angus seufzte.
„Armer Xiao Fang“, flüsterte Freddy. „Er muss so eine Angst haben.“
J. L. klopfte ihr auf die Schulter. „Wir bringen ihn zurück.“
Das Knallen im Berg verstummte.
„Bereit?“, fragte Angus die anderen vier Vampire. „Wir schießen so viele Pfeile wie es geht auf die Soldaten. Wenn es aussieht, als würden sie sich von den Blendgranaten erholen, werfen wir mehr Tränengas nach. Und dann schießen wir weiter.“
Eine laute Explosion erschütterte den Erdboden. Der Berg grollte.
„Was zur Hölle?“, fragte Zoltan.
„Diese Idioten!“, brüllte Angus. „Sie versuchen, sich aus dem Berg zu sprengen.“
Weitere Explosionen erklangen, als die desorientierten und rasenden Soldaten weitere Granaten losgehen ließen. Der Berg bebte. Felsen begannen zu fallen.
„Lauft!“ Zoltan packte Neona und rannte mit ihr in Vampirgeschwindigkeit zu den Grabhügeln. Neben ihm trugen auch die anderen Vampire die Frauen in Sicherheit. Die Gestaltwandler kamen gleich nach ihnen. Der Boden bebte unter ihren Füßen.
Zoltan blieb nahe am Wald stehen und setzte Neona ab. Sie sahen sich nach dem grollenden Berg um. Laut donnernd brach er in sich zusammen und begrub die Männer darin unter sich. Der Aufprall war stark genug, um den Boden, auf dem sie standen, erneut zum Zittern zu bringen.
Zoltan packte Neona, als sie neben ihm ins Stolpern geriet. Qualm und Schutt erhoben sich in die Luft und versperrten ihnen die Sicht, und doch starrten sie alle weiter, wie gelähmt vor einem Berg, der plötzlich nur noch halb so hoch war wie vorher.
„Hol’s doch der Teufel“, flüsterte Angus.
„Der Teufel wird sie wirklich holen“, sagte Robby. „Ich glaube nicht, dass da unten jemand überlebt hat.“
„Verdammter Mist noch mal.“ Angus riss sich die Gasmaske ab und warf sie auf den Boden. „Wir haben versucht, sie zu retten.“
„Unser … unser Wasser des Lebens“, flüsterte Lydia. „Es ist fort. Wir können es nicht mehr erreichen.“
„Oh mein Gott!“, rief Freya aus. „Jetzt werden wir altern!“
„Die Drachen können nie zurückkommen“, fügte Freddie hinzu. „Ihre Heimat ist zerstört. Und unsere Heimat mit ihr.“
Zoltan zuckte zusammen, als er die Tränen auf ihren Gesichtern sah.
„Was machen wir jetzt?“, schniefte Freya.
Lydia seufzte verzweifelt. „Ich denke, ich werde bei Tashi und ihrem Bauern leben müssen.“
„Aber dann wären wir getrennt“, protestierte Freddie.
„Das ist das Ende von Beyul-La“, flüsterte Neona.
Zoltan schloss kurz die Augen. Was hatte er diesen Frauen nur angetan?
„Und wir haben nicht einmal Xiao Fang gerettet“, murmelte Freddie.
„Aber er lebt noch“, sagte J. L. zu ihr. „Wir alle leben noch. Und wir haben die Bösen besiegt.“
„Wir haben es denen gezeigt!“, rief Jimmy.
„So was von!“, rief Jesse.
„Sie haben es sich selbst gezeigt, diese armen Teufel“, murmelte Angus und betrachtete den zusammengefallenen Berg.
„Wir haben alles verloren.“ Lydia brach neben den Grabhügeln zusammen, wo ihre Mutter und zwei ihrer Töchter unter der Erde lagen. „Wofür sind sie gestorben? Nach dreitausend Jahren ist alles vorbei.“
Neona schniefte, als ihr mehr Tränen die Wangen hinabliefen.
Zoltan zog sich das Herz in der Brust zusammen. Es war seine Idee gewesen, die Soldaten im Berg einzusperren. Jetzt hatten die Drachen ihre Heimat verloren. Seine geliebte Neona hatte ihre Heimat verloren. Alle Frauen von Beyul-La hatten ihre Heimat verloren und ihr Wasser des Lebens noch dazu.
Königin Nima hatte die ganze Zeit recht gehabt. Er hatte ihre Welt zerstört.