1. Europa im 18. Jahrhundert – Mächte, Armeen und Koalitionen

Von der Hegemonie Frankreichs zur Pentarchie –
Europas Staatenwelt im Zeitalter der Aufklärung

»Das christliche Europa ist wie eine Republik von Souveränen, die sich in zwei mächtige Parteien teilt. England und Frankreich haben seit einem Jahrhundert zu allen Bewegungen den Anstoß gegeben. Wollte ein kriegerischer Fürst etwas unternehmen, wenn jene beiden einverstanden sind, den Frieden zu erhalten, so würden sie ihm ihre Vermittlung anbieten und ihn nötigen, sie anzunehmen. Einmal bestehend, hindert das System alle großen Eroberungen und macht die Kriege unfruchtbar, wenn sie nicht mit überlegener Macht und unausgesetztem Glück geführt werden.«

Friedrich der Große, Politisches Testament von 17521

Drei politische Ereignisse veränderten um die Wende zum 18. Jahrhundert die Staatenwelt Europas tief greifend. Von der englischen Oligarchie gerufen, landete am 5. November 1688 der Generalstatthalter der Niederlande, Wilhelm III. von Oranien, in Torbay in der Grafschaft Devon und beendete nach kurzem Bürgerkrieg die Herrschaft der katholischen Jakobiten. Damit trat England, das sich 19 Jahre später mit Schottland zum Vereinigten Königreich konstituierte, in die große europäische Koalition gegen Frankreich ein. Nach über einem Jahrhundert der politischen Abstinenz war das Inselreich faktisch wieder zu einer kontinentalen Macht geworden, die sich seither die Verteidigung der südlichen Niederlande gegen die Hegemonieansprüche der französischen Krone zur ersten Pflicht machte. Trotz einer unerwartet langen, beinahe 30-jährigen Friedensphase nach dem Utrechter Vertrag (1713) war die »Glorreiche Revolution« von 1688 der Auftakt zu einem zweiten »Hundertjährigen Krieg« zwischen Großbritannien und Frankreich. Erst nach sechs Waffengängen im Ancien Régime sowie sieben weiteren Koalitionskriegen gegen das revolutionäre Frankreich endete diese epochale Auseinandersetzung mit der Schlacht von Waterloo und dem Sturz Napoleons.

Das zweite die europäische Staatenwelt prägende Ereignis war das Ende der habsburgischen Thronfolge in Spanien und die Teilung des spanischen Imperiums in Europa. In den Friedensschlüssen von Utrecht und Rastatt (1714) akzeptierten Großbritannien und Österreich nach 13 Jahren Krieg die bereits zuvor erfolgte Inbesitznahme der spanischen Krone durch den Bourbonen Philipp V., einen Enkel des Sonnenkönigs Ludwig XIV. Sie setzten dagegen aber durch, dass die südlichen Niederlande (Belgien), die Lombardei, Neapel sowie Sardinien vom ehemaligen Weltreich abgetrennt wurden. Damit endete die seit fast zwei Jahrhunderten bestehende Einkreisung Frankreichs durch die habsburgische Universalmonarchie.2

Die dritte gravierende Änderung der internationalen Verhältnisse vollzog sich im Nordosten Europas. Dort hatte der junge König Karl XII. von Schweden zunächst mit einer Reihe unerwarteter und spektakulärer Siege gegen eine Allianz aus Dänemark, Polen-Sachsen und Russland ganz Europa in Erstaunen versetzt. Dann aber hatte sich im Juni 1709 das Blatt zugunsten Zar Peters I. gewendet. Den Russen gelang es, den mit seiner Armee in die Ukraine eingedrungenen König bei Poltawa vernichtend zu schlagen. Von dieser Niederlage hat sich das nordische Königreich nie mehr erholt. Nach seiner spektakulären Rückkehr aus der Türkei setzte Karl zwar den längst aussichtslosen Kampf gegen eine Koalition aus Dänemark, Preußen und Russland noch eine Zeit lang fort. Doch als im November 1718 in den Gräben vor der norwegischen Festung Frederiksborg eine Kugel seinen Kopf durchschlug, übernahm der Stockholmer Reichsrat die Macht im Lande und begann Verhandlungen mit dem Zaren. Im Frieden von Nystad (1721) musste das ausgeblutete Land sämtliche baltischen Besitzungen an Russland abtreten und büßte damit auch unwiderruflich seinen Status als Großmacht ein.

Die Friedensschlüsse von Utrecht, Rastatt und Nystad hatten somit 70 Jahre nach den Westfälischen Verträgen das Gefüge der europäischen Staaten grundlegend verwandelt. Die Triade der bisher dominierenden Mächte Frankreich, Spanien und Österreich war seither um Russland und Großbritannien zu einer Fünfergruppe erweitert worden, die man später als Pentarchie bezeichnete und die tatsächlich bis zum Ersten Weltkrieg die kontinentale Politik bestimmte. Das nunmehr bourbonische Spanien wurde allerdings schon wenige Dekaden später allgemein nicht mehr als Führungsmacht wahrgenommen, ohne dass sich für diese neue Wertung ein konkretes Datum nennen ließe. An seine Stelle trat – nach dem Siebenjährigen Krieg kaum noch bestritten – die norddeutsche Aufsteigermacht Preußen. Das neue System war jedoch alles andere als statisch. In kaum einer anderen Epoche hatte sich die europäische Staatenwelt so sehr in einem stetigen Wechsel befunden wie zwischen dem Ende des Spanischen Erbfolgekrieges und dem Ausbruch des Siebenjährigen Krieges. Jeder Hof konnte mit jedem anderen koalieren, kein Bündnis war in Stein gemeißelt und selbst Frankreich und Großbritannien agierten nach dem Utrechter Frieden gemeinsam gegen Spanien. Von allen politischen Umgruppierungen war aber die Annäherung der Erzrivalen Habsburg und Frankreich im Mai 1756, das sogenannte Renversement des alliances, die wohl spektakulärste Wende.

Von den fünf führenden Mächten beanspruchte Frankreich auch nach dem Ende des Spanischen Erbfolgekrieges immer noch den ersten Rang auf dem Kontinent. Es besaß mit Abstand die größte Bevölkerung, die höchste Wirtschaftskraft und mit einer Friedensstärke von 160.000 Mann nach Russland die stärkste Armee in Europa. Das europäische Militärwesen dominierten französische Offiziere in Theorie und Praxis. Frankreichs Absolutismus galt auch nach dem Tod Ludwigs XIV. vielen Staaten östlich des Rheins als konkurrenzloses Vorbild. Vor allem in Deutschland versuchte man seine zentralistische Verwaltung und seine monarchische Prachtentfaltung zu kopieren. Allerdings zeigte sich nach dem Tod von Kardinal André Hercule Fleury (1743), dem letzten großen Staatsmann Frankreichs, dass dem neuen Herrscher Ludwig XV. die Tatkraft und die fähigen Minister fehlten, um das durch seinen Urgroßvater geschaffene absolute Königtum auszufüllen. Sein Land, das der Monarch in seiner mehr als 50-jährigen Regierungszeit nur ein einziges Mal bereist hatte, stagnierte in vielen Bereichen. Obwohl die namhaftesten Vertreter der europäischen Aufklärung Franzosen waren, verharrte der Adel Frankreichs wie auch seine Bevölkerung in ihrer Mehrheit in rückständigen Vorstellungen. Es dominierten politische Willkür und religiöse Intoleranz. Der Exodus der Hugenotten bedeutete für das Land einen ungeheuren Aderlass. Der Einfluss der katholischen Kirche blieb weiterhin stark. Wirtschaftlich litt Frankreich immer mehr darunter, dass der unter Ludwig XIV. und seinem Minister Jean Baptiste Colbert perfektionierte Merkantilismus im Verlauf des 18. Jahrhunderts seine Grenzen erreichte und gegenüber einem in Großbritannien sich etablierenden freien Unternehmertum stetig an Boden verlor. Trotz steigender Gewinne aus dem Überseehandel summierten sich im Laufe des 18. Jahrhunderts die französischen Budgetdefizite fast bis zum Staatsbankrott. Die Gründung einer Staatsbank als Garantieinstitution der öffentlichen Schulden misslang. Das gewaltige Heer konnte schließlich nur noch durch überteuerte Staatsanleihen finanziert werden, im Flottenbau geriet Frankreich gegenüber dem britischen Rivalen in einen unaufholbaren Rückstand. Ein ambitioniertes Aufholprogramm unter Marineminister Jean-Frédéric Graf von Maurepas kam jedoch nicht über 75 Linienschiffe hinaus. Zudem waren sie mit ihren 74 Geschützen den größeren britischen Schiffen mit 100 Kanonen kaum mehr gewachsen. Nicht allein knappe Finanzen, sondern auch fehlende Besatzungen bildeten eine kaum zu überwindende Grenze für Frankreichs maritime Rüstung.3 Die Bewahrung des kolonialen Besitzstandes in Nordamerika, der Karibik und in Indien schien unter diesen Umständen immer mehr infrage gestellt.

In Europa dagegen besaß Frankreich seit dem Frieden von Utrecht/Rastatt erstmals sichere Grenzen. Im Osten reichte sein Territorium bis zum Rhein, im Norden schützte Frankreich eine starke Festungskette.4 Neue Eroberungen etwa in den österreichischen Niederlanden erschienen dem fünfköpfigen Kabinett Ludwigs XV., dem Conseil d’en haut, daher nicht mehr um jeden Preis erstrebenswert. Der Monarch selbst gefiel sich sogar immer mehr in der Rolle eines Friedensfürsten.

Traditionell hatte Versailles in Österreich seinen Hauptfeind gesehen, doch mehr und mehr nahm Großbritannien diese Rolle ein. Daneben beunruhigte den französischen Hof auch Russlands stürmischer Drang nach Westen. Nicht ohne Erfolg versuchte Frankreich die hegemonialen Bestrebungen des Zarenreiches durch einen Kordon osteuropäischer Verbündeter mit Polen im Zentrum einzudämmen. Um die polnische Thronfolge kam es daher 1733–35 zum ersten Mal seit dem Vertrag von Rastatt zu einem Krieg gegen Habsburg und einige Reichsständen, der nach einigen unbedeutenden Kämpfen mit einem Kompromiss endete. Frankreich akzeptierte im Rahmen der Pragmatischen Sanktion die Thronfolge Maria Theresias und erhielt dafür Lothringen. Das lange umstrittene Herzogtum ging zunächst an Stanislaus Leszczynski, den Schwiegervater Ludwigs XV. und vertriebenen polnischen Thronaspiranten. Nach dessen Tod sollte Lothringen endgültig an Frankreich fallen, was 1766 dann auch geschah.

Durch Schwedens vernichtende Niederlage im Nordischen Krieg hatte Frankreich zwar seinen traditionellen Verbündeten an der Nordflanke Europas eingebüßt, doch konnte es nach dem Regierungsantritt Friedrichs II. in Preußen (1740) einen neuen militärisch potenten Alliierten als Ersatz gewinnen. Durch die überfallartige Besetzung Schlesiens war der Hohenzollernstaat zudem dauerhaft in Gegnerschaft zu Österreich und Russland geraten und schien somit ein idealer Baustein im französischen Bündnissystem zu sein. Auch musste das spartanisch verwaltete Königreich mit seinen soliden Staatsfinanzen nicht durch aufwendige Subsidien bei der Stange gehalten werden.

Selbst wenn der alte Glanz seiner Monarchie schon deutliche Flecken aufwies, war es Frankreich bis zum Tode Kardinals Fleury zum letzten Mal vor 1793 gelungen, seine alte hegemoniale Stellung in Kontinentaleuropa zu behaupten. In Europa schien es unangreifbar, doch der lebenswichtige Handel mit seinen transatlantischen Kolonien war mehr und mehr dem Druck Großbritanniens und seiner überlegenen Flotte ausgesetzt. Die Bereitschaft der französischen Krone, drohende Verluste in Nordamerika durch Gewinne oder Faustpfänder in Europa zu kompensieren, nahm zu.

Großbritannien durchlebte unter wechselnden Regierungen seit dem Utrechter Friedensschluss zunächst eine Schwächephase, während der es in Europa ohne echte Verbündete auskommen musste. Besonders Österreich blieb lange auf Distanz zum Inselreich, nachdem 1710/13 die neue Tory-Regierung unter Henry Saint John, Lord Bolingbroke, vollkommen eigenmächtig aus dem gemeinsam geführten Krieg um die spanische Erbfolge ausgeschieden war. Um den Rücken für ihre koloniale Expansion freizuhaben, bemühte sich die britische Politik seither um die Aufrechterhaltung des kontinentalen Status quo, wie er in den Friedensschlüssen von 1713/14 ausgehandelt worden war. Der revisionistischen Politik Österreichs und Spaniens versuchte London entgegenzuwirken und scheute sich auch nicht, dabei gelegentlich mit Frankreich eng zusammenzuarbeiten. Erst der Abschluss des Zweiten Wiener Vertrages führte 1731 Großbritannien und Österreich wieder näher zusammen.5

Hinsichtlich der Rolle des Kontinents blieb die britische Politik dauerhaft gespalten. Während die isolationistischen Tories dafür eintraten, Europa zu vernachlässigen und stattdessen Großbritanniens Herrschaft in Übersee auszubauen (Blue Water Policy), traten die Whigs, die 1717 die Macht zurückgewonnen hatten, für ein verstärktes Engagement auf dem Kontinent ein. Der französische Rivale müsse unbedingt in Europa beschäftigt werden, um den Ausbau seiner Flotte zu verhindern. Besonders lag ihnen die Aufrechterhaltung der »belgischen Barriere« am Herzen, wofür man allerdings die Unterstützung der Generalstaaten und Österreichs benötigte.

Für ihre Politik der kontinentalen Bindung fanden die Whigs auch die unbedingte Zustimmung der hannoverischen Welfen, die seit 1714 Großbritannien regierten, aber weiterhin die Interessen ihres Stammlandes fest im Auge behielten. Eine vergleichsweise schwache Armee von maximal 50.000 Mann bildete die wohl entscheidende Hürde für ernsthafte militärische Engagements auf dem Kontinent und zwang die britischen Regierungen zu Subventionszahlungen an die verbündeten europäischen Höfe.

Eine Besonderheit der britischen Politik war das stetig wachsende Selbstbewusstsein des Parlaments. Als absolutistisch geprägter deutscher Fürst musste sich König Georg I. (1714–1727) ebenso wie später sein gleichnamiger Sohn damit abfinden, dass das britische Unterhaus einen ungewöhnlich großen Einfluss auf die Außenpolitik nahm. Die Macht des House of Commons war so groß, dass es sogar gegen den Willen von Staatssekretär Robert Walpole und König Georg II. (1727–1760) einen Krieg gegen Spanien durchsetzen konnte. Der fortgesetzte Schmuggel britischer Waren in die Karibik hatte fühlbar Spaniens Handelseinnahmen verringert. Als Madrid die illegale Praxis britischer Kolonisten gewaltsam zu unterbinden suchte, löste das in ganz Großbritannien tiefe Empörung und lautes Kriegsgeschrei aus. Der Krieg begann im September 1739 und wurde bald im ganzen Land nach einem von den Spaniern verstümmelten britischen Kapitän der »Krieg um Jenkins Ohr« genannt.6

Wegen der oft wechselnden Mehrheiten im Unterhaus misstrauten die kontinentalen Höfe grundsätzlich den diplomatischen Vertretern Großbritanniens, zumal dessen Politiker sich nicht selten aus bürgerlichen Verhältnissen emporgearbeitet hatten.7 Die Teilung der britischen Außenpolitik in eine nördliche und südliche Sphäre verschärfte die Skepsis. Mehr als einmal kam es vor, dass die Vertreter der beiden für die Außenpolitik zuständigen Staatssekretäre sich einander in ein und derselben Angelegenheit widersprachen.8 Ein erheblicher Vorteil des britischen Regierungssystems lag jedoch darin, dass außenpolitische Fragestellungen nicht allein in arkanen Zirkeln unter dem Vorsitz des jeweiligen Monarchen entschieden wurden, sondern auf der Grundlage einer breiten parlamentarischen Auseinandersetzung. Die Debatten des Unterhauses über die auswärtige Politik bildeten regelmäßig den Höhepunkt des parlamentarischen Jahres und fanden in Presse und Öffentlichkeit großen Widerhall. Ein Zeitgenosse urteilte über seine Landsleute mit ironischer Überzeichnung: »Unser Volk ist eine Nation von Staatsmännern. Jedes Alter, jedes Geschlecht und jeder Berufsstand führt seine eigene Ministerliste auf den Lippen; und Whig und Tory sind die ersten Worte, welche der Säugling an der Mutterbrust stammelt.«9

Hinter allem Disput bestand jedoch weitgehender Konsens unter allen politischen Strömungen, dass Frankreich der Hauptrivale des Vereinigten Königreiches war und die britische Regierung alles tun musste, um dessen kontinentale Hegemonie durch ein Gleichgewicht der Kräfte wenigstens einzudämmen. Als sich zu Beginn der 1740er-Jahre jedoch immer mehr herausstellte, dass Großbritannien Gefahr lief, angesichts der wachsenden französischen Macht auf dem Kontinent sein Ziel zu verfehlen, musste Außenstaatssekretär Robert Walpole nach zwei Dekaden sein Amt aufgeben.10

Mit seiner gewaltigen Ländermasse von Böhmen bis Brabant war das Haus Habsburg seit dem Ausgang des Mittelalters der ewige Rivale Frankreichs gewesen. Habsburger herrschten in den Niederlanden und im Elsass, zu ihrem Herrschaftsbereich zählten die Lombardei sowie etliche mittelitalienische Herzogtümer, während der spanische Zweig der Familie die Iberische Halbinsel zusammen mit einem gewaltigen transatlantischen Kolonialreich in seiner Gewalt hatte. Auch wenn die Macht der Habsburger seit dem Dreißigjährigen Krieg in Westeuropa deutlich geschmälert worden war, blieben sie weiterhin ein ebenbürtiger Gegner der Bourbonen. Gestützt auf die Ressourcen der Erblande und mithilfe der Reichsstände war es den habsburgischen Kaisern seit 1683 gelungen, in langen Kämpfen an Rhein und Donau der doppelten Bedrohung durch Frankreich und des mit ihm verbündeten Osmanischen Reiches zu widerstehen. Mit den Friedensschlüssen von Karlowitz (1699) und Passerowitz (1718) konnten die Habsburger sogar das von den Türken seit fast zwei Jahrhunderten besetzte Ungarn in ihre Hand bringen. Gleichzeitig war damit im Südosten eine neue strategische Perspektive für das »Erzhaus« gewonnen worden. Auf der Sollseite der österreichischen Habsburger standen nach den beiden langen Kriegen gegen Frankreich empfindliche Verluste in Italien, die durch den Erwerb der vormaligen spanischen Niederlande – im Wesentlichen das heutige Belgien mit Luxemburg – nicht ausgeglichen werden konnten. Versuche der alten Binnenmacht, durch die Gründung einer Fernhandelskompanie im belgischen Ostende im Jahre 1722 einen besonderen Nutzen aus der entlegenen Provinz zu ziehen, scheiterten bald am Widerstand der britischen und niederländischen Konkurrenz. Der Rückschlag war nur Teil einer beachtlichen Kette von Misserfolgen, die Österreich während der langen Herrschaftszeit Karls VI. (1711–1740) zu beklagen hatte. Hauptsächlich waren hierfür die Bemühungen des Kaisers verantwortlich, durch die sogenannte Pragmatische Sanktion von 1713 die Unteilbarkeit aller seiner Länder zu proklamieren und die weibliche Erbfolge zu sichern. Statt auf eine starke Armee setzte der Kaiser dabei auf Verhandlungen mit den Reichsständen und den europäischen Mächten, was ihn erhebliche Zugeständnisse kostete, aber keine wirklichen Garantien brachte.11 Der dramatische Niedergang der österreichischen Militärmacht zeigte sich nur zwei Jahre nach dem Tod der Feldherrenlegende Eugen von Savoyen, als Österreich 1738/39 nach einem unglücklich verlaufenen Türkenkrieg den größten Teil seiner Gewinne aus dem Frieden von Passerowitz wieder verlor. Am Ende seiner langen Regierungszeit schien der Habsburgerstaat bei zerrütteten Staatsfinanzen und einer vernachlässigten Armee nicht mehr länger eine europäische Ordnungsmacht zu sein. Als Verbündeter sei das »Haus Österreich« inzwischen vollkommen nutzlos, klagte im März 1739 Sir Robert Walpole.12 Die nur lose durch die Person des Kaisers zusammengefügte habsburgische Ländermasse zog bei weiterhin ungesicherter Nachfolge zunehmend die begehrlichen Blicke seiner Nachbarn auf sich.

Durch seinen Sieg im Großen Nordischen Krieg hatte Russland seinen Einfluss bis weit nach Mitteleuropa ausgedehnt. Seine Flotte dominierte die Ostsee, seine Armee stand jederzeit eingreifbereit an der Grenze zu Polen und selbst Dänemark musste die Einmischung des Zaren in seine inneren Angelegenheiten hinnehmen. Doch mit dem Tod Zar Peters I. im Januar 1725 trat Russland zunächst in eine politische Konsolidierungsphase. Vieles, was der autokratische Herrscher in seinem brutalen Tatendrang angefasst hatte, war Stückwerk geblieben. Weder die Einführung der Kopfsteuer noch die große Verwaltungsreform hatte der Zar abschließen können. Ein erheblicher Teil des alten russischen Adels lehnte westliche Ideen und Einflüsse entschieden ab und verabscheute vor allem die brachialen Methoden, mit denen der Zar seine überkommene Lebensweise zurückzudrängen versucht hatte. Da Peter seine Nachfolge nicht eindeutig geregelt hatte und in rascher Folge seine älteste Tochter und schließlich auch sein erst 14 Jahre alter Enkel verstorben waren, gelangte Russland erst seit 1730 unter der Herrschaft von Zarin Anna Iwanowna wieder zu halbwegs stabilen Verhältnissen. Die Ruhe war aber teuer erkauft, denn die Nichte Zar Peters, eine sadistische und genusssüchtige Frau, zögerte nicht, die alte Geheimkanzlei ihres Onkels, eine Art Geheimpolizei, wieder einzusetzen. Mehr als 10.000 politische Gegner fielen dem von ihr inszenierten Massenterror durch Tod oder Deportation zum Opfer.13 In der Außenpolitik Russlands war der Westfale Heinrich Johann Ostermann lange die bestimmende Persönlichkeit.14 Als Vizepräsident des Auswärtigen Kollegiums versuchte er, Russlands Gewinne im Nordischen Krieg diplomatisch abzusichern und schwedische Revisionsversuche abzuwehren. Ein Bündnis mit Preußen und Österreich sollte ein Gegengewicht zu Frankreich und Großbritannien bilden. 1733 intervenierte die russische Armee daher auch im Polnischen Erbfolgekrieg und belagerte die Anhänger Stanislaus Leszczynskis in Danzig. Ein russisches Korps von 12.000 Mann unter dem Befehl des späteren preußischen Feldmarschalls James Keith überwinterte 1734/35 in Schlesien. Nur der Waffenstillstand zwischen Frankreich und Österreich im darauffolgenden Frühjahr verhinderte seinen Weitermarsch zum Rhein.15

1735 fühlte sich Russland wieder stark genug, in einem weiteren Krieg gegen das Osmanische Reich das alte Ziel Zar Peters aufzugreifen und die Schwarzmeerküste mit der Krim zu besetzen. Das Unternehmen scheiterte jedoch trotz einiger Anfangserfolge an Versorgungsproblemen, der Hitze sowie Krankheiten in der Truppe. Nicht zuletzt auch die militärische Schwäche des österreichischen Alliierten an der Donau bewog Ostermann, den Krieg abzubrechen. Im Frieden von Belgrad durfte Russland 1739 lediglich die Festung Azow an der Mündung des Don behalten.16

Als Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg sich am 18. Januar 1701 in Königsberg mit außergewöhnlich großem Aufwand zum König in Preußen krönte, gab es in Europa nicht wenige Spötter. Kaum ein Zeitgenosse rechnete damals damit, dass der eher ärmliche Staat im Nordosten des Reiches mit seinen drei Marken und dem entlegenen Hinterpommern nur ein halbes Jahrhundert später zum exklusiven Kreis der europäischen Großmächte gehören würde. Außer Russland gelang keinem Staat in Europa ein derart bemerkenswerter Aufstieg in so kurzer Zeit. Der Preis für die etwa 2,5 Mio. Untertanen war jedoch sehr hoch. Der seit 1713 regierende Friedrich Wilhelm I. reformierte mit außergewöhnlicher Energie, Sparsamkeit und brachialem Zwang sein Königreich. Verwaltung, Schulwesen und Steuereintreibung wurden in Preußen, wie der gesamte Hohenzollernstaat bald nur noch genannt wurde, gegen alle Widerstände vereinheitlicht. Vor allem aber verdoppelte der militärverliebte Monarch, den der französische Hof gern als roisergeant verspottete, die preußische Armee während seiner 27-jährigen Regierung auf 80.000 Mann. Bis zu 80 Prozent der Staatseinnahmen gingen in den Militärhaushalt. Rechnerisch kam damit in Preußen auf 31 Einwohner immerhin ein Soldat, in Großbritannien waren es dagegen 310 Einwohner. Doch der Soldatenkönig setzte sein militärisches Potenzial nur äußerst vorsichtig ein. Erst in der Endphase des Nordischen Krieges schloss er sich den siegreichen Russen und Dänen an und konnte 1720 den Schweden den wichtigen Hafen Stettin mit der Odermündung wegnehmen. Im Übrigen aber steuerte Friedrich Wilhelm, der sich stets als »loyaler Reichsfürst« sah, einen Kurs ganz im Fahrwasser Wiens und hatte auch frühzeitig die Pragmatische Sanktion anerkannt. Eine Entfremdung, wenn nicht sogar ein Bruch mit dem Kaiserhaus, trat erst gegen Ende seiner Regierungszeit ein, als Kaiser Karl VI. den Hohenzollernstaat entgegen seiner früheren Zusage im Jülisch-Bergischen Erbschaftsstreit einfach überging. Erstmals näherte sich der düpierte Hohenzollernmonarch nun Frankreich an, das 1739 in einem Geheimvertrag Preußens Anwartschaft auf das Herzogtum Berg bestätigte.17 Anders als Friedrich Wilhelm, der im friedlichen Gewinn der beiden rheinischen Territorien für Preußen sein außenpolitisches Vermächtnis gesehen hatte, dachte sein Sohn und Nachfolger, Friedrich II., in viel weiter ausholenden Kalkülen. Dem königlichen Philosophen, Verseschmied und nicht untalentierten Flötenspieler ging es nicht um zusätzlichen Streubesitz irgendwo im Reich. In Habsburgs Schwäche erkannte er die einmalige Chance, Preußen als eine neue mittlere Macht zu etablieren, vielleicht sogar auf Augenhöhe mit Wien zu gelangen. Schlesien, das kaum von österreichischen Truppen verteidigt wurde, bot sich ihm in zweierlei Hinsicht an. Als reiche Provinz mit einem bedeutenden Textilgewerbe und fast einer Mio. Einwohnern würde es die Macht Preußens beinahe verdoppeln. Da sich aber auch Friedrich August von Sachsen II. und als August III. gewählter König von Polen, zumindest für einen Teil Schlesiens als territoriale Verbindung seiner beiden Herrschaftsbereiche interessierte, musste Friedrich rasch handeln. Kaum war am 20. Oktober 1740 Kaiser Karl VI. in Wien verstorben, bot der Potsdamer Monarch seiner Erbin, Maria Theresia, nicht ganz frei von Zynismus gegen die Abtretung der Provinz Schlesien und der Grafschaft Glatz einen hohen Geldbetrag und seine militärische Unterstützung gegen alle anderen Feinde Habsburgs an. Erwartungsgemäß lehnte Maria Theresia diesen Vorschlag, den sie als Beleidigung empfinden musste, kategorisch ab und der hundertjährige Dualismus zwischen Österreich und Preußen nahm seinen Anfang.

Europas Mächte auf Beutezug –
Der Österreichische Erbfolgekrieg 1740–1748

Friedrichs unprovozierter Einmarsch in Schlesien beendete im Dezember 1740 eine 25-jährige Friedensphase in Europa. Nur einmal hatten in dieser Zeit Frankreich, Österreich und Russland eher halbherzig die Waffen ergriffen, um die Polnische Thronfolge zu klären. Der britischspanische Krieg von 1739 wiederum war ausschließlich zur See ausgetragen worden und hielt auch noch an, als der preußische König die Offiziere seiner Berliner Regimenter zum »Rendezvous mit dem Ruhm« aufforderte.18 Es wäre allerdings zu vorschnell geurteilt, dem scheinbar frivolen Tatendrang des 28-jährigen Monarchen allein die Verantwortung für den zweiten großen Waffengang des 18. Jahrhunderts zuzuschieben, der später als Österreichischer Erbfolgekrieg bezeichnet wurde.

Vielmehr gab Friedrichs Einmarsch in das habsburgische Schlesien ohne jeden belastbaren Rechtsgrund den Höfen Europas das willkommene Signal zu einem allgemeinen Beutezug. Mit seinem Coup überschritt er nur die rote Linie, an der die allgemeine Spannung in einen offenen Konflikt umschlug.19 Der Krieg schien plötzlich mehr Vorteile zu versprechen als der Frieden. So hatte schon im März 1739 das britische Oberhaus befunden, dass Großbritannien in einem Krieg gegen Spanien erfahrungsgemäß mehr gewinnen als verlieren könne, während man in Versailles die weibliche Erbfolge in Wien zum Anlass nahm, eine Aufteilung der Habsburgischen Ländermasse ins Auge zu fassen. Eine bei Hof kursierende Denkschrift sprach von »der brillantesten Epoche für das Glück und den Vorteil Frankreichs«. Es könne nichts mehr wünschen als die Aufteilung Österreichs und nun sei der Tag dazu gekommen.20

Mit Beginn der 1740er-Jahre war ein umfassender Generationenwechsel in der hohen Politik eingetreten. In Potsdam, Wien und St. Petersburg hatten innerhalb weniger Monate die alten Herrscher die Bühne verlassen. In London musste Sir Robert Walpole im Frühjahr 1742 den politischen Falken um Lord John Carteret weichen und in Versailles verstarb kaum ein Jahr später hochbetagt Kardinal Fleury, der Grandseigneur der französischen Politik und ein Mann des außenpolitischen Maßhaltens.

Die neu auf der Bühne erschienenen Akteure spürten, dass nach dem Tod Kaiser Karls VI. am 20. Oktober 1740 in Europa die Karten neu gemischt waren, und keiner wollte bei dem Spiel zu spät kommen. Frankreich etwa witterte durch den scheinbar unmittelbar bevorstehenden Zerfall der Habsburgermonarchie die Chance, endlich den alten Traum Ludwigs XIV. zu realisieren und im Deutschen Reich einen eigenen Kandidaten zum Kaiser wählen zu lassen. Auch Bayern und Sachsen sahen sich durch Friedrichs Vorpreschen ermutigt, ihre Ansprüche auf das habsburgische Böhmen anzumelden, während Spaniens Königin Elisabeth Farnese, die zweite Ehefrau Philips V., entschlossen war, für ihre beiden Söhne in Italien geeignete Herzogtümer auf Kosten Österreichs zu gewinnen. Im Vertrag von Nymphenburg (Mai 1741) fanden Bayern und Spanien daher schnell zueinander.21

Es erscheint mehr als zweifelhaft, dass alle diese schon lange gehegten Begehrlichkeiten ohne Friedrichs Einmarsch in Schlesien auf Dauer unter der Oberfläche geblieben wären, wie es der Brite Thomas Babington Macauly, ein liberaler Politiker und Historiker aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in seinem zornigen Verdikt über den Preußenkönig unterstellte.21a Das politische System räumte seinen Mitgliedern nur einen eng begrenzten Spielraum ein. Vom Atlantik bis zum Ural stand Europa zu Friedrichs Zeiten seit Menschengedenken unter der Herrschaft einer machtbewussten und teilweise eng verwandten Aristokratie, die ihre Beziehungen durch ein gewaltiges Korpus oft widersprüchlicher Verträge zu regeln versuchte. Zwar galt immer noch der große Westfälische Frieden von 1648 als das Grundgesetz der europäischen Staatenwelt und kein christlicher Fürst konnte es sich leisten, dem offiziellen Friedensideal nicht wenigstens rhetorisch zu huldigen. Doch die Formel lautete stets: Frieden und Recht. So lag es in der Natur des feudalen Systems, dass immer wieder einzelne Akteure der Versuchung erlagen, bestimmte Vereinbarungen, besonders, wenn sie unklar formuliert waren, zu ihren Gunsten auszulegen und bei günstigen Kräfteverhältnissen ihre Interpretation der Rechtsverhältnisse auch mit Waffengewalt durchzusetzen. Gegen das Friedensareal hatte Friedrich mit verletzendem Hochmut verstoßen. Seine Erklärungen zum Einmarsch in Schlesien enthielten keinerlei Friedensbeteuerungen und erst nach seinem Fait accompli ließ er sich dazu herab, seinen alten Minister Heinrich Graf von Podewils einige dürftige Rechtstitel ausgraben zu lassen.22

Die 25-jährige Friedensphase seit den Verträgen von Utrecht und Rastatt war die bemerkenswerte Ausnahme in einer Staatenwelt, in der jeder Monarch und jeder bedeutende Territorialfürst mit hohem finanziellem Aufwand eigene Streitkräfte unterhielt und die Mehrheit des europäischen Adels immer noch militärischen Idealen zutiefst verpflichtet war. Es überraschte daher auch keinen seiner hohen Standesgenossen, dass sich Friedrichs Politik nach der brüsken Zurücksetzung Preußens in der jülisch-bergischen Erbschaftsfrage in irgendeiner Form gegen Habsburg wenden würde. Erstaunen erregten aber die kühne Stoßrichtung des neuen Monarchen und seine Kaltblütigkeit. Als Friedrich am 16. Dezember 1740 mit mehr als 20.000 Mann bei Crossen die Grenze zum österreichischen Schlesien überschritt, war allen europäischen Höfen sofort klar, dass Preußen sich nicht mehr darauf beschränken wollte, wie bisher territoriale Brosamen im Reich aufzulesen. Mit seinem überfallartigen Einmarsch in Schlesien strebte der Hohenzollernstaat eine völlig neue Rolle im europäischen Staatensystem an. Im dauernden Besitz von Habsburgs reichster Provinz wäre Preußen nicht nur unbestritten die neue norddeutsche Vormacht, mit Schlesien würde es sogar zum Kreis der europäischen Großmächte zählen. Friedrich verfügte damit auch über ein Sprungbrett für notfalls noch kühnere Aktionen gegen Österreich. Spätere Versuche, sein gewaltsames Vorgehen im Herbst 1740 psychologisch zu deuten, greifen daher zu kurz.23 Der König fühlte sich vollkommen dem expansiven Programm seiner Vorfahren verpflichtet, wo immer möglich territoriale Gewinne anzustreben. Habsburgs unübersehbare Schwäche und eine außergewöhnlich günstige europäische Konstellation ungenutzt verstreichen zu lassen, wäre jedem Hohenzollernfürsten als sträfliche Vernachlässigung seiner Pflichten erschienen.

Friedrichs dreister Coup schien zunächst zu gelingen. Die weit unterlegenen österreichischen Truppen zogen sich nach Böhmen zurück und innerhalb weniger Wochen war Schlesien bis auf drei Festungen in seiner Hand. Doch nicht zum letzten Mal in seiner Rolle als Kriegsherr hatte der König den Gegner weit unterschätzt. Die habsburgische Erbin Maria Theresia war zum Widerstand entschlossen. Nur drei Monate nach dem preußischen Überfall rückte der österreichische Feldmarschall Wilhelm Reinhard Graf von Neipperg mit einer Armee von 20.000 Mann wieder in Schlesien ein und forderte die überraschten Preußen am 10. April 1741 bei Mollwitz, unweit der Festung Brieg an der Oder, zur Schlacht. Friedrichs Bewährungsprobe als Feldherr misslang gründlich. Taktische Fehler zu Beginn des Gefechts führten sofort zu einer schweren Krise. In kurzer Zeit schien alles verloren. Die österreichische Kavallerie beherrschte das Feld. Friedrich folgte nur zu bereitwillig dem Rat seines Feldmarschalls Kurt Christoph von Schwerin und verließ das Schlachtfeld im gestreckten Galopp. Im fernen Oppeln erreichte ihn in der Nacht die befreiende Nachricht, dass alles noch einmal gut ausgegangen sei. Schwerin hatte die Schlacht gedreht und Neipperg zum Rückzug gezwungen.24 Die Österreicher waren nicht wirklich geschlagen, verhielten sich aber vorerst ruhig. Gefahr drohte Habsburg inzwischen auch von anderer Seite.

In Frankreich war der Versailler Hof mehr und mehr unter den Einfluss von Männern wie Marschall Charles Louis Fouquet geraten. Der Graf und spätere Herzog von Belle-Isle war ein Veteran des Spanischen Erbfolgekrieges, der sich noch den Zielen des Sonnenkönigs verpflichtet fühlte und das habsburgische Imperium nach Möglichkeit zerschlagen wollte. Zwar lebte der alte Kardinal Fleury noch, aber sein mäßigender Einfluss in Versailles war bereits erheblich geschrumpft. Auf Drängen Belle-Isles verbündete sich Frankreich am 4. Juni 1741 mit Preußen, garantierte Friedrich den Besitz von Niederschlesien mit Breslau und konnte dafür auf die preußische Stimme bei der Wahl des bayerischen Kurfürsten Karl Albrecht zum Deutschen Kaiser rechnen.25 Es war auch Versailles, welches das immer noch seinen baltischen Provinzen nachtrauernde Schweden im Juli zu einem neuen Krieg gegen Russland anstachelte. Der östliche Koloss schien durch den Tod der Zarin Anna Iwanowna geschwächt, die Gelegenheit also günstig. Im Gegenschlag konnten die Russen die schwedischen Truppen allerdings rasch aus Finnland vertreiben, fielen aber, ganz so wie es Frankreich gewollt hatte, als Alliierte Österreichs vorerst aus.26

Friedrich war somit eine ernste Sorge los. Insgeheim missfielen ihm aber die hochgesteckten Ziele der Franzosen. Die Erbfolge Maria Theresias hatte er nie wirklich infrage gestellt, ja ihr sogar seine Stimme für die Kaiserwahl, viel Geld und militärische Unterstützung für die Abtretung Schlesiens angeboten. Dahinter steckte nicht nur Zynismus. Eine Aufteilung der österreichischen Länder hätte die Konkurrenten Bayern und Sachsen zu sehr gestärkt und damit den Erwerb Schlesiens wieder wettgemacht. Deshalb unterstützte der König die französische Armee, die im August 1741 zusammen mit den Bayern gegen Linz vorgerückt war, nur noch halbherzig. Mit dem Feind nur noch 60 Kilometer vor Wien und ohne wirksame Hilfe durch Großbritannien waren die Österreicher plötzlich nicht mehr so abweisend gegenüber Friedrichs Avancen und so verständigte man sich mit ihm in Klein-Schnellendorf am 9. Oktober auf einen heimlichen Waffenstillstand. Nunmehr unbedrängt von den Preußen und inzwischen als neue Königin von Ungarn auch von den ungarischen Ständen unterstützt, konnte sich Maria Theresia ganz ihren neuen Gegnern zuwenden. Eine willkommene Atempause schien ihr der Abmarsch der Franzosen nach Böhmen zu verschaffen, doch am 25. November erstürmten die vereinigten französischen, sächsischen und bayerischen Truppen unter dem Befehl des Marschalls Belle-Isle die Stadt Prag. Damit stand einer Krönung Herzog Karl Albrechts zum neuen König von Böhmen nichts mehr im Wege. Nur drei Monate später, am 12. Februar 1742, wurde der Wittelsbacher in Frankfurt als Karl VII. auch zum Deutschen Kaiser gekrönt. Doch rechte Freude dürfte er daran nicht gehabt haben, denn inzwischen waren die Österreicher in Bayern eingerückt und hatten ausgerechnet am Frankfurter Krönungstag seine Landeshauptstadt München besetzt. Karl Albrecht war nun ein Kaiser ohne Land. In Böhmen hielt er sich nur mithilfe der Franzosen und auf sein Kurfürstentum hatte Maria Theresia inzwischen ein begehrliches Auge geworfen. Bayern erschien der Königin von Ungarn als idealer Ersatz für das verlorene Schlesien und der Wittelsbacher ließe sich wohl in Italien oder in Belgien entschädigen.

Für Friedrich war es nun höchste Zeit, der ins Wanken geratenen Koalition wieder beizuspringen. Mit einem Einfall in Mähren hoffte er, die Österreicher dazu zu bringen, Truppen zum Schutz von Wien aus Bayern abzuziehen, was auch tatsächlich geschah. Nach einigen Manövern kam es im südlichen Böhmen bei Chotusitz schließlich am 17. Mai 1742 zu einer zweiten Schlacht zwischen Preußen und Österreichern, die Friedrich knapp für sich entscheiden konnte.27 Die Österreicher waren nicht wirklich geschwächt, aber Maria Theresia hatte sich jetzt endlich dazu durchgerungen, dem verhassten Preußenkönig Schlesien offiziell abzutreten. Die Aussicht auf britische Subsidien hatte ihr den Entschluss erleichtert. Unter Vermittlung Großbritanniens erhielt Friedrich im Vorfrieden von Breslau, der am 11. Juni 1742 vereinbart wurde, sogar die gesamte Provinz einschließlich der Grafschaft Glatz. Sechs Wochen später besiegelten beide Parteien in Berlin den Frieden.28 Frankreich war fassungslos. Friedrichs politische Wendigkeit überstieg bei Weitem alles, was man auf dem diplomatischen Parkett gewohnt war. Die Wut auf den schamlosen Potsdamer Alliierten kannte keine Grenzen. Da jetzt auch Kaiser Karl, inzwischen ohne Land und völlig mittellos, sich um britische Unterstützung bemühte, schien Versailles vor dem Scherbenhaufen seiner Deutschlandpolitik zu stehen. Im Januar 1743 musste Belle-Isle Prag räumen und schaffte es gerade noch mit einem Viertel seiner ursprünglichen Truppenmacht, vom Gegner nicht weiter behelligt, nach Eger.29 Nun erschien auch noch Großbritannien im Frühjahr mit einer eigenen Armee in Deutschland. Unter dem formalen Oberbefehl König Georgs II. vereinigte sich seine Truppe mit hannoverschen und österreichischen Kontingenten zur »Pragmatischen Armee« und bereitete den Resten der französischen Armee am 27. Juni 1743 bei Dettingen am Main eine Niederlage.30 Die Franzosen mussten über den Rhein zurück und in Versailles entbrannte eine Debatte, ob der so unglücklich verlaufende Krieg nicht beendet werden müsse. Es hätte nun zu Verhandlungen kommen können, denn offiziell waren Frankreich und Großbritannien noch gar nicht in den Krieg eingetreten. Tatsächlich gab es auch bereits erste diplomatische Kontakte zwischen Versailles und Wien. Dann aber schlug die Nachricht vom Wormser Vertrag wie eine Bombe in Versailles ein. König Karl Emanuel von Sardinien-Piemont repräsentierte eine aufstrebende Macht in Italien – ähnlich wie Preußen im Reich – und hatte sich am 13. September 1743 mit Maria Theresia gegen Spanien und Frankreich verbündet. Auf britischen Druck waren die Österreicher dem Turiner Hof weiter entgegengekommen als Frankreich, das sich nun ein zweites Mal von einem vormaligen Verbündeten düpiert fühlte.31

Mit wachsendem Unbehagen hatte derweil Friedrich die Renaissance der habsburgischen Macht beobachtet. Denn dem Wormser Abkommen war nur drei Monate später eine österreichische Defensivallianz mit Sachsen gefolgt. Vor allem Österreichs unverhohlenen Ansprüchen auf Bayern glaubte der preußische Monarch entgegentreten zu müssen und so streckte er wieder seine Fühler nach Versailles aus. Die Franzosen blieben anfangs misstrauisch, willigten dann aber doch am 6. Juni 1744 in eine neue Allianz mit Preußen ein. Als gemeinsames Ziel sah der neue Vertrag die Rückeroberung der böhmischen Erblande im Namen Kaiser Karls VII. vor. Nur wenn der Wittelsbacher im Besitz Böhmens blieb, konnte sich Friedrich seiner schlesischen Eroberung sicher sein. Zwei Monate später, am 15. August überschritt der König mit 62.000 Mann die böhmische Grenze und zwang die österreichische Armee, die inzwischen den Rhein überquert hatte, zur sofortigen Umkehr. Am 16. September 1744 fiel nach kurzer Belagerung Prag. Die Preußen marschierten entlang der Moldau weiter nach Süden und nahmen nacheinander Tabor, Budweis und Frauenberg ein. Dann aber wendete sich alles gegen Friedrich. Die Franzosen verfolgten die Österreicher nicht über den Rhein und der überraschende Kriegseintritt Sachsens aufseiten Maria Theresias machte die Position der Preußen in Böhmen unhaltbar. Hart verfolgt von den leichten Truppen des Gegners musste sich Friedrich mit seiner Armee angesichts eines frühen Wintereinbruchs über Königgrätz nach Glatz zurückkämpfen, wo er am 27. November 1744 mit nur noch 36.000 Mann eintraf. Für Friedrich war der böhmische Feldzug ein einziges Desaster. Ohne eine einzige Schlacht hatte er mehr als 20.000 Mann verloren und stand den verbündeten Österreichern und Sachsen nun allein gegenüber. Mit direkter französischer Hilfe konnte er nicht mehr rechnen, da Versailles den Schwerpunkt seiner Kriegführung nach Belgien verlegt hatte und alle Vorbereitungen traf, die in Schottland gelandeten Jakobiten militärisch zu unterstützen. Preußens Lage war mehr als kritisch, da auch der von König Friedrich Wilhelm I. angehäufte Staatsschatz von ursprünglich neun Mio. Talern inzwischen aufgebraucht war.32 Als am 20. Januar 1745 schließlich Kaiser Karl VII. in München überraschend im Alter von erst 48 Jahren verstarb, zerstoben auch sämtliche Pläne Friedrichs, mithilfe der protestantischen Reichsfürsten eine antihabsburgische Allianz im Reich aufzubauen. Stattdessen eroberte Maria Theresia in den folgenden drei Monaten einmal mehr ganz Bayern und zwang am 22. April 1745 im Vertrag von Füssen den neuen Kurfürsten Max Joseph, bei der anstehenden Kaiserwahl für ihren Ehemann Franz Stephan von Lothringen zu stimmen. Außerdem musste der Wittelsbacher im gegenwärtigen Krieg neutral bleiben und erhielt im Gegenzug sein Kurfürstentum zurück. Maria Theresia glaubte sich diese Großzügigkeit gegenüber Bayern leisten zu können, denn die Rückeroberung Schlesiens schien nun unmittelbar bevorzustehen. Am 26. Mai 1745 überschritt eine kombinierte österreichisch-sächsische Armee in Stärke von rund 60.000 Mann unter dem Oberbefehl Erzherzogs Karl von Lothringen den Pass von Landshut und drang nach Schlesien vor. Nun konnte Friedrich endlich seine Schlacht schlagen, auf die er im Vorjahr vergeblich gehofft hatte. Auch wenn er die Verluste seines letzten Feldzuges nicht ganz hatte ersetzen können, verfügte er über die gleiche Truppenzahl wie seine Gegner. Über verschiedene Kanäle ließ der König Gerüchte streuen, dass er sich mit seiner Armee auf Breslau zurückziehen werde, und verleitete dadurch die Österreicher zur Unvorsichtigkeit. Am 4. Juni 1745 überraschte er frühmorgens den zwischen Halbendorf und Günthersdorf positionierten Gegner nach einem nächtlichen Flankenmarsch über Striegau und zerschlug die beiden verbündeten Armeen nacheinander. Nach zwei Stunden war die Schlacht entschieden. Österreicher und Sachsen hatten rund 14.000 Mann verloren, etwa drei Mal so viel wie die siegreichen Preußen. Hohenfriedberg war Friedrichs erster echter Sieg. Der Gegner befand sich in vollem Rückzug über das Riesengebirge, von den Preußen allerdings nur nachlässig verfolgt. Nach den üblen Erfahrungen des Vorjahres beabsichtigte Friedrich nur so weit in Böhmen einzudringen, wie es ihm zur Versorgung seiner Armee auf Kosten des Gegners während der Sommermonate günstig erschien. Enttäuscht von der ausbleibenden Hilfe der Franzosen versuchte er über eine britische Vermittlung mit Maria Theresia in Verhandlungen zu treten.

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»Das Damenkarussell«. Fest im Januar 1743 anlässlich der Wiedereroberung Prags im Erbfolgekrieg; vorne mit gezogenem Degen Maria Theresia. Gemälde von Martin van Meytens.

Ermutigt durch die Wahl ihres Gatten zum Deutschen Kaiser am 13. September 1745 beharrte die österreichische Herrscherin trotz des jüngsten militärischen Rückschlags auf ihrem Anspruch auf Schlesien. Auch ein zweiter preußischer Sieg über Erzherzog Karl bei Soor am 30. September änderte wenig an Friedrichs prekärer Lage. Von seinen 22.000 Mann ging ein Fünftel in der Schlacht verloren. Die Österreicher planten jetzt, im Zusammenwirken mit den Sachsen durch die Lausitz ins preußische Kerngebiet vorzustoßen und Friedrichs Armee in Schlesien abzuschneiden. Der König reagierte sofort und bildete zwei Korps, das erste unter seinem persönlichen Befehl in der Lausitz, das zweite unterstellte er dem erfahrensten seiner Kommandeure, dem schon 69-jährigen Prinz Leopold von Anhalt-Dessau. Es sollte die Sachsen von Westen her angreifen und auf Meißen vorstoßen. Friedrich selbst wollte die Zange von Osten schließen. Tatsächlich gelang es ihm, in einer Kette von Gefechten die Österreicher bis Ende November wieder über die böhmische Grenze zu werfen. Erzherzog Karl verlor dabei mehr als 5000 Mann. Die militärischen Erfolge der Preußen fanden am 15. Dezember 1745 ihren spektakulären Abschluss, als der »Alte Dessauer« bei Kesselsdorf westlich von Dresden eine zweite österreichisch-sächsische Armee empfindlich geschlagen hatte. Obwohl das österreichische Korps des Generals Grünne beinahe unbeschadet das Schlachtfeld verlassen konnte und auch Erzherzog Karl mit 18.000 Mann nicht mehr rechtzeitig von Dresden her eingetroffen war, das österreichische Heer somit noch vollkommen intakt war, entschied sich Wien nun plötzlich zum Frieden.33

Zwar hatten die Russen inzwischen begonnen, ihre Truppen in Kurland marschbereit zu machen, um aufseiten Österreichs und Sachsens in den Krieg einzugreifen.34 Entscheidend war aber, dass die geheimen Verhandlungen des Wiener Emissärs Ferdinand Graf von Harrach mit dem Vertreter Frankreichs in Dresden ergebnislos geblieben waren. Jetzt fürchtete der Österreicher, dass die geschlagenen Sachsen die Seiten wechseln könnten und damit die Koalition von 1741 wieder aufleben würde.35 Im Frieden von Dresden vom 25. Dezember 1745 bestätigte Maria Theresia ihrem Potsdamer Rivalen noch einmal den Besitz Schlesiens einschließlich der Grafschaft Glatz. Im Gegenzug verpflichtete sich Friedrich, die Wahl ihres Ehemannes, Franz Stephan, zum Deutschen Kaiser nachträglich anzuerkennen. Einmal mehr hatte der König seinen französischen Alliierten düpiert, doch Versailles war entschlossen, den bisher für Frankreich so unglücklich verlaufenen Krieg weiterzuführen. Es war jetzt allerdings ein neuer Krieg. Aus dem ursprünglich preußisch-österreichischen Konflikt, in dem Großbritannien und Frankreich auch völkerrechtlich nur die Rolle von Hilfstruppen gespielt hatten, war spätestens seit dem Tod Kaiser Karls VII. ein französisch-britischer Krieg geworden. Nach seinen ernüchternden Erfahrungen in Bayern und Böhmen hatte sich Frankreich schon im Dezember 1744 entschieden, nicht noch einmal zugunsten Preußens weit über den Rhein vorzustoßen. Stattdessen sollte die neue Offensive direkt gegen die benachbarten österreichischen Niederlande geführt werden.36 Damit hoffte Versailles – noch lebte Kaiser Karl VII. –, in eine günstige Verhandlungsposition gegenüber Wien und London zu gelangen. Großbritannien wiederum schien nach dem Dresdner Vertrag alle seine politischen Ziele erreicht zu haben. Spätestens seit dem Rücktritt Robert Walpoles hatte es darauf hingearbeitet, mittels einer antifranzösischen Koalition aus Hannover, Österreich, den Generalstaaten und Sardinien-Piemont, den kolonialen Rivalen auf dem Kontinent militärisch zu fesseln. Allein durch die Fortsetzung des europäischen Krieges, so das Londoner Kalkül, beraubte man Frankreich der finanziellen Mittel, seine seit 1740 verstärkt betriebene Flottenrüstung fortzusetzen. Doch die französische Armee, die in Böhmen so enttäuscht hatte, fand unter dem Befehl des überragenden Moritz von Sachsen (1696–1750) in Belgien zu neuer Stärke. Der 50-jährige Feldmarschall war ein außerehelicher Sohn des 1733 verstorbenen Kurfürsten von Sachsen und gewählten Königs von Polen, August II. Kurze Versorgungswege erleichterten den Franzosen jetzt auch das Kriegführen. Moritz von Sachsens Sieg bei Fontenoy am 11. Mai 1745 über ein britisch-niederländisch-österreichisches Heer unter dem Befehl des Herzogs von Cumberland, William Augustus, markierte den Beginn eines beeindruckenden französischen Siegeslaufs, der erst nach der Einnahme sämtlicher belgischen Festungen endete. Als Moritz von Sachsen am 10. Mai 1748 die Kapitulation der niederländischen Festung Maastricht entgegennahm, war seine Armee weiter nach Norden vorgedrungen als jemals eine Streitmacht unter Ludwig XIV. Alle britischen Kalküle waren damit vollkommen über den Haufen geworfen. Österreich und die niederländischen Generalstaaten hatten sich außerstande gezeigt, Belgien zu verteidigen. London selbst war zwischenzeitlich gezwungen, Truppen zur Abwehr der in Schottland gelandeten Jakobiten vom Kontinent abzuziehen. Einzig die Einnahme der Festung Louisbourg auf Kap Breton, dem kanadischen Dünkirchen, durch neuenglische Milizen im Zusammenwirken mit britischen Flotteneinheiten im Juni 1745 stand auf der politischen Habenseite Londons. Der Fall von Louisbourg im Juni 1745 hatte im Mutterland große Euphorie ausgelöst, da die erst 1721 errichtete Festung den Zugang zum St.-Lorenz-Golf beherrschte und damit der Schlüssel zum französischen Kanada war.37

Beflügelt von seinen unerwarteten Erfolgen hatte Frankreich seinen Feldzug in Belgien auch nach Preußens Ausscheiden aus dem Krieg weitergeführt. Die Besetzung der österreichischen Niederlande würde ihm immerhin ein politisches Faustpfand verschaffen. An eine Veränderung der Machtverhältnisse im Reich dachten seit der Krönung Franz Stephans zum Deutschen Kaiser am 4. Oktober 1745 nicht einmal mehr die kühnsten Optimisten am Versailler Hof. Maria Theresias Herrschaft in ihren Erblanden war inzwischen kaum noch zu erschüttern.

Geldmangel, Kriegsmüdigkeit und die wachsende Einsicht, dass die ursprünglichen Ziele militärisch kaum noch zu erreichen waren, stärkten die Verhandlungsbereitschaft aller Seiten. Tatsächlich waren die diplomatischen Kontakte zwischen den Kriegsparteien zu keinem Zeitpunkt völlig unterbrochen gewesen. Briten und Österreicher sondierten allerdings auf getrennten Wegen. Während London schon seit 1746 im niederländischen Breda mit den Franzosen verhandelt hatte, waren die Österreicher ihrerseits über den sächsischen Hof mit Frankreich in Kontakt geblieben.38 Zu Ergebnissen führte das allerdings vorerst nicht. Frankreich war zwar bereit, ganz Belgien zu räumen, bestand aber auf Kompensationen in Italien. Am meisten jedoch blockierte Frankreichs Festhalten an Preußen sowie die Unterstützung seines Anspruches auf Schlesien ein Fortkommen der Gespräche. So gingen dann schließlich die Briten voran und einigten sich im Kurort Aachen unilateral mit den Franzosen. Die sich rapide verschlechternde militärische Lage in Belgien ließ ihnen keine andere Wahl. Schon hatten die Verbündeten in Betracht gezogen, ein bereitstehendes russisches Korps nach Westen marschieren zu lassen. Grundlage des am 30. April 1748 von den Vertretern Londons und Versailles zuerst unterzeichneten Abkommens war die Widerherstellung des Status quo ante. Frankreich räumte ganz Belgien, wie es dies schon mehrfach signalisiert hatte, und erhielt im Gegenzug die Festung Louisbourg zurück. Österreicher und Spanier wurden von den beiden Aachener Verhandlungsparteien allerdings erst im letzten Augenblick ins Bild gesetzt und unterzeichneten, in doppelter Weise durch Form und Inhalt brüskiert, nur widerwillig das in 24 Artikeln gegliederte Vertragswerk. Der Aachener Vertrag war fraglos eine Notlösung, die viele Wünsche und Rechnungen offenließ. Doch nicht etwa an der schlesischen Frage oder am Besitz von Mailand entzündete sich der nächste Waffengang der Großmächte. Die Lunte brannte bereits in Nordamerika. Es war der Artikel XVIII des Vertrages, der festlegte, dass die noch offenen Fragen von gemeinsamen Kommissionen einvernehmlich geklärt werden sollten. Zu diesen ungeklärten Fällen zählte auch das Ohiotal.

Schlachten statt Manöver –
Die europäischen Armeen im Ancien Régime

Die Westfälischen Friedensverträge von 1648 markierten den Beginn einer der unfriedlichsten Abschnitte der europäischen Geschichte vor 1914. Der amerikanische Historiker Russell Weigley sprach sogar von einer Epoche der Schlachten und die blutige Statistik gibt ihm Recht.39 Allein der Spanische Erbfolgekrieg zählte in nur zwölf Kriegsjahren 35 größere Gefechte oder Belagerungen mit mehr als 5000 Beteiligten auf beiden Seiten. Wie kam es aber, dass nach dem mörderischsten Krieg seiner Geschichte trotz der ernsthaftesten Absichten aller Beteiligten kein wirklicher Friede in Europa möglich war?

Die Vertragsparteien von Münster und Osnabrück hatten an die Stelle der traditionellen Hegemonie der beiden habsburgischen Mächte Österreich und Spanien ein System grundsätzlich gleichberechtigter Staaten gesetzt. Das dahintersteckende Konzept eines Gleichgewichts der Mächte verminderte jedoch keineswegs die politischen Spannungen in Europa. Tatsächlich löste es einen beispiellosen Militarisierungsschub aus.

Schon bald nach 1648 galten barocke Prachtentfaltung und stehende Heere als unverzichtbare Attribute fürstlicher Souveränität. Unbestrittenes Vorbild der in Münster und Osnabrück politisch aufgewerteten Reichsfürsten war das absolutistische Frankreich. Wer als neue Mittelmacht wie Brandenburg oder Bayern auf Dauer eine größere Truppenzahl unter seinen Fahnen halten konnte, war bündnisfähig und konnte seither auf Subsidien der europäischen Vormächte rechnen. Der Landgraf Karl von Hessen-Kassel vermietete 1727 sogar seine gesamte Armee, immerhin 12.000 Mann, an König Georg II. von Großbritannien.40

Der neue miles perpetuus, wie ihn etwa in Österreich der Feldmarschall Raimondo di Montecuccoli propagierte, galt auch als probates Heilmittel gegen die noch lange beklagten Auswüchse enthemmter Landsknechthaufen während des Dreißigjährigen Krieges.41 Eiserne soldatische Disziplin, durchgesetzt von Offizieren mit einem neuen professionellen Ethos, Vereinheitlichung von Bewaffnung und Monturen sowie unverbrüchliche Treue zum Herrscherhaus bildeten seither das Ideal des Heerwesens im Ancien Régime. Die offizielle Fürstenrhetorik in den anderthalb Jahrhunderten zwischen Westfälischem Frieden und Französischer Revolution gefiel sich im Bild einer angeblich neuen und moderaten Kriegführung. Charakteristisch dafür ist wohl die Behauptung Friedrichs II. von Preußen in seinem Politischen Testament von 1768, dass die Kriege inzwischen den »friedlichen Bürger in seiner Behausung« kaum noch behelligten. Würde er es nicht aus den Kriegsberichten erfahren, so wüsste der Bürger gar nicht, dass sein Land Krieg führe.42 Allerdings schien er dabei schon vergessen zu haben, dass er selbst nur zehn Jahre zuvor, während er in allerbester Laune in seinem Feldlager vor Olmütz mit seinem Vorleser Henri de Catt Tanzschritte übte, seine Reiterei zum Brandschatzen in die Gebiete von Bamberg und Würzburg geschickt hatte.43 Das gern bemühte Bild einer neuen moderaten Kriegführung, einer honnêteté, von der angeblich, wie es der französische Marschall Charles Louis Fouquet, der Herzog von Belle-Isle, behauptete, jedermann profitierte,44 war nicht mehr als eine höfische Mär. Sie diente der Selbstinszenierung der absolutistischen Fürsten als treu sorgende Landesväter, die das Völkerrecht achteten und dem Wohl der Menschheit dienten. Tatsächlich zeigten die Fürsten des Ancien Régime oft selbst keinerlei Skrupel, wenn es ihnen nutzte, ihre Truppen zum Plündern und Brandschatzen loszuschicken.45 An die durch den Hof von Versailles autorisierten Untaten des Ezéchiel du Mas, Comte de Mélac während des Pfälzischen Erbfolgekrieges erinnerten sich die geplagten Bewohner der Pfalz und Württembergs noch ebenso lange wie die Untertanen des Bayerischen Kurfürsten Karl Albrecht, die 1741 von den Kroaten ihrer katholischen Majestät Maria Theresia heimgesucht wurden.46 Der französische Marschall Louis François Armand de Plessis, Herzog von Richelieu, dessen Armee im Sommer 1757 die Weser überschritt und das Kurfürstentum Hannover besetzte, erwarb sich in Nordwestdeutschland rasch den wenig schmeichelhaften Spitznamen »eines Vaters der Marodeure, der seine Soldaten um ihren Sold betrog und sie zum Plündern zwang«.47

Die Monopolisierung von Kriegsgräueln auf allerhöchsten Befehl war nur eine Facette des absolutistischen Herrschaftssystems, das bemüht war, aus den kaum zu kontrollierenden Kriegshaufen des Dreißigjährigen Krieges allmählich schlagkräftige Instrumente seiner Politik zu formieren. Der Aufbau zuverlässiger Streitkräfte erwies sich allerdings als mühevoller Prozess, der in den einzelnen Staaten mit unterschiedlicher Geschwindigkeit vorankam. So bestimmten in den österreichischen Erblanden und in Ungarn die Landstände noch lange über die Zahl der zu stellenden Truppen und die Höhe der Geldbewilligungen. Selbst in Preußen stießen die drakonischen Reformen des Soldatenkönigs Friedrich Wilhelms I. (1713–1740) anfangs auf den beharrlichen Widerstand von Adel und Bevölkerung, bis das Kantonreglement von 1733 einen dauerhaften Interessenausgleich zuwege brachte.48

Die Genese dieser neuartigen bewaffneten Macht vollzog sich immer auch als Subprozess einer vormodernen Staatenbildung. Der neue absolutistische Fürst mit seinem wachsenden Korps professioneller Beamter verdrängte nach und nach die Aristokratie aus ihrer politischen Funktion. Einzig auf regionaler Ebene behielt sie noch lange ihre traditionelle Rolle.

An die Stelle adliger Militärunternehmer, die ihre Söldner bisher gegen eine Pauschalzahlung rekrutiert, bewaffnet und geführt hatten, traten in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts staatliche Militärbürokratien. Sie sorgten für regelmäßigen Sold, Verpflegung und Unterbringung der Truppen, von denen ein erheblicher Teil nun auch nach Ende der Feindseligkeiten nicht mehr entlassen wurde. Eine nach rationalen Prinzipien gestaltete Heeresorganisation, die Ludwig XIV. ganz in die Hände ziviler Beamter gegeben hatte, erlaubte den Souveränen immer größere Armeen im Krieg unter Waffen zu halten.

Als bedeutendste Militärmacht Europas konnte Frankreich bei Ausbruch des Spanischen Erbfolgekrieges mehr als 300.000 Soldaten ins Feld stellen, rüstete aber nach den Friedensschlüssen von Utrecht und Rastatt nach einem halben Jahrhundert stetigen Wachstums erstmals drastisch ab. Zu Beginn des Österreichischen Erbfolgekrieges 1740 standen nur noch 160.000 Mann unter dem Lilienbanner.49 Das viel kleinere Brandenburg-Preußen konnte 1713 bereits 40.000 Mann aufbieten und verdoppelte bis 1740 seine Mannschaftsstärke. In der europäischen Staatenwelt blieb Preußen damit die Ausnahme und verdankte seine überdimensionierte Armee wohl auch der kindischen Vorliebe König Friedrich Wilhelms I. für alles Militärische und die darin verkörperte Ordnung.50

Die beträchtlichen Geldmittel für das neue Instrument absolutistischer Politik mussten die Fürsten überall ihrem selbstbewussten Adel, den sogenannten Landständen, in schwierigen Verhandlungen abringen. Die ständige Geldnot zwang schließlich Potentaten wie Friedrich Wilhelm I. von Preußen, auch neue Finanzierungsquellen zu erschließen. So erwiesen sich außer Zöllen die neuen Verbrauchssteuern auf Güter des täglichen Bedarfs (Akzisen) als ertragreichste Möglichkeit staatlicher Einnahmeverbesserung. Voraussetzung war jedoch, dass Handel und Gewerbe stetige Zuwächse erzielten. Frankreich wirkte daher auch in der Wirtschaftsförderung als Vorbild für sämtliche Höfe Europas. Doch der Merkantilismus benötigte Arbeitskräfte und Steuerzahler. In einer Zeit, in der Seuchen und Hungersnöte dem Bevölkerungswachstum in Europa immer noch Grenzen setzten, trat somit die Ökonomie in scharfe Konkurrenz zu dem Menschenbedarf der stehenden Heere.

Die Herrscher des Ancien Régime bedienten sich verschiedener Strategien zur Lösung des Problems. Zunächst lag es auf der Hand, vor allem die unteren Schichten der männlichen Bevölkerung für die Armee anzuwerben. Tagelöhner, Vagabunden und Kleinkriminelle konnte der frühmoderne Staat leicht entbehren. Eine nicht unumstrittene Methode war auch die Anwerbung von Soldaten im Ausland. Jeder auf diese Art gewonnene Mann, so soll der französische Marschall Moritz von Sachsen erklärt haben, zähle im Grunde dreifach. Er sei ein Zuwachs für die eigene Armee, fehle dem Gegner als Soldat und würde ihm überdies noch als Steuerzahler ausfallen.51

Die Glorious Revolution in England und die Aufhebung des Nanter Toleranzediktes in Frankreich sorgten dafür, dass kontinentale Armeen seit dem Ende des 17. Jahrhunderts auch von den irischen, schottischen und hugenottischen Exilanten profitierten. Allein in der österreichischen Armee dienten zur Zeit des Siebenjährigen Krieges rund 30 Iren im Generalsrang und Kaiser Franz I. befand voller Anerkennung, dass irische Offiziere und Soldaten die Disziplin seiner Kriegsvölker insgesamt anheben würden.52 Bei Fontenay 1745 unterstand dem aus Deutschland stammenden Moritz von Sachsen sogar ein ganzes irisches Regiment, das sich mit dem Ruf »Remember Limerick« auf die verhassten Briten stürzte.53

Herrscher wie Karl XI. von Schweden oder Friedrich Wilhelm I. von Preußen beschritten daneben ganz neue Wege und führten – in Schweden mit dem Einteilungswerk und in Preußen mit dem Kantonsystem von 1733 – bereits eine Frühform der Wehrpflicht ein. Den Regimentern waren dadurch erstmals feste Rekrutierungsregionen, sogenannte Kantone, zugewiesen, die bei Verlusten Ersatzmänner zu stellen hatten oder wie im schwedischen Indelningswerket sogar die Kosten für die gesamte Ausrüstung tragen mussten.54

Bis zum Ende des Ancien Régime hielten jedoch fast alle Armeen Europas an einer Mischform mit hohem Ausländeranteil fest. In Preußen betrug er zu Friedenszeiten zwei Drittel der Gesamtstärke. 1751 waren es bereits 50.000 ausländische Soldaten bei einer Gesamtstärke von 133.000 Mann.55 In den Österreichischen Erbländern, wo man seit jeher mit einer multiethnischen Armee klarkommen musste, lag der Anteil der Soldaten, die nicht aus den Erblanden stammten, bei 20 Prozent. In Frankreich stammte ein Drittel der Soldaten aus dem Ausland.56 Schweizer, Pfälzer, Iren und Wallonen bildeten unter dem Lilienbanner oft sogar eigene Regimenter.57

In sämtlichen Armeen des Ancien Régime war Desertion ein ständiges Thema. Der Dienst war hart und eintönig, die Bezahlung dürftig. Der Drang, sich dem frühmodernen Zwangsstaat zu entziehen, war mindestens genauso verbreitet wie der Wunsch, die vergleichsweise lukrative Anwerbeprämie mehrfach einzustreichen. Misstrauen und Überwachungsmaßnahmen bestimmten nicht nur den militärischen Dienstbetrieb. Auch die Bürger in den Garnisonen und an den Landesgrenzen waren verpflichtet, Deserteure zu melden und möglichst festzunehmen. In Preußen mussten die betroffenen Gemeinden, die durch Kanonenschüsse alarmiert wurden, zivile Wachtrupps stellen, die 48 Stunden auf ihren Posten auszuharren hatten. Nach Michael Sikora wurde im 18. Jahrhundert kein militärisches Vergehen so intensiv verfolgt wie die Desertion. Die Strafen waren allerdings vergleichweise milde, erst wer beim dritten Mal gestellt wurde, musste mit der Erschießung rechnen.58 Allein während der Regierungszeit König Friedrich Wilhelms I. von Preußen zählte man 30.000 Deserteure. Auf Feldzügen erhöhte sich die Quote massiv, da sich beinahe täglich Gelegenheiten zur Flucht ergaben und Deserteure beim Gegner als Informanten hochwillkommen waren. So verlor die preußische Armee während des Siebenjährigen Krieges etwa 80.000 Soldaten durch Desertion, knapp 10.000 davon stammten allerdings aus den 1756 unter die preußischen Fahnen gepressten sächsischen Regimentern. Die Franzosen büßten während ihrer Feldzüge im Reich 70.000 Mann durch Desertion ein und die Österreicher immerhin noch 62.000 Mann.59

Das Offizierkorps der Infanterie und Kavallerie bestand durchweg aus Adligen, die aus ihrem militärischen Dienst ein neues Standesbewusstsein entwickelten. Bürgerliche Offiziere dienten gewöhnlich bei der Artillerie oder den Pionieren, die als technische Truppengattungen noch nicht sehr angesehen waren. In langen Kriegen konnte jedoch kaum eine Macht den Luxus eines rein adligen Offizierkorps aufrechterhalten. So dienten 1748 in der Armee Moritz’ von Sachsen immerhin 4000 bürgerliche Offiziere in den unteren Rängen.60 Im österreichischen Kaiserstaat stellten seit 1752 adlige und bürgerliche Kadetten jeweils die Hälfte eines Jahrgangs an der neuen Theresianischen Militärakademie.61 Schon zuvor konnte aber in der kaiserlichen Armee jeder bürgerliche Offizier spätestens am Ende seiner Dienstzeit unter dem Doppeladler mit der Nobilitierung rechnen. Es galt unter den adligen Offizieren keineswegs als ehrenrührig, in fremden Armeen zu dienen. Der Graf Claude Louis de Saint-Germain kämpfte in einem halben Dutzend europäischer Armeen, nachdem er Frankreich wegen eines Duells hatte verlassen müssen; er avancierte in der dänischen Armee zum Feldmarschall, ehe ihn Ludwig XVI. schließlich zum französischen Kriegsminister ernannte.62 In Preußen war dies dem einheimischen Adel allerdings verboten, bewährte ausländische Offiziere waren jedoch im Potsdamer Militärstaat durchaus willkommen.

In sämtlichen Heeren des Ancien Régime war das Regiment die zentrale militärische Organisations- und Verwaltungseinheit und wurde seit alters her von einem Oberst geführt. Auch nach dem Ausklingen des Landknechtwesens behielt der Kommandeur eines Regiments immer noch beträchtliche Kompetenzen. Er allein bestimmte, welche Anwärter ins Offizierkorps aufgenommen wurden, und profitierte, wie in Großbritannien oder Frankreich, während des gesamten 18. Jahrhunderts von der Praxis, Offizierpatente zum Kauf anzubieten. Auch in Preußen wurde noch lange die Fiktion aufrechterhalten, dass das Regiment seinem Chef gehörte. Bis in die Napoleonische Zeit trugen alle Regimenter den Namen ihres jeweiligen Inhabers, erst nach den umfassenden Militärreformen von 1808 erfolgte ihre Durchnummerierung.

Ein Infanterieregiment umfasste je nach Armee zwischen acht und zwölf Kompanien zu 150 Mann. Seine Sollstärke belief sich somit auf bis zu 1800 Infanteristen. Kavallerieregimenter bestanden gewöhnlich aus acht Eskadronen mit jeweils 100 bis 125 Reitern.

Meist waren die Infanterieregimenter in zwei Bataillone unterteilt, die im Gefecht die taktische Grundeinheit bildeten. In der Bataillonsaufstellung standen die Schützen in langen Gefechtslinien mit bis zu fünf Infanteriekompanien nebeneinander. Gewöhnlich zählte zu jedem Bataillon auch eine Kompanie aus Grenadieren. Ursprünglich im Belagerungskrieg eingesetzt, wobei sie hauptsächlich mit primitiven Handgranaten kämpften, bildeten die Grenadiere später mit ihren typischen spitzen Mützen im Feldheer aufgrund ihrer Größe und Erfahrung eine neue militärische Elite.

Zur direkten Verstärkung seiner Feuerkraft führte jedes Bataillon zwei bis drei leichte Geschütze mit, die Kugeln mit einem allmählich standardisierten Gewicht von drei Pfund verschossen. Aus den schweren zwölfpfündigen Geschützen, die auch als Belagerungsartillerie dienten, wurden häufig in der Schlacht große Geschützbatterien gebildet. Während der Schlacht von Leuthen (1757) setzte König Friedrich II. zwei solcher Batterien mit verheerender Wirkung ein. Die Artillerie verschoss zwei Arten von Munition. Auf weite Distanzen zwischen 600 und 1500 Metern wurden eiserne Vollkugeln verwendet, deren Wucht aus den dichtgedrängten Reihen der Infanterie ganze Gruppen von Männern wegreißen konnte und die grässlichste Verstümmelungen verursachten. Auf nahe Entfernung verwendete man Kartätschen oder Kanistergeschosse, deren Ladung aus Metallteilen oder Bleikugeln nach dem Austritt aus dem Rohr auseinanderspritzte und damit eine mörderische Splitterwirkung auf bis zu 50 Meter entfaltete.

Zwei wesentliche Verbesserungen verhalfen der Artillerie in den Dekaden vor dem Siebenjährigen Krieg zu größerer Feuerkraft und Schnelligkeit. So entwickelte der Schweizer Geschützgießer Johann Maritz um 1715 ein neues Verfahren, das es erlaubte, den Geschützblock auszubohren. Gegenüber der alten Technik des Gießens mit einem Hohlraum gewann man so glattere Läufe und erzielte zudem eine Gewichtsersparnis. Etwa zur selben Zeit ging die Artillerie auch dazu über, den Höhenwinkel der Geschütze mit einer Stellschraube einzurichten, was eine schnellere Schussfolge und genaueres Zielen ermöglichte.63

Die Infanterie kämpfte mit der glattläufigen Flinte, mit der ein halbwegs geübter Schütze noch Ziele bis auf 100 Meter Distanz treffen konnte. Im Verlauf des Spanischen Erbfolgekrieges war in fast allen Armeen anstelle des witterungsabhängigen Luntenschlosses die zuverlässigere Steinschlossgewehre eingeführt worden. Zur selben Zeit setzte sich auch das Bajonett durch, wodurch die Pike als klassische Waffe der Landsknechte endgültig außer Gebrauch geriet. In die Rohrmündung gesteckt oder später auch darunter befestigt, versetzte das Bajonett den Schützen in die Lage, Kavallerieangriffe ohne die Unterstützung von Pikenieren abzuwehren.64

Ein rollendes Salvenfeuer galt seit den Nassau-Oranischen Reformen zu Beginn des 17. Jahrhunderts als Ausweis hoher Ausbildungsqualität und Disziplin. Auf die Treffgenauigkeit kam es dabei gar nicht an. Die Feuerabgabe auf Kommando erlaubte ohnehin kein genaues Zielen. Schießübungen waren daher auch nicht vorgesehen und die Flinten der preußischen Infanterie besaßen nicht einmal eine Visiereinrichtung.65

Der entschlossene Angriff auf eine gegnerische Schützenlinie schien unter diesen Umständen nur ein begrenztes Risiko zu beinhalten. So konstatierte Moritz von Sachsen in seinen Einfällen über die Kriegskunst, er habe bei ganzen Salven in der Schlacht kaum vier Mann fallen sehen, und Armand Marie Jaques Chastenet, Marquis de Puységur gelangte zu dem Befund, dass nur Kugeln, die auf eine Distanz von unter 50 Meter abgefeuert würden, einigen Vorteil brächten.66 Bei Leuthen verursachte das Gewehrfeuer der Württembergischen Grenadiere kaum Schaden unter den preußischen Angreifern.67 Wenn Schwedens Kriegerkönig Karl XII. (1697–1718) ein Drittel seiner Kompanien noch mit der Pike angreifen ließ, geschah dies nicht nur aus Mangel an Flinten.68

Die Gefechtsaufstellung einer gesamten Armee von 30.000 Mann erreichte nicht selten eine Breite von mehreren Kilometern. Zwischen den Bataillonen wurden gewöhnlich Lücken gelassen, um bei Bedarf die Kavallerie einsetzen zu können. Die Reiterei aller Armeen war hauptsächlich in Kürassiere und Husaren unterteilt, als neue Kavallerieart kämpften die Dragoner zu Pferde oder auch abgesessen. Obwohl die Kavallerie nicht mehr dieselbe Bedeutung wie noch während des Dreißigjährigen Krieges besaß, konnte sie immer noch Schlachten entscheiden, so etwa bei Hohenfriedberg (1745), Rossbach und Kolin (1757). Eine immer größere Rolle spielten besonders auf österreichischer und russischer Seite die leichten Truppen. Kroaten von der österreichischen Militärgrenze und Kosaken dominierten abseits der großen Armeen den sogenannten Kleinen Krieg der Hinterhalte, Patrouillen und kühnen Raids, beschafften Informationen und plünderten mit dem stillschweigenden Einverständnis ihrer Kriegsherren das Territorium des Gegners. Auch Friedrich II. sah keine andere Möglichkeit, als mit gleicher Münze zurückzuzahlen, und stellte im Verlauf des Siebenjährigen Krieges ebenfalls 23 berittene Freikorps zu je 800 Mann auf.69

Da der Feuerkampf endloser Schützenlinien oftmals auch nach Stunden nicht zu einer Entscheidung gebracht werden konnte, hatte schon früh die Suche nach neuen Taktiken eingesetzt. Bereits in den Schlachten des Spanischen Erbfolgekrieges waren Befehlshaber wie John Churchill, der Erste Herzog von Malborough, oder Prinz Eugen von Savoyen dazu übergegangen, mit einem massiv verstärkten Flügel nur noch einen Teil des Gegners anzugreifen, während der zweite Flügel sich passiv verhielt.70 Friedrich II. wandte das von den antiken Griechen stammende Verfahren der schiefen Schlachtordnung mit wechselndem Erfolg in den ersten Schlachten des Siebenjährigen Krieges an. Voraussetzung dieses komplizierten Manövers war eine perfekt gedrillte Infanterie, die der König mit wachsender Kriegsdauer allerdings nicht mehr aufbieten konnte. Bei nachlassender Qualität der Infanterie wuchs bei allen Kriegsparteien die Bedeutung der Artillerie. Die Zusammenfassung von Dutzenden Geschützen in großen Batterien galt bald als militärisches Allheilmittel. Während im Dreißigjährigen Krieg noch ein Geschütz je 1000 Mann zum Einsatz gekommen war, bot man ein Jahrhundert später schon die fünffache Zahl auf.71 Friedrichs große Batterie aus fast 60 Geschützen in der Schlacht bei Zorndorf war bereits ein deutlicher Vorgriff auf die napoleonische Gefechtsführung.

Nicht zuletzt im Vergleich zu Napoleons Feldzügen haben spätere Militärs wie auch Militärhistoriker die Kriegführung des Ancien Régime als eine Abfolge kunstvoller, aber entscheidungsscheuer Manöver abgewertet, in der sich die Armeen angeblich außerstande zeigten, die strategischen Kalküle ihrer Souveräne und Kriegsherren zu realisieren.72 Äußerungen wie die des Marschalls Moritz von Sachsen, dass die Schlacht nur der Ausweg eines ratlosen Feldherren sei,73 schienen diesen Befund ebenso zu stützen wie Friedrichs nachträglicher Spott über die österreichisch-russische Allianz als ein Bündnis der verpassten Gelegenheiten. »Sie haben sich einer auf den anderen verlassen, der Befehlshaber der Reichstruppen auf den österreichischen General, dieser auf den russischen, der Russe auf den Schweden und dieser endlich auf den Franzosen. Daher diese Lässigkeit in ihren Bewegungen und die Bedächtigkeit in der Ausführung ihrer Pläne.«74 Ähnlich glaubte der preußische Kriegstheoretiker Carl von Clausewitz, einen Mangel des Willens und übergroße Vorsicht als die prägenden Ursachen der Kriegführung des Ancien Régime ausmachen zu können.75

Das Bild einer gezähmten Kriegsfurie war jedoch nur das geschönte Selbstbild der Spätphase einer Epoche, die unter dem Einfluss der Aufklärung zu einer höheren Empfindsamkeit gegenüber Zerstörung und Leiden gelangt war. Schon ein Zeitgenosse wie Gotthold Ephraim Lessing bezeichnete es in einem Brief an den Dichter und Offizier Ewald von Kleist, der später in der Schlacht von Kunersdorf tödlich verwundet wurde, als »den süßen Traum unserer gesitteten Zeit«.76 Im Zeitalter der Aufklärung begann schließlich auch der Adel, die neue bürgerliche Sicht auf den Krieg und seine Schrecken zu teilen. So zeigte sich denn der damalige Außenministers Frankreichs, der Marquis d’Argenson, über das mit entblößten Leichen übersäte Schlachtfeld von Fontenay sehr nachdenklich: »Triumph ist wohl das schönste Gefühl auf der Welt. Aber es ist erkauft mit Strömen von Blut und den Fetzen menschlicher Körper.«77 Die neuen humanen Ideale hatten, sofern sie von den hochgestellten Befehlshabern geteilt wurden, auf die Kriegführung keinen nachweisbaren mildernden Effekt. Wenn es tatsächlich das Ziel der Feldherren im Ancien Régime gewesen wäre, Schlachten nach Möglichkeiten zu vermeiden, so waren sie darin überaus erfolglos. Allein im Verlauf des Siebenjährigen Krieges kam es zu fast 30 größeren Gefechten mit jeweils mehr als 5000 Kombattanten. Moritz von Sachsens Diktum vom ratlosen Feldherrn, der sich in die Schlacht rettete, war daher nicht mehr als eine höfische Koketterie.

Das Zeitalter der Aufklärung

Am Nachmittag des 28. März 1757 wurde auf der Place de Grève in Paris der Attentäter Robert François Damien vor den Augen einer zahlreich erschienenen Menge zu Tode gebracht.

Seitdem der 42-jährige Damien zwei Monate zuvor dem König beim Verlassen des Schlosses von Versailles mit einem Messer eine, wie sich bald zeigte, ungefährliche Wunde zugefügt hatte, war er regelmäßig verhört und gefoltert worden.78 Ohne dadurch zu weiteren Erkenntnissen über etwaige Hintermänner zu gelangen, hatten ihm die Folterknechte die Füße verbrannt, sodass er jetzt in einem Sack zur Hinrichtungsstätte gebracht werden musste.

Die Aussicht auf das nicht alltägliche Spektakel der Vierteilung hatte zum Erstaunen des Henkers Henri Sanson auch zahlreiche vornehme Damen der Gesellschaft zur Hinrichtungsstätte gelockt,79 wo insgesamt sechs Scharfrichter ihres grausamen Amtes walten sollten. Die Schaulustigen, unter denen sich auch der Abenteurer und Schriftsteller Giacomo Casanova befand, wurden nicht enttäuscht. Nachdem man dem Delinquenten die Täterhand mit Schwefelfeuer verbrannt hatte, wurden ihm mit glühenden Zangen große Fleischstücke aus dem Körper gerissen und die Wunden mit flüssigem Blei gefüllt. Erst dann begann der Hauptakt, dessen desaströsen Verlauf keine noch so sadistische Regie sich hätte ausdenken können. Unter dem alles übertönenden Gebrüll Damiens versuchten ihm vier, später sogar sechs starke Pferde etwa anderthalb Stunden lang die Gliedmaßen abzureißen, was aber erst gelang, als die Henker mit Genehmigung des Gerichts mit Axthieben die Sehnen von Armen und Beinen durchtrennten. Als es daraufhin endlich gelang, das linke Bein abzureißen, klatschte das Publikum erleichtert Beifall.80 Das Opfer schien noch zu leben, nachdem ihm der letzte Arm abgerissen worden war, und so schlug ihm der Henker auch den Kopf ab und warf alle bluttriefenden Körperteile einschließlich des Torsos auf einen brennenden Scheiterhaufen. Der Gestank des schmorenden Fleisches verursachte einige Ohnmachtsanfälle in der Menge, wo man zwischenzeitlich lebhaftes Bedauern für die armen Pferde geäußert hatte.81

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Die Hinrichtung Robert François Damiens am 28. März 1757.

Der König war zwar der Hinrichtung ferngeblieben, zeigte sich aber über alle Einzelheiten des schauerlichen Spektakels genau informiert und irritierte wohl auch mit seinen allzu ausführlichen Schilderungen etliche der ausländischen Botschafter.82 Wie der etwas unbedarfte Herzog Emmanuel von Croy sah die Mehrzahl der schaulustigen Pariser in dem durch die Staatsgewalt zu Tode Gequälten nur einen »elenden Menschen«, der sein grausames Schicksal vollkommen verdient hatte. Tatsächlich war Damien ein gewalttätiger Einzelgänger und Vagabund gewesen, dessen bescheidene Lektüreerlebnisse ihn wohl zu seiner wirren Tat verleitet hatten. Selbst der unbestrittene König der Philosophen, François Marie Arouet, genannt Voltaire, bezeichnete aus seinem fernen Genfer Exil den Pariser Attentäter wiederholt als »Monster« und mokierte sich über die bei ihm eingehenden Fragen des »literarischen Europas«. Sei Frankreich denn noch die große Nation, die er aller Welt als so liebenswert dargestellt hatte, und war dies noch das Jahrhundert, das von ihm als so weise gerühmt worden war? Voltaires Antwort an seine Briefpartner fiel nicht eben überzeugend aus. Es gebe nun einmal Menschen wie Damien oder Ravaillac (der Mörder König Heinrichs IV.), die in ihrem aufgehetzten Wahnsinn weder diesem Jahrhundert angehörten noch ein Teil Frankreichs seien.83 Zivilisiertheit, so seine Botschaft, könnten eben nur jene erwarten, die sich selbst der Zivilisiertheit einfügten. Man muss dem großen Selbstdarsteller Voltaire zugutehalten, dass er sich in seinem Schweizer Exil nichts sehnlicher wünschte, als in das Rampenlicht von Paris zurückkehren zu dürfen, aus dem er seit mehr als 20 Jahren verbannt war. Auch nur der Hauch einer Kritik an den hauptstädtischen Behörden hätte ihn, dessen »skandalöse« Lettres philosophiques schon an derselben Stelle wie Damien vom Henker zerrissen und verbrannt worden waren und der selbst mehrere Monate in der Bastille hatte zubringen müssen, weit von seiner Rehabilitierung entfernt.

An dem verzweigten Netz von Kontakten, das der Aufklärer, Schöngeist und Dichter Voltaire damals selbst mit gekrönten Häuptern wie Friedrich von Preußen oder Elisabeth von Russland unterhielt, lässt sich der Erfolg einer Bewegung ermessen, dessen prominentester Repräsentant wie auch wohl ihr größter Profiteur der reiche Exilant von Genf war.

Während die Pariser Behörden am 28. März 1757 den Place de Grève noch einmal für einen Nachmittag in ein Schlachthaus verwandelt hatten, waren die Ideen der Aufklärung längst über die arkanen Zirkel in den Pariser Kaffeehäusern und feinen Salons hinaus in die Breite der Gesellschaft vorgedrungen. Die Ansichten der aufklärerischen Philosophen zu Staat, Kirche und Gesellschaft prägten inzwischen sämtliche Debatten und stießen sogar bei einem Teil der adligen Elite auf Sympathie. Schon 1739 hatte René Louis de Voyer de Paulmy, Graf von Argenson, den König Ludwig XV. fünf Jahre später zu seinem Außenminister ernannte, in seinen »Betrachtungen über das alte und gegenwärtige Regime« Frankreich als »ein übertünchtes Grab« bezeichnet, in dem der äußere Glanz die innere Fäulnis kaum noch verdecken könne. Das Manuskript wurde zwar erst 1764 veröffentlicht, sieben Jahre nach dem Tod des Grafen, kursierte aber schon vorher als Handschrift in den Kreisen seiner philosophischen Freunde.84

Aufklärer wie Locke, Diderot oder Montesquieu vermieden allerdings jede direkte Kritik an den herrschenden Verhältnissen und Vorstellungen. Gewiefte Autoren präsentierten ihre gefährlichen Ansichten nach dem Vorbild des Hugenotten Pierre Bayle, einem frühen Enzyklopädisten, gerne in Dialogen, in denen die Vorwürfe durch die Gegenrede der Vertreter der Tradition scheinbar widerlegt wurden. Oder sie kritisierten Elemente des Christentums wie etwa die Jungfrauengeburt am unverfänglichen Beispiel des ägyptischen Isiskultes, der eine ähnliche Vorstellung aufwies.85

Bis zu einem gewissen Grad versprachen sich Monarchen wie Friedrich von Preußen oder Kaiser Joseph II. (1765–1790) vom Kampf der Aufklärer gegen Aberglauben, Unwissenheit und religiöse Dogmen auch Impulse für ihr Projekt einer begrenzten Rationalisierung der Regierungspraxis. Spätere Historiker bezeichneten diese Haltung als aufgeklärten Absolutismus, das 18. Jahrhundert selbst kannte den Begriff nicht. Von Beginn seiner Herrschaft an bemühte sich Friedrich der Große um Aufklärer wie etwa den französischen Arzt Julien Offray de La Mettrie, der am Potsdamer Hof völlig frei seinen Materialismus vertreten konnte. Dass der flüchtige Franzose dabei den Staat mit einer Maschine verglich, wird dem Roi Connétable und Befehlshaber über eine wohl gedrillte Armee durchaus eingeleuchtet haben.86

Friedrichs Interesse an den Ansichten der Aufklärer ging weit über ein höfisches Bedürfnis nach feingeistigen Plaudereien über Literatur, Malerei und Musik hinaus. Der preußische Monarch schien sogar die revolutionäre Lehre des Gesellschaftsvertrages zu akzeptieren, wenn er in einer seiner späteren Schriften anmerkte: Die Aufrechterhaltung der Gesetze sei der einzige Grund gewesen, der die Menschen bewogen hat, sich Obere zu geben. Dies allein sei der wahre Grund aller Herrschergewalt.87 Die Forderung der Aufklärer nach konfessioneller Toleranz deckte sich sogar vollkommen mit seinen Ansichten, zumal dem »Philosophenkönig« die Religion ohnehin unwichtig erschien. Schwerer tat er sich allerdings mit der Legitimierung seines Königtums. Friedrich hatte zwar erkannt, dass die barocke Berufung auf das eigene Gottesgnadentum schon längst zu einer Leerformel geworden war, doch sein Ansatz, sich selbst als erster Diener des Staates zu inszenieren und die Mängel etwa des britischen Parlamentarismus zu betonen, konnte auf Dauer die Kritiker der Monarchie nicht wirklich überzeugen.88

Während Friedrich sich offen und durchaus ernsthaft mit den Ansichten der Aufklärer auseinandersetzte, führten in Frankreich Königshaus und Kirche einen jahrzehntelangen Kampf gegen die neue Bewegung. Die Behörden verbrannten öffentlich die gefährlichen Bücher, verbannten ihre Autoren, sofern sie sich ermitteln ließen, oder steckten sie, wie etwa den ehemaligen Jesuitenzögling Denis Diderot, auf unbestimmte Zeit in das Verließ von Vincennes.89 Die Front der Aufklärungsgegner war jedoch alles andere als geschlossen. Zu den Unterstützern Jean-Jacques Rousseaus zählte mit François I., dem Prinzen von Conti, sogar ein Vetter des Königs. Den besorgten Verlegern der großen Enzyklopädie ebnete wiederum der langjährige Kriegsminister und Leiter des staatlichen Buch- und Verlagswesens Pierre Marc de Voyer de Paulmy, Graf von Argenson, ein jüngerer Bruder des Außenministers, den Weg zur Veröffentlichung. Schließlich versprach das gigantische Projekt, eine der Schlüsselpublikationen der Aufklärung, guten Gewinn und Hunderte von Arbeitsplätzen.90 Die hohen Erwartungen der Enzyklopädisten wurden auch nicht enttäuscht. Die in Frankreich zunächst erschienenen sieben Bände verkauften sich hervorragend. Allerdings versagte der besorgte Versailler Hof seit 1759 den Druck weiterer Folgen und zwang damit die Herausgeber in die Niederlande auszuweichen. Erst 1772 konnte das auch heute noch beeindruckende Werk, an dem Hunderte von Autoren mitgearbeitet hatten, zum Abschluss gebracht werden. Seine insgesamt 25 Bände vereinigten 73.000 Artikel zu den verschiedensten Themen, in denen die renommierten Beiträger den damals neuesten Erkenntnisstand der Wissenschaften zusammengefasst hatten. Allein schon die alphabetische Ordnung der Artikel stellte einen klaren Bruch mit der bisherigen hierarchischen Struktur des Wissens dar. Es war daher keine Übertreibung, wenn der exzellente Mathematiker und Mitherausgeber der Enzyklopädie, Jean le Rond d’Alembert, schon 1758 stolz verkündete, dass der Gebrauch einer neuen Methode des Philosophierens »eine lebhafte Gärung der Geister« erzeugt habe. Die Aufklärung wirke nach allen Seiten und habe alles gleich einem Strom mit Heftigkeit ergriffen, der alle Dämme breche.91

Bei allen bedeutsamen Unterschieden beruhte das Denken der Aufklärung im Kern auf einem Paradox. Indem die Aufklärer den Menschen von seinem metaphysischen Sockel stießen, befreiten sie zugleich seine Vernunft aus dem Gefängnis scholastischer Weltbilder und erhöhten ihn damit zu einem neuen Prometheus. Aus der naturrechtlich begründeten Eigenständigkeit des Menschen ergab sich ein völlig neues Staatsverständnis. Männer wie der Engländer John Locke, der nach der Glorious Revolution von 1688/89 in kurzer Folge seine drei wichtigsten Werke über die Toleranz, die Regierung und die menschliche Erkenntnis veröffentlicht hatte, definierten die Aufgaben des Staates und das menschliche Erkenntnisvermögen nun völlig neu. So beerdigte Locke, der als enger Vertrauter des ehemaligen Kanzlers Anthony Ashley Cooper, des 1. Lords von Shaftesbury, fünf Jahre lang im niederländischen Exil hatte verbringen müssen, in seiner Erkenntnistheorie die Vorstellung der mittelalterlichen Scholastiker von den eingeborenen Ideen. Erst dadurch, so die bis dahin herrschende Lehre, sei es den Menschen überhaupt möglich, die göttliche Schöpfung zumindest in ihren groben Umrissen zu erkennen. An die Stelle einer kosmologischen Gesamtschau setzten Locke und die sogenannten Empiristen die sinnliche Wahrnehmung und das Vermögen der Menschen, aufgrund von Einzelbeobachtungen und induktiver Schlüsse zu echten Erkenntnissen zu gelangen.92 Als Vorbild dienten dem ausgebildeten Arzt namhafte Vertreter der Naturwissenschaften wie Robert Boyle, Isaac Newton und William Harvey, der Entdecker des menschlichen Blutkreislaufs.

Die greifbare Folge dieser Revolution des Denkens war eine beispiellose Explosion des menschlichen Wissens, ein Gefühl von Aufbruch und Fortschritt und der sich rasch verbreitende Glaube an eine ständige Verbesserung der menschlichen Verhältnisse.93

Obwohl die meisten Aufklärer sich als Deisten sahen, die Idee eines Schöpfergottes aufrechterhielten und auch die Monarchie nicht grundsätzlich infrage stellten, gestaltete sich ihr Verhältnis zur staatlichen Ordnung und zur Macht der Kirchen schwierig. Nach Auffassung Lockes hatte sich die Obrigkeit von ihrer traditionellen Rolle als Bewahrerin einer angeblich von Gott gestifteten politischen Ordnung zu verabschieden. Die Bürgerkriege des 17. Jahrhunderts hatten gezeigt, dass die alte Glaubenseinheit durch staatlichen Zwang nicht mehr aufrechtzuerhalten war. Die konfessionelle Spaltung der europäischen Christenheit ließ sich nicht mehr rückgängig machen. Unabhängig davon bezweifelte Locke überhaupt, dass der Staat in diese intimste Sorge seiner Bürger um ihr Seelenheil eingreifen dürfe. Die Religion der Bürger sei Privatsache und der Staat sei sogar verpflichtet, die Anhänger der unterschiedlichen Konfessionen zu schützen, sofern sie ihrerseits die Staatsgewalt respektierten. Aus diesem Grund glaubte er auch, Katholiken und Atheisten aus seinem Toleranzpostulat ausschließen zu müssen. Die einen verdächtigte er als illoyale Umstürzler, die im Auftrag Roms handelten, die anderen überhaupt als sittenlose Gefährder jeder staatlichen Ordnung.94 Alle Regierungen hatten sich nach den Vorstellungen Lockes darauf zu beschränken, Leben, Freiheit und Eigentum ihrer Bürger zu schützen. Eine andere Legitimation staatlicher Gewalt gab es für ihn nicht mehr.

Analog zu den Naturwissenschaften versuchten die Aufklärer, den Staat zu verstehen, indem sie ihn in seine Bestandteile zergliederten. Das wichtigste Instrumentarium dazu war die Idee des Gesellschaftsvertrages.95 Diese Fiktion war der Kern der gesamten Bewegung. Von Natur aus freie Menschen fassten in einem fiktiven Naturzustand den einhelligen und freien Beschluss, zum Schutz ihres natürlichen Anspruchs auf Leben und Eigentum einen Teil ihrer Rechte der Staatsgewalt zu übertragen. Die Vorstellung, dass alle Menschen gleich und mit gleichen Rechten ausgestattet seien, leiteten Aufklärer wie der Jurist Charles Louis de Secondat Montesquieu ganz aus dem Naturrecht ab. Wie die Gesetze der Mathematik nach dieser Vorstellung auch unabhängig von der menschlichen Wahrnehmung existierten, so gäbe es in Analogie dazu auch ein natürliches Recht, das die Vernunft erfassen könne, welches aber eben nicht von ihrem Erfassen abhängig sei.96 Damit widersprachen die Aufklärer auch klar dem düsteren Menschenbild des Engländers Thomas Hobbes, der eine ursprüngliche Sittlichkeit des Menschen im Naturzustand noch bestritten hatte und die Staatsbildung aus einem Akt der Notwehr herleitete.

Mit ihrer Befreiung des Naturrechts aus der Vormundschaft von Staat und Religion hatten die Aufklärer dem Menschen eine bis heute wirksame autonome Eigenrechtlichkeit verschafft, wie sie wohl am deutlichsten in der amerikanischen Verfassung von 1776 formuliert wurde. Sie übersahen dabei allerdings, dass ihre Überzeugung, jeder Mensch besitze unveräußerbare Rechte, selbst nur ein Glaube war.

Dass die »Vernunft« sich schließlich auch gegen den zu befreienden Menschen wenden konnte, wenn dieser etwa gar nicht vernünftig sein wollte, zeigte sich schon in dem milden Tadel, mit dem Immanuel Kant 1784 seine Definition der Aufklärung verknüpfte. Das Verharren in einem nicht aufgeklärten Zustand bezeichnete er in seiner Schrift als »selbstverschuldete Unmündigkeit« und wandte sich mit aller Schärfe gegen die Oberflächlichkeit der Franzosen, wo sich der anfängliche Impetus der Aufklärung häufig nur noch in seichten Tischgesprächen wiederfand.97 Bei keinem anderen Autor aber zeigte sich die Ambivalenz zwischen Befreiung und neuer Unterdrückung so deutlich wie in den radikalen Ideen von Jean-Jacques Rousseau. Der aus Genf stammende Verfasser des Contrat social hatte sich schon in den 1750er-Jahren mit seinen früheren Weggenossen überworfen und war zu einem vehementen Kritiker der neuen bürgerlichen Gesellschaft geworden, in der nach seiner Ansicht das Streben nach Besitz und das Bedürfnis nach Anerkennung die Menschen dominierten und von ihren wahren Interessen ablenkten. Rousseau glaubte dagegen an die Möglichkeit einer völlig neuen Gemeinschaft, in der die Beziehungen der Menschen von einer neuen patriotischen Bescheidenheit geprägt sein würden. Der Philosoph aus der Stadt Johannes Calvins stellte der Vernunft die Tugend zur Seite. Er glaubte, der natürliche Mensch, der an seinen überkommenen Interessen festhalten wollte, könne durch beharrliche Umerziehung zum Mitglied einer neuen Gesellschaft gemacht werden, in der allein der »allgemeine Wille« maßgebend sein sollte. Rousseaus Contrat social war ein komplexes analytisches Modell, an eine Umsetzung in die politische Praxis hat er nie gedacht, ebenso wenig wie an eine gewaltsame Unterdrückung anderer. Er wäre daher wohl erstaunt gewesen über den Vorwurf, dass sein Contrat social die Blaupause für den Totalitarismus des 20. Jahrhunderts geliefert habe. Doch die Tür dazu hat seine Lehre weit aufgestoßen. Zu den Männern, die in den 1770er-Jahren den alternden Philosophen in Ermenonville bei Paris besuchten, gehörte auch ein begeisterter junger Anwalt aus Lille, dessen Name wie kein anderer zum Symbol für die spätere Terrorherrschaft der Jakobiner werden sollte.

Nur ein Waffenstillstand – Der Friede von Aachen

Die Londoner Festlichkeiten zum Abschluss des Aachener Friedens fielen am 27. April 1749 dem britischen Wetter zum Opfer. Am Nachmittag des zunächst klaren Tages setzte Dauerregen ein, der das vom »Generalmeister der Feuerwerke seiner Majestät« aufwendig vorbereitete pyrotechnische Spektakel erheblich in seiner Wirkung schmälerte. Das zahlreich erschienene Publikum verließ die Veranstaltung im Green Park mit eher gemischten Gefühlen. Horace Walpole, Sohn des ehemaligen Außenstaatssekretär Robert Walpole, erfolgreicher Literat, aufmerksamer Chronist der Georgianischen Epoche und darüber hinaus Stil prägender Gartenarchitekt, teilte einem Freund seine Eindrücke in einem Brief mit. »Die Raketen, und was sonst in die Luft geschossen wurde, waren ein großer Erfolg; aber die Räder und alles, was den Hauptteil darstellen sollte, waren eintönig und schlecht bedient, kaum ein Besucher wollte bis zum Ende bleiben.«98

Trotz des starken Regens geriet durch das Feuerwerk der rechte Flügel des großen hölzernen Pavillons in Brand, der in monatelanger Arbeit unter Leitung von Giovanni Servandoni im aufwendigen Palladiostil errichtet worden war. Die Aufregung war groß und die beiden Verantwortlichen gerieten vor Angst und Scham sogleich in Rage. Servandoni, der in Wirklichkeit ein Franzose namens Jean Nicolas Servan war, ging mit gezogenem Degen auf den Generalmeister der Feuerwerker, Charles Frederic, los, der seinerseits nicht zögerte, die Klinge zu ziehen. Während der operettenhafte Streit glimpflich endete, waren durch das Feuer zwei Tote zu beklagen. Dies sei aber, wie Walpole versicherte, ein weit geringerer Schaden gewesen als die 40 Toten und 300 Verletzten bei den Friedensfeiern von Paris, wo es aus ähnlichem Anlass zu einer Massenschlägerei gekommen war.99

Allein Georg Friedrich Händels eigens für das Ereignis komponierte Feuerwerksmusik rettete den Tag. Der Wahlbrite aus Halle, der schon seit fast vier Dekaden in der britischen Hauptstadt lebte und dort dank spektakulärer Erfolge zur europäischen Berühmtheit aufgestiegen war, hatte sich mit seinem musikalischen Konzept selbst gegen seinen König und Landsmann, Georg II., durchgesetzt, welcher ausdrücklich mehr Trompeter und weniger Streicher gewünscht hatte.100

Der Monarch hätte einen triumphalen Stil mit »weniger Gefiedel« bevorzugt, gerade da das Ende eines Krieges zu feiern war, der für das Inselreich keineswegs erfolgreich verlaufen war.

Skeptiker hätten dann auch die Pannen der Feierlichkeiten im Green Park als ungünstiges Omen für die Dauerhaftigkeit des Aachener Friedenswerkes deuten können. Nur in äußerster Zwangslage hatte Großbritannien im Oktober 1746 nach einer neuerlichen Niederlage gegen die Franzosen bei Rocoux unweit von Lüttich erste Verhandlungen mit Frankreich aufgenommen. Der Siegeszug der französischen Armeen unter dem Marschall Moritz von Sachsen, der als größter Feldherr seiner Zeit galt, hatte der britischen Regierung unter Staatssekretär Henry Pelham keine andere Wahl gelassen. Schon waren fast sämtliche belgischen Festungen, darunter Namur, Tornai und Mons, verloren gegangen. Brüssel hatten die Franzosen bereits im Februar 1746 eingenommen. Die Aussichten auf eine militärische Wende waren mit jedem Monat weiter gesunken, während die britischen Staatsschulden inzwischen von 49 Mio. auf mehr als 76 Mio. Pfund geklettert waren.101

Doch auf der anderen Seite des Kanals hatte die französische Krone mit ähnlichen Problemen zu kämpfen. Zur Überraschung und Erleichterung des britischen Kabinetts zeigte sich Frankreich bereit, die in mühsamen Kämpfen und Belagerungen eroberten österreichischen Niederlande zurückzugeben. Auf der Grundlage einer Wiederherstellung des Status quo ante waren die Diplomaten beider Mächte sehr schnell in vorerst noch geheime Verhandlungen eingetreten. Ende April 1748 hatten sich dann Großbritannien und Frankreich in Aachen auf einen Vorfrieden geeinigt, der im Oktober, fast auf den Tag genau ein Jahrhundert nach dem Westfälischen Frieden, zu einem endgültigen Abschluss gebracht werden konnte. Bis zum folgenden Februar hatten ihn schließlich auch die anderen sechs am Krieg beteiligten Mächte ratifiziert. Für die Räumung ganz Belgiens, eine der reichsten Regionen Europas, erhielt Frankreich im Gegenzug Louisbourg am Kap Breton zurück. Die bescheidene Festung auf der öden Atlantikinsel war im Juni 1745 von Kolonisten aus Massachusetts im Zusammenwirken mit britischen Flotteneinheiten nach mehrwöchiger Belagerung eingenommen worden. Es war einer der wenigen Erfolge für die Briten, die im zurückliegenden Krieg in Indien auch noch den Verlust von Madras zu beklagen hatten.102

Nur auf den ersten Blick war es ein außergewöhnlicher Tausch. Denn Louisbourg schützte den Ausgang der St.-Lorenz-Bucht und war damit der Schlüssel zu ganz Kanada. Hinter der Rückgabe Belgiens, für dessen Besitz Ludwig XIV. immerhin ein halbes Jahrhundert gekämpft hatte, steckte daher nicht, wie der französische Hof damals gerne behauptete, die tiefe Überzeugung des Monarchen, dass Frankreich territorial saturiert sei. Es zeigte sich darin vielmehr ein neues strategischen Denken, das der britisch-französischen Rivalität in Nordamerika nun erstmals gegenüber Europa Priorität einräumte. Frankreichs hegemoniale Rolle in Europa, so das neue Kalkül, könne in Zukunft nur noch durch sein Überseeimperium behauptet werden. Gingen seine Kolonien in Nordamerika verloren, so wären auch seine Besitzungen in der Karibik gefährdet, die französische Krone würde ihren lukrativen Überseehandel einbüßen und schließlich wie die inzwischen bedeutungslosen Generalstaaten völlig von der Willkür der Briten abhängen.

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Allegorie auf den Frieden von Aachen.

In Westminster teilten daher auch längst nicht alle Politiker Pelhams Begeisterung über den Rückgewinn Belgiens. Da Louisbourg als Sprungbrett zur Eroberung Quebecs und aller anderen französischen Territorien in Kanada galt, war seine Rückgabe an Frankreich vielen Abgeordneten als ein zu hoher Preis erschienen. Es erhoben sich nicht zum letzten Mal gewichtige Stimmen im Vereinigten Königreich, welche die allzu engen kontinentalen Bindungen des deutschstämmigen Königs kritisierten. Wie sein Vater war Georg II. immer noch in Personalunion Kurfürst von Hannover, und das Misstrauen, dass vielleicht britische Interessen der Sicherung des Stammlands der deutschen Dynastie zum Opfer fallen könnten, ließ nicht nach. Abgeordnete wie der Tory Venters Cornwall aus Herefordshire warnten daher auch, dass Großbritannien sich unbedingt aus den Streitigkeiten der europäischen Fürsten heraushalten solle, andernfalls mache es sich zum »Don Quichote« Europas. Dagegen betonte Kriegsminister Henry Fox im Unterhaus, dass Frankreich unbedingt auf dem Kontinent beschäftigt werden müsse. Würde Großbritannien diese Aufgabe vernachlässigen, könnte der Rivale jenseits des Kanals den Großteil seiner Ressourcen nutzen, um seine Flotte auszubauen, und die britische Seemacht ernsthaft bedrohen. Der Schlüssel zum britischen Imperium in Übersee läge daher in Europa.103

Besonderes Kopfzerbrechen aber bereitete der britischen Regierung nach dem Aachener Friedensschluss, dass die alte Allianz zwischen Reich, Generalstaaten und Großbritannien ganz offensichtlich nicht mehr die Kraft besaß, die belgische Barriere gegen Frankreichs Großmachtambitionen zu verteidigen. Unübersehbar waren die alten Generalstaaten, im 17. Jahrhundert noch eine Respekt einflößende Großmacht, zu einem unbedeutenden Randstaat im Norden Europas herabgesunken. Die Vereinigten Provinzen seien durch ihre Form der Regierung machtlos geworden, hatte Kabinettssekretär Philip Stanhope, der 4. Lord von Chesterfield und langjährige Gesandte in Den Haag, schon während des Krieges notiert und zugleich prophezeit: Durch Missmanagement und eine lange Kette von Fehlschlägen verarmt werden die Holländer unausweichlich einmal unter französische Vorherrschaft geraten.104

Österreich wiederum schien nur noch wenig Interesse an der Aufrechterhaltung des europäischen Gleichgewichts zu haben. In Wien trauerte die junge Herrscherin Maria Theresia vor allem der Provinz Schlesien nach, deren Raub durch Preußen der Aachener Frieden ausdrücklich noch einmal bestätigt hatte. Schlesien war vor 1740 Habsburgs ertragreichste Provinz gewesen und ihr Verbleib in preußischer Hand musste Österreichs Vormachtstellung im Reich dauerhaft gefährden. Belgien dagegen war in den Augen der österreichischen Minister nur ein weit im Westen gelegener isolierter Außenposten der Monarchie, der mehr und mehr als politischer Mühlstein empfunden wurde und dessen Verteidigung kostbare Truppen band. Nur zu gern hätte die österreichische Politik diese ungeliebte Erbschaft aus der alten spanischen Ländermasse gegen Gebietszuwächse in Italien oder im Reich eingetauscht.105

Doch Großbritannien wollte das seit der Glorious Revolution von 1688 bestehende Bündnis mit Österreich nicht vorschnell aufgeben. London brauchte unbedingt einen Festlandsdegen gegen Frankreich und seine gewaltigen Landstreitkräfte, die jederzeit in der Lage waren, die belgische Festungskette zu durchbrechen. Preußen hielt zwar ebenfalls eine beachtliche Armee unter Waffen, doch der aufstrebende Hohenzollernstaat erschien als Alternative zu Österreich zu unzuverlässig. Gerade Friedrichs eigenmächtiger Einmarsch in Ostfriesland, wo 1744 die regierende Dynastie ausgestorben war, hatte bei Hof erhebliche Sorge ausgelöst, dass der als unberechenbar geltende Preußenkönig auch das Kurfürstentum Hannover, das Stammland der britischen Dynastie, einmal okkupieren könnte.

Daher setzte die britische Politik weiterhin auf Österreich. Der alte Kaiserstaat musste aber unbedingt stabilisiert werden, wenn er noch als Verbündeter gegen Frankreich von Nutzen sein sollte. London verfiel daher auf den Gedanken, die vorzeitige Wahl Erzherzogs Josephs, des ältesten Sohnes der Kaiserin, zum Römischen König durch die Zahlung von Subsidien zu unterstützen.106 Stünde erst einmal die Mehrheit der Reichsfürsten wieder hinter Österreich, würde das, so Außenstaatssekretär Newcastles Kalkül, die Monarchie stärken. Zum Erstaunen der Briten reagierte Wien auf die britischen Bemühungen jedoch eher skeptisch und monierte zunächst, dass man die deutschen Kurfürsten nicht durch britische Subsidien noch unabhängiger machen sollte. Zudem empfand die Kaiserin die finanziellen Forderungen des in Mannheim residierenden Pfalzgrafen Karl IV. Theodor als arg überzogen107 und argumentierte, durchaus realistisch, dass einzig ein einhelliges Votum aller Kurfürsten des Reiches dem Ansehen Habsburgs im Reich wirklich nützen würde.108

Auch in der Hofburg war die Unzufriedenheit mit dem Aachener Frieden groß. Schon Londons eigenmächtige Aufnahme von Verhandlungen mit den Franzosen in Breda und der einseitig ausgehandelte Vorfrieden von Aachen hatten zu einer Entfremdung zwischen den beiden Verbündeten geführt. In Wien war man erbost, von London derart übergangen worden zu sein.109 Ihre Feinde würden ihr bessere Bedingungen bieten als ihre Freunde, hatte Maria Theresia noch im April 1748 dem langjährigen britischen Gesandten in Wien, Sir Thomas Robinson, geklagt und dabei den Briten noch einmal ausführlich eine Mitschuld am Verlust Schlesiens gegeben.110 Zwar übersah man nicht, dass Großbritannien mit Louisbourg seine einzige Kriegsbeute an Frankreich zurückgegeben hatte, um die Räumung des habsburgischen Besitzes in Belgien zu erwirken. Zugleich aber hatte London dem Preußenmonarchen gegen den energischen Widerstand Wiens seine schlesische Akquisition ausdrücklich bestätigt.

Am Wiener Hof war man sich darüber klar, dass ein neuerlicher europäischer Krieg, den Österreich unter günstigen Umständen zur Rückgewinnung dieser Provinz führen würde, entschieden britischen Interessen widersprach. Maria Theresia konnte daher von London mit keinerlei Unterstützung ihres Herzensanliegens rechnen. Die Weichen für einen grundlegenden Kurswechsel der österreichischen Politik schienen damit gestellt.

Einen Monat vor den Londoner Feierlichkeiten zum Aachener Frieden hatte die Kaiserin ihre Minister und Berater zu einer Geheimen Konferenz, dem obersten Rat der Krone, zusammengerufen, um über die Neuausrichtung der österreichischen Politik zu beraten. Zu den Teilnehmern der Sitzung am 18. März 1749 zählte auch ein junger Diplomat, der in den kommenden Dekaden den politischen Kurs Österreichs maßgeblich prägen würde. Wenzel Graf Kaunitz-Rietberg war der Sohn eines mährischen Landeshauptmanns und einer westfälischen Adligen. Der junge Kaunitz hatte in Leipzig studiert und war 1735 nach der damals üblichen Kavalierstour durch Frankreich, die Niederlande und Italien im Alter von 24 Jahren in kaiserliche Dienste getreten. 1742 durfte er seinen ersten Botschafterposten in Turin antreten und war zwei Jahre später als Minister des habsburgischen Statthalters in Brüssel, Erzherzog Karl von Lothringen, nach Brüssel gekommen. Da der Statthalter selbst als Heerführer in Böhmen kämpfte und seine Gattin, Maria Anna, schon bald nach Kaunitz’ Ankunft verstorben war, ging die Gesamtverantwortung in den österreichischen Niederlanden auf den jungen Diplomaten über. Obwohl er sich mit allen Mitteln gegen die drohende Niederlage stemmte, musste er am 21. Februar 1746 Brüssel an die Franzosen übergeben. Seither war Kaunitz davon überzeugt, dass die militärische Kraft Österreichs allein nicht mehr genügen würde, um Belgien gegen die französische Armee zu verteidigen und gleichzeitig einen Krieg gegen Preußen zur Rückeroberung Schlesiens zu führen. Nicht Frankreich, sondern Preußen war nunmehr in Kaunitz’ Augen der tatsächliche Hauptfeind der Monarchie, da es im Besitze von Schlesien jederzeit in der Lage war, ins Herz der Monarchie vorzustoßen. Ein Arrangement mit Frankreich, das zumindest die Neutralität des Bourbonenstaats in einem erneuten preußisch-österreichischen Krieg sicherte, schien ihm daher der einzige Ausweg. Schon 1745 hatte es Geheimverhandlungen mit den Franzosen gegeben, die aber vorerst ohne konkrete Ergebnisse geblieben waren. Drei Jahre später war Kaunitz zum österreichischen Verhandlungsführer in Aachen ernannt worden und wusste durch seine Unterredungen mit den Franzosen, dass in Versailles längst nicht mehr die Protagonisten der traditionellen Frontstellung gegen Habsburg dominierten. Es bestand also politischer Spielraum. Die Idee einer Allianz mit Frankreich war nicht neu, doch Kaunitz war der erste österreichische Politiker, der sie zum Kern eines neuen diplomatischen Systems machen wollte.111 Dessen Grundzüge präsentierte er an diesem 18. März 1749 in einer umfänglichen Denkschrift der Kaiserin und den sechs anderen Mitgliedern der Geheimen Konferenz.

Ein Bündnis mit Frankreich, das in einem Krieg gegen Preußen zumindest die Neutralität des Bourbonenstaates sicherte, müsse nicht notwendig Großbritannien verprellen, argumentierte Kaunitz. Es hätte auch den unbestreitbaren Vorteil, dass Österreich keine Truppen zum Schutze Belgiens würde aufbieten müssen. Doch welchen Nutzen könne Frankreich aus dieser Konstellation ziehen? Was könne Österreich den Franzosen für ihre Neutralität überhaupt bieten? Kaunitz’ Einschätzung der französischen Politik blieb ganz konventionell auf Europa zentriert, die transatlantischen Ambitionen Frankreichs überging er vollkommen und hätte sie wohl auch kaum verstanden. So glaubte er zunächst, dass Frankreich von Friedrichs sprunghafter Politik genug habe und nach einem langen und ergebnislosen Krieg an einer neuerlichen Unterstützung Preußens kaum noch Interesse zeigen würde. Umso offener müsste daher Paris für territoriale Kompensationen in Belgien oder in Savoyen sein, die man ohne einen Schwertstreich erwerben könnte. Konkret schlug Kaunitz in seiner Denkschrift vor, die formal noch zum Reich gehörende Grafschaft Savoyen dem spanischen Prinzen Don Philipp anzubieten, der sie als möglicher Nachfolger Ludwigs XV. schließlich dem französischen Staatsgebiet zufügen könne. Das Königreich Sardinien-Piemont wiederum sei für seinen Verlust mit dem Herzogtum Mailand zu entschädigen. Die damit verbundenen reichsrechtlichen Probleme leugnete Kaunitz nicht, betrachtete sie aber als nicht unüberwindbar. Die Kaiserin wie auch die übrigen Mitglieder der Geheimen Konferenz stimmten zwar Kaunitz’ Ansicht grundsätzlich zu. Fraglos hätte ein Zusammengehen mit Frankreich beträchtliche Vorteile, doch die erfahrenen Minister wie etwa Friedrich Graf von Harrach oder Rudolph Graf von Colloredo, der oberste Kanzler von Böhmen, warnten vor einer Überstürzung. An eine rasche Umsetzung der neuen Politik, wie es Kaunitz vorschwebte, sei überhaupt nicht zu denken. Vor allem dürfe Großbritannien, der im Augenblick einzige verlässliche Alliierte des Kaiserhauses, nicht verprellt werden. Zudem herrschte in der hohen Runde immer noch großes Misstrauen gegenüber dem alten Erzfeind Frankreich. Man könne wohl nicht ausschließen, dass Paris allzu offen vorgetragene österreichische Offerten direkt an den Preußenkönig weiterleiten würde. Der soeben aus den Niederlanden zurückgekehrte Feldmarschall Karl Graf von Batthyány, Nachfolger des am 5. Juli 1749 verstorbenen Harrach in der Geheimen Konferenz, rechnete für diesen Fall sogar mit einem preußischen Präventivschlag. Er riet daher, keine Unterhandlungen mit Frankreich zu beginnen, ehe nicht Österreich seine Armee und seine Finanzen wieder in Ordnung gebracht habe. Angesichts der unkalkulierbaren Risiken des neuen Kurses empfahl die Konferenz zunächst keine konkreten diplomatischen Schritte. Doch gegen eine Verbesserung des politischen Klimas sprach nichts und so empfing die Kaiserin den neuen Botschafter Frankreichs, Louis Augustin Blondel, mit besonderer Aufmerksamkeit. Tatsächlich konnte der Franzose in seinen Berichten nach Versailles damit prahlen, dass er zu sämtlichen vertrauten Hoffesten geladen worden sei und, obwohl im Range unter ihnen stehend, mit den Botschaftern des Vatikans, Großbritanniens und der Niederlande von der Kaiserin auf eine Stufe gestellt worden sei.112

König Ludwig XV. revanchierte sich mit einer ebenso herzlichen Aufnahme des Grafen Kaunitz, der als neuer Botschafter Wiens im November 1750 in Fontainebleau eingetroffen war. Den argwöhnischen Vertretern Preußens war der Stimmungswandel zwischen den beiden alten Rivalen nicht entgangen. Friedrichs Geschäftsträger in Versailles, Freiherr Christoph Heinrich von Ammon, bemühte sich dann auch nach Kräften, Kaunitz am französischen Hof zu desavouieren. Persönliche Kälte, Hypochondrie und eine selbst für diese Epoche auffallende Eitelkeit prägten nach seinen Beschreibungen den neuen österreichischen Gesandten. Derartige Verleumdungen wirkten umso mehr, da sie einen wahren Kern enthielten.113

Trotz der freundlichen Aufnahme fand Kaunitz im Kreis der französischen Minister vorerst nur wenig Resonanz für seine Idee einer französisch-österreichischen Allianz. Zu groß waren das Misstrauen gegenüber Wien und eine geradezu sentimentale Anhänglichkeit an Preußen, was Kaunitz zu der sarkastischen Bemerkung veranlasste, dass der Hohenzollernstaat tatsächlich der einzige Verbündete der französischen Krone sei, den sie nicht bezahlen müsse.114 Nicht einmal die Ernennung des Erzherzogs Joseph zum Römischen König wollte Versailles gegen Friedrichs Willen unterstützen. Lediglich Adrien Maurice, der Herzog von Noailles und Mitglied des königlichen Geheimkabinetts, teilte die Einschätzung des Österreichers. Nicht mehr in Wien, sondern in London sah er den neuen Hauptfeind Frankreichs. In einem an König Ludwig gerichteten Memorandum wies er darauf hin, dass London an den europäischen Verhältnissen kein wirkliches Interesse mehr habe, sondern nur darauf hinarbeite, Frankreichs Kolonien und seinen Handel in seinen Besitz zu bringen.115

Kaunitz war zunächst durch eine mehrmonatige Krankheit an der Ausübung seiner Geschäfte gehindert gewesen und rang sich, nachdem er wieder genesen war, zu einem ernüchternden Bericht an die Kaiserin durch. Obwohl noch kein halbes Jahr auf seinem Posten, erklärte er im Mai 1751 unumwunden, dass sein Plan einer französisch-österreichischen Allianz zur Wiedereroberung Schlesiens nicht zu realisieren sei. Österreich könne sich nicht auf Dauer gegen Frankreich und Großbritannien stellen, die beide Preußen ausdrücklich den Besitz Schlesiens garantiert hatten. Daher müsse sich auch das Kaiserhaus mit dem Verlust dieser schönen Provinz abfinden und, so schwer es auch falle, zu einem Ausgleich mit dem König von Preußen kommen. Nur dann könne es wieder außenpolitischen Spielraum erlangen.116 Die Kaiserin mochte sich zwar der Ansicht ihres Botschafters nicht anschließen, nahm ihm seine Freimütigkeit jedoch nicht übel. Als Kaunitz zwei Jahre später Frankreich wieder verließ, wartete die Position des Staatskanzlers auf ihn. Zwar hatte er persönlich die ungeteilte Wertschätzung des Versailler Hofes als Gewinn verbuchen können, doch in der Sache selbst hatte er keine Fortschritte erzielt.

Erst die Entwicklung in Nordamerika und der eskalierende Streit um das Ohiotal, einer Region, die in Kaunitz’ Kalkülen nie eine Rolle gespielt hatte, sollte Frankreich schließlich an die Seite seiner Kaiserin bringen.

Der Krieg vor dem Krieg –
Der britisch-französische Streit um das Ohiotal

Während der Verhandlungen in Aachen waren längst nicht alle strittigen Punkte zwischen den Konfliktparteien ausgeräumt worden. Die finanzielle Not und die allgemeine Kriegsmüdigkeit hatten jedoch Großbritannien und Frankreich zu einem Kompromissfrieden genötigt. Die Klärung noch offener kolonialer Fragen war einer späteren einvernehmlichen Regelung überlassen worden. Darunter fiel auch die Festlegung der genauen Grenzen beider Mächte im nordamerikanischen Ohiotal. Zum ersten Mal war damit der Name dieser entlegenen Region auf dem Gebiet der heutigen vier Bundesstaaten West-Virginia, Ohio, Kentucky und Illinois in einem europäischen Vertragswerk erwähnt worden.

Die Bezeichnung »Ohio« stammte von dem Seneca-Wort für »schönes Ufer«. In Anknüpfung daran nannten es die Franzosen La belle Rivière. Ursprünglich war das Ohiotal eine kaum bewohnte Wildnis gewesen und hatte daher den Architekten der großen europäischen Politik nur wenig Kopfzerbrechen bereitet. Seit den 1720er-Jahren waren jedoch die Stämme der Shawnee, Delaware, Mingo und Seneca in das ausgedehnte Gebiet zwischen Eriesee und Appalachen eingewandert und hatten bald weiße Händler beider Seiten angezogen, die versuchten, den Indianern europäische Waren gegen Felle oder Häute zu verkaufen.

Gemäß dem Artikel XVIII des Aachener Vertrages sollte der endgültige Grenzverlauf der französischen und britischen Zonen durch eine gemeinsame Kommission bestimmt werden. Sie trat auch tatsächlich zwei Jahre später zusammen, erzielte aber kaum nennenswerte Fortschritte. Zu hinderlich waren das Misstrauen auf beiden Seiten, Sprachbarrieren in Detailfragen und endlose Dispute über barocke Rangfolgen. Das einseitige Vorgehen der Franzosen im Ohiotal erboste schließlich im Sommer 1754 Thomas Pelham-Holles, den Herzog von Newcastle so sehr, dass er das Projekt bereits beerdigen wollte. Er habe genug von diesen Verhandlungen mit den Franzosen, die zu nichts führten, schrieb der erste Minister König Georgs II. an William Anne Keppel, den 2. Lord Albemarle und Botschafter Großbritanniens in Versailles. Jetzt müsse man sich endlich verteidigen und versuchen, verlorene Positionen wiederzugewinnen.117

Im Vergleich zu den britischen Neuengland-Staaten wirkte das französische Kolonialreich in Nordamerika, das in seiner Gesamtheit La Nouvelle France genannt wurde, gewaltig, ja geradezu übermächtig. Zur Zeit des Aachener Friedens reichte es in einem weiten Halbkreis von der Mündung des Mississippi über Illinois, die Großen Seen und den St.-Lorenz-Strom bis an die Spitze von Neufundland. Großbritanniens Kolonialbesitz war dagegen auf einen Küstenstreifen von Maine bis Georgia beschränkt und verständlicherweise wuchs in London mit jedem neuen Schub an europäischen Auswanderern der Unmut darüber, dass die notwendige Expansion nach Westen durch Frankreichs Ansprüche blockiert wurde.

Wie ihre britischen Rivalen hatten sich die Franzosen als koloniale Nachzügler erst zu Beginn des 17. Jahrhunderts dauerhaft in der Neuen Welt engagiert. Ein Jahr, nachdem sich die Engländer in Virginia festsetzen konnten, glückte es 1608 dem Geografen, Forschungsreisenden und Abenteurer aus La Rochelle, Samuel de Champlain, an der Mündung des St.-Lorenz-Stroms mit einigen Dutzend Siedlern den mörderischen Winter zu überstehen. Damit hatte er zugleich auch den Grundstein für die spätere Stadt Quebec gelegt. In den folgenden Jahren konnten flussaufwärts mit Montreal und Trois Rivières zwei weitere französische Stützpunkte ausgebaut werden. Bis zu seinem Tod im Jahre 1635 blieb Champlain der erste Gouverneur des französischen Gebietes am St.-Lorenz-Strom, das im Auftrag von Kardinal Richelieu, dem damals leitenden französischen Minister, vorerst von einer privaten Kapitalgesellschaft, der Compagnie de cent associés, verwaltet wurde.118 Da aber die Entwicklung der Kolonie stagnierte, war sie schon bald nach dem Beginn der persönlichen Herrschaft Ludwigs XIV. im Jahre 1663 direkt der französischen Krone unterstellt worden. Über das Geschick Neufrankreichs entschied seither das Finanzministerium in Paris. Minister Jean Baptiste Colbert hatte die strategische Bedeutung Kanadas vollkommen erkannt und betrieb daher mit viel Geld und Tatkraft Frankreichs Expansion in Nordamerika, schickte Siedler sowie Geld und versuchte, Handel und Gewerbe zu fördern.119 Nicht ohne Erfolg. Während seiner 20-jährigen Amtszeit verdreifachte sich immerhin die Zahl der französischstämmigen Bewohner Kanadas und Acadias, dem heutigen Neu-Schottland, auf mehr als 10.000. Doch Colberts hochgesteckte Erwartungen erfüllten sich nicht ganz. Frankreichs Kolonialreich in Nordamerika blieb bis zu seinem vollständigen Verlust im Siebenjährigen Krieg von den regelmäßigen Zuwendungen des Mutterlandes abhängig.

Immerhin glückte den Franzosen noch in den 1670er-Jahren ein lebenswichtiges Neutralitätsabkommen mit den Iroquois. Die sogenannten Fünf Nationen bildeten die mächtigste Stammesvereinigung der Indigenen in Nordamerika und beherrschten das Gebiet der Großen Seen. Lange hatten sie sich gegenüber den Franzosen feindselig verhalten und erst wenige Jahre zuvor im Zuge einer tödlichen Fehde die Stämme der Huronen, Frankreichs bis dahin wichtigste Verbündete im Bereich der Großen Seen, fast gänzlich vernichtet. Die Vertreter der Iroquois waren jedoch peinlich darauf bedacht, trotz des neuen Abkommens nun nicht selbst als Alliierte der Franzosen an die Stelle der Huronen zu treten. Sie sahen vielmehr in einer Neutralität gegenüber den beiden rivalisierenden europäischen Mächten das beste Mittel, ihre Unabhängigkeit zu wahren.

Von Anfang an hatte sich die französische Kolonialpolitik in Nordamerika auf eine enge Kooperation mit den Indianern gestützt. Mit regelmäßigen Geschenken gelang es den Franzosen, die Stammeschefs weitgehend zur Loyalität zu bewegen. Die Vertreter eines barocken Frankreichs, das sich in Europa gerne als Speerspitze der Zivilisation inszenierte, zeigten auch keinerlei Scheu, sich auf die Sitten und Gepflogenheiten der mit ihnen verbündeten Indigenen einzulassen. Oft übernahmen sie sogar deren Tracht, heirateten indianische Frauen und eigneten sich vor allem die indianische Kampfweise an. Mit einer Engelsgeduld ließen die Franzosen bei Verhandlungen die oft Tage dauernden Zeremonien der Eingeborenen über sich ergehen und vereinzelt nahmen sie sogar an kannibalischen Riten teil.120

Eine neue Qualität erreichte das amerikanische Neufrankreich, als es in den ersten Jahren des 18. Jahrhunderts dem frankokanadischen Admiral Pierre Le Moyne d’Iberville glückte, sich mit seinen Männern im Mississippidelta festzusetzen und die Kolonie La Louisiane zu gründen. Von der Küste aus stießen französische Abenteurer und Forscher rasch nach Norden über Illinois, dem Pays d’en Haut, zu den Großen Seen vor. Dort hatte bereits im Jahre 1701 Antoine Laumet Lamothe Cadillac zwischen Huron- und Eriesee das Fort Detroit gegründet. Damit waren die britischen Neu-England-Staaten vollkommen umfasst.

Im Unterschied zu dem französischen Territorium, das trotz seiner imponierenden Ausdehnung um die Mitte des 18. Jahrhunderts nicht mehr als 100.000 französischstämmige Einwohner aufwies, waren die 13 britischen Kolonien im Süden vergleichsweise dicht besiedelt. Zur Zeit des Aachener Friedensschlusses lebten zwischen Maine und Georgia bereits etwa 1,2 Mio. Menschen, wozu allerdings auch 200.000 schwarzafrikanische Sklaven zählten. Nicht allein die günstigeren klimatischen Bedingungen an der amerikanischen Ostküste hatten dazu beigetragen, dass in dem Vierteljahrhundert seit dem Utrechter Frieden (1713) sich die Bevölkerung Neuenglands fast verdoppelt hatte. Es hatte in den Neuengland-Staaten auch niemals im scharfen Gegensatz zu den französischen Gebieten eine vom Mutterland gesteuerte Religionspolitik zugunsten einer einzigen Konfession gegeben. Die Bewohner der britischen Territorien unterschieden sich daher auch untereinander sehr stark in rechtlicher, religiöser und ethnischer Hinsicht. Auch gab es erhebliche Unterschiede in den Ökonomien. Im Süden überwog die Plantagenwirtschaft, im Norden Schiffbau und Fischfang, insgesamt war die Wirtschaft Neuenglands aber von Handwerk, Kleingewerbe und einer der Selbstversorgung dienenden Landwirtschaft geprägt. Ein nicht zu unterschätzender Wirtschaftsfaktor war auch der von den Briten nur nachlässig verfolgte Schmuggel.

Einen Sonderfall im britischen Herrschaftsbereich bildete das Gebiet von Neuschottland, das Frankreich im Frieden von Utrecht 1713 mit seiner rein katholischen Bevölkerung an Großbritannien hatte abtreten müssen. Es wurde niemals Teil der Neuengland-Staaten, selbst als London im Jahre 1755 verfügte, sämtliche frankofonen Bewohner der Halbinsel nach Süden zu deportieren, um dort neue britische Auswanderer anzusiedeln.121 Offiziell zuständig für sämtliche Neuengland-Staaten war das Board of Trade in London. Eine durchsetzungsfähige britische Verwaltung existierte allerdings nicht, und was im Laufe der Jahre an Gesetzen verabschiedet worden war, bildete ein kaum kohärentes Flickwerk aus zufälligen Initiativen oder durch aktuelle Nöte erzwungene Verordnungen.

Sieben der Neuengland-Staaten unterstanden direkt der Krone und wurden von einem Gouverneur des Königs im Zusammenwirken mit den beiden Kammern der Kolonien verwaltet, Pennsylvania, Delaware und Maryland waren dagegen sogenannte Eigentümerkolonien, die den Gründerfamilien, den Penns und Calverts, als eine Art Lehen überlassen worden waren. Rhode Island und Connecticut wiederum waren Charterkolonien im Besitz von Handelsgesellschaften.122 Die vom König ernannten Gouverneure waren selten oder sogar nie in ihrem Amtsbereich anzutreffen. Gewöhnlich überließen sie die politischen Geschäfte ihren Stellvertretern, die wie etwa der Gouverneur von Virginia, Robert Dinwiddie, eine beträchtliche Eigeninitiative entwickeln konnten.

Gegenüber den Franzosen in Kanada fanden die Neuengland-Staaten nie zu einer einheitlichen Politik. Auch ihre in unregelmäßigen Abständen stattfindenden Konvente führten selten zu einer Einigung. Selbst wenige Jahre nach Ausbruch des Siebenjährigen Krieges konnte sich der Verleger, Naturforscher und spätere Diplomat Benjamin Franklin nicht vorstellen, dass sich die so unterschiedlichen Kolonien jemals gemeinsam gegen das britische Mutterland erheben könnten. Zu groß seien die Eifersucht und das Misstrauen untereinander.123

Den Nachteil mangelnder Einheitlichkeit konnten die 13 britischen Kolonien jedoch bei Weitem durch ihre dynamische Bevölkerungsentwicklung ausgleichen. Das Augenmerk virginischer oder pennsylvanischer Bodenspekulanten richtete sich daher schon länger auf das kaum besiedelte Ohiotal jenseits der Appalachen, das eine Goldgrube zu werden versprach. Dass das Gebiet auch von dem Verband der Iroquois beansprucht wurde, störte nicht weiter. Seit dem im Juli 1744 in Lancaster mit den »Fünf großen Stämmen« geschlossenen Vertrag glaubten die Vertreter der drei beteiligten Neuengland-Staaten Virginia, Pennsylvania und Maryland, dass die Indianer die Oberhoheit des britischen Königs über das gesamte Tal anerkannt hätten, was ihnen freie Hand versprach.124 Schon ein Jahr darauf hatte sich in Pennsylvania die Ohio-Gesellschaft gegründet und sogleich begonnen, die südlich der Großen Seen lebenden Indianer durch Verträge und günstige Handelskonditionen auf ihre Seite zu ziehen. Auch entstanden in Piccawillany am Miami-Fluss und bei Logstown große Handelsstationen, die zusätzlich militärisch befestigt wurden.125

Die Franzosen waren alarmiert. Zwar schien das Ohiotal für sie weder ökonomisch noch verkehrstechnisch von großer Bedeutung. Ihre lebenswichtigen Handelsverbindungen mit Illinois und den Siedlungen entlang des Mississippi konnten sie leicht auf den besseren nördlicheren Routen über den Eriesee aufrechterhalten, und an eine dauerhafte Inbesitznahme des Landes war mangels französischer Siedler ohnehin nicht zu denken.

Doch strategisch gesehen war das Ohiotal der Pfropfen auf der Flasche, der die dynamische Entwicklung der Neuengland-Staaten wenigstens eine Zeit lang zu bremsen versprach. Der französischen Krone kam es daher vor allem darauf an, zu verhindern, dass britische Kolonisten in großer Zahl über die Appalachen drängten und die im Ohiotal lebenden Indianer als Alliierte gewannen. Ginge das Gebiet tatsächlich verloren, wäre auch der französische Besitz an den großen Seen ernsthaft bedroht.

Gelänge es nicht, Neufrankreich zu behaupten, so hieß es in einer Denkschrift, die im Dezember 1750 am französischen Hof kursierte, würden über kurz oder lang auch die lukrativen französischen Besitzungen in der Karibik, San Domingo und Martinique dem britischen Expansionsdrang zum Opfer fallen. Der Verfasser des Memorandums war der französische Admiral Roland Michel Barrin, Comte de la Galissionière, der zuvor zwei Jahre lang in Quebec den in britische Gefangenschaft geratenen Jacques-Pierre de Taffanel, Marquis de la Jonquière als Gouverneur ersetzt hatte. Der drohende Verlust der riesigen Einnahmen aus dem karibischen Zuckerrohr- und Tabakgeschäft würde, so La Galissionière, unweigerlich die Finanzen Frankreichs zerrütten und den Unterhalt einer schlagkräftigen Flotte unmöglich machen. Frankreichs Schicksal entschiede sich daher nicht mehr in Belgien oder am Rhein, sondern in Übersee. Damit vertrat der Admiral bereits ganz offen eine globale Strategie, die Europa in einem zukünftigen Krieg nur noch die Rolle eines Nebenschauplatzes zuwies.126

Zur Stärkung Neufrankreichs gegenüber den Briten entwickelte La Galissionière einen dreistufigen Plan, nachdem zunächst die Kette französischer Stützpunkte auch unter Einbeziehung des Ohiotals verdichtet werden müsse. Außerdem sollten mit attraktiven Landzuteilungen Franzosen, und vor allem Frauen, selbst solche von zweifelhaftem Ruf, aus dem Mutterland bewogen werden, sich in Neu-Frankreich anzusiedeln. Die Verträge mit den Indianern müssten erneuert und die Anstrengungen, sie als Bundesgenossen wieder auf die eigene Seite zu ziehen, intensiviert werden.127

Im Vorgriff auf die Ergebnisse der in Aachen beschlossenen Grenzkommission hatte La Galissionière im Juli 1749, wenige Wochen vor seiner Abberufung, eine Expedition beauftragt, die französischen Ansprüche auf das Ohiotal zu bekräftigen. Eine beeindruckende Demonstration französischer Macht war der Zug allerdings nicht. Die tapfere Kolonne aus 200 französischen Milizionären und 30 Indianern legte unter der Führung des Hauptmanns Pierre-Joseph Céloron de Blainville in vier Monaten immerhin 3000 Meilen zurück und händigte allen britischen Händlern, denen sie unterwegs begegnete, einen von Blainville verfassten Brief aus, in dem die Besitzansprüche König Ludwigs XV. auf das Ohiotal bekräftigt wurden. Gerade zu rührend wirkte der Versuch der Franzosen, mit bleiernen Plaketten, die an herausragenden Plätzen an Bäume genagelt wurden, Neufrankreichs neue Grenzen im Ohiotal zu markieren.

Blainvilles abschließender Bericht an den inzwischen auf seinem Posten eingetroffenen La Jonquière fiel gleichwohl ernüchternd aus. Die britische Landnahme im Ohiotal schreite unaufhaltsam voran und selbst bisher befreundete Indianerstämme wie die Miami seien ihnen kühl, teils sogar feindselig begegnet. Die Händler der Ohio-Gesellschaft, so Blainville, stachen inzwischen ihre französischen Wettbewerber mit konkurrenzlos günstigeren Preisen aus.128

Die Berichte aus Kanada versetzten den französischen Hof in große Unruhe. Hatte Frankreich nicht eben erst ganz Belgien, eine der am meisten entwickelten und reichsten Regionen Europas, um die Ludwig XIV. ein halbes Jahrhundert Krieg geführt hatte, an Großbritannien zurückgegeben, um Louisbourg zurückzuerhalten, das auf einer öden Insel im Atlantik lag? Doch das kleine Louisbourg beherrschte den St.-Lorenz-Golf und schützte damit ganz Kanada. Nun schien durch die scheinbar stetig wachsende Dominanz der Briten im Ohiotal Frankreichs Einfluss in Nordamerika aus einer anderen Richtung bedroht.

Die britischen Händler mussten um jeden Preis aus dem Ohiotal verschwinden und der mit ihnen Handel treibende Stamm der Miami-Indianer durch eine spektakuläre Aktion bestraft werden.

Gouverneur La Jonquière entschloss sich daher, Piccawillany, die größte Siedlung der Miami am gleichnamigen Fluss anzugreifen und die dort befindliche Handelsniederlassung der Briten zu zerstören. Das sollte alle anderen Stämme im Ohiotal davon abhalten, sich mit den britischen Rivalen einzulassen. Die Zeit der bleiernen Plaketten war endgültig vorbei.

Am 21. Juni 1752 überfiel eine gemischte Gruppe von 200 Chippewa- und Ottawa-Indianern sowie 30 Milizionären aus Detroit unter Führung von Charles Michel Mouet de Langlade die Handelsniederlassung in Piccawillany am Miami-Fluss, einem nördlichen Nebenlauf des Ohio, und brannte sie vollständig nieder. Nachdem ein gefangener englischer Händler sowie ein Anführer der Miami, der von den Franzosen »La Demoiselle« genannt wurde, von den indianischen Alliierten der Franzosen vor den Augen der entsetzten Verteidiger verspeist worden war, kapitulierte der Rest und durfte unbehelligt abziehen. Auf Briten und Miami wirkte Langlades brutale Aktion wie ein Schock, und genau dieser Effekt war auch gewollt. Nachdem die Führer der Miami vergeblich in Virginia und Pennsylvania um Unterstützung gebeten hatten, blieb ihnen keine andere Wahl, als sich wieder auf die Seite der Franzosen zu schlagen.

Wenige Wochen später traf ein neuer Generalgouverneur für Kanada als Ersatz für den inzwischen verstorbenen La Jonquière in Quebec ein.

Ange de Menneville, Marquis Duquesne, ein 52-jähriger Marineoffizier, hatte vom Hof in Versailles den Auftrag erhalten, jede nur erdenkliche Anstrengung zu unternehmen, die Briten aus dem Ohiotal zu vertreiben und den dort lebenden Indianern klarzumachen, dass sie zwar mit den Briten Handel treiben könnten, nicht aber auf französischem Territorium.129 Damit war unwiderruflich der Weg zum Krieg beschritten. Duquesne war wie sein Vorgänger und Förderer La Galissionière ein Falke, der jedes Zurückweichen vor Großbritannien strikt ablehnte. Duquesne hegte auch keinerlei Zweifel an einer erneuten großen Auseinandersetzung mit dem alten Rivalen und war entschlossen, die militärischen Vorbereitungen dazu energisch voranzutreiben. Gleich nach seiner Ankunft setzte er für sämtliche 165 Kompanien der kanadischen Miliz wöchentliche Übungen an.

Duquesnes Plan zur Sicherung des Ohiotals bestand darin, in rascher Folge vier neue Forts anzulegen. Noch im Herbst 1752 brach eine für kanadische Verhältnisse beachtliche Expedition von 2000 Mann unter Führung von Pierre Paul Martin nach Süden auf. Als sich neun Monate später im Sommer 1753 nur noch 800 Mann in Montreal zurückmeldeten, waren immerhin drei der geplanten Befestigungen vollendet. Auf einer Halbinsel am Südufer des Eriesees erhob sich inzwischen das Fort Presque Isle, etwa 20 Kilometer südlich am Rivière aux boeufs, der auch als French Creek bezeichnet wurde, war eine zweite Befestigung entstanden. Ein drittes Fort (Machault) befand sich noch weiter südlich am Zusammenfluss von French Creek und Allegheny. Am Forks of Ohio, der Ohio-Gabelung, wo sich Allegheny und Monongahela zum Ohio vereinigten, sollte im folgenden Jahr das letzte französische Fort genau an jener Stelle entstehen, an der auch die Ohio-Kompanie eine befestigte Handelsniederlassung geplant hatte.

In London verfolgte man die Entwicklung in Nordamerika mit Sorge. Fast sämtliche Politiker des etwa 30-köpfigen Beratergremiums König Georgs II., darunter auch die führenden Männer wie der Herzog von Newcastle oder George Montagu Dunk, der 2. Lord von Halifax, waren von jeher gegenüber Frankreich voreingenommen und sahen nun ihre Ansichten durch Duquesnes Vorgehen im Ohiotal bestätigt. Es sei die volle Wahrheit, dass Frankreich ganz Nordamerika für sich beanspruche und die britischen Kolonien auf den Küstenstreifen beschränken wolle, aus dem es diese im Kriegsfall jederzeit vertreiben könne, schrieb William Anne Kappel dem Lord Albemarle, den britischen Botschafter in Versailles.130 Am 21. August 1753 entschloss sich das britische Kabinett, sämtliche Gouverneure Neu-Englands zu Verteidigungsmaßnahmen gegen jeden gewaltsamen französischen Versuch einer Grenzverletzung zu ermächtigen. Ohne eine genau fixierte und von beiden Mächten anerkannte Grenze im Ohiotal konnte dieser Schritt jedoch nur zu einer weiteren Eskalation der angespannten Lage führen.

Im Konflikt um das Ohiotal schienen sich die Kabinette beider Seiten zunächst darauf zu beschränken, ihre lokalen Vertreter in den Kolonien damit zu beauftragen, einseitige Lösungen vor Ort durchzusetzen und zu hoffen, dass die so geschaffenen Fakten die Gegenseite rasch zum Einlenken bringen würden. So entwickelten die Streitigkeiten eine Dynamik, die bald niemand mehr kontrollieren konnte. Obwohl man in London wie auch Versailles die Angelegenheit durchaus ernst nahm, überließ man die Frage über Krieg und Frieden in Nordamerika in einer Mischung aus Nachlässigkeit und Selbstüberschätzung dem Ermessen nachrangiger Persönlichkeiten wie dem Marquis de Duquesne oder Robert Dinwiddie, dem stellvertretenden Gouverneur von Virginia. Keiner der maßgebenden Politiker in Frankreich oder Großbritannien übersah dabei die Gefahr, dass der transatlantische Konflikt um das Ohiotal auch auf Europa überspringen könnte, und obwohl man auf beiden Seiten des Kanals für einen neuerlichen kontinentalen Krieg in keiner Hinsicht wirklich vorbereitet war, steuerte man mit einer gewissen Nonchalance genau darauf zu.

Dinwiddie und Washington

Virginias stellvertretender Gouverneur Robert Dinwiddie unterhielt keine besonders engen Beziehungen zum House of Burgesses, dem Parlament der Kolonie. Der 60-jährige Schotte vertrat erst seit zwei Jahren seinen dauerhaft abwesenden Vorgesetzten in Williamsburg, der damaligen Hauptstadt Virginias am Jamesfluss. Zuvor war Dinwiddie Zollbeamter der britischen Krone in Bermuda gewesen. Gegenüber der alteingesessenen Führungsschicht der Tabakpflanzer und Geschäftemacher war der Vertreter der Krone ein Außenseiter ohne politische Hausmacht. Schlimmer aber war, dass ausgerechnet in dieser kritischen Phase der Eskalation des Konflikts mit Frankreich Dinwiddie mit der Landesvertretung in einem ernsten Disput stand. Hinter seinen Plänen zur Einführung einer Bagatellgebühr beim Landerwerb witterte das misstrauische Parlament einen Versuch der britischen Krone, ein grundsätzliches Besteuerungsrecht einzuführen.131

Nicht zuletzt deswegen stieß der stellvertretende Gouverneur mit seinem Versuch, die Repräsentanten der Kolonie angesichts der französischen Bedrohung im Ohiotal zu größeren militärischen Anstrengungen zu bewegen, auf taube Ohren. Die Abgeordneten teilten auch keineswegs Dinwiddies Alarmstimmung. Der Ohio floss weit entfernt vom beschaulichen Williamsburg und die Pläne der Franzosen kümmerten sie daher nicht wirklich. Dass Dinwiddie auch noch Anteilseigner der Ohio-Kompanie war, konnte ebenfalls nicht hilfreich sein, lag doch der Verdacht nahe, dass er mehr die Interessen der Gesellschaft als die des Staates verfolgte. Obwohl ihn London wiederholt zu entschlossenen Maßnahmen gegen die neuen französischen Forts im Ohiotal gedrängt hatte, blieb ihm zunächst gar nichts anderes übrig, als auf Verhandlungen mit den Franzosen zu setzen.

Noch am 31. Oktober 1753 schickte er einen erst 21-jährigen Major der virginischen Miliz über die winterlichen Appalachen zu dem neu errichteten französischen Fort Le Boeuf am Ufer des Allegheny. Es war eine ungewöhnliche Entscheidung. Denn George Washington, der ehrgeizige Erbe eines früh verstorbenen Tabakpflanzers und mäßig reichen Eisenhüttenbetreibers, schien allein schon wegen seines Alters kaum die geeignete Wahl für eine derart brisante diplomatische Mission zu sein. Doch der groß gewachsene Mann, der so plötzlich in seinem Amtszimmer erschienen war, überzeugte Dinwiddie durch sein beherrschtes und sicheres Auftreten. Die Tatsache, dass er sich, sobald er durch einen vertraulichen Hinweis von der Sache erfahren hatte, sofort nach Williamsburg aufgemacht hatte, um sich freiwillig zu melden, bezeugte seine Ernsthaftigkeit. Im Grunde besaß Dinwiddie auch kaum Alternativen. Die beschwerliche monatelange Expedition erforderte eine robuste Konstitution und einige Erfahrung in den westlichen Grenzgebieten. Beide Voraussetzungen erfüllte der junge Washington, der sich schon am nächsten Tag mit wenigen Begleitern auf den beschwerlichen Weg machte, als fürchtete er, Dinwiddie könne es sich noch anders überlegen.

Washingtons winterliche Expedition ins Ohiotal war ein physischer Gewaltakt. Ein Marsch von fast 400 Kilometern lag vor der kleinen Gruppe. Oft mussten sich die Männer mit ihrem Führer Christopher Gist, einem Grenzgänger, der das Gebiet bereits für die Ohio-Kompanie in monatelangen Reisen erkundet hatte, durch hüfthohen Schnee oder tagelang anhaltenden Regen kämpfen, reißende Flüsse überwinden oder sich mit unzuverlässigen indianischen Kundschaftern herumschlagen, die plötzlich über Nacht verschwanden. Trotz einiger gefährlicher Notlagen verlief ihre Reise jedoch unspektakulär, bestätigte aber am Ende Dinwiddies ärgste Befürchtungen über die Ambitionen der Franzosen im Ohiotal und die bröckelnde Loyalität der dort lebenden Indianer.

Der Kommandant von Fort Le Boeuf, Hauptmann Jacques Legardeur de Saint Pierre, ein ergrauter und erfahrener Grenzoffizier, empfing den kleinen Trupp aus Neu-England, der Ende November nach vierwöchigem Marsch völlig erschöpft im Fort eintraf, mit ausgesuchter Höflichkeit und versprach, das ihm übergebene Schreiben Dinwiddies sogleich an Gouverneur Duquesne in Montreal weiterzuleiten. Legardeur ließ den Ankömmlingen zwei Wochen Zeit, sich von ihren Strapazen zu erholen, und nahm auch keinen Anstoß daran, dass der junge Washington und seine Begleiter sämtliche Verhältnisse um Fort Le Boeuf genau in Augenschein nahmen. Allerdings machte der Franzose den britischen Besuchern unmissverständlich klar, dass die Ansprüche seines Königs auf das Ohiotal nicht verhandelbar seien.132

Mit der schriftlichen Antwort des Franzosen, die ihm Washington Mitte Januar 1754 überbrachte, konnten weder Dinwiddie noch seine Londoner Vorgesetzten zufrieden sein. Vor allem die große Zahl von Kanus und Flachbooten, die Legardeur auf dem Allegheny bereitgehalten hatte, beunruhigte den stellvertretenden Gouverneur. Dinwiddie zweifelte keinen Augenblick daran, dass die Franzosen damit bei Beginn der Schneeschmelze auf die Ohio-Gabelung vorstoßen würden, um dort ein viertes Fort zu errichten. Wollte man Legardeur zuvorkommen, war keine Zeit mehr zu verlieren. Als Sofortmaßnahme setzte Dinwiddie eine kleine Expedition von knapp 100 Mann der Ohio-Kompanie über die Appalachen in Marsch, die den Ort des zukünftigen Forts noch vor der Ankunft der Franzosen besetzen und befestigen sollte. Er musste aber auch für rasche Verstärkung seiner Vorausgruppe sorgen und das ging nicht ohne das Parlament. Hier war noch Überzeugungsarbeit zu leisten, und so befahl Dinwiddie zunächst dem heimgekehrten Washington, einen Bericht über seine zweimonatige Expedition zu verfassen, den er umgehend veröffentlichen ließ. Zugleich bat er die Gouverneure der Nachbarstaaten um militärische Hilfe und brachte die Mitglieder des Oberhauses von Virginia auf seine Seite. Derart gewappnet, fand Dinwiddie nun auch endlich die Unterstützung des House of Burgesses. Die nach wie vor misstrauischen Abgeordneten bewilligten ihm Mitte Februar 1754 unter Auflagen immerhin 10.000 Pfund. Es war kein wirklich bedeutender Betrag, aber mit dieser knappen Zuteilung konnte Dinwiddie dem nunmehr zum Oberstleutnant der Miliz beförderten Washington den Auftrag erteilen, so schnell wie möglich 200 geeignete Männer anzuwerben und auszubilden. Sie sollten alsbald dem kleinen Vorkommando folgen, das am 16. Februar die Ohio-Gabelung noch unbesetzt vorgefunden hatte. Sogleich war darauf mit dem Bau eines Forts begonnen worden. Zwar schritten die Befestigungsarbeiten zügig voran, doch da die benachbarten Stämme wider Erwarten und trotz guter Preise nicht bereit waren, den Briten Lebensmittel zu liefern, traten schon im März ernste Versorgungsprobleme auf. Ein großer Teil der Gruppe musste sich daher auf die Jagd begeben. Nur etwa 40 Mann unter Führung eines Fähnrichs der Virginia-Miliz blieben im Fort zurück. Als die Franzosen am 17. April mit 800 Mann und 18 Geschützen unter Führung des Hauptmanns Claude–Pierre Pécaudy de Contrecœur auf ihren Kanus und Flachbooten vor der Baustelle erschienen, blieb der Besatzung keine andere Wahl, als gegen freien Abzug zu kapitulieren. Dinwiddie hatte den Wettlauf zum Ohio verloren.

Washington war erst am 2. April mit nicht mehr als 160 Mann von Alexandria zum Ohio aufgebrochen. Schon die Vorbereitungen hatten unter einem schlechten Stern gestanden, denn die vom Parlament zugesagten 10.000 Pfund hatten längst nicht zur Begleichung aller Kosten gereicht und in der Truppe herrschte Unzufriedenheit wegen der knappen Besoldung. Dinwiddies Instruktionen für die bescheidene Streitmacht waren daher reichlich realitätsfremd. Washington solle sämtliche Maßnahmen zum Schutz der im Bau befindlichen Befestigung ergreifen und gegnerischen Störungen des Vorhabens notfalls auch mit Waffengewalt entgegentreten. Noch herrschte in Europa Friede, aber in Virginia hatte ein stellvertretender Gouverneur aus Schottland die Tür zum Krieg der beiden Weltmächte bereits weit geöffnet.

Noch auf seinem Weg über die Appalachen erhielt Washington am 20. April die deprimierende Meldung, dass das provisorische britische Fort an der Gabelung des Flusses inzwischen aufgegeben werden musste und die Franzosen mit starken Kräften begonnen hatten, ihrerseits eine noch größere Befestigung an der Ohio-Gabelung anzulegen. Washington musste eine Entscheidung treffen. Was konnte er mit seiner schwachen Truppe jetzt noch tun? Immer noch galt Dinwiddies Weisung, den Aktionen der Franzosen notfalls mit Gewalt zu begegnen. Dass die Franzosen allerdings mit beinahe 1000 Mann ins Ohiotal vorgedrungen waren, hatte auch der stellvertretende Gouverneur bei aller Besorgnis nicht geahnt.

Obwohl er vorerst gegen den mehrfach überlegenen Feind kaum etwas ausrichten konnte, beschloss Washington, wenigstens in Reichweite zu dem neuen französischen Fort zu bleiben. Als Stützpunkt bot sich eine befestigte Handelsstation der Ohio-Kompanie am Red-Stone-Bach, die nur 60 Kilometer von der Ohio-Gabelung entfernt lag. Dort könnte er auch das Eintreffen von Verstärkungen erwarten, die ihm Dinwiddie oder die Gouverneure der Nachbarstaaten vielleicht noch schickten. Der Weg zum Red Stone war allerdings extrem beschwerlich, da für die Wagen seiner Kolonne eigens noch Schneisen durch die Urwälder geschlagen werden mussten. Nach etwa einem Monat mühevollen Vorarbeitens hatten Washington und seine Männer ein Tal erreicht, das den Namen Great Meadows trug und etwa in der Mitte zwischen den Flüssen Monongahela und Youghioheny lag. Da meldeten ihnen indianische Kundschafter, dass eine Gruppe bewaffneter Franzosen nur noch wenige Kilometer entfernt sei. Gerüchte über angebliche Überfälle durch kleinere Feindkommandos machten bereits länger die Runde und daher entschloss sich Washington, der ihm gemeldeten Gruppe einen Hinterhalt zu legen. Dazu teilte er seine kleine Streitmacht auf. Mit etwa 75 Leuten wollte er dem Gegner unverzüglich entgegenmarschieren, dem Rest befahl er, an Ort und Stelle ein mit Palisaden befestigtes Lager als Basis zu errichten.

Nach einem Nachtmarsch im strömenden Regen erreichte Washingtons Gruppe am Morgen des 28. Mai 1754 das gegnerische Lager. Washington konnte nicht wissen, dass die kleine Abordnung von 35 Männern keinen Kampfauftrag hatte. Sie sollte im Auftrag Contrecoeurs den Briten, deren Anwesenheit den Franzosen nicht entgangen war, ein Schreiben überreichen, das die Empfänger höflich, aber bestimmt aufforderte, unverzüglich das von Frankreich beanspruchte Territorium zu verlassen. Die französische Gruppe unterstand dem Fähnrich Joseph Coulon de Villiers de Jumonville. Ehe der Fähnrich jedoch das Wort an die Angreifer richten konnte, hatten Washingtons Männer seine Gruppe am Morgen umstellt und mit zwei gut gezielten Salven die Überlebenden zur Kapitulation gezwungen. Washington berichtete einige Tage später an Gouverneur Dinwiddie, dass das kurze Gefecht den Gegner zehn Tote und einen Verletzten gekostet habe, darunter auch Jumonville. Das war eine glatte Beschönigung der Ereignisse, was schon durch das ungewöhnliche Verhältnis der Toten und Verletzten auf französischer Seite leicht hätte entlarvt werden können. Den Berichten einiger entkommener Franzosen zufolge sei der junge Jumonville aber zunächst nur verwundet worden und habe sein Schreiben noch an den Anführer der Briten übergeben können. Ein Indianer Namens Tanaghrisson, der mit seiner Gruppe die Briten begleitet hatte, ein Demi-Roi (Halbkönig) der Seneca, habe dem verletzten Jumonville aus Hass gegen die Franzosen den Schädel eingeschlagen, auf ähnlich brutale Weise seien auch die übrigen verletzten Franzosen umgekommen.

Als die Nachricht von dem Massaker in Frankreich eintraf, war die Empörung riesig. Auch wenn Washington von der plötzlichen Mordsucht der Wilden selbst überrascht war, fiel doch deren Untat auf ihn als den Befehl habenden Offizier zurück. Das Publikum in Paris sah darin einen erneuten Beweis britischer Heimtücke und der junge Poet Antoine Léonhard Thomas veröffentlichte über Jumonvilles Tod ein anklagendes Gedicht, das ihn rasch im ganzen Land bekannt machte.133 George Keppel, der britische Botschafter in Versailles und 2. Lord von Albemarle, nahm dagegen an dem Tod des jungen französischen Aristokraten keinen Anstoß, beklagte aber das Ungeschick der Kolonisten. Als Gouverneur der Kolonie Virginia, die er allerdings noch nie betreten hatte und auch niemals betreten würde, war Albemarle pikanterweise Dinwiddies Vorgesetzter und damit der Hauptverantwortliche für das Geschehen. Washington blieb dagegen optimistisch. Dinwiddie hatte ihm nicht nur bestätigt, dass seine Mission ein großer Erfolg gewesen sei, er hatte ihm auch endlich Verstärkungen geschickt, die seine kleine Streitmacht auf nunmehr knapp 400 Mann anwachsen ließen. Washington hatte nach dem unglücklichen Zusammenstoß mit den Franzosen seinen ursprünglichen Plan, eine Position am Red-Stone-Bach zu beziehen, wieder aufgenommen und versuchte weiterhin, den Weg dorthin passierbar zu machen. Zugleich ließ er aber im Great-Meadows-Tal als Zwischenbasis eine kleine Befestigung errichten, der er den Namen Fort Necessity gab. Eine kreisförmige Palisade um zwei Blockhäuser bot immerhin allen Vorräten sowie 60 Mann Schutz. Der Rest seiner Leute musste sich dagegen mit einem etwa 80 cm tiefen Graben und Erdaufwürfen um das Fort begnügen. Da das Fort und seine unmittelbare Umgebung von bewaldeten Höhen in der Nähe gut unter Feuer genommen werden konnte, war Washingtons Wahl alles andere als geschickt.

Inzwischen hatte Contrecœur in Fort Duquesne beträchtliche Verstärkungen aus Kanada erhalten. Der Generalgouverneur hatte noch einmal 1000 Mann ins Ohiotal entsandt, die ausgerechnet unter dem Kommando von Louis Coulon de Villers standen, dem älteren Bruder des ermordeten Jumonville. Villers brannte darauf, den Tod seines Bruders zu rächen, und erhielt von Contrecœur die Erlaubnis zu einer Expedition gegen die Briten. Washingtons bescheidene Streitmacht hatte keine Chance, als am 3. Juli 1754 etwa 600 Franzosen sowie 100 Shawnee, Delaware und Mingo das Fort umzingelten und die Milizionäre aus überhöhten Positionen nach Art der Indianer beschossen. Nach einem etwa sechsstündigen Schusswechsel in strömendem Regen war ein Drittel der Verteidiger tot oder verwundet, der Rest hatte in den mit Wasser halb vollgelaufenen Gräben ohne trockene Munition jeden Mut verloren. Andere hatten sich der Whiskeyvorräte innerhalb der Palisade bemächtigt. Bei Einbruch der Dunkelheit musste sich Washington auf Kapitulationsverhandlungen einlassen und ein von Villers vorbereitetes Dokument unterzeichnen, indem er sich schuldig am Tod von Jumonville erklärte und einwilligte, ein Jahr lang keinen weiteren Vorstoß ins Ohiotal zu unternehmen. Gegen die Stellung von zwei Offizieren als Geiseln durften die Briten mit allen Waffen und Vorräten am nächsten Vormittag abziehen. Für Washington war die Kapitulation in den Great Meadows alles andere als ein verheißungsvoller Beginn seiner militärischen Karriere. Indem er bei seiner Rückkehr behauptete, der Feind habe immerhin gleich hohe Verluste erlitten, versuchte er das Desaster noch zu beschönigen.

Die Franzosen, die tatsächlich nur drei Tote und 17 Verwundete zu beklagen hatten, brannten die Reste von Necessity nieder und verschonten auch die Niederlassung der Ohio-Kompanie am Red-Stone-Bach nicht. Bei Villers Rückkehr nach Fort Duquesne wurden er und seine Männer mit Salut empfangen. Frankreich beherrschte jetzt das gesamte Ohiotal, die Indianer standen auf seiner Seite und nichts deutete darauf hin, dass sich dieser Zustand noch einmal ändern könnte.

General Braddocks Niederlage am Monongahela

Washingtons Kapitulation in den Great Meadows am 4. Juli 1754 veranlasste die Regierung in London zu einem dramatischen Kurswechsel. Die demütigende Niederlage von 300 zerlumpten und erschöpften Milizionären gegen gut ausgerüstete Franzosen unter einer entschlossenen Führung zeigte dem neuen leitenden Minister Thomas Pelham-Holles, Herzog von Newcastle, dass die Neuengland-Staaten trotz ihrer weit überlegenen Ressourcen nicht fähig waren, aus eigener Kraft mit der französischen Bedrohung im Ohiotal fertigzuwerden.134

Das vorhersehbare Versagen eines sich selbst überschätzenden Oberstleutnants der Virginia-Miliz löste somit Reaktionen aus, die weit über Virginia und die Neuengland-Staaten hinaus strahlten. Horace Walpole schüttete wie gewöhnlich seinen beißenden Spott auf den lethargischen Newcastle, der so plötzlich zum Falken mutierte.135 Newcastle, der erst wenige Wochen zuvor das höchste Regierungsamt von seinem im März 1754 verstorbenen Stiefbruder Henry Pelham übernommen hatte, erhöhte nun den Einsatz. Großbritannien würde nicht nur reguläre Truppen aus dem Mutterland in die Kolonien schicken, sondern auch sämtliche dort zu mobilisierenden militärischen Kräfte der energischen Leitung eines britischen Generals unterstellen.

Der Gegenschlag musste schnell, erfolgreich und vor allem lokal begrenzt sein. Der Premierminister wollte keine Eskalation, nur ein klares Zeichen sollte gesetzt werden, das Frankreich zum Einlenken zwang. Newcastles Problem war allerdings, dass er sich zur Verwirklichung seiner Pläne mit William Augustus, dem Herzog von Cumberland, verbünden musste. Der damals einflussreichste Militär des Vereinigten Königreiches war der bevorzugte Sohn Georgs II. und wie Kriegsminister Henry Fox ein glühender Franzosenhasser. Seit seinem Sieg bei Culloden im Jahre 1746 über die Anhänger von Prinz Charles Stuart galt der erst 33-jährige Prinz Charles Eduard Stuart als bedeutendster Befehlshaber der Armee, eine Einschätzung, die auch durch seine eher unglückliche Kriegführung in Belgien nicht gelitten hatte. Cumberland war weder ein großer Stratege noch ein Diplomat, seine rabiaten Methoden gegen die Aufständischen im Hochland hatten ihm sogar den wenig schmeichelhaften Namen des »Schlächters von Culloden« eingebracht.

All dies war Newcastle durchaus bekannt, aber er brauchte unbedingt Cumberlands Unterstützung, wenn er den König von seinen Absichten in Nordamerika überzeugen wollte. Der erste gemeinsame Operationsentwurf vom September 1754 fand dann auch zu Newcastles Erleichterung die volle Zustimmung des Monarchen. Zwei irische Regimenter mit insgesamt 1000 Mann sollten nach Virginia verschifft werden. Hinzu kamen zwei in den Kolonien beheimatete Regimenter, die allerdings noch reaktiviert werden mussten. Zusammen mit den Kolonial-Milizen würden alle diese Truppen einem britischen General mit weitreichenden Vollmachten unterstellt sein.

Außer den vier umstrittenen Forts im Ohiotal umfasste die britische Angriffsliste jetzt auch noch Fort Frédéric am Champlainsee sowie Fort Beauséjour am Isthmus von Neuschottland. Dass damit gleich zwei gefährliche Brandherde neu entfacht würden, die soeben noch mit Mühe unterdrückt worden waren, schien Cumberland ebenso wenig zu stören wie Lord Halifax, den Vorsitzenden des für die Kolonien zuständigen Board of Trade, die wohl treibende Kraft hinter der Ausweitung des militärischen Einsatzes.

Newcastle bestand zwar anfangs noch darauf, dass nach der Vertreibung der Franzosen aus dem Ohiotal alle weiteren Operationen angehalten werden sollten, um neue Verhandlungen zu ermöglichen. Doch der Plan mit seinen ausufernden Zielen war jetzt schon weit mehr als nur eine angemessene Demonstration britischer Stärke. Es war eine Generaloffensive mitten im Frieden.

Trotz seiner fast 30-jährigen Erfahrung als Außenstaatssekretär für die nördliche Hemisphäre (Nordeuropa und Russland) und seiner unzweifelhaft genauen Kenntnis des europäischen Staatensystems riskierte der britische Premier mit Cumberlands Plan einen großen Krieg der beiden alten Rivalen. Dabei unterschätzte er offenbar vollkommen die öffentliche Erregung in Frankreich, wo die brutale Ermordung des jungen Jumonville sofort den alten Hass auf die Briten neu entfacht hatte. An ein Nachgeben war nicht zu Denken.

Dabei wusste Newcastle, dass Großbritannien die kommende Auseinandersetzung mit Frankreich ohne die Hilfe seines alten österreichischen Alliierten würde führen müssen.136

Dass die Franzosen auch noch durch eine Indiskretion in der Zeitung The Gazette bereits am 8. Oktober von der Entsendung frischer Truppen nach Nordamerika Wind bekamen, machte es für Newcastle nicht leichter.137 Er versuchte daher ein Doppelspiel, als er zwei Tage später seinen Botschafter in Versailles, Lord Albemarle, vorsorglich anwies, die Franzosen mit allen Tricks und Beschwichtigungen erst einmal hinzuhalten.

Abermahle, der zugleich auch Gouverneur von Virginia war, müsse die britischen Verteidigungsmaßnahmen als so harmlos darstellen, dass die französischen Minister sich nicht zu beklagen wagten. »Die Marquise (von Pompadour) und der Herzog von Mirepoix (der Botschafter Frankreichs in London, der sich aber damals gerade in Versailles aufhielt) könnten dabei hilfreich sein.« Dann aber brach der für Newcastle so typische flatterhafte Ton unvermittelt ab und der Premier schloss mit einer ernsten Warnung: »Lassen Sie es mich ganz frank und frei sagen. Wir befinden uns am Rande eines Abgrundes und ich setze sehr darauf, dass sie uns helfen können, die prekäre Lage zu überwinden.«138

Newcastle spürte nur zu deutlich, dass ihm die Entwicklung längst aus den Händen geglitten war und dass Cumberland und Fox ihn überspielt hatten. Der Herzog war immer ein fleißiger Aktenleser gewesen und dazu ein manischer Briefeschreiber, mit einnehmenden Umgangsformen, aber doch unsicher und schwankend in seinem politischen Urteil. An einem großen Krieg gegen Frankreich hatte er keinerlei Interesse und an seinem persönlichen Friedenswillen konnte kein Zweifel bestehen. Jetzt aber fehlte ihm die Kraft, sich dem in der Öffentlichkeit und auch im Königshaus rasant ausbreiteten Franzosenhass entgegenzustellen.

Hilflos musste Newcastle mit ansehen, wie die Falken im Kriegsministerium seine ursprüngliche Absicht einer begrenzten Demonstration britischer Macht zu einem umfassenden Angriffsplan auf das französische Kanada ummünzten. Der Leiter der britischen Politik erhob dann auch nur müden Protest, als die ehrgeizigen Londoner Schreibtischstrategen in völliger Unkenntnis der schwierigen Wegeverhältnissen in der amerikanischen Wildnis auch noch das Fort Niagara am Ontario-See auf die Liste ihrer Eroberungswünsche setzten. Jetzt sollten sogar alle vier Ziele gleichzeitig angegriffen werden, um die Truppen des Gegners zu verzetteln. Weder Cumberland noch Kriegsminister Fox schienen es in Betracht gezogen zu haben, dass die Franzosen auf der inneren Linie kämpften. Sie konnten ihre Kräfte auf den Wasserstraßen nach Belieben zu jedem bedrohten Punkt befördern, während sich die Briten in jedem Fall nur mühsam ihrem Angriffsziel auf miserablen Wegen oder auf erst noch durch die Wildnis zu bahnenden Pfaden nähern konnten.

Auch General Edward Braddock, der im Dezember 1755 nach Nordamerika aufgebrochen war, hatte es nicht gewagt, Bedenken gegen Cumberlands ehrgeizige Planungen zu äußern. Schließlich zählte der fast 60-jährige Generalmajor nicht unbedingt zur Elite der britischen Generalität. Braddocks Soldatenlaufbahn war eher schleppend verlaufen und hatte dem vormaligen stellvertretenden Befehlshaber der Festung Gibraltar reichlich Routine in militärischer Verwaltungsarbeit beschert. Erfahrung auf dem Gefechtsfeld besaß er dagegen kaum, was nicht ausschließlich ihm anzulasten war, hatten doch die drei Dekaden nach dem Utrechter Frieden wenig Gelegenheit geboten, sich vor dem Feind auszuzeichnen. Im Krieg gegen die Jakobiten hatte er zwar unter Cumberland in Schottland gedient, aber dabei kaum einen Feind gesehen. Immerhin dürfte die Nähe zum Herzog und seine starke Loyalität ausschlaggebend gewesen sein, Braddock das amerikanische Kommando zu übertragen.

Gesellschaftlich stand er wegen seiner Spielsucht nicht in hohem Ansehen. Dass seine jüngere Schwester 30 Jahre zuvor ihrem von Skandalen geprägten Leben durch Suizid ein Ende gesetzt hatte, war in höheren Kreisen noch längst nicht vergessen.

Nachdem er am 23. Februar 1755 im virginischen Hampton Road an Land gegangen war, erwies sich Braddock sogleich als harter, aber auch fähiger Organisator, der keine Zeit mit diplomatischen Floskeln verlor. Von den Gouverneuren erwartete er denselben Gehorsam, mit dem er im Dienste des Königs zum Generalmajor aufgestiegen war. Mit einer Flut von Briefen forderte er von ihnen Geld, Verpflegung, Männer, Zugpferde, und das alles sofort. Dem Gouverneur des Quäkerstaates Pennsylvania, der es gewagt hatte, auf die Mitspracherechte seines Parlaments hinzuweisen, drohte er mit der Einquartierung seiner irischen Truppen.

Auf einer für Anfang April 1755 in Alexandria einberufenen Konferenz wies Braddock sämtliche Gouverneure in seine Planungen ein, die einen gleichzeitigen Angriff auf vier französische Forts vorsahen. Die be-rechtigten Bedenken der Gouverneure hinsichtlich der Versorgung der Truppe und der zeitlichen Abfolge der Angriffe überging der General, der sich immer noch genauestens an Cumberlands Weisungen gebunden fühlte.139 Auch die angebotene Hilfe der Shawnee, Mingo und Delaware lehnte Braddock hochmütig ab. Von der Kampfweise dieser »Wilden« hielt der mit den Verhältnissen in den Grenzgebieten unvertraute General wenig, die Ansprüche ihrer Häuptlinge, das Ohiotal als ihr angestammtes Jagdgebiet behalten zu dürfen, bezeichnete er als absurd.

Als Braddock Anfang Mai in seinem Feldlager in Fort Cumberland am Zusammenfluss von Potomac und Wills Creek eintraf, wurde er schon von George Washington erwartet. Der junge Virginier hatte sich als freiwilliger Adjutant ohne Dienstgrad und Bezahlung gemeldet und hoffte, falls er sich gegen die Franzosen bewähren konnte, auf ein britisches Offizierpatent. Braddock war klug genug, die Hilfe eines Mannes dankbar anzunehmen, der sich im zukünftigen Kampfgebiet bestens auskannte.140 Mit der Hilfe eines anderen ehrgeizigen Neuengländers, Benjamin Franklin, gelang es auch, die notorischen Transportprobleme der Briten zu mildern. Denn der damalige stellvertretende Postmeister der Kolonien sorgte dafür, dass sein Heimatstaat Pennsylvania 500 Packpferde und dazu 150 Wagen nebst Wagenführern für die bevorstehende Expedition bereitstellte.141

Am 29. Mai 1755 brach Braddock mit seiner für amerikanische Verhältnisse beachtlichen Armee zum Monongahela-Fluss auf. Seinem Kommando unterstanden nun 3000 Mann, dazu kamen vier Zwölfpfünder-Geschütze, sechs Sechspfünder und acht Mörser sowie einige Hundert Wagen voller Verpflegung, Munition und sonstigem Heeresbedarf. Etwa 200 Kilometer trennten sie von Fort Duquesne, und sollte es den Briten tatsächlich gelingen, ihre schweren Zwölfpfünder bis zur Ohio-Gabelung zu schaffen, wäre es um die Festung geschehen gewesen. Doch spätestens jetzt zeigte sich, dass Cumberlands Vorstellungen von der Durchquerung einer Region, die noch ein Jahrhundert später treffend als Wilderness bezeichnet werden sollte, absolut irreal waren. Braddocks kilometerlanger Heerzug schaffte in den ersten beiden Wochen kaum mehr als drei Kilometer am Tag, da immer wieder der Weg für die schweren Wagen verbreitert oder freigeholzt werden musste. Nach einer Woche Marsch traf der ungeduldig gewordene britische Befehlshaber eine durchaus zweckmäßige Entscheidung. Er beschloss, seine Streitmacht zu teilen und eine etwa 1300 Mann starke Vorausabteilung zu bilden, deren Verpflegung, wie es ihm Washington von Anfang an geraten hatte, allein auf Packpferden mitgeführt wurde. Dieser schnellen Gruppe gelang es, sich bis zum 7. Juli auf etwa 15 Kilometer ihrem Ziel zu nähern.

Den Franzosen in Fort Duquesne war die Annäherung des Gegners nicht entgangen und allmählich gerieten sie in Alarmstimmung, da sie den Briten numerisch deutlich unterlegen waren. Das starke Milizaufgebot aus dem Vorjahr war wieder entlassen worden und Hauptmann Contrecœur konnte daher im Augenblick nicht mehr als 400 Mann aufbieten. Die Hälfte davon, darunter auch 72 Mann der Kolonialtruppe der Marine, unterstellte er seinem Stellvertreter, dem Hauptmann der Marinetruppen Daniél Liénard Beaulieu. Den Löwenanteil seines Aufgebots bildeten die verbündeten Stämme mit mehr als 600 Kämpfern, darunter auch Angehörige der Shawnee, Mingo und Delaware, die nur wenige Monate zuvor noch Braddock ihre Hilfe angeboten hatten. Contrecœur und Beaulieu hatten sich zu einer Verzweiflungstat entschlossen. Mit kaum 900 Mann sollte Beaulieus Truppe die anderthalbfach so starken Briten angreifen, noch ehe sie das Fort mit ihren Geschützen erreicht hatten. Der 44-jährige Offizier, der sich im Kampf nach Art der Indianer kleidete, verunsicherte die verbündeten Häuptlinge zutiefst, als er noch vor dem Abmarsch niederkniete und betete. Einige Anführer, die von der Überlegenheit der Briten wussten, kommentierten das ungewohnte Bild in abfälligem Ton: Der Franzose beabsichtige wohl zu sterben und wolle sie dabei alle opfern, brachte einer von ihnen das allgemeine Unbehagen zum Ausdruck. Beaulieus Beteuerungen, dass er fest an den Sieg glaube, überzeugten die Indianerführer nicht.142

Die Briten hatten inzwischen zweimal den Monongahela an günstigen Stellen überschritten, um das abschüssige Ufer des Turtelcreek, eines rechten Nebenarms des Flusses, zu vermeiden. Trotz ihrer Erschöpfung nach den zurückliegenden Gewaltmärschen und trotz ihrer mageren Verpflegung während der letzten Tage waren Braddocks Männer jetzt zuversichtlich. Nachdem sich auch an der zweiten Furt kein Feind gezeigt hatte, hofften sie, dass die Franzosen das Fort bereits aufgegeben und sich den Allegheny aufwärts zurückgezogen hatten. Wo sonst als an diesem Übergang hätte der Gegner sie mit Aussicht auf Erfolg aufhalten können? Die Truppe formierte sich nach dem Uferwechsel wieder in drei Gruppen. An der Spitze marschierten 300 Mann der leichten Infanterie sowie eine Grenadierkompanie. Dahinter folgten eine Kompanie der New Yorker Miliz sowie 250 Pioniere unter dem Kommando von Hauptmann Horatio Gates. Gates war ein britischer Offizier, der im Unabhängigkeitskrieg auf die Seite der Aufständischen wechseln sollte und als General im Oktober 1777 bei Saratoga am Hudson eine britische Armee zur Kapitulation zwang. Die Hauptgruppe mit General Braddock und seinem Stab bestand aus zwei parallelen Kolonnen zu je 250 Mann, in deren Mitte der Wagenpark und die Artillerie rollten. Auf beiden Flanken marschierten außerdem jeweils 100 Mann im Abstand von einigen hundert Metern durch das Waldgelände, auf dem heute ein heruntergekommenes Industriegelände den südlichen Rand der Stadt Pittsburg bildet. Die Nachhut der Kolonie bestand nochmals aus 100 Milizionären aus Virginia.143

Kaum hatte sich Braddocks Armee am Mittag des 9. Juli auf dem rechten Ufer des Monongahela wieder in ihrer gesamten Länge formiert, geriet die Spitze der Kolonne etwa gegen 13 Uhr unter heftiges Feuer. Der Feind blieb jedoch praktisch unsichtbar, umso lauter und unerträglicher war dafür das animalische Kriegsgeschrei der Indianer, das bald auch von den Flanken herüberschallte und den Briten wie das Gebrüll einer Horde Teufel vorkam. In kürzester Zeit waren 15 von 18 Offizieren der Spitzengruppe verwundet oder tot.144

Für die an einen Kampf in dicht geschlossenen Formationen gewöhnten Briten war die Taktik der Indianer und der daran angepassten Franzosen eine vollkommen andere Welt. Ihre klassische Stärke, das disziplinierte Salvenfeuer nach europäischem Muster, verpuffte fast wirkungslos in dem unübersichtlichen Waldgelände, wo die höchst beweglich kämpfenden Indianer jeden Baum und jede Bodenwelle als Deckung nutzen konnten. Kaum einmal boten sich mehr als ein halbes Dutzend Angreifer zugleich den ratlosen Rotröcken als Ziel. Schon nach den ersten heftigen Schusswechseln war Braddock, der die mittlere Kolonne geführt hatte, zusammen mit Washington, der noch an den Folgen einer Ruhr litt, nach vorne geritten, um die rasch erodierende Ordnung in seinen Reihen wiederherzustellen. Doch dazu war es schon zu spät. In dem Chaos aus unentwegt krachenden Schüssen, undurchdringlichem Pulverqualm, Schreien der Verwundeten und dem schauerlichen Geheul der Angreifer begannen die aufgerückten Briten sogar auf ihre eigenen Leute zu schießen. Immer noch numerisch den Angreifern überlegen, hätten sie den Einzelkampf suchen müssen, aber dazu waren sie nicht ausgebildet. In ihrer Not verharrten sie stattdessen in ihren gewohnten Formationen und unterhielten ein Salvenfeuer, das mehr den eigenen Leuten als dem kaum sichtbaren Feind schadete. So wurde eine ganze Kompanie, die Braddock zur Besetzung eines Hügels auf der rechten Flanke nach vorne geschickt hatte, in kürzester Zeit von den beiden Seiten niedergeschossen. Washington berichtete später, dass nach seiner Meinung wohl zwei Drittel der Briten durch eigenes Feuer umgekommen seien.145 Der ungleiche Kampf dauerte den ganzen Nachmittag und wäre wohl noch weiter geführt worden, wenn nicht Braddock, dem schon vier Pferde unterm Sattel erschossen worden waren, gegen Mittag nach einem Treffer in die Brust zu Boden gestürzt wäre. Danach löste sich aufseiten der Briten, die nun mehrheitlich auch ihre Munition verschossen hatten, alle verbliebene Ordnung auf. Die Überlebenden stürzten in Panik zurück zum Monongahela. Sie hatten keine Ahnung, dass die Indianer gewöhnlich ihre Gegner nicht mehr verfolgten, sondern sich damit begnügten, auf dem Schlachtfeld Beute zu machen oder Verwundete zu skalpieren. Nicht der Vernichtung des Gegners galt ihr Kampf, sondern der Erbeutung von Trophäen und Gefangenen, die ihre Kriegerehre zuhause steigerten. Trotz der Zurückhaltung der Indianer waren beinahe zwei Drittel von Braddocks Armee am Abend ausgefallen. Etwa 430 Mann waren getötet, weitere 484 verwundet worden. Von den insgesamt 96 Offizieren hatten 26 ihr Leben verloren, 36 erlitten Verwundungen.

Auf der Gegenseite hatten die Franzosen und Indianer kaum drei Dutzend Kämpfer zu beklagen. Unter den Toten befand sich allerdings auch ihr Befehlshaber. Der 44-jährige Beaulieu war gleich zu Beginn der Schlacht von einer britischen Salve getroffen worden. Auf der Gegenseite konnte der schwer getroffene Braddock noch vom Schlachtfeld geborgen werden. Er verstarb aber schon fünf Tage später in den Great Meadows, wo sich die demoralisierten Reste seiner Streitmacht wieder mit dem nachfolgenden Tross vereinigt hatten. Obwohl die Briten nun wieder eine Gesamtstärke von 2000 Mann aufbieten konnten, war an eine Erneuerung des Angriffs auf Fort Duquesne nicht mehr zu denken. Die Masse des Gepäcks sowie die gesamte Artillerie der Vorausabteilung war in der ersten Panik vor dem Rückzug vom Monongahela zerstört worden. Als die geschlagenen Truppen unter Braddocks Stellvertreter, Oberst Thomas Dunbar, am 25. Juli wieder in Fort Cumberland am Wills Creek eintrafen, war die britische Katastrophe perfekt. Eine ganze Armee war von einer kaum halb so starken Gruppe von »Wilden«, unterstützt von nur wenigen Dutzend Franzosen, beinahe vernichtet worden. Obwohl der Sommer noch lange nicht vorbei war, marschierten die mutlos gewordenen Briten bald weiter und bezogen zum Entsetzen von Gouverneur Dinwiddie und seiner Amtskollegen ein Winterlager im sicheren Philadelphia. Die westlichen Grenzgebiete Virginias und Pennsylvanias waren damit schutzlos den in wachsender Zahl umherstreifenden Indianergruppen ausgeliefert. Hunderte von Siedlern wurden getötet. Die Kolonien waren geschockt. Ihr frühzeitiger Rückzug aus dem gefährdeten Grenzgebiet hatte dem Ansehen der Briten in Amerika mehr geschadet als Braddocks Niederlage.146

Tausch der Allianzen –
Der Weg zum 1. Versailler Vertrag von 1756

Als sich der Nebel am Vormittag des 8. Juni 1755 im Süden der St.-Lorenz-Bucht lichtete, erkannte Gilles Houquart, der Kapitän des Linienschiffes L’Alcide, die Umrisse eines anderen Kriegsschiffes. Es handelte sich jedoch nicht, wie der Franzose gehofft hatte, um einen der Segler aus dem großen Konvoi, mit dem die L’Alcide vor fünf Wochen aus dem Hafen von Brest mit Verstärkungen für Kanada aufgebrochen war. Tatsächlich hatte es Houquart mit der britischen Dunkirk zu tun, einem 60-Kanonen-Schiff unter dem Kommando von Kapitän Richard Howe.

Die Dunkirk gehörte zum Geschwader von Admiral Edward Boscawen, das am 27. April mit 15 Schiffen von Plymouth ausgelaufen war, um den französischen Konvoi vor Neufundland abzufangen. Boscawen war vom britischen Kabinett ausdrücklich ermächtigt worden, notfalls gewaltsam jeden Versuch Frankreichs zu unterbinden, seine Truppen in Kanada durch sechs zusätzliche Infanterie-Bataillone zu verstärken. Versailles hatte sich zu dieser außergewöhnlichen Maßnahme entschlossen, sobald man von General Braddocks Entsendung und seiner Mission im Ohiotal erfahren hatte.

Nachdem beide Schiffe sich auf Rufweite einander genähert hatten, erkundigte sich der französische Kapitän, ob noch Friede herrsche oder schon Krieg. Er wiederholte die Frage noch zwei Mal, ehe Howe ihm endlich zurief: »Frieden, Frieden!« Es war ein eiskalter Bluff. Denn kaum hatte der britische Kapitän seine Antwort gegeben, befahl das rote Signal von Admiral Boscawens Flagschiff, der Torbay, die sich gleichfalls in Sichtweite befand, die sofortige Feuereröffnung. Howe ließ eine Breitseite abgeben und die L’Alcide erwiderte das Feuer sogleich mit allen ihren Geschützen. Das Gefecht tobte bereits einige Minuten, als auch die Torbay mit ihren 74 Geschützen auf Schussweite heran war. Houquart blieb nun keine andere Wahl, als die Flagge zu streichen. Die L’Alcide war durch etliche Mastentreffer inzwischen bewegungsunfähig und mehr als 100 Mann ihrer Besatzung lagen tot oder verwundet auf dem Deck.147

Kaum jemand in Versailles oder in London zweifelte nach dem Bekanntwerden des Überfalls noch daran, dass mit diesem kurzen und blutigen Schusswechsel an der Einfahrt zur St.-Lorenz-Bucht unwiderruflich der große Krieg eröffnet war, der später nicht ganz zutreffend der Siebenjährige genannt wurde. Als die Nachricht am 14. Juli in London eintraf, bemerkte Philip Lord Yorke, 1. von Hardwicke, langjähriger Lordkanzler im Kabinett und wichtigster Berater der Regierung, dazu nüchtern und kurz: »Voila, der Krieg hat begonnen.«148 In Potsdam sah es Friedrich genauso und geizte daher nicht mit guten Ratschlägen für seinen französischen Alliierten. Ende Juli überraschte der König den Botschafter Versailles’, Charles Nicolas La Touche, mit einem Plan, der vorsah, dass Frankreich nun rasch die belgischen Festungen Mons, Tournai und Brüssel besetzen müsse, nach Möglichkeit auch Charleroi und Antwerpen. Was sonst könne denn König Ludwig unternehmen, um die ihm durch England zugefügte Schmach zu rächen, fragte der Potsdamer Autokrat den Franzosen provozierend?149

Obwohl der Zwischenfall die Franzosen nur zwei Schiffe gekostet hatte und das Londoner Kabinett Boscawens Aktion zu Recht als Misserfolg wertete, war die Wut in Paris gewaltig. Die Meldung hatte dort am 24. Juli wie eine Bombe eingeschlagen. Dabei erregte weniger der britische Überfall selbst die Gemüter, hatte doch das französische Geschwader unter Admiral Graf Dubois de La Motte von Anfang an mit einer britischen Aktion gerechnet und daher erst bei Einbruch der Nacht und mit ausgelöschten Schiffslampen den Hafen von Brest verlassen. Es war vielmehr die heimtückische Art der Feuereröffnung, die nun wieder sämtliche alten Vorurteile gegen den Rivalen jenseits des Kanals wachrief.

René Louis Voyer, der Marquis von Argenson und ehemalige Außenminister Frankreichs, schimpfte über die »britischen Usurpatoren« und verglich sie mit den algerischen Seeräubern.150 Man wolle nun gnadenlos um sich schlagen, beschrieb der Herzog von Croy, der am 24. Juli 1755 am Hof des Königs in Compiégne eintraf, die dort herrschende Stimmung. Jeder hielt jetzt einen allgemeinen Krieg für gewiss und machte seine Equipagen zum Abmarsch an die belgische Grenze bereit. Von überall her trafen Offiziere ein, um Befehle einzuholen, und Croy fühlte sich an die Stimmung von 1740 erinnert.151

Newcastle hatte ursprünglich gehofft, der britische Überfall werde, da er nicht vor der Küste Frankreichs ausgeführt worden war, nur geringe Unruhe in Europa auslösen. Allenfalls könnte es französische Proteste geben. Das erwies sich als Illusion, denn die Mehrheit des französischen Kabinetts, darunter Außenminister Antoine Louis Rouillé und Kriegsminister d’Argenson, ein Bruder des ehemaligen Außenministers, gab sich kriegerisch und forderte im ersten Zorn eine beherzte Aktion gegen die österreichischen Niederlande oder gegen den Rhein. Allein der König, so der preußische Botschafter Knyphausen, hoffte noch auf eine friedliche Lösung und versuchte seine Minister zu mäßigen. Frankreich solle sich vorerst zurückhalten, damit es England in den Augen Europas die Schuld an der Eskalation geben könne.152

Auch wenn die französische Flottenaktion zur Verstärkung Kanadas halbwegs geglückt war, wussten doch alle Minister genau, dass Frankreich zur See hoffnungslos unterlegen war und ähnliche Aktionen nicht beliebig wiederholen konnte. Noch in einem Conseil wenige Tage zuvor hatte der unbefriedigende Rüstungszustand der Flotte alle Minister bestürzt.153 Unter diesen Umständen aber waren die nordamerikanischen Territorien niemals zu halten. Ohne Kolonien und freien Handel aber drohte Frankreich auch der Verlust seiner hegemonialen Stellung in Europa. Schlimmstenfalls könne es sogar das Schicksal der einst so mächtigen Generalstaaten teilen, die inzwischen zu einem bedeutungslosen Randstaat herabgesunken waren. Selbst die absolute Monarchie stand auf dem Spiel. Es schien für Frankreich daher nur der Ausweg zu bleiben, den Briten auf dem Kontinent einen entscheidenden Schlag zu versetzen. Mit seinem konkurrenzlos starken Heer könne es vielleicht ein europäisches Pfand in die Hand bekommen, das sich wie schon im Aachener Frieden gegen eventuelle britische Gewinne in Nordamerika eintauschen ließ.

Im Verlauf des Conseil vom 20. Juli war auch die Frage nach einer erneuten Besetzung Belgiens ernsthaft erörtert worden. Doch man entschied sich schließlich gegen diese Option. Mit einem Feldzug in den österreichischen Niederlanden würde sich die französische Krone unweigerlich Wien zum Feind machen und müsste zudem wegen der vielen Festungen einen langen und kostspieligen Feldzug auf sich nehmen. Daher beschäftigte mehr und mehr das Kurfürstentum Hannover die Fantasie der französischen Minister, obwohl es sehr weit von den Grenzen Frankreichs entfernt lag.

Wenn auch Großbritannien die Meere konkurrenzlos beherrschte, in Europa war es nicht unangreifbar. Politisch und strategisch hatte es seinen Inselstatus verloren, als 1714 mit dem Welfen Georg I. ein Mitglied einer deutschen Dynastie in Whitehall einzog. Denn König Georg I. und sein gleichnamiger Sohn und Nachfolger regierten in Personalunion weiterhin auch ihr hannoverisches Stammland. Auch der seit 1727 herrschende König Georg II. verbrachte gewohnheitsmäßig noch etliche Monate des Jahres in seiner deutschen Residenz, wo er sich wie sein Vater ausführlich mit hannoverischen Angelegenheiten und Fragen der Reichspolitik befasste.

Für die meisten britischen Außenpolitiker war das norddeutsche Kurfürstentum nichts weiter als eine ärgerliche Erschwernis ihrer Aufgaben. Einen Nutzen für Großbritannien konnte niemand darin sehen. Offene Kritik an der für Großbritannien so unglücklichen Personalunion war jedoch verpönt. Als es William Pitt, der Ältere, 1743 in einer Parlamentsrede gewagt hatte, Hannover als »miserables Kurfürstentum« zu bezeichnen, trug ihm dies die anhaltende Gegnerschaft König Georgs II. ein. Beinahe hätte es sogar das Ende seiner politischen Karriere bedeutet.154 Das erzwungene Totschweigen änderte aber nichts an der Tatsache, dass Hannover neben Belgien zum zweiten schwachen Punkt in Großbritanniens kontinentalem System geworden war. Auch die Bemühungen des Monarchen, der sich am 18. Juni 1755 für mehrere Monate in seine norddeutsche Residenz begeben hatte, durch Verträge mit Kurhessen und Bayreuth militärische Unterstützung zum Schutze Hannovers zu gewinnen, versprachen keine wirkliche Lösung des Problems.

Fest entschlossen, die Lage in Nordamerika zu eskalieren und Frankreich in Kanada ein für alle Mal in seine Schranken zu weisen, brauchte Großbritannien auf dem Kontinent einen Festlandsdegen mit militärischem Potenzial. Preußen wäre der ideale Verbündete gewesen. Da aber der König seinem Neffen zutiefst misstraute, wurden im August 1755 auch Verhandlungen mit dem Zarenreich aufgenommen. In kurzer Zeit gelang es dem britischen Geschäftsträger in St. Petersburg ein Abkommen zu erzielen, das Russland verpflichtete, 50.000 Mann zur Verteidigung des Kurfürstentums unter Waffen zu halten. Für deren Unterhalt wollte Großbritannien jährlich eine Summe von 100.000 Pfund aufbringen und im Kriegsfall diese Summe sogar noch auf das Fünffache erhöhen.155

Londons Sorgen um seine kontinentale Achillesferse waren alles andere als unbegründet, denn das französische Außenministerium verfolgte tatsächlich gegen Hannover gerichtete Pläne. Schon im Frühjahr 1755 hatte der französische Gesandte in London, der Herzog von Mirepoix, mit Blick auf die vorzeitig bekannt gewordene Mission General Braddocks im Ohiotal den Herzog von Newcastle wiederholt gewarnt. Ein Konflikt zwischen Frankreich und Großbritannien ließe sich nicht auf Nordamerika beschränken, falls die Briten dort größere Erfolge erzielten.156

Gelänge es der französischen Armee, das kaum geschützte Kurfürstentum Hannover zu besetzen, so hatte bereits im März 1755 ein Gutachten des Außenministeriums kalkuliert, besäße Frankreich ein unschätzbares Tauschobjekt, mit dem es jeden britischen Erfolg in Nordamerika ausgleichen könne.157 Vorrausetzung für den Durchmarsch französischer Streitkräfte nach Norddeutschland waren allerdings, so das Gutachten aus unbekannter Feder, umfangreiche Garantien an Österreich und die übrigen Reichsstände. Außenminister Rouillé war jedoch skeptisch hinsichtlich der Möglichkeit einer so umfassenden Vereinbarung mit Österreich und versuchte daher zunächst Preußens Bereitschaft auszuloten, bei einer Besetzung Hannovers mitzuwirken. Ermutigt durch etliche ihm zugetragene Äußerungen König Friedrichs II., der seinem Verbündeten in der gegenwärtigen Krise ein kühneres Vorgehen gegen Großbritannien empfahl, ließ Rouillé über Botschafter Knyphausen sondieren, wie weit Preußen tatsächlich zu gehen bereit war. Zur Enttäuschung des Franzosen fiel Friedrichs Antwort darauf ausweichend aus. Angesichts der offenen Feindschaft Russlands und Österreichs und der unsicheren Haltung Schwedens und Sachsens seien ihm vollkommen die Hände gebunden, ließ er durch seinen Botschafter in süßen Worten mitteilen.158

In Versailles machte sich neben der Enttäuschung mehr und mehr Ratlosigkeit breit. Welchen Nutzen als Verbündeter besaß Preußen überhaupt noch, wenn Friedrich sich nur auf billige Ratschläge beschränkte? Der Conseil schwankte zwischen ängstlichem Abwarten und einem harten Kurs gegen Großbritannien. Vieles hing jetzt davon ab, ob London tatsächlich der französischen Forderung nachgab, die inzwischen von der britischen Flotte gekaperten 300 Handelsschiffe wieder herauszugeben.

Graf Kaunitz, der nach seiner Rückkehr aus Paris im April 1753 zum Staatskanzler Maria Theresias aufgestiegen war, verstand es mit besonderem Gespür, sich die Unentschlossenheit der französischen Politik zunutze zu machen. Die eigenen Verhandlungen mit Großbritannien steckten seit Monaten in einer Sackgasse. Londons einseitige Forderungen nach einem stärkeren militärischen Engagement der Österreicher in Belgien, ohne sich selbst auf eine Truppenzahl festlegen lassen zu wollen, hatten Kaunitz zutiefst aufgebracht und auf Distanz zu dem vormaligen Alliierten gehen lassen.159

Vielleicht ließ sich seine alte Idee einer französisch-österreichischen Allianz nun doch noch wiederbeleben, wenn für Versailles sein Bündnis mit Preußen keinen Wert mehr hatte? Musste Frankreich bei einer weiteren Eskalation des nordamerikanischen Konfliktes gerade jetzt nicht daran gelegen sein, seinem Gegner den wichtigsten Alliierten in Europa zu entwinden? Ein französisch-österreichisches Bündnis wäre gewiss ein harter und unerwarteter Schlag für London.

Kaunitz wählte jedoch für seine Avancen nicht den offiziellen Weg, sondern wandte sich an die Marquise von Pompadour, die den Gedanken einer französisch-österreichischen Allianz als Chance sah, ihre Position bei Hof zu festigen. Über ihre besondere Vertrauensstellung am Hofe ließe sich den österreichischen Vorschlägen noch am ehesten Gehör beim Monarchen verschaffen, ehe Preußenfreunde wie Rouillé, d’Argenson und Marineminister Machault d’Anouville davon Wind bekamen. Tatsächlich gelang es Kaunitz, die Marquise de Pompadour, Frankreichs mächtigste Frau, für seine Pläne zu interessieren. Die vormalige Mätresse hatte sich durch Klugheit und geschicktes Netzwerken eine wichtige Rolle als inoffizielle Beraterin des Königs erworben. Auch Ludwig XV. schien angetan von der ihm zugetragenen Offerte Wiens. War er doch unabhängig von der sich zuspitzenden Lage schon lange davon überzeugt, dass ein Bündnis Frankreichs mit Habsburg in Europa den Frieden wahren und die katholische Religion stärken könnte.160

Vorerst überging er jedoch sein Kabinett und ernannte als Bevollmächtigten nicht seinen Außenminister Rouillé, sondern ehemaligen Botschafter in Venedig und Madrid, den Abbé und späteren Kardinal François de Bernis. Der Abbé war ebenfalls ein Vertrauter der Pompadour, und so fand das Treffen am 3. September 1755 unter peinlicher Geheimhaltung im Palais der Marquise in Sèvres statt. Die Zusammenkunft, bei der auch die Hausherrin zugegen war, dauerte nicht länger als eine Stunde. Starhemberg las Satz für Satz aus dem von Kaunitz verfassten Memorandum vor, während Bernis und die Pompadour bemüht waren, mit keiner Regung ihre Gedanken zu verraten. Frankreich solle als Gegenleistung für seinen Eintritt in eine antipreußische Allianz aus Österreich, Russland, Schweden und Sachsen das Herzogtum Luxemburg erhalten. Diesen östlichen Teil der österreichischen Niederlande sollte der Schwiegersohn des Königs im Austausch für die drei italienischen Herzogtümer Parma, Piacenza und Guastalla als Herrschaft erhalten. Auch versprach Kaunitz’ Memorandum den Franzosen die Unterstützung Österreichs bei der Wahl von Louis François de Conti, des Prinzen von Bourbon, zum polnischen König, sobald hier der Nachfolgefall eintreten sollte. Würde Frankreich in einen Krieg mit Großbritannien verwickelt, wäre ihm auch die Benutzung der belgischen Häfen Ostende und Nieuport gestattet.

Die denkwürdige Besprechung, in der Habsburg erstmals offen seine Karten auf den Tisch gelegt hatte, endete wie auch die beiden noch folgenden Begegnungen am 7. und 9. September vorerst ohne konkretes Ergebnis. Ein gewisser provinzieller Schachergeist prägte unübersehbar die österreichische Offerte. Kaunitz wollte nicht nur die Allianz mit Frankreich, sondern zugleich auch noch auf elegante Weise einen Teil des ungeliebten Belgiens gegen drei aus österreichischer Sicht viel wertvollere italienische Herzogtümer eintauschen. Für die Unterstützung Contis und eine temporäre Nutzung zweier belgischer Kanalhäfen erwartete er außerdem, dass sich der erhoffte neue Alliierte kraftvoll an der Rückeroberung Schlesiens beteiligte. Frankreichs substanzielle Interessen in Übersee hat der kaiserliche Diplomat nie verstanden. Daher blieb ihm auch der wiederholt vorgebrachte Wunsch der Franzosen nach einer Besetzung Hannovers völlig unverständlich.161

Bernis und die Pompadour hatten sich gegenüber Starhemberg in der ersten Sitzung nicht zu den Vorschlägen geäußert, waren jedoch besonders über die Andeutungen des Wiener Hofes erschrocken, dass Preußen inzwischen in Verhandlungen mit Großbritannien stehe. Grundsätzlich erkannte Bernis sofort, dass Maria Theresias Vorschläge auf die größte Veränderung des Mächtesystems seit dem Ende des Mittelalters hinausliefen.162

König Ludwig XV. schätzte zwar den protestantischen Markgrafen von Brandenburg, dessen beißender Spott über den Versailler Hof ihm nicht unbekannt geblieben war, doch war er immerhin sehr angetan von der Aussicht, Luxemburg für seinen Schwiegersohn zu erhalten. Doch von seinem preußischen Alliierten wollte er sich angesichts der wachsenden Kriegsgefahr auf keinen Fall trennen. Ludwigs Antwortschreiben an die Kaiserin fiel, wenn auch in herzlichen Wendungen verfasst, vorerst ablehnend aus.

Gleichwohl schien sich der König die österreichische Option offenhalten zu wollen, denn Ende Oktober weihte er auf Drängen Bernis’ auch sein Kabinett in die Angelegenheit ein. Erwartungsgemäß erregte die Wiener Initiative bei allen Ministern großes Misstrauen. Warum sollte Frankreich den Österreichern bei der Rückeroberung Schlesiens helfen, wo man doch ganz andere Probleme hatte? Vor allem Rouillé, der sich ohnehin durch die Beauftragung Bernis’ hinter seinem Rücken übergangen fühlte, war skeptisch, wagte aber nicht, das Projekt offen zu kritisieren. Vielmehr forderte er, dass Österreich sich dann auch an einer Besetzung Hannovers beteiligen müsse. Genau das aber lehnten Kaunitz und Starhemberg entschieden ab. Schließlich wollte Österreich keinen Konflikt mit Großbritannien, auf dessen Neutralität im kommenden Krieg man immer noch hoffte. Auch widersetzte sich die Wiener Hofburg entschieden einem französischen Alleingang in Norddeutschland. Maria Theresia und ihr kaiserlicher Gatte weigerten sich rundweg, eine derartige Möglichkeit auch nur in Betracht zu ziehen.163

Für Ludwigs Minister war das österreichische Angebot daher zu dürftig. Keiner von ihnen wollte voreilig das sichere Bündnis mit Preußen aufgeben, um sich von Kaunitz in einen Krieg um Schlesien verwickeln zu lassen. Dass sich Friedrich im letzten Krieg als ein nur wenig zuverlässiger Alliierter erwiesen hatte und auch im heraufziehenden Konflikt kaum die erhoffte Hilfe leisten würde, nahm man in Kauf. Die von Kaunitz beabsichtigte Zerstückelung des preußischen Königtums lehnte auch Ludwig entschieden ab. So hatten die Gespräche mit Österreich rasch einen toten Punkt erreicht und wären auch angesichts der Unentschiedenheit des französischen Hofes kaum zu einem Abschluss gebracht worden, wenn nicht Preußen den nächsten und, wie sich zeigen sollte, entscheidenden Schritt unternommen hätte.

Friedrich hatte sich lange dem britischen Ersuchen verweigert, eine Garantieerklärung für Hannover abzugeben, und sich über die Bestrebungen Georgs II. mokiert, alle Welt für die Sicherheit seines Kurfürstentums zu mobilisieren. Aus Höflichkeit bot er London immerhin seine Dienste als Vermittler an. Das Verhältnis zwischen dem britischen Monarchen und seinem Potsdamer Neffen war ohnehin nicht das beste. Hauptsächlich ging es um preußische Forderungen nach Entschädigung für die im letzten Krieg gekaperten Handelsschiffe. In London war Friedrich damit bisher stets auf taube Ohren gestoßen. So zeigte der König dann auch keinerlei Interesse, anlässlich einer im Sommer 1755 inkognito angetretenen Reise an den Rhein mit seinem königlichen Onkel in dessen Herrenhausener Residenz zusammenzutreffen.164

Doch Außenstaatssekretär Lord Holderness, der seinen Monarchen nach Deutschland begleitet hatte, sah in einer preußischen Garantie den besten Schutz für Hannover. Anfang August reiste der britische Minister sogar nach Braunschweig, um den dortigen Hof, zu dem Friedrich durch seine Schwester enge verwandtschaftliche Beziehungen hatte, für sein Ziel einzuspannen.165 Die in Aussicht gestellte Vermählung einer Tochter der Herzogsfamilie mit dem Prinzen von Wales war der Köder, der den Herzog bewog, die ihm angediente Vermittlerrolle zu übernehmen.

Inzwischen standen die Briten unter erheblichem Druck. Kaunitz schien entschlossen, nachdem London auf seine jüngsten Vorschläge nicht mehr geantwortet hatte, aus dem alten Bündnis auszuscheren. Eine Annäherung Wiens an Versailles war nicht mehr ausgeschlossen. Zwar hätte Holderness einer Erneuerung der Allianz mit Wien den Vorzug gegeben, doch wenn das nicht möglich war, musste man sich eben mit dem unzuverlässigen Potsdamer Monarchen arrangieren.166 Newcastle und seine Außenminister wussten nur zu gut, dass mehr noch als die Vermittlungsdienste des braunschweigschen Hofes die russische Karte in Potsdam stechen würden. Verhandlungen mit St. Petersburg waren bisher an den hohen Geldforderungen der Zarin gescheitert. Jetzt aber wurden sie unter der zielstrebigen Leitung des britischen Botschafters an der Newa, Sir Charles Hanbury Williams, am 30. September 1755 zu einem Abkommen gebracht. Gegen die jährliche Zahlung von 100.000 Pfund verpflichtete sich die russische Regierung gegenüber London, ein Armeekorps von 50.000 Mann an der Grenze zu Ostpreußen bereitzuhalten, was Friedrich von einem Übergriff auf Hannover abhalten sollte. Wenn auch noch längst nicht vom Parlament ratifiziert, so setzte das Abkommen, dessen Text Newcastle sogleich dem preußischen Gesandten in London aushändigte, Friedrich doch gewaltig unter Druck. Obwohl er die russische Armee stark unterschätzte und ihre Generale verachtete, fürchtete der preußische König keinen Gegner so sehr wie das Zarenreich.167 Eine Vereinbarung Preußens mit Großbritannien zum Schutze des norddeutschen Kurfürstentums, so das Kalkül des Potsdamers, würde sein Land von der russischen Bedrohung befreien, da beide Mächte sich ja demselben Ziel verpflichtet hatten. London und Potsdam wurden rasch einig und schlossen schon am 16. Januar 1756 das Westminsterabkommen. Beide Vertragsparteien sicherten sich darin gegenseitig territoriale Unversehrtheit zu und verpflichteten sich sogar, ihre jeweiligen Verbündeten von Angriffen auf Hannover und Schlesien – notfalls auch militärisch – abhalten zu wollen.168 Als Zugabe erhielt Preußen nun auch die lang ersehnte Entschädigung für seine Handelsschiffe.

Während die Briten hofften, den Konflikt mit Frankreich auf diese Weise auf Nordamerika beschränken zu können und nebenbei auch noch viel Geld zu sparen, glaubte Friedrich, dass er dank der neuen Vereinbarung einen Krieg mit Russland nicht mehr befürchten müsse. Der Friede auf dem Kontinent schien gesichert. Die Beziehungen zu Frankreich sah Friedrich durch seine Vereinbarung mit London keineswegs infrage gestellt. Davon glaubte er auch den französischen Sonderbotschafter, den Herzog von Nivernais, überzeugt zu haben, der endlich am 22. Januar 1756 in Potsdam eingetroffen war.169 Ausdrücklich hatte er Belgien aus der Neutralitätserklärung für das Reichsgebiet herausnehmen lassen, was seinem alten Verbündeten die Option beließ, die benachbarte österreichische Provinz notfalls als Faustpfand zu besetzen.

In Versailles schlug die Nachricht von der britisch-preußischen Einigung zunächst wie eine Bombe ein. Einmal mehr schien der preußische Monarch seinen Ruf als unsicherer Kantonist bestätigt zu haben. Befeuert wurde der Unmut auf Friedrich besonders durch das Gefühl, von den beschwichtigenden Freundschaftsbekundungen, die Botschafter von Knyphausen noch wenige Wochen zuvor im Namen seines Monarchen abgegeben hatte, absichtlich getäuscht worden zu sein.170

Preußens faktisches Ausscheren aus der Allianz hatte für Frankreich allerdings auch Vorteile. Die quälende Unsicherheit, die seine Politik zuvor monatelang geprägt hatte, wich plötzlich einem fieberhaften Aktivismus. Nachdem die Briten nochmals eine Herausgabe der 300 gekaperten französischen Handelsschiffe abgelehnt hatten, schien ein Krieg unvermeidlich geworden. Nun war es plötzlich Versailles, das auf ein Abkommen mit Österreich drängte. Minister Kaunitz konnte sein Glück kaum fassen, als ihm Botschafter Starhemberg Ende Februar 1756 aus Versailles meldete, dass der Conseil beschlossen habe, den Vertrag mit Preußen nicht zu verlängern, und der König sogar bereit sei, einen Angriff russischer und österreichischer Truppen auf Preußen durch Zahlung von Subsidien zu unterstützen. Allerdings hatte sich die Ministerrunde geschlossen gegen jede Vereinigung des preußischen Territoriums ausgesprochen, die über die Abtretung Schlesiens hinausging. Ein weiterer Wermutstropfen war schließlich Berins’ Forderung, dass Wien gegenüber Großbritannien nicht neutral bleiben könne, wenn sich Frankreich offen gegen Preußen stelle.171 Sobald sich Frankreich offen gegen Preußen stelle, dürfe Wien seinerseits gegenüber Großbritannien nicht neutral bleiben. Kaunitz begriff nur zu gut, dass Österreich, gäbe es hier nach, auch jeden französischen Angriff auf das Kurfürstentum Hannover mittragen oder gar unterstützen müsste. Doch weder Maria Theresia noch der Kaiser würden jemals ihre Zustimmung zu einem Krieg Frankreichs gegen einen Reichsfürsten geben. Die Kaiserin hatte diese Hoffnung Frankreichs erst am 27. Januar in einem Brief an Starhemberg entrüstet zurückgewiesen. Versailles blieb zögerlich. War es wirklich klug, sich von Österreich in einen Krieg gegen Preußen hineinziehen zu lassen, wo doch der Konflikt mit Großbritannien mit jedem Tag eskalierte? Kaunitz spielte noch einmal die letzte britische Karte. In einem Brief an Starhemberg, der zur Übermittlung an Bernis gedacht war, erwähnte er ausdrücklich das Ersuchen des britischen Botschafters Robert Keith in Wien um eine Audienz bei der Kaiserin, um ihr neue Vorschläge seiner Regierung zu unterbreiten.172 Das Manöver verfehlte die gewünschte Wirkung nicht. Bernis erkannte sofort die Gefahr, dass Frankreich bei längerem Zögern plötzlich in Europa isoliert sein könnte. Am 19. April 1756 willigte der Conseil unter dem Vorsitz des Königs in einen Vertrag mit Österreich ein, der allerdings bei Weitem nicht alle Wünsche Wiens erfüllte. Während Versailles zusicherte, die Neutralität Belgiens und anderer habsburgischer Territorien im Kriegsfall zu respektieren, versprach Wien, im kommenden Krieg Großbritannien in keiner Weise gegen Frankreich zu unterstützen. Nur für den Fall, dass eine der Vertragsparteien von einer dritten Macht angegriffen würde, war eine begrenzte gegenseitige militärische Unterstützung vorgesehen. Als der Vertrag schließlich am 1. Mai in Versailles von Starhemberg, Rouillé und Bernis unterzeichnet wurde, war dies in Kaunitz’ Augen nur ein Etappenziel. Es lag jetzt an dem König von Preußen, den nächsten Schritt zu unternehmen.