»Zittere, Du stolzes Albion, in all Deiner Größe Zu Deinem Herzen sprichst Du: Nichts gleicht meiner Macht Ihr Fürsten, achtet mich! Denn ich bin die Herrscherin der Meere, unter meinen zahllosen Schiffen streicht Thetis die Wogen. Beide Welten habe ich gezwungen Mir ihre Reichtümer als Tribut darzubieten.«
Französische Ode über die Eroberung von
Fort St. Philippe und Maron 17561
Der 14. März 1757 war ein ebenso ungewöhnliches wie skandalöses Datum in der Geschichte der königlich-britischen Marine. Gegen Mittag des verregneten Frühlingstages betrat der sehr ehrenwerte Vizeadmiral John Byng das Achterdeck der im Hafen von Portsmouth ankernden Monarche, um von einem Peleton aus neun Marineinfanteristen erschossen zu werden. Die Takelagen sämtlicher Segler in der Umgebung hingen voller schaulustiger Matrosen, während die Kommandanten der im Hafen liegenden Kriegsschiffe sich als Zeugen der bevorstehenden Hinrichtung auf der Monarche eingefunden hatten. Das hohe Kriegsgericht aus drei Admiralen und neun Kapitänen hatte in einer vierwöchigen Verhandlung den 52-jährigen Angeklagten zwar vom Vorwurf der Feigheit freigesprochen, aber in einem Punkt der Anklage stattgegeben. Byng habe, so die Jury, als Befehlshaber seiner Flotte nicht das Äußerste versucht, um seinen Auftrag zu erfüllen. Der hatte ihn dazu verpflichtet, die 3000 Mann starke Besatzung der Festung St. Philippe auf Menorca in jeder Weise zu unterstützen.2
Obwohl eine derartig dehnbar formulierte Verfehlung zu gegensätzlichen Interpretationen geradezu einlud, war sie doch seit Kurzem mit der Todesstrafe verknüpft. Byng hätte nach Auffassung des Gerichts den Fall der Festung verhindern können. Gleichwohl erwarteten die Richter ebenso wie das Unterhaus, dass König Georg II. eine Begnadigung verfügen würde, was jedoch unterblieb, da sich das Oberhaus dagegen aussprach. Byng zu verschonen wäre dem Eingeständnis der Regierung gleichgekommen, selbst gravierende Fehler begangen zu haben. So musste der unglückselige Admiral an diesem 14. März vor das Peleton treten, was er mit äußerer Gelassenheit und ohne jedes Zeichen von Furcht tat. Ob denn tatsächlich auf diese Weise Feiglinge leben und sterben würden?, fragte Horace Walpole, nachdem bekannt geworden war, dass Byng sich nur deshalb eine Augenbinde hatte anlegen lassen, um nicht, wie ihm bedeutet wurde, die Soldaten des Erschießungskommandos zu verunsichern.3 Obwohl er dem britischen Hochadel angehörte und sein Vater, Admiral George Byng, der 1. Viscount von Torrington und Sieger gegen die Spanier in der Seeschlacht von Passero, hohes Ansehen genossen hatte, war John Byng niemals Teil eines politischen Netzwerks gewesen und hatte auch nur wenige Freunde unter seinen Standesgenossen gehabt. Damit war der dickliche Eigenbrötler, dem auch noch homosexuelle Neigungen nachgesagt wurden, der ideale Sündenbock für die verfehlte Strategie einer Regierung, die viel zu spät und zu nachlässig auf die Bedrohung Menorcas reagiert hatte. Selbst in Frankreich hatte der Fall Byng Aufsehen erregt und sogar Voltaire hatte dem Schicksal des Admirals eine Episode in seinem Roman Candide gewidmet, in welcher der gleichnamige Held Zeuge der Hinrichtung Byngs wird und dabei von einem anderen Beobachter die Belehrung erhält, dass es in England von Zeit zu Zeit Sitte sei, einen Admiral hinzurichten, um die übrigen zu ermutigen.4
Wenig mehr als elf Monate vor seinem letzten Tag war Vizeadmiral Byng mit einem kleinen Geschwader von zehn Linienschiffen aus dem Hafen von Portsmouth in Richtung Gibraltar aufgebrochen. An der Südspitze Spaniens sollte er 700 Marineinfanteristen aufnehmen und sie von dort zur Festung St. Philippe an der Ostküste Menorcas bringen. Auf einem ins Meer ragenden Felsen errichtet, beherrschte das Bollwerk die schmale Einfahrt zur Bucht von Maron und war der Schlüssel zur Inbesitznahme der Baleareninsel. Die Briten hatten St. Philippe ein halbes Jahrhundert zuvor während des Spanischen Erbfolgekrieges erobert und es zu einer modernen sternförmigen Verteidigungsanlage ausgebaut. Die Besatzung bestand damals aus vier Regimentern Infanterie unter dem Befehl des 84-jährigen Generals William Blakeney. Der ungewöhnlich rüstige Greis konnte auf eine lange und solide Soldatenlaufbahn in der britischen Armee zurückblicken. Seine über 100 Geschütze und die reichen Vorräte an Verpflegung und Munition in den bombensicheren Kasematten der Festung machten jeden Angriff auf St. Philippe zu einem unkalkulierbaren Risiko.
Zu Beginn des Jahres 1756 hatte sich Frankreich jedoch entschlossen, das Wagnis eines Totalverlustes seines Expeditionskorps einzugehen. Gelang es tatsächlich, Menorca einzunehmen, hatte man damit ein ideales Faustpfand in der Hand, das sich gegen die beinahe 300 französischen Schiffe und über 6000 Seeleute austauschen ließ, die Großbritannien in den zurückliegenden Monaten in seine Hand gebracht hatte und deren freiwillige Herausgabe London seither beharrlich verweigerte.5 Der Verlust der Insel, so das Kalkül in Versailles, würde auch Großbritanniens Mittelmeerposition empfindlich schwächen. Vielleicht ließe sich sogar durch die Rückgabe Menorcas an Spanien die Regierung in Madrid als Bundesgenosse gewinnen.
Zur Ablenkung von den aufwendigen Vorbereitungen in Toulon und anderen Mittelmeerhäfen ließ Marschall Belle-Isle entlang der Kanalküste in auffälliger Zahl Truppen und Schiffseinheiten zusammenziehen. Tatsächlich konnte er die Briten mit seiner Inszenierung eine Zeit lang täuschen. Angesichts der nicht mehr zu ignorierenden Drohung einer französischen Landung in England weigerte sich George Anson, der 1. Lord der Admiralität, das britische Heimatgeschwader auch nur um ein einziges Schiff zu schwächen.6
Auch nachdem London im März die Gefahr für Menorca endlich erkannt hatte, mochte sich Anson nur zu halbherzigen Maßnahmen entschließen. Schon die Wahl John Byngs zum Chef des Mittelmeergeschwaders erschien als Notlösung. Der Admiral verfügte zwar über eine lange Diensterfahrung im Mittelmeer, zählte aber gewiss nicht zur ersten Riege der britischen Seeoffiziere.
Gleichwohl bewies Byng bei der Vorbereitung seiner Expedition Tatkraft und organisatorisches Geschick. Nach Überwindung etlicher Hemmnisse konnte Byng endlich am 6. April 1756 die Segel in Richtung Gibraltar setzen. Noch während sein Geschwader gegen widrige Winde in der Biskaya ankämpfte, hatten die Franzosen losgeschlagen. Am 21. April landete, gedeckt von zwölf Linienschiffen, eine französische Transportflotte mit rund 14.000 Mann an der Westküste Menorcas. Wenige Tage später begann unter der energischen Führung von Louis François Armand de Plessis, des Herzogs von Richelieu, die Belagerung von St. Philippe.7 Anfang Mai, als bereits die ersten Granaten aus Richelieus Geschützen in der Festung einschlugen, war die Nachricht von der Landung der Franzosen auf Menorca auch nach London gelangt. Der nordamerikanische Konflikt hatte unwiderruflich auf Europa übergegriffen und folgerichtig erklärte Großbritannien am 18. Mai 1756 Frankreich den Krieg.
Byngs Flotte war mit unklarer Order der Admiralität ins Mittelmeer aufgebrochen. Sie sollte die Belagerten in jeder Weise unterstützen. Doch ausgerechnet die eindeutigste aller Weisungen Lord Ansons glaubte Byng missachten zu können. Eigenmächtig beließ er die für Menorca vorgesehene Verstärkung von 700 Mann in Gibraltar. Vor Gericht rechtfertigte sich Byng später damit, dass er Englands Wachtor zum Mittelmeer nicht habe schwächen wollen. Nach seiner Ansicht hätten die wenigen Hundert Mann, wären sie nach Menorca gelangt, dort kaum einen Vorteil erbracht. Verstärkt um zwei Schiffe, aber ohne das befohlene Truppenkontingent, hatte Byng am 4. Mai Gibraltar verlassen und seine Fahrt ins Mittelmeer fortgesetzt. Zwei Wochen später erreichte sein Geschwader die Gewässer um die Balearen, wo er am 20. Mai 1756 auf ein etwa gleichstarkes französisches Geschwader stieß. Das halbherzig geführte Seegefecht vor der Südküste Menorcas endete nach zwei Stunden mit dem Rückzug der Franzosen, was sich mit viel gutem Willen als britischer Sieg reklamieren ließ. Dass Byng mit seinem Flaggschiff nicht einmal selbst in das Gefecht eingegriffen hatte, konnte man ihm noch als Ungeschicklichkeit nachsehen. Nach Überzeugung des britischen Militärgerichts aber hatte es Byng anschließend versäumt, das feindliche Geschwader energisch zu verfolgen. Zur Last legten ihm seine Richter auch, dass er keinen Versuch unternommen hatte, Richelieus Belagerungsarmee auf der Insel von ihrer Versorgung abzuschneiden.
Nachdem er mit seinen Schiffen noch vier Tage vor Menorca gekreuzt hatte, ohne einen ernsthaften Versuch unternommen zu haben, mit der Besatzung der Festung in Verbindung zu treten, brach Byng seinen Einsatz vorläufig ab, um in Gibraltar notwendige Reparaturen an einigen seiner Schiffe vornehmen zu lassen. Bestärkt in seinem Entschluss, der ihm schließlich zum Verhängnis wurde, hatte ihn das einhellige Votum seiner Kapitäne, was diese aber später vor Gericht bestritten. So war das britische Geschwader am 19. Juni wieder in Gibraltar eingetroffen. Nur zehn Tage später kapitulierte die Besatzung von St. Philippe. Tags zuvor hatten die Franzosen durch einen Generalangriff drei der sechs äußeren Forts eingenommen. Gleichwohl wäre eine Fortsetzung der Verteidigung noch möglich gewesen. Die Briten hatten bei der Abwehr des Sturms nur 65 Mann verloren, die Verluste der Franzosen betrugen dagegen das Siebenfache. Doch kaum jemand in England erhob gegen Blakeney den Vorwurf, er habe zu früh kapituliert. Hatte doch die Besatzung der Festung immerhin 66 Tage ausgehalten und ehrenvolle Kapitulationsbedingungen erhalten. Der greise General durfte sogar im Verfahren gegen Byng aussagen und darauf hinweisen, dass die Zuführung der ursprünglich vorgesehenen Verstärkung bei Nacht durchaus möglich gewesen wäre.
Gerüchte von Byngs unglücklichem Agieren im Mittelmeer und vor allem von dem Seegefecht bei Menorca, das die Franzosen mit Aplomb als Sieg reklamierten, waren schon früh nach England gelangt. Darauf hatte die beunruhigte Admiralität sofort ein Schiff mit der Order nach Gibraltar entsandt, Byng von seinem Kommando zu entbinden und durch Admiral Sir Edward Hawke zu ersetzen. Byng selbst sollte unter Bewachung nach Spithead gebracht werden. Als beinahe zeitgleich mit dem festgesetzten Admiral die Bestätigung von Blakeneys Kapitulation in London eintraf, löste die Meldung eine bis dahin nie erlebte Welle der Wut in Großbritannien aus. Byngs an Feigheit grenzendes Ungeschick machte es den führenden Politikern um Newcastle, Fox und Anson leicht, den Admiral als den Hauptverantwortlichen der neuerlichen Niederlage darzustellen. Ganz ließ sich dadurch aber der Volkszorn nicht täuschen. Zu ernüchternd war die politische Bilanz der Regierung in den zurückliegenden beiden Jahren ausgefallen. In Nordamerika war der von Cumberland und Kriegsminister Fox geplante Gegenschlag spektakulär am Monongahela gescheitert und in Europa war das österreichische Kaiserhaus, der wichtigste Alliierte des Vereinigten Königreichs, durch den Vertrag von Versailles endgültig auf die Seite Frankreichs getreten. Den jetzt eingetretenen Verlust von St. Philippe und Menorca empfand man überall im Königreich als Englands größtes militärisches Desaster seit mehr als einem halben Jahrhundert.8 Als schließlich am 30. September die Nachricht vom Verlust des Forts Oswego am Ontariosee in London eintraf, wobei mehr als 1000 Mann regulärer britischer Truppen in Gefangenschaft geraten waren, sprachen viele schon von einem annus horribilis für Großbritannien.9 Die öffentliche Stimmung kochte. Bei einem Besuch in Greenwich wurde Newcastles Kutsche von einer wütenden Menge mit Unrat beworfen und der Staatssekretär selbst musste sich in das nahe gelegene Observatorium in Sicherheit bringen. Den zitternden Kutscher bedachten die Randalierer mit der höhnischen Empfehlung, seinen Fahrgast doch sogleich zum Tower zu bringen.10
Nichts jedoch unterstrich deutlicher das vollständige Scheitern der bisherigen Politik Newcastles als der Einmarsch Preußens in das Nachbarkurfürstentum Sachsen. Damit war der gefürchtete Bündnisfall zwischen Österreich und Frankreich eingetreten und der Bourbonenstaat würde keinen Augenblick zögern, Friedrichs Präventivschlag zum Anlass zu nehmen, einen Feldzug nach Norddeutschland zu führen und das Kurfürstentum Hannover zu besetzen. Eine überzeugende Antwort auf diese Bedrohung hatte der Herzog nicht und sein Sturz schien nur noch eine Frage von Tagen.
Am 29. August 1756 marschierte der König von Preußen mit 70.000 Mann in das Nachbarland Sachsen ein und verknüpfte damit den britisch-französischen Streit um das entlegene Ohiotal mit dem österreichisch-preußischen Konflikt um die Hegemonie in Deutschland. Friedrich hatte zwar im Abkommen von Westminister acht Monate zuvor den Versuch unternommen, wenigstens sein Königreich aus der atlantischen Konfrontation der beiden Kolonialmächte herauszuhalten. Doch seine Einigung mit Großbritannien hatte nicht die erhoffte Stabilisierung der europäischen Landkarte bewirkt. Frankreich, das nun in seinem alten Bündnis mit Preußen keinen Vorteil mehr sah, war im Ersten Versailler Vertrag auf die Seite Österreichs getreten und hatte dadurch der beharrlichen Diplomatie des Grafen Kaunitz ihren größten Erfolg verschafft. Preußen war in Europa isoliert und sah sich plötzlich einer Allianz aus drei feindlichen Großmächten gegenüber.
Nur ein energischer Befreiungsschlag gegen Österreich, das Herz der antipreußischen Koalition, schien jetzt noch Aussicht auf Rettung zu bieten. Zuvor allerdings musste Sachsen ausgeschaltet werden, das im Sommer 1744 den in Böhmen eingedrungenen Preußen in den Rücken gefallen war.
Während eine erste Kolonne seiner Truppen unter dem Befehl seines Schwagers, Ferdinand von Braunschweig, in Leipzig einrückte, stieß eine zweite auf Dresden vor. Eine offizielle preußische Kriegserklärung hatte es nie gegeben, ja es gab nicht einmal einen realen Kriegsgrund. Friedrich konnte weder – wie noch im Falle Schlesiens – zweifelhafte Erbansprüche anmelden, noch hätten sich gegen Sachsens Kurfürst August II. haltbare völkerrechtliche Anschuldigungen finden lassen. Selbst die gewiss nicht zimperliche Fürstenwelt des Ancien Régime empfand das Vorgehen des Philosophen von Sanssouci als einen beispiellosen Rechtsbruch. Doch Friedrich glaubte sich in einer ungeheuren politischen Zwangslage.
Seit sich nur vier Monate zuvor Frankreich in einer Defensivallianz mit Österreich verbunden hatten, fühlte er sich von Gegnern umstellt. Die ausweichenden Antworten Wiens auf seine wiederholten Fragen nach dem Zweck der österreichischen Rüstungen hatten seine Nervosität nur noch gesteigert.11 Wohl entscheidend für Friedrichs Entschluss zum Prävenire war aber, dass er im Juli durch eine gezielte Indiskretion des St. Petersburger Hofes von dem – bald wieder aufgegebenen – Plan der Russen erfahren hatte, selbst mit einem starken Armeekorps in Sachsen einzumarschieren.12
Da nun nach Wochen voller Zweifel und Abwägen der Rubikon überschritten war, fühlte sich der Monarch plötzlich sogar erleichtert. Beobachtern fiel auf, dass der König in den ersten Tagen der Invasion zu jedermann ungewöhnlich freundlich und leutselig war.13 Hohe Standespersonen des Kurfürstentums und Vertreter der Magistrate, die ihm in Dresden ihre Aufwartung machten, wurden alle wohl aufgenommen. Es gab festliche Bankette unter den Augen der Bevölkerung und der Agnostiker Friedrich machte sogar anlässlich eines Kirchenbesuchs den Predigern großzügige Geschenke.14
Zu Kämpfen kam es vorerst auch nicht. Die sächsische Armee hatte sich rechtzeitig in ein durch die Natur geschütztes Lager zwischen Pirna und Königstein zurückgezogen, das durch zusätzliche Verschanzungen nahezu uneinnehmbar gemacht worden war. Ihre elf Infanterie- und sechs Kavallerieregimenter standen unter dem Befehl von Feldmarschall August Friedrich Graf von Rutowski, einem kriegserfahrenen Offizier, der sogar einmal für kurze Zeit unter Friedrichs Vater, dem Soldatenkönig, gedient hatte. Als einer der zahllosen außerehelichen Söhne Augusts des Starken war er ein Halbbruder des regierenden Kurfürsten wie auch der damaligen Feldherrenlegende Moritz von Sachsen. August II. selbst hatte sich mit seinem leitenden Minister, Heinrich Graf von Brühl, in die elbaufwärts liegende Festung Königstein begeben und drängte auf einen baldigen Aufbruch seiner Truppen nach Böhmen. Als ihm Rutowski aber klarmachte, dass dies ohne österreichische Hilfe nicht möglich sei, begnügte er sich mit einem phrasenhaften Appell an seine Truppen, die Ehre ihres Königs zu retten und sich bis auf den letzten Blutstropfen zu verteidigen.15
Friedrichs Inbesitznahme von Sachsen machte ganz Europa fassungslos. Während Maria Theresia ihrem Hof in Tränen über das Schicksal der kurfürstlichen Familie berichtete,16 entrüstete sich der Versailler Hof, dass der preußische König, sein einstmaliger Verbündeter, nunmehr sein wahres Gesicht gezeigt und dieselbe Heimtücke bewiesen habe, mit der auch England seit Jahren gegen Frankreich agiere.17 Ob es ein Kapitel des Machiavelli oder des Antimacchiavelli sei, wisse er nicht, spottete der von dem jungen Friedrich so lange verehrte Philosophenkönig Voltaire am 10. September 1756 in einem Brief aus Genf an seinen Freund Nicolas Claude Thierot.18 Voltaire hatte drei Jahre zuvor den Potsdamer Hof nach der Veröffentlichung einer Schmähschrift über seinen Konkurrenten und Landsmann Pierre Louis Maupertuis in aller Eile verlassen und war wegen eines entwendeten privaten Gedichtsbandes des Königs noch mehrere Tage in der Reichsstadt Frankfurt von preußischen Beamten festgehalten worden. Die Verbindung zwischen dem Philosophen unter den Königen und dem König der Philosophen war auch danach nicht völlig abgebrochen, doch der seither eher sporadisch aufrechterhaltene Briefwechsel war von Sticheleien und Gehässigkeiten durchsetzt.19
Gleich nach seiner Ankunft in Dresden ließ der König die kurfürstlichen Archive nach Beweisen für die Beteiligung Sachsens an der großen kaunitzschen Verschwörung gegen Preußen durchsuchen.20 Wirklich fündig wurde er nicht. Seine Beamten stießen lediglich auf Dokumente, die belegten, dass Graf Brühl in die Geheimverhandlungen des Wiener Hofes mit Russland eingeweiht war. Friedrich ließ sie wenige Tage später in einer langen und umständlichen Erklärung veröffentlichen, die aller Welt seine Friedfertigkeit beweisen sollte und Österreich als den wahren Friedensstörer brandmarkte.21 Der erhoffte Propagandaeffekt im Reich und in Europa blieb weitgehend aus. Allein in Großbritannien fand eine englische Übersetzung der Schrift begeisterte Aufnahme.22
Das fragile Königreich Preußen mit seinen kaum vier Millionen Einwohnern musste sich nun darauf einstellen, gegen eine Allianz aus Österreich, Frankreich, Russland und Schweden zu kämpfen, die zusammen fast eine halbe Million Mann aufbieten konnten. Auch die Reichsstände stellten sich schließlich im Januar 1757 fast geschlossen gegen den Preußenkönig. Für Friedrich besonders schmerzlich war dabei, dass insgesamt auch 60 protestantische Fürsten sich auf die Seite Österreichs schlugen.23 Als Vorkämpfer des protestantischen Nordens gegen den habsburgischen Katholizismus konnte er sich vorerst nicht inszenieren.
Die breite Front gegen Preußen war ein politischer Albtraum und bezeugte zugleich das tragische Scheitern der Diplomatie des Potsdamer Autokraten. Vor allem die Allianz Österreichs mit Frankreich hatte Friedrich vollkommen aus der Fassung gebracht. War doch die jahrhundertalte Erbfeindschaft der Bourbonen gegen Habsburg eine feststehende und nie ernsthaft bezweifelte Größe in seinen politischen Kalkulationen gewesen. Nun ließ Friedrichs Einmarsch in Sachsen die beiden ehemaligen Kontrahenten sogar noch enger zusammenrücken. Im Mai 1757 sollten Frankreich und Österreich im zweiten Versailler Vertrag ihren ursprünglichen Defensivpakt zu einem Offensivbündnis erweitern, in dem sich König Ludwig XV. allerdings nur verpflichtete, mit seiner Armee nach eigenem Ermessen in Deutschland einzugreifen und die Verbündeten mit Subsidien zu unterstützen.24 Dagegen stand auf der preußischen Habenseite allein die vage Hoffnung auf die Hilfe Großbritanniens, das aber schon eine Reihe empfindlicher Schlappen gegen Frankreich hatte einstecken müssen und zudem über kein nennenswertes Feldheer verfügte.
Offenbar hatte Friedrich darauf spekuliert, durch einen präventiven Schlag gegen Sachsen mit einer sich daran anschließenden kräftigen Offensive gegen Österreich die Koalition seiner Gegner wieder auseinanderzubringen. Zusammen mit Sachsen würde Preußen einen festen Block bilden, der, wenn überhaupt, nur unter großen Mühen in einem langen Krieg niedergeworfen werden konnte. Dies könnte manchen Gegner, der bis jetzt auf leichte Beute gehofft hatte, davon abhalten, sich Österreich anzuschließen.
Friedrichs Einmarsch in Sachsen war daher kein Auftakt zu einem Blitzkrieg. Sein Coup sollte eher der politischen Abschreckung dienen. Notfalls aber, so das Kalkül des Königs, ließ sich auch mithilfe des besetzten Kurfürstentums ein längerer Krieg gegen eine große Koalition mit Glück und Geschick durchstehen.
An die Möglichkeit einer raschen Kriegsentscheidung glaubte Friedrich nicht wirklich. Zwar hatte er seinen Generalen wiederholt eingeschärft, dass Preußen einen langen Krieg wegen seiner hoffnungslos exponierten Grenzen nicht führen könne,25 doch als erfahrener Heerführer und Kenner der jüngeren Kriegsgeschichte wusste er auch, dass es im Krieg zwischen Großmächten keine wirklich entscheidenden Siege geben würde. Alle bisherigen Konfrontationen im Zeitalter des Ancien Régime hatten, trotz etlicher spektakulärer Schlachtenerfolge wie etwa die Siege des Prinzen Eugen bei Höchstedt, Turin oder Belgrad, erst nach allseitiger völliger Erschöpfung von Armeen und Staatsfinanzen beendet werden können. In seinem politischen Testament, das Friedrich erst vier Jahre zuvor im Juli 1752 abgeschlossen hatte, war auch gar nicht von einem kurzen Krieg gegen Österreich die Rede. Stattdessen erwog er in dem Kapitel, das er verharmlosend als politische Träumereien betitelte, eine ganze Reihe militärischer Schläge gegen Österreich, die sich auf mehrere Feldzüge und Jahre verteilen sollten. So hoffte Friedrich, zusätzlich zu Sachsen auch noch Böhmen und Mähren besetzen zu können und schließlich durch die Aufwiegelung der Ungarn den Krieg vor die Tore Wiens zu tragen.26 Zu realisieren war der ambitionierte Plan jetzt allerdings nicht mehr, da Frankreich die Seite gewechselt hatte. Solange dies der Fall war, stand Preußen nur noch die strategische Defensive offen.
Die völlige Inanspruchnahme aller sächsischen Ressourcen hatte Friedrich von Beginn an eingeplant und setzte sie auch, trotz aller gegenteiligen öffentlichen Erklärungen und vieler leutseliger Worte gegenüber den verunsicherten Dresdnern mit schonungsloser Härte durch. So befahl der König sofort sämtliche kurfürstlichen Kassen im Land zu konfiszieren und sie in die Festung Torgau zu bringen. Deren Werke hatte er mithilfe zwangsweise verpflichteter Sachsen verbessern und mit Geschützen aus den Dresdner Arsenalen bestücken lassen.27 Auch ließ er eigene Beamte während der fast siebenjährigen Besatzungszeit die landesüblichen Steuern von den Einwohnern einziehen und besserte damit seine Kriegskasse entscheidend auf. Friedrich schreckte schließlich auch vor Geiselnahmen und willkürlichen Inhaftierungen nicht zurück, um die geforderten Summen zu erpressen.28 Am Ende des Krieges hatte Sachsen mit rund 48 Mio. Talern den Löwenanteil zur Finanzierung der preußischen Kriegskosten in Höhe von 139 Mio Talern geleistet. Die britischen Subsidien erbrachten mit 27 Mio. beinahe ebensoviel wie die Gewinne aus der Münzverschlechterung, die eigenen Mittel beliefen sich auf nur auf 17 Mio. Taler.29
Weniger Erfolg hatte Friedrich mit seinem Versuch, einen großen Teil der sächsischen Truppen in seine eigene Armee zu pressen. Von 1000 sächsischen Offizieren wechselten nur 53 die Seite, 468 wählten die preußische Gefangenschaft, während der Rest auf Umwegen nach Polen entkommen konnte. Die einfachen Soldaten, die fast alle aus Sachsen stammten,30 hatten dagegen keine Wahl. Mit neuen Standarten und Uniformen versehen fügte sie Friedrich gleich regimentsweise in seine Armee ein. Doch viele der gepressten Soldaten desertierten in den folgenden Monaten, schlugen sich nach Polen durch oder liefen zu den Österreichern über, die sogar bald eigene Verbände aus Sachsen aufstellen konnten.31 Kaum zwei Monate später befanden sich von den 12 500 gepressten Sachsen nur noch 5000 unter preußischen Fahnen.32
Friedrich ließ sich erstaunlich viel Zeit, ehe er zum ersten Schlag gegen den Hauptfeind Österreich ausholte. Im Vergleich zu dem politischen Fanal, das die völkerrechtswidrige Besetzung Sachsens darstellte, war sein erster Vorstoß nach Böhmen nicht mehr als eine militärische Halbherzigkeit. Zunächst hatte er am 13. September den Generalleutnant Ferdinand von Braunschweig mit 14 Bataillonen und 18 schweren Geschützen bei Peterswald-Nollendorf über die Grenze geschickt.33 Die österreichische Kavallerie zog sich nach kurzem Kampf zurück. Gegen Ende des Monats begab sich der König selbst zu seiner Armee, die inzwischen mit knapp 29.000 Mann unter dem Befehl des Feldmarschalls James Keith beim nordböhmischen Aussig stand. Keith war ein schottischer Emigrant, der zunächst in russische Dienste getreten war, um wenige Jahre später zu den preußischen Fahnen zu wechseln. Friedrich schätzte ihn wegen seiner universellen Bildung und seinem weltmännischen Auftreten sehr. In der Armee war der Schotte jedoch isoliert, auch weil es das Offizierkorps missbilligte, dass er seiner finnischen Mätresse verfallen war.34
Eine machtvolle Offensive ließ sich mit dieser bescheidenen Streitmacht kaum führen. Friedrich schien vorerst auch nur eine bewaffnete Aufklärung im Sinn zu haben, um den Belagerungsring um das sächsische Feldlager weiträumig abzusichern und vielleicht auch zusätzliche Winterquartiere in Böhmen zu gewinnen. Nicht weniger als 32.000 Mann hatte der König vor dem Pirnaer Lager zurückgelassen, um seine Beute nicht entkommen zu lassen.35 Die Hälfte davon hätte gewiss genügt, um die hungernden Sachsen in ihrer Falle zu halten. Auch hatte Friedrich 30.000 Mann in seinen östlichen Provinzen belassen, obwohl längst feststand, dass die russische Mobilisierung im Sommer vollständig gescheitert war und der König sich daher sogar in der Lage fühlte, seinem Onkel Georg II. 10.000 Mann aus Pommern zum Schutz Hannovers anzudienen.36 Nicht weniger üppig bemessen war mit knapp 30.000 Mann das Korps des Grafen Kurt Christoph von Schwerin. Der alte Feldmarschall und Lehrmeister der Preußischen Armee sollte Schlesien gegen einen möglichen Angriff der Österreicher decken, nach Möglichkeit aber auch selbst nach Böhmen vorstoßen.37 Dabei hatte er es mit kaum mehr als 20.000 Gegnern unter dem Kommando des Generals Octavius Graf Piccolomini zu tun.38 Auch wenn die Elbe als Versorgungslinie vorerst noch ausfiel, wäre Friedrich mit einer ohne Mühe zu verdoppelnden Streitmacht jeder Armee, die Österreich vorerst in Böhmen aufzubieten mochte, deutlich überlegen gewesen. Ein kraftvoller Vorstoß auf das kaum verteidigte Prag, wo seine Truppen bequem hätten überwintern können, bot sich den Preußen geradezu an.
Über Stärke und Absichten der Österreicher in Böhmen besaß Friedrich zunächst keine genauen Vorstellungen. Als sich aber in den letzten Septembertagen die Nachrichten verdichteten, dass eine österreichische Armee nur einen Tagesmarsch entfernt an der Elbe bei Lobositz stand, führte der König seine Truppen in einem Gewaltmarsch über den Pass von Paschkopole gegen den Gegner vor.39 Den Österreichern war es tatsächlich noch gelungen, eine beachtliche Streitmacht zusammenzuziehen. Mit 34.000 Mann und 100 Geschützen war sie den Preußen sogar knapp überlegen. Der Wiener Hof hatte nach dem ersten Schrecken über die alarmierenden Nachrichten aus Sachsen rasch reagiert und insgesamt 55.000 Mann in zwei Armeen aufgeboten. Maria Theresia hatte sogar mit Pferden aus ihren privaten Gestüten dazu beigetragen, um das Minimum von 1500 Zugtieren aufzubringen, das erforderlich war, um wenigstens die Mehrzahl der Geschütze aus den Artilleriedepots in Theyn und Wien nach Böhmen zu bringen. Dem unorthodoxen Beispiel ihrer Monarchin schloss sich, derart unter sanften Druck gesetzt, der gesamte Wiener Adel an, sodass die beiden österreichischen Armeen in Böhmen dank aller erdenklichen Improvisationen, darunter auch der Transport von Geschützkugeln durch Postpferde, in einen halbwegs einsatzbereiten Zustand gebracht werden konnten.40
Die zunächst bei Budin an der Eger versammelten kaiserlichen Truppen standen unter dem Befehl von Maximilian Ulysses Browne. Der im Vorjahr zum Feldmarschall beförderte Offizier stammte aus einer irischen Soldatenfamilie, die sich wie viele ihrer Landsleute nach der 1690 gegen Wilhelm von Oranien verlorenen Schlacht von Boyne und der Kapitulation von Limerick im Jahr darauf auf dem Kontinent nach neuen Dienstherren umgesehen hatten. Besonders in Österreich waren katholische Emigranten, die nicht unter den neuen protestantischen Machthabern leben wollten, hochwillkommen. Um die Mitte des Jahrhunderts dienten etwa 30 irische Generale unter den Fahnen Maria Theresias, darunter auch der General und spätere Feldmarschall Franz Moritz Lacy, dessen Vater sich als russischer General im Türkenkrieg von 1736–39 ausgezeichnet hatte.
Ein Memorandum, das 1765 unter den Papieren des verstorbenen Kaisers Franz I. gefunden wurde, sprach von der guten Disziplin, die in der Armee dank der Iren vorherrsche.41 Maximilian Ulysses Browne hatte in sämtlichen Kriegen der Habsburger seit 1734 gefochten und galt inzwischen als einer der fähigsten Befehlshaber der österreichischen Armee. Eine interne Beurteilung des Hofkriegsrates bezeichnete ihn als durchsetzungsstark (voller Valeur) und ehrgeizig. Seine Truppen führe er mit Tapferkeit, aber auch der gebotenen Vorsicht, allerdings besitze er die Neigung, gegen Vorgesetzte zu intrigieren. Die Stellungnahme empfahl Browne schließlich als einen vortrefflichen Offizier, der gerade von seinen Feinden geschätzt und beim gemeinen Mann beliebt sei.42 Gleichwohl schien man in Wien nicht immer auf sein Wort zu hören. Schon Ende Juni hatte Browne auf der Grundlage von Agentenberichten den Hofkriegsrat vor einem preußischen Einmarsch in Sachsen gewarnt, aber damit kaum Gehör gefunden. Nach dem preußischen Überfall auf Sachsen hatte Staatsminister Graf Kaunitz dem Feldmarschall den Auftrag erteilt, so bald wie möglich mit starken Kräften rechts der Elbe nach Norden vorzustoßen und die Verbindung zu der eingeschlossenen sächsischen Armee herzustellen.
Weshalb Friedrich weit entfernt von seiner Basis mit einer viel zu kleinen Armee überhaupt eine Schlacht riskierte, lässt sich nicht wirklich überzeugend begründen. Offenbar rechnete er nur mit einer Nachhut der Österreicher und glaubte, dass die Masse des Gegners schon auf dem rechten Elbufer stand.43 Selbst dann aber ergab ein Kampf bei Lobositz keinen Sinn, wenn er doch Browne damit nur die Zeit verschaffte, mit dem Großteil seiner Armee auf Pirna vorzustoßen. Wie immer man auch Friedrichs ersten Vorstoß nach Böhmen sehen will, ein überzeugendes Konzept steckte nicht dahinter. Wollte er den Österreichern einen militärischen Schlag versetzen, ja vielleicht sogar Prag erobern, hätte er mit einer deutlich größeren Armee auf Lobositz vorrücken müssen. Ging es ihm jedoch nur um die Abschirmung der Pirnaer Belagerung, wäre ein preußisches Observationskorps an der böhmischen Grenze völlig ausreichend gewesen. Doch Friedrich wollte sich jetzt die Gelegenheit zum Schlagen nicht mehr nehmen lassen. Irgendeinen Vorteil, auch wenn er nur propagandistischer Natur wäre, würde ihm ein Sieg über Brownes Armee schon bringen.
Erwartungsvoll führte er, von Westen kommend, seine Armee am frühen Morgen über das Dorf Bilinka gegen Lobositz hinunter. Unmittelbar hinter dem kleinen Städtchen vollzog die Elbe eine scharfe Wende nach Norden. Zwei Kuppen beherrschten das zum Strom abfallende Gelände, das der Morellenbach mit seinen feuchten Uferwiesen und Teichen teilte. Friedrich ließ sogleich auf der südlichen Kuppe, dem sogenannten Homolka-Berg, eine Batterie mit zehn Geschützen in Stellung gehen. Davor exponierte er recht voreilig die Masse seiner Infanterie.
An der Nordflanke der Preußen erhob sich der 570 Meter hohe Lobosch, der den Homolka-Berg deutlich überragte. In seinen Weinterrassen hatten sich etwa 2000 Kroaten verschanzt, eine leichte Truppe, die sich aus den vier Bezirken der österreichischen Militärgrenze rekrutierte. Auch nach den einschneidenden Reformen des Feldmarschalls Joseph Friedrich von Sachsen-Hildburghausen hatten sie ihre traditionell aufgelockerte Kampfweise beibehalten. Durch einen Erlass der Kaiserin aus dem Jahre 1755 waren ihre insgesamt neun Regimenter sogar den Linienregimentern der Armee gleichgestellt worden. Tatsächlich waren die insgesamt 20.000 Kroaten auf österreichischer Seite eine heimliche Elite der Armee, die sich während des Siebenjährigen Krieges an allen Brennpunkten bewähren sollte.44 Zu ihrer Unterstützung hatte Browne einige Infanteriebataillone von seinem rechten Flügel vorgesehen, der sich nördlich von Lobositz formiert hatte. Für die Preußen verbargen sich diese Einzelheiten aber noch hinter dichtem Nebel.
Das gegen 7 Uhr einsetzende Gefecht war neben der Erstürmung Menorcas durch die Franzosen im Mai 1756 das erste größere Kräftemessen in dem später als Siebenjähriger Krieg bezeichneten Konflikt. Es lief in drei Phasen ab.
Während die Preußen unter dem Befehl des Generals Ferdinand von Braunschweig zunächst versuchten, die unteren Hänge des Lobosch-Berges im Norden zu besetzen, nahmen die Österreicher mit einer schweren Batterie vom westlichen Ortsrand von Lobositz die preußische Infanterie unterhalb des Homolka-Berges unter Beschuss.45 Für Friedrichs Musketiere begann eine lange Leidenszeit, denn sie mussten, ohne selbst etwas unternehmen zu können, über Stunden bewegungslos im feindlichen Feuer ausharren. Der aus der Schweiz stammende Ulrich Bräker war erst im Vorjahr bei Schaffhausen in die Fänge preußischer Werber geraten und hat die Schlacht in den Reihen des Regiments Itzenplitz mitgemacht. Später nahm er auch an der Erstürmung des Lobosch teil und nutzte schließlich das Hin und Her in den Weinbergen zur Desertion.
Die preußische Artillerie auf dem Homolka-Berg mühte sich nach Kräften, das gegnerische Feuer zu erwidern, und beschoss vor allem die gegnerische Reiterei, die südlich von Lobositz das österreichische Zentrum bildete. Etwa gegen 10 Uhr glaubte der König, diesen Feind hinreichend geschwächt zu haben, und befahl einen Angriff seiner Kavallerie. Aus seiner prekären Position in vorderster Linie konnte Bräker auch dieses Schauspiel hautnah mitverfolgen:
»Nun rückte auch unsere Kavallerie an; wir machten Lücke und ließen sie vor, auf die feindliche losgaloppieren. Das war ein Gehagel, das knarrte und blinkerte, als sie nun einhieben! Allein kaum währte es eine Viertelstunde, so kam unsere Reiterei, von der österreichischen geschlagen und bis nahe unter unsere Kanonen verfolgt, zurück. Da hätte man das Spektakel sehen sollen: Pferde, die ihren Mann im Stegreif hängend, andere, die ihr Gedärm der Erde nach schleppten.«46
Die österreichische Reiterei hatte sich rasch wieder formiert und griff nun ihrerseits die etwa 16 preußischen Eskadronen von allen Seiten an. Nur mit Mühe konnten sie sich wieder zu den eigenen Linien durchschlagen. Friedrich reagierte auf das Durcheinander, indem er ein weiteres Kavallerieregiment zur Unterstützung einsetzte. Da sich nun aber spontan auch die übrigen 43 preußischen Eskadronen dem Gegenangriff anschlossen, entwickelte sich, ohne dass der König dies wirklich so gewollt hatte, eine zweite und noch heftigere Attacke. Erneut wich der Gegner geschickt aus und lockte die Preußen vor die eigene Artillerie, die am südlichen Ortsrand von Lobositz postiert war. Ihrem Feuer hielten die Angreifer nicht lange stand. Der Rückzug der dezimierten preußischen Reiterei artete teilweise in eine Panik aus. Drei österreichische Kürassierregimenter waren ihnen erneut dicht auf den Fersen und trieben sie hinter die preußische Infanterie zurück. Der König machte jetzt zum ersten Mal die unangenehme Erfahrung, dass die Österreicher seit den Schlachten von Soor und Hohenfriedberg (1745) erhebliche Fortschritte in Führung, Bewaffnung und Disziplin erzielt hatten.47 Da nun seine Kavallerie nicht mehr einsatzfähig war und auch der Angriff auf den Lobosch nicht richtig vorankam, befahl Friedrich dem Feldmarschall Keith, den Rückzug einzuleiten. Der Monarch, der bald darauf das Schlachtfeld verließ, fühlte sich bestärkt in seinem Entschluss, als sich gegen Mittag endlich der Nebel gelichtet hatte und den Blick auf die Masse der österreichischen Infanterie freigab. Hinter dem Morellenbach in zwei Treffen aufgestellt, hatte sie sich bisher noch gar nicht an der Schlacht beteiligt und konnte den angeschlagenen Preußen, wenn sie es darauf angelegt hätten, ernste Probleme bereiten.
Da Browne diese Gelegenheit jedoch nicht nutzen wollte, konnte Keith aus der misslichen Lage noch das Beste machen. Gegen Mittag hatte die preußische Infanterie endlich die bis dahin hart umkämpften unteren Hänge des Lobosch besetzt und drang nun gegen den linken Flügel des Gegners vor. Die Österreicher wichen allmählich auf Lobositz aus, das aber unhaltbar geworden war, nachdem preußische Mörser das Städtchen in Brand geschossen hatten. Gegen 15 Uhr drangen preußische Grenadiere mit aufgepflanztem Bajonett – die Munition war inzwischen verschossen – in Lobositz ein und machten mehrere Hundert Gefangene.
Der Rest der österreichischen Armee zog sich in guter Ordnung auf ihr Hauptlager bei Budin an der Eger zurück.48 Browne hatte nicht seine gesamte Armee in einen Kampf verwickeln wollen, der ihn von seinem eigentlichen Auftrag abgehalten hätte. Beide Armeen verloren bei Lobositz je ein Zehntel ihrer Soldaten. Da die Preußen aber das Schlachtfeld in Besitz genommen und der Gegner sich nach langem Kampf zurückgezogen hatte, fühlten sie sich als Sieger und verbreiteten zum Verdruss der Österreicher ihre Version der Dinge in etlichen Flugschriften und Zeitungsmeldungen. Graf Kaunitz sah sich daher gezwungen, im Wienerischen Diarium eine Gegendarstellung zu veröffentlichen, nach der Lobositz eine unentschiedene Schlacht gegen weit überlegene Preußen gewesen sei.49
Der kostspielige Erfolg nutzte Friedrich allerdings wenig, denn seine Armee war vorerst nicht mehr einsatzfähig. Browne dagegen war immer noch in der Lage, am 11. Oktober ein schnelles Korps von 8800 ausgesuchten Leuten mit 20 Geschützen rechts der Elbe zur sächsischen Grenze vorrücken zu lassen. Zwei Tage später hatten sich die Österreicher unter Zurücklassung ihres schweren Gepäcks bis auf etwa zehn Kilometer zu den eingeschlossenen Sachsen durchgekämpft. Doch deren nächtlicher Uferwechsel bei Thürmsdorf hatte sich, da nur eine einzige Kriegsbrücke über die Elbe zur Verfügung stand, stark verzögert.50 Erst am Nachmittag des 13. Oktober stand die gesamte sächsische Armee auf dem Plateau des Lilienstein. Der schwierige Abstieg ins Elbtal und der anschließende Anstieg auf das Plateau bei strömendem Regen hatte allerdings die hungernde Truppe so erschöpft, dass ohne österreichische Unterstützung an einen Angriff gegen die preußischen Einschließungstruppen nicht zu denken war. Von all dem hatte Browne, der sich selbst an die Spitze des österreichischen Entsatzkorps gesetzt hatte, nur unvollständige Kenntnis. Immerhin verharrte er auf Bitten Brühls weiter in seiner Position bei Altendorf, von wo aus er den Königstein sehen konnte. Doch als gegen Nachmittag des 14. Oktober immer noch kein Gefechtslärm zu vernehmen war und etliche Deserteure entmutigende Nachrichten über den Zustand der sächsischen Armee brachten, befahl Browne den Rückmarsch nach Böhmen.51
Graf Rutowski blieb keine andere Wahl, als mit den Preußen am 14. Oktober einen Waffenstillstand abzuschließen. Selbst ein Durchschlagen zu den Österreichern hätte seine Armee nicht mehr retten können. Von den Preußen scharf verfolgt, wäre sie auf dem langen Marsch nach Böhmen wohl auseinandergefallen.
Nur drei Tage nach dem Waffenstillstand folgte die Kapitulation der gesamten sächsischen Armee. Kurfürst Friedrich August II. erhielt freies Geleit in sein Wahlkönigreich Polen, wo er für die Dauer des Krieges verbleiben sollte. Für Rutowski war es die zweite Niederlage gegen die Preußen. Schon bei Kesseldorf hatte er am 15. Dezember 1745 als Befehlshaber einer österreichisch-sächsischen Armee gegen eine preußische Streitmacht unter dem Befehl Leopolds von Anhalt-Dessau, des »Alten Dessauers«, eine empfindliche Niederlage hinnehmen müssen. Mit der Kapitulation seiner Armee, an der er wegen der Unterlassung eines zweiten Brückenschlags eine Mitschuld trug, war seine militärische Karriere endgültig beendet.
»Prospect der Bataille bey Lowosiz« Kupferstich aus:
R. Simeon Ben Jochai, Die Historie des Kriegs zwischen den
Preußen u. den Österreichern (…), 1758.
Mit dem Verlauf seines ersten Feldzuges konnte Friedrich nicht wirklich zufrieden sein. Zwar hatte er ganz Sachsen in seine Hand gebracht und die sächsische Armee ausgeschaltet. Es war ihm jedoch nicht gelungen, gegen die Österreicher in Böhmen eine entscheidende Überlegenheit aufzubauen und ihnen einen empfindlichen Schlag zu versetzen, noch ehe Maria Theresias Armee im kommenden Jahr ihre volle Stärke erreicht haben würde. Auch musste der preußische König sich eingestehen, dass er als oberster Kriegsherr in der Schlacht bei Lobositz keineswegs überzeugt hatte. Erst nachdem er das Kampffeld wie schon bei Mollwitz (1741) verlassen hatte, war es noch zu einer Wende gekommen. Gegenüber den vorangegangenen Auseinandersetzungen hatte sich der Gegner in Ausbildung und Taktik deutlich verbessert. Seine Artillerie war der preußischen durchaus gewachsen und die österreichische Reiterei sogar weit überlegen.
Ein schneller Erfolg gegen die kaiserlichen Truppen war daher kaum zu erwarten.
Mit seinem Einmarsch in Sachsen und in Böhmen hatte Friedrich II., so schien es, seinem neuen Gegner Frankreich einen größeren Dienst erwiesen, als er es als vormaliger Verbündeter Versailles jemals hätte tun können. Gemäß dem Österreichisch-französischen Vertrag vom 1. Mai 1756 war durch das preußische Prävenire früher als erwartet der Bündnisfall eingetreten und damit rückte für Frankreich die hannoverische Option in greifbare Nähe. Voller Emotionen über das traurige Schicksal des sächsischen Herrscherhauses, aus dem immerhin die Gattin des Dauphin stammte, war der Versailler Hof zunächst durchaus entschlossen, seinen Bündnisverpflichtungen gegenüber Wien nachzukommen und rasch militärische Maßnahmen gegen Preußen zu ergreifen. Staatskanzler Kaunitz war durch die ersten Meldungen von Starhemberg aus Versailles geradezu euphorisiert und ließ unverzüglich die erforderlichen Requisitionsschreiben an die von einem französischen Durchmarsch betroffenen deutschen Höfe abgehen.52 Doch schon nach wenigen Tagen kippte die Stimmung am französischen Hof und das nüchterne Abwägen setzte ein. Die Anfrage des Grafen Starhemberg nach der Verfügbarkeit des vertraglich zugesagten Hilfskorps in Stärke von 24.000 Mann beantwortete Außenminister Rouillé plötzlich ausweichend.53 Kaunitz musste seinen Optimismus, dass noch im Winter ein französisches Korps in Sachsen erscheinen könnte, bald wieder begraben. In unmissverständlichem Ton ließ er durch Starhemberg den Franzosen seine Enttäuschung übermitteln. Doch moralische Appelle bewirkten in Versailles wenig.54
In einem Memorandum, das der Abbé Bernis dem österreichischen Gesandten am 3. Oktober übergab, begründete man die Verzögerungen hauptsächlich mit logistischen Problemen und einem Mangel an Truppen, da man ja auch seine Küsten gegen Großbritannien schützen müsse. 55
Tatsächlich aber fürchtete die Versailler Ministerrunde, dass Frankreich über eine nach Böhmen entsandte Armee keinerlei Kontrolle mehr hätte und damit gegenüber Österreich auf die Rolle eines zweitrangigen Alliierten beschränkt bleiben würde. Auch hatte man Sorge, für seine Hilfe am Ende keine zählbare Gegenleistung zu erhalten.56
Nach einer Kette beachtlicher und unerwarteter Erfolge gegen seinen britischen Erzrivalen stand Versailles im Herbst 1756 vor einer grundsätzlichen Entscheidung. Entweder kämpfte man mit seinen Hauptkräften in einem vermutlich langwierigen Krieg gegen Großbritannien in Übersee und beschränkte sich in Europa auf die vertragsgemäß festgelegte untergeordnete Rolle im Dienste Wiens. Oder Frankreich stellte selbst eine große kontinentale Armee ins Feld, die zwar auch Preußens Territorien im Westen des Reiches angreifen sollte, in erster Linie aber den Auftrag hatte, Hannover als strategisches Faustpfand zu besetzen. Im Falle eines Erfolges, den nach der bisherigen Kette von Siegen kaum ein Minister im Haute Conseil bezweifelte, wäre der Krieg gegen Großbritannien rasch beendet.57
Zu den Gegnern der kontinentalen Alternative zählte vor allem die Marquise de Pompadour. Sie hasste den König von Preußen von ganzem Herzen und unternahm daher alles, um seinen österreichischen Feinden zu helfen.58 Naturgemäß sahen auch Marineminister Jean Baptiste Machault d’Arnouville und Finanzminister François Marie Peyrenc de Moras die gegen Hannover gerichteten Pläne kritisch. Das ungleiche Trio, einander sonst spinnefeind, konnte sich jedoch nicht gegen den alten Marschall Belle-Isle und Kriegsminister d’Argenson durchsetzen. Beide erhofften sich überdies einen Machtzuwachs bei Hofe, wenn das Heer anstelle der Marine im kommenden Krieg die Hauptrolle spielte, und argumentierten, dass ein Feldzug gegen das schutzlose Hannover nur wenige Wochen beanspruchen würde.59
Inzwischen war in Versailles die Euphorie über die Einnahme Menorcas verflogen. Der Besitz der Insel, für den Frankreich beträchtliche Risiken eingegangen war, erwies sich mehr und mehr als wertlos. London zeigte keinerlei Verhandlungsbereitschaft und auch Spanien war der Kriegseintritt gegen Großbritannien als Preis für die Rückgabe Menorcas zu hoch. Gelänge es jedoch der französischen Armee, sich des von König Georg II. in Personalunion regierten Kurfürstentums Hannover zu bemächtigen, so könnte dieser Erfolg selbst eine von William Pitt geführte Regierung nicht kaltlassen.60 Ein derartiger Coup versprach sogar den Krieg gegen Großbritannien mit einem Schlag zu beenden und Frankreich vielleicht im Besitz aller bisher in den Kolonien errungenen Vorteile zu belassen.
Kaunitz und Starhemberg waren mit derartigen Gedankenspielen am Versailler Hof durchaus vertraut und taten daher alles, um Frankreichs Krieg mit Großbritannien auf den transatlantischen Kampfplatz zu beschränken. Beide Diplomaten waren sich einig, dass ein Angriff des mit Österreich verbündeten Frankreichs auf neutrales Reichsgebiet das Kaiserhaus vor allem in den Augen der protestantischen Reichsfürsten desavouieren musste. Kaunitz beschwor sogar die Gefahr eines neuen Religionskrieges im Reich, der nicht nur den Kriegszielen Wiens, sondern auch denen Frankreichs schaden würde.61 Auf die nicht unberechtigten Einwände Wiens ging man in Versailles nur zum Schein ein. So erklärte im Oktober Marschall Belle-Isle nach einer Beratung im Haute Conseil, dass man durchaus bereit sei, die Neutralität des norddeutschen Kurfürstentums zu respektieren, forderte aber, dass König Georg den französischen Truppen freien Durchmarsch gegen die preußische Festung Magdeburg gewähren müsse. Der Franzose durfte dabei absolut sicher sein, dass sich der britische Monarch niemals darauf einlassen konnte, der durchziehenden Armee des ärgsten Feindes seines Königreichs auch noch die Verpflegung zu stellen und für gute Marschstraßen zu sorgen.62
Fraglos hatte der Bourbonenstaat im politischen Tauziehen mit Wien die besseren Karten. Außer in düsteren Farben die Nachteile und Risiken eines französischen Angriffs auf Hannover zu beschwören, besaßen Kaunitz und Starhemberg kaum eine Handhabe, Belle-Isle und d’Argenson von ihrem Projekt abzubringen. Ein Sonderbotschafter aus Versailles zerstörte auch die letzten Hoffnungen Wiens, dass Frankreich wenigstens im kommenden Jahr ein Hilfskorps nach Böhmen schicken würde.
Am 10. November 1757 traf General Louis Charles de Tellier, der Graf von Louvois und spätere Herzog von Estrées, in der Donaumetropole ein, um mit Kaunitz und der Kaiserin die zukünftige Kriegsplanung zu erörtern. Der Neffe des ehemaligen Kriegsministers Louvois hatte sich im letzten Krieg unter dem Marschall von Sachsen gegen die vereinigten österreichisch-britischen Streitkräfte ausgezeichnet und war als Oberbefehlshaber der französischen Truppen im Reich vorgesehen. Nach den Worten Starhembergs galt er in Frankreich als erster Militär des Landes. Er stehe im Ruf, sehr durchsetzungsstark zu sein, aber in Wirklichkeit, so habe ihm die Pompadour versichert, gehe von ihm keine Gefahr aus.63 Gegenüber Kaunitz ließ Tellier keinen Zweifel daran, dass Frankreich seinen eigenen Krieg im Reich zu führen beabsichtigte. Ein umfängliches Memorandum, das er dem entsetzten Österreicher am 16. November überreichte, machte dies völlig klar. Danach wollte Frankreich jetzt nicht weniger als 85.000 Mann an eigenen Truppen ins Feld stellen, die von weiteren 18.000 aus den Reichskreisen stammenden Truppen im französischen Sold unterstützt werden sollten. Dieses beachtliche Heer unter dem Befehl Telliers hätte die Aufgabe, Belgien vor einer britischen Landung zu schützen, die preußischen Exklaven am Rhein zu besetzen und den Landgrafen von Hessen-Kassel aus seiner Allianz mit Großbritannien zu zwingen. Hannover und insbesondere die Festung Hameln sollten besetzt werden. War dies erst gelungen, sollte Telliers Armee weiter über die Weser auf die Elbe vorstoßen und die preußische Festung Magdeburg angreifen. Telliers Aufforderung, seine Operationen auch noch mit einem österreichischen Korps zu unterstützen, musste Kaunitz als blanken Hohn empfinden. Von der Entsendung eines französischen Hilfskorps nach Sachsen oder Böhmen war dagegen nirgendwo mehr die Rede.64 Spätestens jetzt dürfte es der Kaiserin und ihrem Kanzler klar geworden sein, wie dünn die gemeinsame Basis mit dem neuen Alliierten war. Die Wiener Diplomatie war ausmanövriert. Frankreich würde mit Einverständnis Österreichs seinen eigenen Krieg gegen einen neutralen Reichsfürsten führen oder das Bündnis auflösen. Daran aber war aus österreichischer Sicht nicht zu denken.
Kaunitz war über Frankreichs kaum kaschierte Erpressung entsetzt und verbarg es auch nicht. Eine Offensive gegen Hannover habe für das Kaiserhaus keinerlei Wert, erklärte er dem französischen Sondergesandten und beschwor voller Verzweiflung noch einmal sämtliche Gefahren, die aus diesem Kriegsplan resultierten.65 Frankreich dürfe keineswegs mit einem kurzen Feldzug rechnen. Hannover, Hessen und Braunschweig könnten leicht eine Armee von 50.000 Mann aufbieten, auch ein Eingreifen Dänemarks müsse ins Kalkül gezogen werden.66 Tatsächlich aber konnte es jetzt nur noch um Schadensbegrenzung gehen. Kaunitz stellte daher alle grundsätzlichen Bedenken gegen eine französische Offensive im Reich zurück und legte einen Gegenplan vor, der auf zwei französischen Kräftegruppierungen zu je 40.000 Mann beruhte. Das erste Korps sollte eine Position am Niederrhein einnehmen und die nördliche Flanke decken, während das zweite, verstärkt durch 10.000 Mann Reichstruppen, im Februar des kommenden Jahres über die Oberpfalz und das Vogtland nach Sachsen vorstoßen würde, um sich dort mit den aus Böhmen kommenden Österreichern zu vereinigen.67 Kaunitz’ Alternative war mit heißer Nadel gestrickt und verriet wenig Verständnis für die französischen Kerninteressen. Versailles lehnte ihn aus Höflichkeit nicht von vornherein ab, wies aber sogleich auf die Schwierigkeiten in den Details hin und beharrte schlussendlich auf seinen ursprünglichen Absichten.
Zuletzt versuchte Kaunitz den Franzosen zu bewegen, den Angriff auf Hannover wenigstens so lange zurückzustellen, bis Preußen niedergeworfen sei. Nach wochenlangem Tauziehen musste Kaunitz auch in diesem Punkt nachgeben. Das Kaiserhaus, das weder mit Großbritannien noch mit Hannover verfeindet war, erhob keine Einwände mehr gegen Frankreichs Angriff auf einen neutralen Reichsstand. Wien versuchte sein Einknicken damit zu entschuldigen, dass das britische Parlament inzwischen beschlossen hatte, den Gegner Preußen mit Subsidien zu unterstützen.68 Im Gegenzug zeigte sich Versailles großmütig und konzedierte den Österreichern wenigstens ein kleines Hilfskorps aus württembergischen und bayerischen Truppen, das durch französische Subsidien finanziert werden sollte.69 Die vorgesehenen 10.000 Mann waren allerdings ein überaus dürftiger Ersatz für das ursprünglich zugesagte französische Hilfskorps. Als Tellier Anfang März 1757 nach vier harten Verhandlungsmonaten aus Wien abreiste, sammelte sich seine Armee bereits bei Düsseldorf. Schon im Februar 1757 hatte ihn der König, der mit dem Verlauf seiner Wiener Mission hochzufrieden war, zum Marschall von Frankreich befördert.
Im Winter 1756/57 gab es für Friedrich Anlass genug, den verpassten Gelegenheiten des vergangenen Herbstes nachzutrauern. Zunächst hatten seine Truppen nur wenige Wochen nach der Schlacht von Lobositz ihre so hart erkämpften Quartiere in Nordböhmen wieder räumen müssen. Dann zerschlugen sich im Dezember auch sämtliche Hoffnungen des Königs, die Russen aus dem kommenden Krieg heraushalten zu können. Im Dezember 1756 erhielt Friedrich nach anfänglich noch ermutigenden Berichten durch den britischen Botschafter in St. Petersburg, Sir Charles Hanbury Williams, die ernüchternde Gewissheit, dass sein üppig bemessenes Bestechungsgeld für Graf Alexej P. Bestuschew keine Annahme gefunden hatte. Der leitende Minister am Hof der Zarin hatte mit Friedrich in all den Wochen des Bangens und Hoffens ein doppeltes Spiel betrieben und niemals ernsthaft an eine Vermittlung gedacht. Am 11. Januar 1757 war Russland schließlich dem Vertrag von Versailles beigetreten und damit auch formal zum Alliierten Frankreichs geworden. Nur drei Wochen später verpflichtete sich das Zarenreich sogar in der Petersburger Konvention gegenüber Österreich, so schnell wie möglich mit einer Armee von 80.000 Mann preußisches Territorium anzugreifen und so lange die Waffen nicht niederzulegen, bis Maria Theresia wieder in den Besitz von Schlesien und der Grafschaft Glatz gelangt sei.70
Er komme sich vor, gestand Friedrich wenige Wochen später in einem Brief an seine Schwester Wilhelmine, die Markgräfin von Bayreuth, wie ein gejagtes Wild, auf das eine Meute von Königen und Fürsten Jagd mache, die dazu noch alle Freunde einluden, um der Hetzjagd beizuwohnen. Was ihn jedoch betreffe, so fügte er trotzig hinzu, werde er das Spiel nicht abwarten, sondern selbst die Jagd auf sie eröffnen.71
Eile war nun geboten, wenn Friedrich den Österreichern tatsächlich noch den schweren Schlag versetzen wollte, den er im Herbst zuvor versäumt hatte. Inzwischen hatte sich allerdings die Zahl der österreichischen Truppen in Böhmen auf 110.000 Mann verdoppelt. Dagegen besaßen die Preußen mit 116.000 Soldaten nur eine leichte Überlegenheit, die allein dadurch zustande gekommen war, dass jedes Regiment der Infanterie im Winter zusätzlich 300 Rekruten eingezogen hatte und ein zunächst noch gegen die Russen bestimmtes Armeekorps von 10.000 Mann aus Pommern herangezogen worden war.72
Friedrichs erneuter Vorstoß nach Böhmen musste also weitaus kühner und entschlossener als im Vorjahr angelegt sein. Nachdem der König den Feldzugsplan mit seinen militärischen Vertrauten, dem General Hans Karl von Winterfeldt und Feldmarschall Kurt Christoph von Schwerin, wochenlang erörtert hatte, ließ er am 18. April seine Armee in vier getrennten Kolonnen in Böhmen einrücken. Der König selbst hatte den ursprünglichen Plan der beiden hohen Offiziere, lediglich die großen österreichischen Depots in Pardubitz und Jung-Bunzlau in Besitz zu nehmen, zu einem konzentrischen Marsch von vier Heeressäulen auf Prag erweitert.73 Dem Risiko, einzeln geschlagen zu werden, stand dabei der Vorteil gegenüber, dass der Gegner nicht sofort erkennen konnte, worauf sich die preußische Offensive wirklich richtete.
Als Zielpunkt hatte Friedrich die Stadt Prag bestimmt, wo er auch die österreichische Hauptarmee zu einer großen Schlacht zu stellen hoffte. An eine Entscheidung dachte er dabei nicht, wohl aber an einen Schlag, der die Österreicher vorerst nachhaltig schwächte. Das hätte ihm die Möglichkeit verschafft, sich noch im Sommer gegen Franzosen oder Russen zu wenden, je nachdem, welcher Gegner sich früher bemerkbar machte.
Der König selbst führte die stärkste Kolonne und rückte mit seinen 40.000 Mann auf dem schon im Vorjahr benutzten Weg links der Elbe über das alte Schlachtfeld von Lobositz auf die Eger zu. Dort sollte sie sich mit der Kolonne des Prinzen Moritz von Anhalt-Dessau vereinigen. Der jüngste Sohn des 1747 verstorbenen Alten Dessauers, dessen Erziehung von seinem Vater bewusst vernachlässigt worden war, rückte mit seinem 19.000 Mann starken Korps von Zwickau auf einer Route nördlich der Eger nach Aussig vor.
Eine dritte Kolonne unter dem Befehl August Wilhelms, des Herzogs von Braunschweig-Bevern, stieß von Zittau in der Lausitz gegen das nordböhmische Reichenberg vor, während der schon 73-jährige Graf Schwerin wie im Vorjahr mit einem Armeekorps von 34.000 Mann aus Schlesien über die Pässe von Trautenau und Braunau auf Königinhof an der oberen Elbe vorrückte. Beide Gruppierungen sollten den vor ihnen stehenden Gegner schlagen und sich zwischen Münchengrätz und Jung-Bunzlau vereinigen, um von dort aus gemeinsam auf Prag zu marschieren.74
In Wien war man nach dem Eintreffen der ersten Meldungen aus Böhmen völlig überrascht. Erstaunlicherweise hatte niemand mit einer derart kühnen und umfassenden preußischen Offensive gerechnet, und schon gar nicht mit einem so frühen Beginn, da noch tiefer Schnee die Passage über die Bergpässe fast unmöglich machte. Graf Kaunitz war sogar der Ansicht, dass die Preußen vorerst in der Defensive verharren würden, um einen Kampf auf der inneren Linie zu führen. Noch im Winter waren die Österreicher entschlossen gewesen, das Kriegsjahr mit einer eigenen Offensive zu beginnen. Doch im Verlauf des Frühjahrs hatte man sich, da keine Einigung über das Angriffsziel zustande kam, allmählich von diesem Gedanken verabschiedet und wartete lieber ab, was die verbündeten Russen und Franzosen unternahmen.75 Auch Feldmarschall Browne, der Ende März von Wien nach Prag gereist war, um das Kommando über seine alten Truppen zu übernehmen, war noch wenige Tage vor Beginn der preußischen Offensive wie Kaunitz überzeugt, dass der Gegner in der Defensive verharren würde.76 Trotz seiner so hoch gepriesenen Erfolge im Vorjahr hatte der inzwischen an Tuberkulose erkrankte Feldherr eine bittere Pille schlucken müssen. Der Oberbefehl über die gesamte Armee in Böhmen war an Erzherzog Karl von Lothringen, den jüngeren Bruder des Kaisers, gegangen. Browne hatte sich dieser umstrittenen Entscheidung des Hofes jedoch gebeugt und zeigte sich entschlossen, dem Kaiserhaus auch als Zweiter im Kommando loyal zu dienen. Die Auszeichnung mit dem Goldenen Vließ, des höchsten Ordens Habsburgs, war allerdings nur ein schwacher Ersatz für die als ungerechtfertigt empfundene Zurücksetzung.
In Prag eingetroffen, fand Browne bereits eine Unzahl von Meldungen über auffällige Marschbewegungen der Preußen vor, tat sie aber reichlich sorglos als leicht durchschaubare Finten ab. Es sei unglaublich, schrieb er noch am 20. April an Prinz Karl von Lothringen, wie der König von Preußen seine Truppen durch Märsche und Rückmärsche, die vorläufig völlig zwecklos sind, überanstrengt.77 Von den militärischen Qualitäten seines Gegners hatte Browne ohnehin nur eine geringe Meinung. Friedrich sei ein Fürst, dessen Handlungen mehr der Laune als einem bestimmten System folgen, schrieb er im April an den immer noch in Wien weilenden Erzherzog Karl. Der König möge große Vorzüge besitzen, doch ein großer Feldherr sei er nicht. Er wage sogar zu behaupten, so Browne unter Anspielung auf die Ereignisse des Vorjahres, dass, wenn Friedrich über eine Armee von 40.000 Mann verfügte und er selbst verlässliche 8000 Mann besäße, er doch stets einen Marsch vor ihm sein könne, ohne von ihm behelligt zu werden.78 Dass nicht nur der Wiener Hof seine Leistungen im Vorjahr gelobt, sondern auch Versailles in ihm einen neuen Mars sah, war wohl dem Feldmarschall etwas zu Kopfe gestiegen. In der Eröffnungsphase des Feldzugs von 1757 war ihm jedenfalls der alte Gegner von Lobositz stets einen Tag voraus.
Wie so viele österreichische Generale hatte sich Browne in Friedrichs Absichten gründlich getäuscht. In einem Brief an den Kaiser beklagte er sich über das Ausbleiben verlässlicher Nachrichten, für die Browne den mangelnden Patriotismus und die Habgier der Bevölkerung in Nordböhmen verantwortlich machte.79 Noch im Februar war er im Kriegsrat in Wien dafür eingetreten, die Armee in vier Gruppen entlang der böhmischen Grenze aufmarschieren zu lassen, um auf alle Eventualitäten eingestellt zu sein.80 Es war eine militärische Halbherzigkeit, die ihn und seine Armee noch teuer zu stehen kommen sollte.
So standen Mitte April die österreichischen Truppen zwar gut versorgt, doch weit verstreut entlang der böhmischen Grenze, wo sie von den preußischen Kolonnen rasch zurückgeschlagen wurden. Der alte Feldmarschall Joseph Graf von Königsegg musste nach einem unglücklichen ersten Gefecht seine günstigen Stellungen bei Reichenberg räumen, obwohl ihm die Preußen numerisch deutlich unterlegen waren. Der Befehlshaber des äußersten rechten Flügels der Österreicher, General Johann von Serbelloni, ging sogar, obwohl ihn weit und breit kein Feind behelligte, auf die Festung Königgrätz zurück. Ohne also auf ernsthaften Widerstand zu stoßen, konnten Schwerin und der Herzog von Braunschweig-Bevern ihre Kolonnen am 25. April bei Jung-Bunzlau an der Iser vereinigen und gemeinsam zur Elbe vorstoßen. Am selben Tag hatte auch Friedrich die Vereinigung mit dem Korps des Prinzen von Anhalt-Dessau bewerkstelligt und war bei Koschtitz ungehindert von den Österreichern auf einer Kriegsbrücke über die Eger gegangen. Browne sah sich plötzlich in Front und Rücken von zwei preußischen Armeen bedroht, von denen jede für sich allein so stark wie seine eigene Streitmacht war. Er tobte über das Verhalten von Serbelloni, der durch sein kampfloses Zurückweichen erst Schwerins Korps den Weg zur Iser frei gemacht hatte. Zu Brownes Verdruss zeigte er jetzt auch keinerlei Eile, sich mit seinen 27.000 Mann dem Korps des Grafen von Königsegg anzuschließen, um gemeinsam die vereinten Preußen an der Elbe auf Distanz zu halten.
Er selbst hatte inzwischen das Armeekorps des Herzogs Karl Maria von Arenberg aus Marienbad an seine Hauptarmee herangezogen und fühlte sich mit nunmehr 55.000 Mann stark genug, den Preußen noch westlich der Moldau entgegenzutreten. Da Browne aber seine Generale nicht von seinen Absichten überzeugen konnte und sich auch zunehmend Sorgen über das Vordringen der Preußen unter Braunschweig-Bevern und Schwerin in seinem Rücken machte, ging er am 1. Mai über die Moldau und bezog im Osten von Prag eine neue Stellung mit Front nach Norden. Dort hoffte er sich notfalls gegen beide preußische Gruppierungen behaupten zu können. Dass in dieser kritischen Lage endlich auch Erzherzog Karl von Lothringen in Prag eingetroffen war, erleichterte ihm seine Aufgabe nicht gerade. Es kam zu heftigen Debatten zwischen beiden Befehlshabern. Doch gegen Karls Vorschlag, sich noch weiter ins Landesinnere zurückzuziehen, konnte sich Browne im Prager Kriegsrat durchsetzen und fand dieses Mal auch die Unterstützung seiner Generale. Nicht verhindern konnte der Ire jedoch, dass Karl auch das Korps Königsegg von der Elbe heranzog. Damit erhöhte sich zwar die Zahl der eigenen Truppen um Prag auf rund 75.000 Mann. Friedrich konnte sich aber nun, nachdem er am 5. Mai mit 40.000 Mann ebenfalls die Moldau bei Seltz, wenige Kilometer nördlich von Prag, überschritten hatte, mit den Truppen Schwerins genau vor den Stellungen der Österreicher vereinigen. Damit war sein ambitionierter Plan tatsächlich vollkommen aufgegangen. Er hatte mit seiner vereinigten Armee den Gegner bei Prag zur Schlacht gestellt und konnte sich nun mit einem eindeutigen Sieg gegen die Österreicher die dringend benötigte Luft verschaffen.
Beide Heere waren mit je 65.000 Mann etwas stärker als die Armeen, die 1745 bei Hohenfriedberg gegeneinander gekämpft hatten. Friedrich hatte Feldmarschall Keith mit immerhin 30.000 Mann auf dem linken Moldauufer zurückgelassen, um im Falle eines Rückzugs über die Moldau eine Auffangstellung zu haben.81 Auf österreichischer Seite waren rund 13.000 Mann als Besatzung in Prag verblieben. Für den Rest seiner Truppen hatte Browne eine beinahe uneinnehmbare Stellung mit Front nach Norden gewählt. Links angelehnt an den Ziska-Berg, der sich knapp östlich der Stadt erhebt, erstreckte sich die Position oberhalb des Roketnitzer Baches, eines Nebenlaufes der Moldau, auf einem Plateau etwa vier Kilometer weit nach Osten bis zum Tabor-Berg. Der Bachgrund war an vielen Stellen unpassierbar, und als gegen Ende der Schlacht Prinz Heinrich an der Spitze zweier Regimenter das Gewässer bei Hrdlorzez durchwaten wollte, wäre er fast im Schlamm versunken und musste von seinen Männern herausgezogen werden.82
Während die österreichische Stellung einen preußischen Frontalangriff praktisch unmöglich machte, war sie auf der rechten Flanke nur durch eine Kette von Ortschaften, Teichen und feuchtem Wiesengrund geschützt. Browne und Erzherzog Karl hatten sich das Kommando geteilt. Der Letztgenannte übernahm den linken Flügel, Browne befehligte den rechten.
Trotz der eindrucksvollen Stellung des Gegners blieb Friedrich optimistisch. Zum britischen Botschafter Mitchell, der ihn ins Feld begleitet hatte, sprach er von einer Schlacht bei Pharsalus zwischen den Häusern Österreich und Brandenburg.83 In bester Stimmung begrüßte er gegen 6 Uhr morgens auf seinem Überblickspunkt bei Prosek Feldmarschall Schwerin und General Winterfeldt. Es war ein Wiedersehen nach Monaten. Beide Offiziere ritten kurz darauf allein zum linken Flügel, um den rechten Flügel der gegnerischen Stellungen zu erkunden. Nach grober Sichtung des Terrains kamen sie zu der Auffassung, dass das sanft ansteigende Gelände zwischen den Ortschaften Kej und Unter-Poczernitz, wo der Roketnitzer Bach in mehreren Verzweigungen nach Süden abknickt, einen preußischen Angriff noch am ehesten begünstigen würde. Aus der Distanz war ihnen allerdings entgangen, dass etliche Abschnitte zwischen den genannten Dörfern tatsächlich nicht aus Grasflächen bestanden. Bei näherem Hinsehen hätten sie feststellen können, dass es sich vielmehr um einen grünlichen schlickartigen Untergrund handelte, der vormals von Teichen bedeckt gewesen war.84 Die preußische Infanterie sollte diese Oberflächlichkeit ihrer Kommandeure noch teuer bezahlen.
Nach dem Abmarsch um 7 Uhr erreichten die ersten Regimenter mit der Kavallerie an der Spitze etwa zwei Stunden später Unter-Poczernitz und schwenkten hinter der Ortschaft nach Westen, um Front gegen den rechten österreichischen Flügel zu machen. Für Browne und Erzherzog Karl war das preußische Umgehungsmanöver keineswegs eine Überraschung. Beide kannten die Vorliebe des Preußenkönigs für Flankenangriffe und hatten daher die preußische Anmarschphase genutzt, Kräfte aus der Hauptstellung auf ihrem rechten Flügel bei Sterbohol zu versammeln.
Zunächst ging die preußische Kavallerie mit 40 Schwadronen unterhalb dieser Ortschaft vor, um in den Rücken des Gegners zu gelangen. Wegen eines großen Teiches etwa 500 Meter südlich von Sterbohol konnte sie jedoch nur auf schmaler Front die gegnerische Reiterei attackieren. Da die meisten Geschütze noch weiter zurück in den engen Gassen von Unter-Poczernitz feststeckten, musste sie zudem ohne jede artilleristische Unterstützung vorgehen. Während hier am südlichsten Punkt der Schlacht die Reiterhaufen für eine Weile hin- und her wogten, ohne dass eine Partei wesentliche Vorteile erlangen konnte, griff bereits die preußische Infanterie nördlich von Sterbohol in den Kampf ein. Trotz der Bedenken des Königs warf Schwerin sogleich die 14 Bataillone seines ersten Treffens nach vorne. Die mit geschultertem Gewehr hangaufwärts marschierenden Preußen trafen jedoch nicht auf einen verunsicherten Gegner, sondern auf eine gefestigte österreichische Abwehr, die Browne durch seine Artillerie vom nahen Homole-Berg noch wirksam unterstützen ließ. Das dichte Gewehr- und Kartätschenfeuer der Österreicher richtete ein Massaker unter der preußischen Infanterie an. Ganze Reihen stürzten getroffen zu Boden. Schockiert von den unerhörten Verlusten, ergriffen die Überlebenden etlicher Regimenter vor den Augen ihres ratlosen Monarchen die Flucht. Andere Regimenter schwankten noch, waren bereits zum Stehen gekommen, sodass General Winterfeldt sich veranlasst sah, die Zögernden durch sein Beispiel nach vorne zu reißen. Doch kaum hatte er die ersten Meter an der Spitze der Kolonne zurückgelegt, ließ ihn eine Kugel in den Hals ohnmächtig von seinem Pferd sinken. Wieder bei Bewusstsein, schaffte er es mit Mühe aus dem Niemandsland zurück zu den eigenen Reihen. Auch Schwerin wollte es jetzt wissen, ließ sich eine zerschossene Bataillonsfahne seines Regiments reichen und ritt mit ihr nach vorne. Es war ein kurzer Auftritt und zugleich auch der letzte in der langen Soldatenlaufbahn des 73-jährigen Feldmarschalls. Von mehreren Geschossen getroffen, darunter auch ein Kartätschentreffer in den Kopf, war er auf der Stelle tot. Schwerin galt als der Vater der Armee, seitdem der Alte Dessauer zehn Jahre zuvor verstorben war. Schwerin war zunächst in holländische Dienste getreten, hatte als Leutnant in der Schlacht bei Höchstädt gegen die Franzosen gekämpft und war 1720 im Range eines Generalmajors unter die preußischen Fahnen getreten. Der Sohn eines schwedischen Obersts galt in der preußischen Armee als harter Zuchtmeister und hatte bei Mollwitz dem König geholfen, seine erste Schlacht zu gewinnen. Friedrich schätzte Schwerins frankophile Kultiviertheit und seine kosmopolitische Bildung, auch wenn sich das Verhältnis zwischen König und Feldmarschall seit dem Zweiten Schlesischen Krieg abgekühlt hatte. Als man Friedrich die Nachricht von Schwerins Tod überbrachte, soll er den Tränen nahe gewesen sein.
Auf die Schlacht hat der König offenbar nur wenig Einfluss genommen, jedenfalls ist wenig über seine Rolle überliefert. Die Krise des preußischen Umfassungsflügels hatte mit der Verwundung von Winterfeldt und Schwerins Tod noch nicht ihren Höhepunkt erreicht, denn nun gingen die Österreicher entschlossen zum Gegenangriff über und trieben die dezimierten und erschütterten preußischen Regimenter die Hänge hinunter, warfen sie völlig zurück, bis auf das zweite Treffen, das sich gegen 11 Uhr formiert hatte und den Geschlagenen einen Rückhalt bot. Doch plötzlich wendete sich das Blatt zugunsten der Preußen. Auslöser war nicht die schwere Verwundung Brownes, der sich bis dahin in vorderster Linie aufgehalten hatte, sondern das nach seinem Abgang nunmehr unkontrollierte Vordringen seiner siegestrunkenen Regimenter. Rasch war Sterbohol eingenommen und dabei etliche preußische Geschütze und Fahnen erobert, doch die Regimenter gerieten in ihrem Siegeslauf zu sehr nach rechts und entblößten immer mehr ihre nach Norden gerichtete Flanke. Fatalerweise fiel nun auch Erzherzog Karl durch einen Erstickungsanfall vorerst aus. Während man den bewusstlosen Oberbefehlshaber zum Aderlass aus der vorderen Linie brachte, begannen die Preußen in eine zwischen Key und Hostawitz klaffende Lücke zu drängen.
Ob dies eine selbstständige Entscheidung der örtlichen Kommandeure war oder auf Friedrichs Befehl zurückging, ist unklar. Jedenfalls kam es gegen Mittag zu einem mit mehreren Regimentern geführten Gegenstoß zwischen Key und Hostawitz in Richtung Tabor-Berg, der die um Sterbohol konzentrierten Regimenter abzuschneiden drohte.
Da inzwischen auch südlich von Sterbohol die preußische Kavalleriereserve unter General Joachim von Zieten durch den Einsatz von 25 frischen Schwadronen das stundenlange Reitergefecht endgültig zu ihren Gunsten entschieden hatte und nun, ihrem alten Auftrag folgend, gegen die rechte Flanke der Österreicher vorging, war der gesamte südliche Teil der österreichischen Armee plötzlich abgeschnitten. Teile der Eingeschlossenen konnten sich in Richtung Prag durchschlagen, andere brachen nach Süden durch, um Anschluss an das Korps Serbelloni zu finden, das sich inzwischen Prag auf der Kaiserstraße bis auf einen Tagesmarsch genähert hatte. Den Rest des österreichischen rechten Flügels zerschlugen die Preußen in mehreren aufeinanderfolgenden Attacken. Die Schlacht war entschieden, als auch die letzte Bastion der Österreicher zwischen Hrdlorzez und Maleschitz von den Regimentern »Itzenplitz« und »Winterfeldt« gestürmt wurde. Gegen 15 Uhr drängte die Masse der Österreicher, scharf verfolgt von der preußischen Kavallerie, zu den Toren Prags.85
Immerhin 35.000 Mann konnten sich in die Stadt zurückziehen, etwa 14.000 Österreicher hatten sich nach Westen über Sawaza zu den österreichischen Truppen gerettet, die sich jetzt unter dem Kommando des Generalfeldmarschalls Leopold Graf von Daun bei Böhmisch-Brod versammelt hatten. 9500 Mann waren getötet oder verwundet auf dem Schlachtfeld geblieben. Die Preußen machten 4500 Gefangene, hatten aber ihren Erfolg teuer erkaufen müssen. Mit 14 500 Toten und Verwundeten, darunter auch etliche Generale und Stabsoffiziere, war fast ein Viertel der vor Prag eingesetzten Streitmacht verloren gegangen.86 Einzelne Regimenter hatten sogar zwei Drittel ihres Mannschaftsbestandes verloren.87 Friedrich war jedoch voller Optimismus, hoffte er doch auf die baldige Kapitulation der nunmehr eingeschlossenen österreichischen Armee, was den Gegner vorerst außerstande setzen musste, den Krieg fortzusetzen, und vielleicht sogar zum Frieden zwingen würde.
Er habe vor vier Tagen bei Prag die Schlacht von Pharsalus geschlagen, ließ Friedrich am 10. Mai Francesco Algarotti, seinem venezianischen Kammerherrn, Vorleser und Vertrauten seit Rheinsberger Tagen, mitteilen.88 Seiner Mutter, Sophie Charlotte, Prinzessin von Hannover, hatte er noch am Abend seines Sieges geschrieben, dass der Feldzug für die Österreicher verloren sei. Er habe nun mit 150.000 Mann freie Hände und werde einen Teil seiner Truppen absenden, um den Franzosen »ein Kompliment zu machen.«89
Die österreichische Armee hatte sich nach dem Zusammenbruch ihres rechten Flügels zum größten Teil in den Schutz der Prager Befestigungen zurückgezogen und schien in der Falle zu sitzen. Der König rechnete fest darauf, dass es nunmehr zu Verhandlungen mit Wien und zu einem baldigen Frieden kommen würde.90 Eine am nächsten Tag von seinem Generaladjutanten, Oberst Anton Graf von Krockow, überbrachte Aufforderung zur Übergabe hatten allerdings Browne und Erzherzog Karl empört zurückgewiesen. Ob der König von Preußen wohl glaube, es mit Feiglingen zu tun zu haben, soll Browne den preußischen Parlamentär gefragt haben.91 In dem trotzigen Durchhaltewillen des Gegners sah Friedrich nur ein zeitraubendes Ärgernis, kalkulierte man doch im preußischen Hauptquartier noch recht optimistisch, dass die Vorräte in der Stadt höchstens für zehn Tage reichen würden.92 Damit lag man völlig falsch. Einer ersten Bestandsaufnahme der Österreicher zufolge, nach der sich insgesamt etwa 46.000 Mann, darunter 4000 Reiter, in der Stadt befanden, reichten die Mehlvorräte in Prag für immerhin zwei Monate, Hafer und Heu dagegen für nur noch vier Wochen. Die tägliche Fleischration hatte Erzherzog Karl sofort auf ein halbes Pfund pro Mann kürzen lassen.93 Zusätzlich aber mussten natürlich auch die 70.000 Einwohner der Moldaustadt versorgt werden, und österreichische Versuche, die ärmere Bevölkerung aus der Stadt zu vertreiben, unterbanden die preußischen Vorposten energisch.94
Obwohl er mit einer baldigen Kapitulation der Österreicher rechnete, befahl Friedrich sofort die weiträumige Einschließung der Stadt mit Verschanzungen und Laufgräben. Ein schnell durchgeführter Ausbruchsversuch des Gegners war nicht ausgeschlossen. Tatsächlich hatte der verwundete Browne noch am Abend der Schlacht auf diese Option gedrängt.95 Pläne zu einem großen Ausbruch schmiedete Erzherzog Karl auch noch in den Wochen darauf. Dann aber erhielt er am 27. Mai von einem Offizier, der sich durch die preußischen Linien geschlagen hatte, die klare Anweisung der Kaiserin, dass Prag unbedingt zu halten sei.96
In Wien hatte die Nachricht von der Niederlage vor Prag anfangs einen ungeheuren Schock ausgelöst. Sofort hatte die Kaiserin die offiziellen Feierlichkeiten für ihren 40. Geburtstag am 13. Mai abgesagt und schon für den 12. Mai ihren Geheimen Rat einberufen. Der gerade erst vom Kriegsschauplatz zurückgekehrte Graf Kaunitz dominierte die hohe Runde. Der Staatskanzler vertrat die schließlich auch vom Kaiserpaar gebilligte Ansicht, dass man ohne zuverlässige Nachrichten aus Prag zunächst alles daransetzen müsse, die sich inzwischen im Raum von Kolin sammelnde zweite Armee zu stärken. Ihr mussten alle noch verfügbaren Reserven, die Garnisonen und selbst die drei Bataillone der Wiener Hofwache, zugeführt werden. Allein diese Streitmacht besaß noch die volle operative Freiheit. Sie konnte jederzeit Prag bedrohen, aber notfalls auch zum Schutz Mährens oder der Hauptstadt dienen.97
Der Befehlshaber dieses letzten Aufgebots des Kaiserstaates war der am Wiener Hof hoch angesehene Feldmarschall Leopold Graf von Daun. Seine Streitmacht bestand im Kern aus dem Korps des Generals Serbelloni sowie dem am 6. Mai über die Sawaza entkommenen Teil der Hauptarmee, der allerdings erst wieder ausgerüstet und geordnet werden musste. Mit diesen vorerst nur eingeschränkt verwendbaren Kräften zählte Dauns Armee bis Ende Mai bereits wieder 43 Infanteriebataillone, fast 40 Grenadierkompanien und 103 Eskadronen Kavallerie.98 Aus Ungarn erwartete man noch das Korps »Nadasdy« als weitere Verstärkung. Dass Maria Theresia mit Daun einen schon in die Jahre gekommenen General ausgewählt hatte, die Monarchie zu retten, offenbarte den Mangel an fähigen Kommandeuren in den Reihen des kaiserlichen Offizierkorps. Daun hatte zwar seine militärischen Meriten in sämtlichen Kriegen erworben, die Habsburg in den letzten drei Dekaden geführt hatte. Auch zählte er zu den führenden Protagonisten der jüngsten großen Heeresreformen. Mehrmals hatte der erste Direktor der 1752 in Wiener Neustadt gegründeten Theresianischen Militärakademie mit seinem Regiment nach preußischem Vorbild große Feldmanöver im Raum von Kolin durchgeführt und in der gesamten Armee für eine Vereinheitlichung der Kommandosprache und der taktischen Manöver gesorgt. Als Präsident des Militärjustizkollegiums schien Daun jedoch inzwischen eher ein Kandidat für den prestigeträchtigen Vorsitz im Hofkriegsrat als für ein entscheidendes Feldkommando. Tatsächlich hatte den 52-Jährigen Ende April die Gicht davon abgehalten, frühzeitig den allzu untätigen General Serbelloni abzulösen, um sich doch noch mit der österreichischen Hauptmacht bei Prag zu vereinigen. Kaum im Amt erwies Daun sich allerdings sofort als die richtige Wahl. Mit einer Mischung aus Zuckerbrot und Peitsche formte er seine aus allen Himmelsrichtungen zusammengewürfelten Truppen allmählich zu einer schlagkräftigen Streitmacht. Hocherfreut nahm die Kaiserin zur Kenntnis, dass sich ihr Feldherr besonders um die Beachtung der gottesdienstlichen Vorschriften im ganzen Heer kümmerte und sich auch sonst bemühte, der verbreiteten Spiel- und Trunksucht energisch entgegenzuwirken.99
Auf preußischer Seite waren schon am 9. Mai General Zietens Reiter bei Böhmisch-Brod, nur einen Tagesmarsch von Prag entfernt, auf stärkere österreichische Kräfte gestoßen und hatten mit ihrer Meldung für Überraschung gesorgt.100 Friedrich musste auf die Gefahr reagieren und entsandte seinen Schwager, den Herzog von Braunschweig-Bevern, mit zunächst 7000 Mann Infanterie und 11 600 Reitern auf der Kaiserstraße nach Osten. Sie sollten den Gegner auf Distanz halten, ihn durch Flankenmärsche zurückdrängen und den Österreichern möglichst viele Magazine wegnehmen.
Dem preußischen Monarchen lief die Zeit davon. Im Westen hatten die Franzosen unter dem Herzog von Estrées bereits Geldern und Wesel besetzt und die schwachen preußischen Truppen auf Bielefeld zurückgedrängt.101 Den Rechtsabmarsch seiner Armee zum Rhein hatte der König daher bereits für die letzte Maiwoche vorgesehen.102 Jetzt klagte er, dass er nicht drei Aufgaben gleichzeitig erfüllen könne: Prag blockieren, Daun fernhalten und den Franzosen die Stirn bieten.103 Daher befahl er, den bereits bis Pirna gekommenen Belagerungspark auf der Elbe nach Leitmeritz bringen zu lassen. Eine energische Beschießung sollte den Druck auf die Verteidiger erhöhen und sie demoralisieren. Es war ein in völkerrechtlicher wie auch in militärischer Hinsicht zweifelhafter Plan, denn Prag gehörte zu den großen Metropolen Europas mit einer beträchtlichen Ausdehnung. Die nördliche Altstadt mit ihren zahllosen Kirchen schmiegte sich in das Moldauknie. Im Süden schloss sich die Neustadt an, die durch das Festungswerk »Wischehrad« mit seinen fünf Bastionen geschützt wurde. Die Besiedlung auf dem linken Moldauufer mit der dominierenden Burg (Hradschin) wurde die Prager Kleinseite genannt und war im 13. Jahrhundert unter dem Premysliden Ottakar II. entstanden. Eine feste Brücke über die Moldau verband sie mit den beiden östlichen Stadtteilen.
Nach dem Dreißigjährigen Krieg hatte die Stadt fast ein Jahrhundert lang keine ernsthafte Belagerung mehr erlebt und sich zu einem Kleinod des Barock mit Palais und prunkvollen Bürgerhäusern entwickelt. Nach der Abwehr des Schwedensturms im Herbst 1648 waren seine Befestigungen in jahrzehntelanger Arbeit durch die Anlage von Bastionen nach italienischem Vorbild modernisiert worden. Alle Teile Prags waren inzwischen von einer etwa zwölf Kilometer langen gemauerten Front mit insgesamt sieben Toren umgeben und auf der Ostseite durch zusätzliche Wassergräben geschützt.
Im Österreichischen Erbfolgekrieg war Prag zwar zweimal besetzt worden, zuletzt im September 1744 von den Preußen, doch große Schäden in der Stadt selbst waren damals durch die zweiwöchige Kanonade der Befestigung nicht entstanden.
Zur wirksamen Beschießung der gesamten Stadt hätte vermutlich Friedrichs gesamte Artillerie nicht ausgereicht. Die rund 60 Mörser und schweren Geschütze, mit denen die Preußen bis Ende Mai sechs große Batterien um die gesamte Stadt bestückt hatten, eröffneten erstmals ihr Feuer in der Nacht zum 30. Mai. Während des zwölftägigen Bombardements, das auch nachts fortgesetzt wurde, verschossen die Belagerer etwa 60.000 Kugeln. Zwar entstanden etliche Brände, und Archenholz spricht von dramatischen Szenen in der Stadt, von vielen Ziviltoten und von eindringlichen Bitten der Magistrate und des Klerus vor den österreichischen Militärbehörden,104 doch das Generalstabswerk kommt zu einem eher ernüchternden Befund: Die Beschießung habe den Willen des Gegners nicht brechen können.105 Am Ende ging den Belagerern einfach die Munition aus. Schon am 9. Juni mussten die Preußen den Beschuss der Kleinseite einstellen, wo wegen der großen unbebauten Flächen die Wirkung ohnehin geringer war. Zwei Tage später endete auch die große Kanonade auf der rechten Moldauseite.106
Noch während der Beschießung von Prag hatte Friedrich wiederholt versucht, den Herzog von Braunschweig-Bevern zu einer offensiveren Kampfführung gegen Daun zu bewegen. Der Gegner sollte möglichst nach Mähren zurückgedrängt werden. An eine große Schlacht dachte er allerdings noch nicht. Inzwischen verdichteten sich aber die Hinweise, dass die Österreicher sich laufend verstärkten, und obwohl der König den Meldungen seines Schwagers, dass Daun bereits über 50.000 Mann verfüge, zunächst wenig Glauben schenkte, hatte er ihm weitere Verstärkungen geschickt. Das preußische Beobachtungskorps war dadurch bis zum 4. Juni auf knapp 25.000 Mann angewachsen und über Kolin hinaus nach Süden auf Kuttenberg vorgestoßen.107 Schon am nächsten Tag deutete sich jedoch auf preußischer Seite ein neuer Entschluss an. Friedrich sprach nun erstmals davon, dass Daun noch vor dem Fall Prags angegriffen und möglichst bis nach Iglau an der Grenze zu Mähren zurückgetrieben werden musste, wo der König gut gefüllte Magazine vermutete.108
Doch erst das enttäuschende Resultat der Beschießung von Prag bewog ihn, nun selbst mit allen vor der Stadt entbehrlichen Teilen zum Beobachtungskorps seines Schwagers zu stoßen. Es war nicht seine Sache, untätig vor Prag zu verharren, während ein stetig stärker werdender Gegner sich in Schlagdistanz befand. Auch die Sorge vor dem drohenden Vorrücken der Franzosen gegen die Weser trieb ihn zur Tat. Am 12. Juni kündigte er Braunschweig-Bevern an, dass er selbst mit acht Bataillonen Infanterie, 16 zusätzlichen Eskadronen und 15 schweren Geschützen in zwei Tagen zu ihm stoßen werde.109
Auch auf österreichischer Seite war Daun inzwischen zur Schlacht entschlossen, nachdem er am 9. Juni in seinem Hauptquartier in Goltsch-Janikau eine Botschaft Maria Theresias erhalten hatte, die ihn mit verbindlichen Worten, aber doch unmissverständlich verpflichtete, eine Schlacht zur Befreiung Prags zu wagen. Die Vorräte in Prag würden nur noch bis zum 20. Juni reichen, so die aktuellste Nachricht eines Offiziers, der sich am 3. Juni durch die preußischen Linien hatte schlagen können und zwei Tage später in Wien eingetroffen war. Die Kaiserin schloss ihre ermunternde Botschaft mit einem ungewöhnlichen Blankoscheck: Bei einem unglücklichen Ausgang der Affäre versprach sie, Daun vor allen Vorwürfen zu schützen und ihm keine seiner Entscheidungen zur Last zu legen.110
Noch auf dem Weg nach Osten erhielt Friedrich in seinem Nachtquartier am 13. Juni von Braunschweig-Bevern die alarmierende Botschaft, dass sich die gesamte österreichische Armee nunmehr in raschem Vormarsch über Kolin befinde. Das Ziel des Gegners sei vermutlich Prag. Sofort gab der König an Moritz von Anhalt-Dessau den Befehl, weitere Kräfte vom Belagerungsring um Prag abzuziehen und ihm zuzuführen. Am folgenden Mittag vereinigte er sich zunächst mit den ausweichenden Kräften seines Schwagers bei Malotitz, südlich der Kaiserstraße. Für den 15. Juni setzte der König einen Ruhetag an, den er um einen weiteren Tag verlängerte, um die angeforderten Verstärkungen aus Prag abzuwarten. Damit umfasste seine Armee 18.000 Mann, gegliedert in 32 Infanteriebataillone, hinzu kamen 16.000 Reiter sowie 33 schwere und 50 leichte Geschütze.111
Dauns Streitmacht, die sich am nächsten Tag südlich der Kaiserstraße zwischen Swojschitz und Poborz mit Front nach Westen verschanzt hatte, schätzte Friedrich auf 40.000 Soldaten, tatsächlich waren es aber schon 54.000, unterstützt von 60 Geschützen. Allein die Zahl der österreichischen Infanterie übertraf mit 35.000 Mann die der preußischen fast um das Doppelte.112
Friedrichs Versuch, die Österreicher in ihren beherrschenden Positionen mit unterlegenen Kräften und einer dem Feind wohlbekannten Taktik anzugreifen, war mehr als kühn. Ja, seine einsame Entscheidung grenzte an Starrsinn. Die auf der Hand liegende Option, aus einer klug gewählten Verteidigungsstellung Dauns Durchbruch auf Prag zu verhindern, hatte der König nie ernsthaft in Erwägung gezogen, obwohl selbst die Österreicher die preußische Position bei Malotitz als sehr stark beurteilten.113 Da Daun die preußische Armee nach dem Eintreffen des Prinzen Moritz von Anhalt-Dessau auf 60.000 Mann schätzte, war für ihn an einen Vorbeimarsch nach Prag mit diesem Gegner im Rücken gar nicht zu denken.
Der König wiederum war kein Mann des Abwartens. Das Votum seines Schwagers, des Herzogs von Braunschweig-Bevern, der eindringlich davor warnte, die Österreicher zu attackieren, statt sie lieber selbst anzugreifen zu lassen, nahm er nicht ernst. Tatsächlich glaubte Friedrich in seiner Eitelkeit und Selbstüberschätzung nicht, dass die Österreicher dem Angriff seiner Infanterie standhalten würden, und fühlte sich im Kriegsrat in seiner Haltung noch bestärkt durch die verantwortungslosen Schmeicheleien des Prinzen Moritz, der behauptete, allein die Anwesenheit des Königs würde zusätzliche 50.000 Mann aufwiegen.114
So traf Friedrich nach insgesamt sieben gewonnenen großen Schlachten seit Mollwitz das Schicksal des von ihm so lange bewunderten Schweden Karl XII., der wie er selbst, als Roi Connétable die Rollen von König und Heerführer lange Zeit in einer Person erfolgreich vereint hatte.
Am 17. Juni ließ Friedrich gegen Mittag seine Armee in zwei Treffen nach Norden zur Kaiserstraße abschwenken, um über Planian die rechte Flanke der Österreicher zu gewinnen. Sein Gegenspieler auf österreichischer Seite brauchte nicht allzu viel Vorstellungsvermögen, um den preußischen Plan sofort zu durchschauen. Friedrich wollte schlicht noch einmal die Schlacht von Prag schlagen. Daun ließ daher seine Armee noch während der Nacht zum 18. nach rechts entlang des Höhenzuges südlich der Kaiserstraße abknicken und verlängerte seine rechte Flanke bis nach Krzeczhorz, einem Dorf mit etwa 20 Häusern und einer Kirche. Der Feldmarschall hatte 33 Infanteriebataillone sowie 81 Eskadronen Kavallerie in zwei Treffen aufgestellt und dahinter eine Reserve von weiteren neun Infanteriebataillonen und 30 Eskadronen postiert. In den Kornfeldern bis zur Kaiserstraße hinunter waren kroatische Truppen versteckt. Somit beherrschten die Österreicher die gesamte Kaiserstraße zwischen Planian und Kolin in einer frontal fast uneinnehmbaren Position. Mit nur einem einzigen Tagesmarsch hatte sich Friedrich in eine verzweifelte Lage gebracht. Wie Karl XII. bei Poltawa war ihm der Rückzug nun verwehrt und er war gezwungen, mit einer deutlich unterlegenen Streitmacht unter ungünstigen Umständen anzugreifen.
Früh am nächsten Morgen sahen die Österreicher, wie sich die dunklen Kolonnen der preußischen Armee in Sichtweite vor ihrem linken Flügel auf der Kaiserstraße nach Osten bewegten. Der Tag versprach trotz des anfänglichen Nebels schön und vor allem heiß zu werden. Gegen 11 Uhr legten die von der Hitze geplagten Preußen eine Pause ein, während Friedrich versuchte, sich vom Dachgeschoss eines Gasthauses mit dem verheißungsvollen Namen »Goldene Sonne« einen Überblick über den Verlauf der österreichischen Stellungen zu verschaffen.115 Das sich ihm bietende Panorama dürfte ähnlich niederschmetternd gewesen sein wie für Karl XII. 48 Jahre zuvor, als das Heer des Zaren vor seinem Lager an der Worskla aufmarschierte und die dünne schwedische Linie kaum die Breite der Russen erreichte.
Deutlich waren die dichten österreichischen Infanteriemassen in ihren typischen weißen Uniformröcken auf den nördlich der Kaiserstraße steil ansteigenden Höhen zu erkennen. Die zahllosen österreichischen Batterien ragten mit ihren Schlünden drohend über ihre Verschanzungen. Dazwischen hatte Daun die Massen seiner gefürchteten Kavallerie an günstigen Stellen postiert. Fast zwei Stunden benötigte Friedrich, um einen neuen Plan zu entwerfen, der seiner Notlage halbwegs gerecht wurde. Zuletzt entschloss er sich, mit seinem linken Flügel die östliche Flanke der Österreicher zu umgehen, die Höhen ostwärts von Krzeczhorz zu ersteigen und sodann Front Richtung Westen zu machen. Es war eine Neuauflage des Prager Manövers, allerdings mit erheblich weniger Infanterie. Kurz nach Mittag erteilte er persönlich seine Befehle an die Generale und zeigte ihnen durch eine Dachluke des Gasthauses die von dort erkennbaren Geländepunkte.116
Die Kolonne des Grafen Johann Dietrich von Hülsen sollte die Vorhut bilden. Gegen 13 Uhr setzte sie mit sieben Bataillonen Infanterie, fünf Dragonereskadronen und sechs schweren Geschützen ihren Marsch auf der Kaiserstraße fort, um dann wenige hundert Meter hinter der kleinen Ortschaft Braditz nach rechts ins offene Gelände zu schwenken.117
Eine Stunde später hatten Hülsens Männer ihre Ausgangsstellung östlich von Krzeczhorz erreicht und setzten mit klingendem Spiel, die Front jetzt nach Westen gerichtet, in zwei Treffen gegliedert zum Angriff auf die Ortschaft ein. Gleichzeitig deckte General von Zieten mit 50 Eskadronen Hülsens südliche Flanke gegen den Feind aus Richtung Radowesnitz. Trotz etlicher Verluste, vor allem durch eine oberhalb von Krzeczhorz auf dem gleichnamigen Höhenrücken aufgefahrene österreichische Batterie, gelang es den Preußen die Ortschaft zu nehmen, die dort im Kirchhof verschanzten Kroaten zurückzuschlagen und schließlich sogar die österreichische Batterie mit ihren sieben Geschützen zu erobern. Der etwa 300 Meter südlich der Ortschaft gelegene Eichenbusch, ein kastenförmiger Wald von 300 Metern Länge und Breite blieb zunächst in der Hand der kroatischen Grenzer. Ein von Hülsen später angesetzter Angriff mit zwei dezimierten Bataillonen führte nur zur Besetzung der Nordhälfte des Gehölzes.
Auf der Gegenseite hatte Daun, sobald er den Abmarsch von Hülsens Avantgarde bemerkte, schon Kräfte von seinem westlichen Flügel zu seiner bedrohten Flanke in Marsch gesetzt. Der Brigade »Wied«, die schon bei Prag gekämpft hatte, folgten kurz darauf die Brigade »Sincére« mit drei Regimentern und schließlich noch die Brigade »Starhemberg« als zunächst zweites Treffen. Damit gewannen die Österreicher den Wettlauf um ihre rechte Flanke, denn innerhalb der nächsten zwei Stunden konnte Friedrich seiner erfolgreichen Vorhut nur drei zusätzliche Grenadierbataillone als Verstärkung schicken. Aus nicht nachvollziehbaren Gründen setzte sich der eigentliche Umfassungsflügel, der mit seinen 14 Bataillonen die Marschspitze der preußischen Armee bildete, erst um 15 Uhr wieder in Bewegung, eine volle Stunde nach der Einnahme von Krzeczhorz.
Von den Anfangserfolgen seiner Vorhut optimistisch gestimmt entschloss sich der König spontan mit dem Gros des Umfassungsflügels die Österreicher auf dem Krzeczhorz-Plateau direkt von der Kaiserstraße aus anzugreifen. So hoffte er, die zuvor vertrödelte Zeit wieder wettmachen zu können.
Die neun Infanteriebataillone des Generalleutnants Joachim Friedrich von Tresckow schwenkten sofort nach rechts und erklommen im österreichischen Artilleriefeuer die steilen Abhänge. Zu den bemitleidenswerten Angreifern zählte auch der 18-jährige Christian Wilhelm von Prittwitz und Gaffron, der erst wenige Tage zuvor zum Fähnrich befördert worden war und noch den durchlöcherten Uniformrock seines verstorbenen Vorgängers trug. Sein Regiment, das dem Generalleutnant August Wilhelm von Braunschweig-Bevern gehörte, machte sich nach kurzer Pause zum Angriff bereit: »Wir nahmen die Pferdedecken ab, die Kanonen wurden abgeprotzt, die Gewehre gehoben, die Säbel entblößt, das Treffen formiert und dann erschallte von allen Seiten her das Donnerwort ›Marsch, marsch‹. Nachdem solches geschehen, ging es unter Trommelschlag und Musik, welche letztere aber nicht lange dauerte, weil die Hautboisten sich bald in Sicherheit zu begeben verstehen, im starken Schritt gerade auf den Feind los …«118 Für Prittwitz war es das erste Gefecht, da er am 6. Mai bei Prag zum Korps des Feldmarschalls Keith gehört hatte, das links der Moldau verblieben war. Als sein Treffen in den Wirkungsbereich der gegnerischen Artillerie geriet, nahm er wie die meisten seiner Kameraden das Geschehen nur noch im Tunnelblick wahr. »Es gingen zwar eine Menge Kugeln und Haubitzgranaten über uns weg, dem ungeachtet aber fielen deren noch genug in unsere Glieder und zerschmetterten viele Menschen, woran man sich aber nicht kehrte, sondern als wenn gar nichts vorginge, immer weiter angriff. […] Ich für meine Person sah mich gar nicht um, sondern richtete meinen Blick fest vorwärts. Nur einmal schielte ich auf die Seite und sah, dass ein Unteroffizier in meiner Nähe von einer Granate zerrissen wurde, daher ich umso mehr abgeschreckt ward, neugierig zu sein.«
»Wir mussten uns durch das lange Getreide, das bis an den Hals reichte, durchwinden, und als wir näher kamen, wurden wir mit Kartätschen dermaßen begrüßt, dass ganze Haufen der unsrigen zur Erde gestreckt hinfielen. Noch hatten wir das Gewehr über der Schulter und ich hörte die feindlichen Kartätschenkugeln in unseren Bajonetten klappern.« Trotz entsetzlicher Verluste gelang es den Preußen, das Plateau zu ersteigen. Nachdem die Musketiere so lange wehrlos dem gegnerischen Feuer ausgesetzt gewesen waren, kam nun die Zeit der Rache. »Als wir auf den Gipfel gekommen waren, erfolgte eine allgemeine Salve des Regiments, die, nachdem sie einige Male wiederholt wurde, eine dermaßen große Niederlage unter den Kaiserlichen verbreitete, dass sie sogleich das Feld räumten und davon liefen.« Im direkten Vergleich mit der preußischen Infanterie schienen die Österreicher immer noch ohne Chance.
»In kurzem hatten wir keinen Feind mehr vor uns, er zog sich in der größten Bestürzung rechts weg, und wir mussten links anschlagen, um ihm noch das Geleit geben zu können.«
Etwa gegen 16 Uhr war der Schulterschluss mit von Hülsens Vorhut auf dem Krzeczhorz-Hügel tatsächlich hergestellt. Die eroberten Geschütze wurden auf den Feind angerichtet und die drei Regimenter der Division »Sincère« fielen auf das zweite Treffen der Österreicher zurück, das von sieben Bataillonen der Brigade »Starhemberg« gebildet wurde. Die Schlacht stand nun auf Messers Schneide. Der Einsatz der übrigen fünf Bataillone des rechten Flügels, zusammengefasst in der Brigade des Generalmajors Christoph Hermann von Manstein, hätte jetzt die Entscheidung bringen können. Doch Mansteins Offiziere hatten inzwischen aus eigenem Entschluss an anderer Stelle in die Schlacht eingegriffen. Um einige Dutzend kroatische Scharfschützen in den rechts an die Straße grenzenden Kornfeldern zu vertreiben, hatten sie die vorderen Bataillone zu einer Gefechtslinie entwickelt. Als die übrigen Bataillone ihrem Vorbild folgten und ebenfalls Front nach Norden machten, entwickelte sich daraus rasch ein preußischer Generalangriff auf die hangaufwärts gelegene Ortschaft Chozenitz. Als Friedrich selbst vor Ort erschien, um den Gegenbefehl zu erteilen, war es bereits zu spät. Sämtliche Bataillone Mansteins waren bereits in das Kornfeld eingedrungen und stürmten zum Teil schon gegen die vor ihnen ragende Höhe. In ihren überhöhten Positionen beiderseits der Ortschaft hatten die vier Regimenter der Division »Andlau« leichtes Spiel mit den Preußen. Wie auf dem Übungsplatz krachten ihre Salven in die avancierenden blauen Linien. Bald waren sämtliche preußischen Infanteriereserven im Kampf gebunden. Einzig die acht Bataillone des rechten preußischen Flügels, die in der Marschordnung weit zurückhingen, standen jetzt noch nicht im Kampf. Auf dem umkämpften linken Flügel bei Krzeczhorz ging das wichtige Eichenwäldchen gegen 16 Uhr wieder verloren. Ein preußischer Gegenangriff kam mangels Infanterie nicht mehr zustande. Damit waren aber auch die Unterstützungsmöglichkeiten der Zietenschen Kavallerie beschränkt, denn das flankierende Feuer aus dem Waldstück verhinderte angeblich, dass Zietens 80 Eskadronen tief in den Rücken der Österreicher vordrangen. Das preußische Generalstabswerk beurteilte das Verhalten des sonst bewährten Reiterführers bei Kolin sehr kritisch und warf ihm Passivität vor. Doch Kolin war für die gesamte preußische Reiterei kein Ruhmesblatt.
Mit Ausnahme der beherzten Eskadronen des Generalmajors Christian Siegfried von Krosigk, an deren Spitze sich auch der junge Kavallerieoberst Friedrich Wilhelm von Seydlitz erstmals als Kommandeur auszeichnete, versagte sie an diesem heißen Tag vollkommen. Nur mit Mühe konnten sich die 19 bereits arg dezimierten Bataillone des linken Flügels, von der preußischen Kavallerie nun völlig im Stich gelassen, auf dem umkämpften Krzeczhorz-Plateau halten. Gegen 18 Uhr aber kam das Ende für die preußische Infanterie. Fast die gesamte Kavallerie Dauns, darunter auch drei sächsische Regimenter, attackierten Tresckows und Hülsens Bataillone. Zwar hatten sie sich noch zu Karrees formieren können, besaßen aber längst keine Munition mehr. Der ungleiche Kampf eskalierte zu einem Gemetzel, als die österreichische Kavallerie die Rückseite des Karrees, das vom dritten Glied gebildet worden war, durchbrach. Generalleutnant von Tresckow geriet verwundet in Gefangenschaft, mit ihm etliche Offiziere und Mannschaften.119 Es fielen außerdem die Generale von Krosigk und Pannwitz. Vom Regiment Alt-Bevern, dem auch der junge Prittwitz angehörte, waren über 1200 Mann tot, verwundet oder gefangen. Ähnlich verheerend sah die Bilanz des Nachbarregiments »Moritz von Anhalt-Dessau« aus, das 1190 Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften auf der Wahlstatt ließ.120 Der Fähnrich Prittwitz fiel, am Kopf durch einen Säbelhieb verwundet, in die Hände eines österreichischen Kürassiers, der ihn zwar zunächst als »preußischer Racker und Kanaille« beschimpfte, ihn aber doch schließlich sicher vom Schlachtfeld brachte.121 Nur einige Hundert Überlebende erreichten gegen 20 Uhr die Kaiserstraße und fanden Anschluss an die acht Bataillone des rechten preußischen Flügels, die den Rückzug der Armee deckten. 42 Geschütze blieben auf dem Plateau zurück.
Von 18.000 Mann der preußischen Infanterie waren 329 Offiziere und 11 978 Unteroffiziere und Mannschaften tot, verwundet oder in Gefangenschaft geraten. Zwei Drittel der bei Kolin eingesetzten Infanterie waren damit verloren. Ähnlich hatte Karl XII. bei Poltawa die Masse seiner bis dahin für unbesiegbar gehaltenen Infanterie verloren. Die mit 1450 Toten, Verwundeten oder Vermissten vergleichsweise geringen Verluste der Kavallerie bestätigen das harte Verdikt des Generalstabswerks über die Kriege Friedrichs des Großen: »Die preußische Infanterie hätte trotz alledem bei Krzeczhorz gesiegt, wenn sie nicht von der Mehrzahl der Reiterei im Stich gelassen worden wäre.«122 Der König selbst hat später in einem Gespräch mit dem Schweizer Henri de Catt den Ungehorsam des Generals von Manstein für die Niederlage verantwortlich gemacht, dabei allerdings übersehen, dass dessen eigenmächtiger Angriff auf Chozenitz immerhin sämtliche vier Regimenter der Brigade »Andlau« gebunden hatte.123
Die Österreicher verloren 8000 Mann, davon waren 5400 Offiziere und Mannschaften verwundet worden, 1600 Mann galten als vermisst. Daun hatte auf eine Verfolgung des geschlagenen Gegners zunächst verzichtet. Erst am 23. Juni setzte er sich mit seiner Armee in Richtung Prag in Bewegung, dessen Belagerung die Preußen inzwischen aufgegeben hatten. Friedrich zog sich mit zwei Kolonnen auf beiden Seiten der Elbe nach Sachsen zurück. Von anfangs 116.000 Mann waren ihm nur noch 67.000 Mann geblieben, während Franzosen, Schweden und Russen schon kampfbereit an den Grenzen Preußens standen. Wie Karl XII. nach Poltawa sah sich Friedrich nun einer Welt von Feinden gegenüber und es schien ganz so, als ob sein fragiles Königreich in wenigen Monaten bereits Geschichte sein würde.
Die Nachricht vom Sieg bei Kolin war für Maria Theresia eine Erlösung nach tagelanger kaum erträglicher Spannung. Nicht ohne Berechtigung bezeichnete sie später den 18. Juni als den Geburtstag der Monarchie und ließ es sich nicht nehmen, an ihren Feldmarschall Daun in jedem Jahr anlässlich des Jahrestages der Schlacht ein sehr persönlich gehaltenes Dankschreiben zu richten.124 Dauns »herrlichen Sieg« von Kolin nahm die Herrscherin auch zum Anlass, ein schon länger gehegtes Projekt endlich zu realisieren. Ein nach ihr benannter militärischer Orden sollte zukünftig Offiziere der Armee, unabhängig von Stand und Herkommen, für hervorragende soldatische Leistungen vor dem Feind würdigen. Zum ersten Großkreuzritter des neuen Maria-Theresia-Ordens, der bis 1918 Bestand haben sollte, ernannte sie folgerichtig den Grafen Daun, den in ganz Wien gefeierten Sieger von Kolin.
Die Errettung der Monarchie begingen Kaiserpaar und Hof mit einem Tedeum im Stephansdom am 20. Juni. Am selben Tag wurden auch die bei Kolin erbeuteten 23 preußischen Standarten und Fahnen unter dem ausgelassenen Jubel der Bevölkerung durch die Stadt getragen.125 Aus Versailles meldete Graf Starhemberg, er habe das Gefühl, unter Landsleuten zu sein, so offen wurde dort die Freude über Friedrichs erste Niederlage gezeigt.126
Während in Wien und Versailles Hochstimmung herrschte, musste Friedrich Sorge tragen, dass der Rückzug seiner Armee aus Böhmen nicht in eine Flucht ausartete. Noch am 19. Juni war der König nachmittags in völlig erschöpftem Zustand mit einigen wenigen Berittenen in seinem Lager vor Prag eingetroffen. Nach 36 Stunden im Sattel fiel es ihm umso schwerer, sich die noch unverdaute Niederlage nicht anmerken zu lassen. Hatten seine Soldaten zuvor noch unverbrüchlich an die Unbezwingbarkeit ihres Herrschers geglaubt und gehofft, dass die Gerüchte über die verlorene Schlacht sich nicht bewahrheiten würden, so lieferte ihnen jetzt die nur mühsam bewahrte Haltung des Königs die traurige Gewissheit. Zum ersten Mal in drei Kriegen war die preußische Armee unter ihrem bisher stets vom Glück begünstigten Anführer geschlagen worden.127
Leidlich vom Schock der Katastrophe erholt gab sich Friedrich gegenüber Moritz von Anhalt-Dessau bald wieder kämpferisch. »Das Herz ist mir zerrissen, allein ich bin nicht niedergeschlagen, und werde bei der ersten Gelegenheit versuchen, die Scharte auszuwetzen.«128
Schon am nächsten Morgen gaben die Preußen ihren Belagerungsring auf dem rechten Moldauufer auf und rückten in drei Kolonnen mit klingendem Spiel und entrollten Fahnen zur Elbe nach Brandeis ab. Der Abzug auf der anderen Flussseite verlief allerdings nicht reibungslos. Die Österreicher wagten am Nachmittag einen Ausfall von der Kleinseite aus, der die überraschten Preußen unter Keith fast 1000 Mann und fünf Geschütze kostete.129
Am 25. Juni fand sich die preußische Armee schließlich in zwei Hauptgruppen aufgeteilt. Bei Leitmeritz an der Elbe hatten sich unter dem persönlichen Befehl des Königs die ehemaligen Belagerungskräfte vor Prag gesammelt, insgesamt 50 Bataillone Infanterie und 83 Eskadronen Kavallerie, an der Iser bei Jung-Bunzlau standen weitere 52 Bataillone, die allerdings nach Kolin arg gelichtet waren und bald durch Zusammenlegung auf 34 Bataillone reduziert werden mussten. Das Kommando über diese Kräfte hatte der König am 24. Juni seinem ältesten Bruder, August Wilhelm, dem Prinzen von Preußen, übertragen.
Friedrich hoffte, sich trotz der Niederlage noch eine Zeit lang in Böhmen halten zu können, zumal die österreichische Hauptarmee die Preußen zunächst nicht allzu energisch verfolgte.
Obwohl ihre Streitmacht nach der Befreiung Prags auf knapp 80.000 Mann angewachsen war, stimmten Erzherzog Karl und Daun mit dem Wiener Hof überein, das Risiko einer erneuten großen Schlacht nur einzugehen, wenn sie unter absolut vorteilhaften Bedingungen geschlagen werden könne.130 Staatskanzler Kaunitz warnte in der Ministerrunde am 25. Juni eindringlich davor, Preußens Kriegsmacht zu unterschätzen. Was an einem Tag gewonnen worden sei, könne auch an einem einzigen Tag wieder verloren gehen. Ehe man einen konkreten Plan entwickle, müsse klar sein, was der Preußenkönig tatsächlich beabsichtige.131
Bei der Verfolgung der Preußen taten sich daher zunächst nur die österreichischen Streifkorps hervor. Etwa 20.000 Mann unter den Generalen Franz (Ference) Nadasdy und András Hadik sowie Oberst Gideon Laudon attackierten Nachschubkolonnen und Verwundetentransporte. Im Kern bestand diese Truppe, denen Friedrich nur wenig entgegenzusetzen hatte, aus Kroaten und Husaren. Bei Wellemin etwa gelang es Laudons Reitern, einen Konvoi mit 26 bei Kolin verwundeten Offizieren, darunter auch der Generalmajor von Manstein, zu stellen. Die 100 Sachsen der Bedeckung leisteten nur schwachen Widerstand und der unglückselige von Manstein, der sich nicht ergeben wollte, wurde schwer verletzt und starb wenige Tage später in österreichischer Gefangenschaft.132 Auf der Straße von Lobositz nach Aussig nahmen Laudons Männer kurz darauf sogar ein ganzes Gardebataillon gefangen und Friedrich erkundigte sich wütend in einem Brief beim Prinzen Moritz von Anhalt-Dessau, wie es sein könne, dass er mit seinen immerhin 14 Bataillonen Infanterie und 20 Schwadronen Kavallerie nicht fähig sei, Oberst Laudon und seine 2500 Schurken in Schach zu halten. Mehr als einmal dürfte der König in diesen Tagen wohl mit seiner früheren Entscheidung gehadert haben, diesen außergewöhnlichen Reiterführer nicht in seine Dienste genommen zu haben, als sich der Balte nach dem Ersten Schlesischen Krieg in Potsdam um Aufnahme in die preußische Armee bemüht hatte.
Noch Dutzende Geschütze und Bagagewagen fielen den leichten Reitern der Österreicher in den nächsten Wochen zum Opfer, Hunderte von Soldaten gerieten in Gefangenschaft. Als auch noch im nordböhmischen Gabel am 15. Juli zwei Bataillone unter dem Befehl des Generalmajors Nikolaus Lorenz von Puttkamer die Waffen strecken mussten, wobei 67 Offiziere, 1833 Mannschaften sowie sieben Geschütze verloren gingen, musste die östliche preußische Kolonne unter Prinz August Wilhelm bereits auf die Grenze zur Lausitz ausweichen. Friedrichs Plan, sich wenigstens in einem Teil Böhmens halten zu können, war damit endgültig Makulatur. Nur eine Woche später standen die Österreicher bereits vor Zittau, das die Preußen nach einem heftigen Bombardement aufgeben mussten.133 Friedrich verlor nun die Geduld. Er schrieb seinem Bruder in einem geharnischten Brief, dass er ihn für einen erbärmlichen General halte und ihm in Zukunft nicht einmal mehr zehn Grenadiere anvertrauen würde. Zugleich kündigte er ihm an, dass er nun persönlich das Kommando übernehmen werde. Mit der Hälfte seiner Kolonne ließ er Keith in Leitmeritz an der Elbe zurück und marschierte mit dem Rest seines Korps, zehn Infanteriebataillonen und 15 Eskadronen Kavallerie, über Dresden nach Bautzen, wo er am 29. Juli eintraf. Am selben Tag erfuhr er, dass die Franzosen am 26. Juli mit 74.000 Mann die Weser überschritten und die halb so starke Armee des Herzogs von Cumberland, William Augustus, bei Hastenbeck in der Nähe von Hameln geschlagen hatten. Eine zweite französische Armee unter dem Generalleutnant Charles Rohan de Soubise sammelte sich zur selben Zeit bei Straßbourg, um sich mit dem Reichskontingent bei Fürth zu vereinigen und weiter auf Erfurt und Magdeburg vorzustoßen. Auch die Schweden begannen sich zu rühren und hatten bei Stralsund ein Armeekorps von 20.000 Mann gelandet, was zu Friedrichs Verdruss nicht von der britischen Flotte verhindert worden war. Dem britischen Gesandten Andrew Mitchell, der sich stets in seinem Feldlager aufhielt, klagte der König, er bleibe als der letzte Kämpe des Bundes übrig und müsse wohl allein auf den Trümmern des Vaterlandes kämpfen.134 Zeit hatte er keine mehr zu verlieren, denn an der Grenze zu Ostpreußen machten sich auch die Russen bemerkbar. Nach der Einnahme der Festung Memel am 18. August hatte sich General Wilhelm von Fermor bei Insterburg mit der russischen Hauptarmee unter Feldmarschall Fürst Stephan Apraxin vereinigt.135
Obwohl Friedrich bei Bautzen nur über 50.000 Mann und 72 schwere Geschütze verfügte, war er entschlossen, der mit deutlich überlegenen Kräften bei Zittau stehenden österreichischen Hauptarmee eine Schlacht anzubieten. Nahmen Erzherzog Karl und Daun die Herausforderung an, so könnte ein preußischer Sieg ihm die Zeit für einen Angriff auf die Franzosen verschaffen. Wichen die beiden Heerführer jedoch einem Waffengang aus, so erfüllte ihr Zögern denselben Zweck, da dann von österreichischer Seite in den nächsten Wochen kaum mit einer energischen Kriegführung zu rechnen war.
Als die Armee am 15. August gegen die Österreicher vorrückte, zeigte sich aber rasch, dass der Gegner in einer zu starken Stellung stand. Die Furcht vor einem zweiten Kolin stand allen Offizieren ins Gesicht geschrieben. Zur Erleichterung der preußischen Generalität rückte der König nach einer längeren Unterredung mit Prinz Heinrich von seinem verwegenen Plan ab.136
Daun wolle sich nicht mit ihm schlagen, so wolle er ein Epigramm auf ihn machen, hörte man den König danach sagen.137 Später sollte er den österreichischen Feldmarschall wegen seiner Vorliebe für besetzte Höhen als Kaukasier verspotten.138
Daraufhin teilte Friedrich am 24. August seine Armee erneut, ließ 43.000 Mann zum Schutze der Lausitz und Niederschlesiens unter dem Befehl des Herzogs von Braunschweig-Bevern zurück und zog mit 10.000 Mann über Dresden dem Korps des Generals Soubise entgegen. Die Franzosen hatten inzwischen Eisenach erreicht und sich mit der Reichsarmee vereinigt. In der sächsischen Kapitale fügte der König die 15.000 Mann, die sich befehlsgemäß unter Marschall Keith aus dem westlichen Böhmen zurückgezogen hatten, seiner Streitmacht hinzu und machte sich über Döbeln und Grimma auf den Weg zur Saale.139 Der Kampf auf der inneren Linie hatte begonnen. Über sein kleines Korps spottete Friedrich mit Galgenhumor. Er habe den Krieg als General begonnen und werde ihn als Parteigänger (Freikorpsführer) beenden.140
Charles de Rohan, Herzog von Soubise, war kein überragender Befehlshaber, doch es wäre unredlich, ihn als den großen Versager zu sehen, wie es seine Zeitgenossen nach der Katastrophe von Rossbach taten. Am Krieg in den österreichischen Niederlanden hatte der zum französischen Hochadel zählende Soubise im Gefolge Ludwigs XV. teilgenommen und bei Fontenay die Leibgarde des Königs, das Korps der Gendarmes, geführt.141 Noch vor dem Friedensschluss hatte ihn der König zum General befördert. Niemand wunderte sich darüber, als er 1751 sogar zum Militärbefehlshaber in Flandern und im Hennegau ernannt wurde. Denn Soubise galt als ami de cæur des Königs. Er zählte zum engsten Kreis des Monarchen und sein Kommando über das französische Hilfskorps, das sich im Juli 1757 auf Drängen des Wiener Hofes im nördlichen Elsass sammelte, verdankte der 42-Jährige vor allem der Fürsprache der Madame Pompadour. Die heimliche Herrscherin Frankreichs hoffte so, ihrem Schützling den Ruhm eines kaum zu verfehlenden Sieges über den ihr so verhassten Preußenkönig verschaffen zu können.142
König Ludwig XV. hatte sich im zweiten Versailler Vertrag vom 1. Mai 1757 verpflichtet, mit einem Armeekorps von 24.000 Mann die Österreicher in Böhmen zu unterstützen. Nach dem Sieg von Kolin wurden die Ziele der Verbündeten ambitionierter. Nun sollte das französische Korps rasch über Franken und Thüringen zur Saale vorrücken und nach der Vereinigung mit einem 30.000 Mann starken Heer aus Reichstruppen das von den Preußen besetzte Sachsen befreien. Es war ein Herzensanliegen des Monarchen, dessen ältester Sohn mit einer Tochter des sächsischen Kurfürsten verhiratet war.
Am 30. Juli brachen Soubises Truppen, insgesamt 31 Infanteriebataillone und 22 Eskadronen Kavallerie mit 24 Feldgeschützen, von Straßbourg in Richtung Hanau auf.143
Die Stimmung in der Armee war zuversichtlich. Kurz nach ihrem Abmarsch war die Nachricht eingetroffen, dass die französische Hauptstreitmacht unter Louis Charles Herzog von d’Estrées am 26. Juli 1757 bei Hastenbeck an der Weser das gemischte Heer aus Hannoveranern, Braunschweigern und Hessen unter dem Herzog von Cumberland geschlagen und zum Rückzug zur norddeutschen Küste gezwungen hatte.
Als Soubise einen Monat später in Erfurt eintraf, hatte die französische Hauptarmee bereits ganz Hannover besetzt und ihr neuer Oberbefehlshaber, Louis François Armand de Plessis, Herzog von Richelieu, noch von dem frischen Ruhm der Eroberung von Menorca beflügelt, verhandelte in Wesermünde mit Cumberland über eine Neutralisierung aller seiner Truppen. Frankreich stand damit auf dem Höhepunkt seiner militärischen Erfolge und hatte sein wichtigstes Kriegsziel in Europa erreicht. Das Kurfürstentum Hannover war als Tauschobjekt ganz in seiner Hand.
Für Soubise und seine Offiziere warf dieser rasche Sieg der Hauptarmee allerdings die Frage auf, weshalb man sich überhaupt noch mit den Preußen, die unlängst noch Frankreichs Verbündete gewesen waren, schlagen sollte? Was kümmerte es Frankreich, dass die Kaiserin in Wien unbedingt ihre Provinz Schlesien wiedergewinnen wollte?144 Die Stimmung unter den Franzosen wurde auch dann nicht besser, als man Ende August in Thüringen auf die verbündeten Reichstruppen traf, die unter dem Befehl des österreichischen Feldmarschalls Prinz Joseph Friedrich von Sachsen-Hildburghausen standen. Soubise wurde nur zu schnell klar, dass sein Auftrag mit diesem Verbündeten alles andere als ein Spaziergang sein würde. Die deutschen Kontingente, die aus vier Reichskreisen stammten, riefen das Erstaunen und sogar den Spott der französischen Offiziere hervor. Mehrheitlich schienen sie kaum kampffähig und waren im Vergleich zu den französischen Truppen nur mangelhaft ausgebildet und ausgerüstet. Die Dragoner aus Hessen wüssten nicht einmal, ihre Waffe zu führen, und seien auch nicht in der Lage, sich in Schwadronsformation zu bewegen, schrieb ein verzweifelnder Soubise am nächsten Tag an Kriegsminister Antoine-René de Voyer de Paulmy d’Argenson, den Grafen von Paulmy.145 Der Hang zur Desertion unter den Deutschen drohte bald auch die Disziplin in den französischen Regimentern zu untergraben und viele der protestantischen Württemberger oder Kurpfälzer schienen sogar mit den Preußen zu sympathisieren. Hinzu kam, dass Soubise sich mit Hildburghausen nicht besonders verstand. Größter Streitpunkt war der Oberbefehl, den der Deutsche vertragsgemäß für sich beanspruchte.146 Unter diesen Umständen sah sich Soubise zunächst nicht in der Lage, wie es sein Auftrag vorsah, über die Saale weiter nach Osten vorzurücken. Ihm erschien es nun weit vorteilhafter, darauf zu warten, dass ihm der Herzog von Richelieu, dessen Voraustruppen inzwischen Halberstadt erreicht hatten, ein Unterstützungskorps von 12.000 Mann schickte. So lange sollten sich seine Truppen um Erfurt und Gotha von ihrem langen Marsch erholen. Auch daraus wurde nichts. Schon am 10. September erreichte Soubise und Hildburghausen die alarmierende Nachricht, dass sich die Preußen unter Friedrich rasch der Saale näherten. Obwohl der Gegner nicht annähernd so stark war wie die verbündete Armee, begannen die Verbündeten noch am selben Tag ihren Rückzug nach Eisenach.147
Dass Friedrich überall von den Bewohnern Thüringens mit Jubel empfangen wurde, war zwar Balsam für das angeschlagene Selbstgefühl des Monarchen. Doch die erhoffte Gelegenheit, den Franzosen einen empfindlichen Schlag zu versetzen, hatten Soubise und Hildburghausen mit ihrem raschen Rückzug zunächst vereitelt. Zu allem Übel trafen nun in rascher Folge aus allen Himmelsrichtungen Hiobsbotschaften ein, die Friedrich am Fortbestand seines Königreiches zweifeln ließen. Zunächst hatte ihn am 10. September die Meldung erreicht, dass sein ostpreußisches Korps bei Groß-Jägersdorf südlich der Pregel am 30. August 1757 eine empfindliche Schlappe gegen die Russen erlitten hatte. Die Armee der Zarin wurde von Generalleutnant Stephan Feodorowitsch Fürst Apraxin geführt, einem durchschnittlichen Offizier im Alter von 55 Jahren, der noch unter Peter dem Großen gekämpft hatte, inzwischen aber als Trinker und Frauenheld galt. 32.000 Preußen unter Feldmarschall Hans von Lehwaldt waren über 55.000 Russen hergefallen, die zunächst vom Angriff überrascht wurden. Dann aber war Apraxin noch ein Korps zu Hilfe gekommen und der mit rollendem Feuer vorgetragene Schlussangriff der preußischen Infanterie war an der massierten Abwehr des Gegners gescheitert. Lehwaldt hatte mit einem Verlust von fast 5000 Mann und 28 Geschützen den Rückzug nach Königsberg antreten müssen.148 Ob die Provinz noch gehalten werden konnte, war ungewiss.
Kaum eine Woche später traf Friedrich ein noch härterer Schlag. Von den Franzosen an die norddeutsche Küste bei Stade gedrängt, hatte sich der Herzog von Cumberland in der Konvention von Kloster Zeven am 10. September 1757 verpflichtet, seine Armee aufzulösen und das Kurfürstentum Hannover bis zur Elbe den Franzosen zu überlassen. Der Preußenkönig hatte damit seinen letzten Verbündeten verloren und nichts schien jetzt noch den Herzog von Richelieu daran zu hindern, mit seiner Hauptstreitmacht von fast 75.000 Mann in die Altmark einzumarschieren und Magdeburg, Preußens wichtigste Festung, zu belagern. Den Franzosen stand es sogar frei, sich mit dem schwedischen Korps zu vereinen, das sich bereits in Stärke von 20.000 Mann bei Stralsund sammelte und Berlin von Norden bedrohte. Richelieu besaß auch in diesem Fall immer noch genügend Kräfte, um von Halberstadt aus Soubise und die Reichsarmee zu unterstützen. Viel konnte Friedrich dagegen nicht unternehmen. Den sechs Bataillonen Infanterie und elf Eskadronen unter dem Befehl des Herzogs Ferdinand von Braunschweig, die Friedrich sogleich nach Halle geschickt hatte, gelang es immerhin, die französische Vorhut wieder aus Halberstadt zu vertreiben, aber dieser Erfolg war für die Preußen nicht mehr als ein Zeitgewinn.149
Am meisten jedoch erschütterte den König die Botschaft, dass die Armee des Herzogs von Braunschweig-Bevern am 7. September bei Moys südöstlich von Görlitz eine verlustreiche Niederlage gegen die Österreicher erlitten hatte, wobei General Hans Karl von Winterfeldt tödlich verwundet worden war.150 Winterfeldt war einer der wenigen Offiziere, für die der König freundschaftliche Gefühle empfunden hatte. Seinen Tod hat er jahrelang nicht verwunden. Friedrich geriet in eine persönliche Krise. Alles schien sich gegen ihn zu wenden. Den Untergang seines Königreiches wollte er nicht überleben und es schien, als suche er nur noch nach einer Gelegenheit, einen ruhmvollen Tod zu sterben. »Ich aber, dem der Schiffbruch droht, muss mutig trotzen dem Verderben, als König denken, leben, sterben!«, schrieb er am 7. Oktober an Voltaire, den er immer noch insgeheim verehrte.151 Man sah den König in diesen Tagen oft, wie er noch in der Nacht in seinem Quartier laut deklamierend aus Racines Tragödien antike Feldherren zitierte, sei es als Therapie oder um sich als tragischer Held zu inszenieren, der dem Untergang geweiht war.
Militärisch schien die Lage jetzt kaum mehr zu wenden und die Briten waren immer noch nicht bereit, eigene Truppen nach Norddeutschland zu schicken. Ja, sie hatten auch nicht einmal in Erwägung gezogen, mit ihrer Flotte die schwedischen Truppentransporte nach Usedom zu unterbrechen. Stattdessen plante Pitt ein Landungsunternehmen mit 9000 Mann gegen den Flottenstützpunkt von Rochefort an der französischen Atlantikküste. Das versprach zwar eine Schwächung der transatlantischen Verbindungen des Gegners, würde aber kaum unmittelbare Entlastung für Preußen bringen.152
Friedrich richtete nunmehr alle seine Hoffnungen auf ein Arrangement mit den Franzosen. Über den Herzog von Richelieu versuchte er mit dem Versailler Hof in Verbindung zu treten und die Möglichkeiten zu einem glimpflichen Frieden mit seinem ehemaligen Alliierten auszuloten. In seiner Verzweiflung ging der König sogar so weit, dem Kopf der antipreußischen Partei am Versailler Hof, Madame Pompadour, lebenslang den Besitz des Herzogtums Neuenburg in der Schweiz zu übereignen. Die französische Antwort, die am 13. Oktober eintraf, war jedoch ernüchternd und traf den König tief in seiner Ehre. Richelieu, der persönlich durchaus Sympathien für Preußen empfand, musste Friedrichs Unterhändler mitteilen, dass ein Sonderfrieden mit Preußen nicht infrage komme.153
Zur selben Zeit hatten die Österreicher die Lücke in der Lausitz genutzt, die durch Braunschweig-Beverns Abmarsch nach Schlesien entstanden war, und unter General András Hadik einen Handstreich auf Berlin ausgeführt. Friedrich musste zurück, um noch das Schlimmste zu verhindern, und ließ Feldmarschall Keith mit nur einem schwachen Detachement an der Saale stehen. Aus den eingehenden Meldungen erkannte der König jedoch schnell, dass Hadik nicht mehr als 3500 Reiter mit sich führte und sich bereits wieder auf dem Rückzug befand, nachdem er am 16. Oktober für wenige Stunden die Köpenicker Vorstadt besetzt hatte. Alle für die Kriegführung wichtigen Manufakturen der Hauptstadt waren unbehelligt geblieben. Friedrichs Versuche, den Österreichern den Rückzug zu verlegen, schlugen fehl, doch einen Teil der erbeuteten Münzen konnte die preußische Kavallerie wieder einbringen.
Beruhigende Nachrichten waren Ende September aus Ostpreußen eingetroffen. Die russische Armee unter General Apraxin hatte sich überraschend in Gewaltmärschen nach Memel und schließlich sogar nach Kurland zurückgezogen. Gravierende Versorgungsprobleme und eine Epidemie in der Truppe, vor allem aber der fragile Gesundheitszustand der Zarin Elisabeth, hatten den vorsichtigen Apraxin veranlasst, die Kampfhandlungen vorerst einzustellen. Gerüchte vom baldigen Tod der Herrscherin machten die Runde, und da der Thronfolger bekanntermaßen den Preußen freundlich gesinnt war, erschien Abwarten die bessere Option. Friedrich erteilte darauf Lewaldt am 27. September den Befehl, mit seinem Korps sofort nach Pommern zu marschieren, um das schwedische Korps unter ihrem Befehlshaber Mattias Alexander von Ungern-Sternberg über die Peene zurückzutreiben.154 Das gelang in erstaunlich kurzer Zeit, da französische Unterstützung für die Schweden ausblieb und ihnen die Preußen in Bewaffnung und Ausbildung deutlich überlegen waren.
Plötzlich hatte Friedrich wieder Bewegungsfreiheit und er war zunächst entschlossen, sich mit seiner vereinigten Armee gegen die in Schlesien eingedrungenen Österreicher zu wenden, die am 23. Oktober mit der Belagerung der Festung Schweidnitz begonnen hatten. Doch in Torgau eingetroffen, überraschte ihn am 24. Oktober die Nachricht, dass Soubise und Hildburghausen endlich über die Saale gegangen seien. Friedrich befahl Keith, sofort auf Leipzig zurückzugehen, und rückte selbst in Eilmärschen auf die sächsische Metropole vor.155 Endlich schien die Gelegenheit gekommen, den Franzosen den erhofften Schlag zu versetzen, Schweidnitz könne sicherlich bis zu seiner Rückkehr gehalten werden. Der König ließ nun auch den Herzog Ferdinand von Braunschweig mit seinem Kontingent von Magdeburg heranrücken. Dessen Truppen bewältigten die Strecke von 120 Kilometern in nur drei Tagen und waren auch nach dieser beachtlichen Strapaze noch voller Kampfeifer.156 Am 28. Oktober hatte Friedrich insgesamt 31 Bataillone Infanterie und 45 Kavallerieeskadronen in Leipzig versammelt, musste aber jetzt feststellen, dass einzig die Reichstruppen bisher bei Weißenfels einen Brückenkopf über die Saale gebildet hatten. Hildburghausen wollte zwar unter dem Druck aus Wien auf die Elbe vorrücken, um die Österreicher in der Lausitz zu unterstützen. Doch Soubise lehnte trotz der inzwischen von Richelieu bei ihm eingetroffenen Verstärkung von 12.000 Mann der Hauptarmee eine Überquerung der Saale ab. Dabei konnte er sich auf eine Direktive aus Versailles berufen. Er möge versuchen, die Preußen durch Manövrieren über die Elbe zurückzudrängen, aber es unbedingt vermeiden, seine Armee noch vor dem Winter unnötigen Gefahren auszusetzen.157
Als Friedrich merkte, dass die Franzosen westlich der Saale verharrten und auch die Reichstruppen unter Hildburghausen wegen fehlender Unterstützung durch Soubise am 30. Oktober wieder über den Fluss zurückgingen, entschloss er sich, dem Gegner auf das westliche Ufer zu folgen. Dazu teilte er seine Armee in zwei Gruppen. Die nördliche unter Keith sollte bei Merseburg die Saale überqueren, während der König selbst stromaufwärts bei Weißenfels den Flussübergang durchführen wollte. Dort musste er aber feststellen, dass der Gegner die feste Brücke über die Saale niedergebrannt hatte. Doch die Preußen fanden nach einigen Querbewegungen eine geeignete Stelle für eine Pionierbrücke. Am 3. November war die gesamte preußische Armee über den Fluss und hatte, nachdem alle Kolonnen bis zum Morgen des folgenden Tages bei Braunsdorf eingetroffen waren, eine nach Westen gerichtete Stellung zwischen Bedra und Rossbach bezogen. In der letztgenannten Ortschaft hatte Friedrich auch sein Hauptquartier aufgeschlagen. Soubise hatte nur wenig weiter westlich mit seinen Truppen bei Mücheln ein Lager bezogen und ein Korps zur Deckung auf die Schortauer Höhen vorgeschoben. Immer noch war der Franzose bedacht, wie es ja auch seine Weisungen aus Versailles vorsahen, eine Schlacht gegen den nach wie vor gefürchteten Preußenkönig zu vermeiden. Jedes weitere Ausweichen nach Westen wäre ihm allerdings vom Versailler Hof als Flucht ausgelegt worden. Immerhin hatte er jetzt 30.000 Mann unter Waffen und zusammen mit den 11.000 Deutschen unter Hildburghausen konnte er gegenüber nur 21.000 Preußen sogar die doppelte Übermacht aufbieten.158 Daher entschied sich Soubise am 4. November zu einer militärischen Demonstration und ließ seine gesamte Armee in voller Gefechtsaufstellung etwa 400 Meter vorrücken, soweit das Gelände vorteilhaft war.159 Erwartungsgemäß zogen sich die Preußen zurück und der Beschuss durch die aufgefahrenen französischen Geschütze beschleunigte ihren Rückzug. Im Lager der Franzosen herrschte darauf überschwängliche Genugtuung, über die sich Friedrich später lustig machte: Alles, was sie an Musikern und Trompetern hatten, ihre Tambours und Pfeiffer ließen sich vernehmen, als hätten sie einen Sieg errungen.160 Der Köder war ausgelegt und am nächsten Tag sollte der Gegner nach ihm schnappen.
Soubise und Hildburghausen waren nun tatsächlich entschlossen, durch einen rechts ausholenden Marsch über Zeuchfeld und Reichardtswerben den Preußen die südliche Flanke bei Rossbach abzugewinnen und sie dadurch entweder zu einer Schlacht unter ungünstigen Bedingungen oder zum kampflosen Rückzug über die Saale zu zwingen. Dies wäre ein Erfolg, nach dem man beruhigt die Winterquartiere beziehen könne.
Am 5. November benötigten die Verbündeten allerdings den gesamten Vormittag, ehe sie sich endlich in drei parallelen Marschkolonnen Richtung Süden formiert hatten. Gegen 14 Uhr hatten sie Zeuchfeld erreicht und schwenkten danach nach Osten auf Reichardtswerben. Bis dahin hatte Friedrich in aller Ruhe mit etlichen Offizieren in seinem Quartier am Südrand von Rossbach gespeist. Die Ortschaft war kilometerweit von leicht welligem und baumlosem Ackerland umgeben und so konnte Friedrich durch ein in die Giebelwand geschlagenes Loch die Bewegung des Gegners gut verfolgen. Sofort gab er seiner immer noch zwischen Breda und Rossbach in Stellung befindlichen Armee den Befehl, nach links abzumarschieren und hinter dem Janus-Hügel eine neue Aufstellung zu beziehen. Es handelte sich bei der Anhöhe um einen von Westen nach Osten verlaufenden Kamm etwa zwei Kilometer nordöstlich von Rossbach, der den aufbrechenden preußischen Infanteriebataillonen guten Sichtschutz bot. Die Verbündeten hatten das schnelle Abbauen der Zelte auf preußischer Seite und den zügigen Abmarsch der gegnerischen Infanterie als Rückzug gedeutet und fühlten sich in ihrer Einschätzung der Lage noch mehr bestätigt.
Derweil hatte sich die preußische Kavallerie unter dem Befehl von Friedrich Wilhelm von Seydlitz hinter dem östlichen Ausläufer des Janus-Hügels zu zwei Treffen formiert. Gegen 15.30 Uhr eröffnete Seydlitz die Schlacht, die Friedrichs Königtum rettete, durch einen massiven Angriff seiner ersten Treffen auf die Vorhut der Verbündeten. Der Generalmajor stand in seinem 36. Lebensjahr und war mit seiner schlanken Gestalt ein Bilderbuchsoldat und außergewöhnlicher Reiter. Im niederrheinischen Kalkar als Sohn eines preußischen Kavallerieoffiziers geboren, hatte er an sämtlichen Feldzügen Friedrichs teilgenommen und besaß im Gefecht den berühmten Blick für den richtigen Moment. Der König schätzte den jungen Offizier, hatte ihm zunächst die Führung seines Eliteregiments Garde du Corps anvertraut und ihm für seinen außergewöhnlichen Einsatz bei Kolin den Pour le mérit verliehen.
Die Vorhut der Verbündeten aus deutschen Kavallerieregimentern war bisher etwa 2000 Meter vor der Hauptkolonne marschiert und hatte bereits Reichardtswerben rechts passiert, als sie durch den Angriff der preußischen Kavallerie völlig überrascht wurde. Der Gegner, darunter auch die beiden österreichischen Kürassierregimenter Pretlach und Trautmannsdorff, konnte sich zunächst im Nahkampf von Reiter zu Reiter behaupten. Soubise schickte zu ihrer Verstärkung weitere französische Kavallerie nach vorne, doch als Seydlitz auch die 18 Eskadronen seines zweiten Treffens auf beiden Seiten umfassend einsetzte, brach der Widerstand des Gegners zusammen. In wilder Flucht sprengten die Überlebenden zurück und rissen auch die bisher noch unbeteiligten Kavallerieregimenter mit. Inzwischen hatte Friedrich 18 Geschütze seiner schweren Artillerie auf dem Janus-Hügel in Stellung gebracht und ein verheerendes Feuer auf die nachfolgenden Kolonnen der gegnerischen Infanterie eröffnet. Gleichzeitig überschritt die preußische Infanterie, bataillonsweise gestaffelt, den Kamm des Hügels und bildete einen weiten Bogen um die Spitze der gegnerischen Infanterie. Die führenden französischen Regimenter Piemont und Mailly versuchten in Kolonne den preußischen Ring frontal zu durchbrechen, gerieten aber in flankierendes Feuer und fluteten aufgelöst zurück.161 Währenddessen war es Seydlitz gelungen, seine siegreichen Eskadronen von der Verfolgung der gegnerischen Kavallerie zurückzurufen und erneut zu sammeln. Sodann führte er sie südlich um Reichardtswerben herum gegen die rechte Flanke des zum Stehen gekommenen Gegners. Für ein Kavallerieaufgebot des 18. Jahrhundert war dies eine außergewöhnliche Leistung, die Seydlitz’ Führungsstärke ebenso wie die Disziplin seiner Reiter unterstrich. In weniger als einer Viertelstunde brach der Widerstand der Verbündeten auch hier zusammen. Noch ehe überhaupt Friedrich alle seine Bataillone hatte heranführen können, floh die Masse der gegnerischen Infanterie, von Seydlitz’ Kavalleristen erbarmungslos niedergehauen. Niemand mochte noch auf die Ermahnungen der Offiziere hören, den Franzosen Pardon zu geben. Der Gegner ließ fast 70 Geschütze und einen Teil seiner Fahnen auf dem Schlachtfeld. Wegen der bald einbrechenden Dunkelheit konnten die siegreichen Preußen ihre Verfolgung nicht über das Schlachtfeld hinaus ausweiten. Auf der Höhe von Obschütz ließ Friedrich seine Truppen haltmachen.162 Mehr als 5000 Gefangene, darunter acht Generale und 260 Offiziere, hatte seine Armee an diesem Nachmittag eingebracht. Während Franzosen und Soldaten der Reichsarmee in der Nacht aufgelöst zur Unstrut strömten und selbst auf dem anderen Ufer vorerst keine Ordnung hergestellt werden konnte, sammelten die preußischen Soldaten die weggeworfenen Gewehre des Gegners und nutzten in der bitterkalten Nacht die Schäfte als Feuerholz.
Die preußischen Verluste von nicht einmal 600 Soldaten, darunter 167 Tote, standen in keinem Verhältnis zur politischen Bedeutung der Schlacht. Frankreich war nicht nur gedemütigt, es war durch seine Niederlage nach beeindruckenden Anfangserfolgen zutiefst schockiert. Von Rossbach sollte sich die bis dahin erste europäische Großmacht nicht mehr erholen. In Versailles begann sich die alte propreußische Partei um Marschall Belle-Isle wieder zu rühren und selbst ein Protagonist der neuen Allianz mit Österreich wie Abbé Bernis zeigte sich erschüttert vom Ausmaß des militärischen Zusammenbruchs. Als neuer Außenminister warnte er den König, dass die Fortsetzung des Krieges bei dem desolaten Zustand der Armee Selbstmord sei.163
Noch am Abend schrieb Friedrich aus seinem Quartier im Schloss Burgwerben an der Saale an seine ältere Schwester, die Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth, dass er nun in Frieden in die Grube fahren könne. »Wir können unglücklich sein, aber wir werden nicht entehrt sein.«164 Noch ahnte er nicht, welche politischen Wellen sein Sieg auslösen würde. In Berlin, so notierte Karl Wilhelm Ramler, Publizist, Freimaurer und Philosophiedozent an der dortigen Kadettenanstalt, höre die Jugend gar nicht mehr auf, »Victoria zu schießen«, und Kaufleute boten in Massen seidene Bänder zur Verzierung von Hüten, Westen oder Degen an.165 Nicht nur die Hauptstadt begeisterte sich plötzlich für den »Markgrafen von Brandenburg«, der sich gegen eine erdrückende Übermacht hatte behaupten können und selbst Frankreich die Stirn geboten hatte. Das protestantische Deutschland feierte ihn als neuen nordischen Helden und es war bald Mode, »Fritzisch« gesinnt zu sein.166 Auch das rücksichtslose Verhalten des französischen Militärs in den besetzten norddeutschen Gebieten trug erheblich zu einem Gesinnungswandel bei. Dass Generale und Offiziere in den besetzten Städten und Gemeinden regelmäßig hohe Summen erpressten, die oft in ihre eigenen Taschen wanderten, führte zu einer Flut von Klagen nach Wien. So machten sich nicht nur die französischen Okkupanten rasch im Lande verhasst, auch das österreichische Kaiserhaus büßte die letzten bescheidenen Sympathien ein, die man in Norddeutschland noch gehegt hatte.167
Überraschend war jedoch, dass nun auch durch England eine Welle der Verehrung für Friedrich brandete, überall wurden Tavernen nach dem König von Preußen benannt, sein Bild zierte Schnupftabaksdosen, Bierkrüge und Kaffeetassen. Friedrichs Porträts fanden als Kupferstiche reißenden Absatz und sogar Feuerwerke im ganzen Land wurden zu seinen Ehren veranstaltet. Der Sieger von Rossbach war der Held der Stunde.168
Bedeutsamer für Preußen war jedoch, dass das britische Kabinett unter William Pitt und dem Herzog von Newcastle inzwischen entschlossen war, die für Großbritannien peinliche Konvention von Zeven aufzukündigen. Cumberlands Armee aus hannoverischen, hessischen und braunschweigischen Truppen sollte nun einem preußischen General unterstellt und zukünftig durch britische Subsidien finanziert werden. In weniger als einer Stunde Kampf hatte sich Friedrichs verzweifelte Lage vollkommen gewendet. Frankreich war geschlagen und sein Verbleiben im Krieg zunächst zweifelhaft, Russlands Armee hatte sich nach Kurland zurückgezogen und die Schweden standen isoliert in Vorpommern. Ein vergleichbarer Schlachtenerfolg gegen Österreich konnte nun sogar den erhofften Frieden bringen. Am 12. November brach der König von Leipzig mit 18 Bataillonen Infanterie und 23 Eskadronen nach Osten auf und erreichte nur elf Tage später Naumburg am Queis, das Tor zur Provinz Schlesien.169
Als Friedrich am 2. Dezember 1757 bei Parchwitz an der Katzbach, etwa 50 Kilometer nordwestlich von Breslau, die Reste der Armee des Herzogs von Braunschweig-Bevern aufnahm, schien es schon fast zu spät für eine militärische Wende in Schlesien. Von den 43.000 Mann, die er dem Herzog erst drei Monate zuvor unterstellt hatte, stieß aus Glogau gerade noch die Hälfte zu ihm.
Inzwischen war Schweidnitz durch einen Sturmangriff der Österreicher verloren gegangen. Noch bei seinem Abmarsch an die Saale hatte Friedrich gehofft, die Festung könne sich bis zu seiner Rückkehr halten. Alle Eile war freilich vergebens gewesen. Die Katastrophe hätte nicht verheerender sein können. 6000 Preußen waren beim Sturm auf Schweidnitz am 13. November in Gefangenschaft geraten. Der Gegner hatte in der Festung Unmengen an Kriegsmaterial sowie eine mit über 330.000 Talern prall gefüllte Kriegskasse erbeutet. Die Kette ungünstiger Nachrichten wollte noch nicht abreißen. Am 22. November hatte die wiedervereinigte österreichische Armee die allzu passive preußische Hauptarmee mit einem nochmaligen Verlust von 7000 Mann aus ihren Stellungen bei Breslau vertrieben. Kurz darauf war der Herzog von Braunschweig-Bevern, den Friedrich für das neuerliche Desaster verantwortlich machte, auf einem Erkundungsritt von Kroaten gefangen genommen worden. Nur zwei Tage später hatte am 24. November auch die schlesische Hauptstadt kapituliert. Die durch Desertion auf 600 Mann reduzierte Besatzung durfte immerhin nach Glogau abrücken.170
Damit schien der glänzende Erfolg von Rossbach mehr als neutralisiert. Aber Friedrich gab sich zuversichtlich. An seinen Bruder, Prinz Heinrich, schrieb er am 30. November: »Wenn das Glück mir hold ist, was sich in der Zeit von jetzt bis zum 6. Dezember entscheiden muss, so werde ich Breslau und Schweidnitz wieder erobern und völligen Wandel in diesem Lande hier schaffen. Wenn es dem Himmel gefällt, wird sich alles wenden, aber es wird viel Mühe kosten.«171
In Wien begingen die Kaiserin und ihr Hof derweil ein feierliches Tedeum, denn fast ganz Schlesien befand sich wieder in der Hand der Österreicher. Für Breslau und Schlesien ernannten die Österreicher sogleich einen neuen katholischen Verwaltungschef, dem aber ein reformierter Militärgouverneur zur Seite gestellt wurde. Die neuen Herren achteten peinlichst darauf, die Gefühle der schlesischen Protestanten nicht zu verletzen. Alle preußischen Beamten, die bleiben wollten, konnten den Treueid auf die Kaiserin leisten.172 So schnell wie möglich versuchten die Österreicher, die Zustände von vor 1740 wiederherzustellen, als alle Bewohner Schlesiens, wie es der protestantische Kirchen- und Schuldirekter Burg in vollendetem Opportunismus erklärte, unter Habsburgs Zepter glücklich gewesen seien. Eine Rückkehr der Preußen schien angesichts der eindeutigen militärischen Kräfteverhältnisse völlig ausgeschlossen.
Erzherzog Karl und Leopold Daun befehligten eine Armee von immerhin 65.000 Mann, die sich anfangs in den alten preußischen Stellungen bei Breslau gut verschanzt hatte. Dagegen konnte Friedrich nur eine halb so starke Truppenmacht aufbieten. Doch aus dieser bescheidenen Armee von 35.000 Mann,173 die kaum ein Drittel dessen ausmachte, was der König noch ein halbes Jahr zuvor für seinen Zug gegen Prag hatte aufbieten können, formte er in nur wenigen Tagen im Lager von Parchwitz ein höchst schlagkräftiges Instrument. Weder vor dem 5. Dezember noch danach sollte er jemals wieder eine derart außergewöhnliche Streitmacht ins Gefecht führen können. Kein Wort des Vorwurfs erhob Friedrich gegen die vor Breslau geschlagenen Truppen, stattdessen sorgte er für verdoppelte Verpflegung, beförderte sogar einige Generale, zeichnete vor allem seinen jüngeren Bruder, den Prinzen Ferdinand von Preußen, mit dem Pour le merit aus und setzte mit Recht auf die ermutigende Wirkung der zahlreichen Schilderungen seines Rossbacher Sieges, die im Lager die Runde machten.
Legendär war auch die Ansprache des Königs an seine Generale und Stabsoffiziere am Morgen des 3. Dezember, die Prinz Ferdinand von Preußen im Zusammenhang überliefert hat.174 Für ein klärendes Wort war es auch höchste Zeit, denn etliche hohe Offiziere glaubten seit Kolin nicht mehr an einen günstigen Ausgang des Krieges, und einer der höchsten Befehlshaber, Prinz Moritz von Anhalt-Dessau, hatte sogar schon seinen Abschied erbeten. Auch machte das Gerücht die Runde, dass der Herzog von Braunschweig-Bevern sich absichtlich von den Kroaten vor Breslau habe gefangen nehmen lassen. Als Friedrich nun in den Kreis seiner Regiments- und Bataillonskommandeure trat, erregte er großes Erstaunen. Viele hatten ihren König und Oberbefehlshaber seit Monaten nicht mehr gesehen und bemerkten seine sichtlich gealterte Erscheinung, ein Eindruck, der durch seinen zerschlissenen Waffenrock noch verstärkt wurde. Umso mehr beeindruckten Friedrichs Worte die Versammlung. Entgegen seiner Gewohnheit hielt der König seine Rede in Deutsch. Wie drei Monate zuvor bei Zittau wollte er jetzt wieder einen überlegenen Feind, dessen Stärke er mit nur 40.000 Mann erneut massiv unterschätzte, in einer gut ausgebauten Stellung angreifen. Der König machte kein Geheimnis daraus, dass er zum äußersten Risiko bereit war. Die Parole lautete: »Sieg oder Untergang!« Friedrich stellte es dabei jedem seiner Offiziere, der nicht mehr an seine Sache glaubte, frei, den Abschied zu nehmen. Offenbar hatte er damit den richtigen Ton getroffen. Das zunächst betroffene Schweigen der Versammlung beendete der Major Hans Christoph von Billerbeck mit seinem spontanen Ruf, dass jeder, der den König jetzt im Stich lasse, ein »infamer Hundsfott« sei. Das schien auch die Stimmung vieler Offiziere zum Ausdruck zu bringen.175
Bei Lichte betrachtet hatte der König auch jetzt nichts anderes zu bieten als seine Entschlossenheit, die er auf seine Leute übertragen wollte. Gemäß der von seinem Bruder überlieferten Zusammenfassung konnte Friedrich keinen einzigen Punkt anführen, der in der kommenden Schlacht für die preußische Armee sprach. Nicht einmal das Moment der Überraschung stand aufseiten der Preußen. Die Österreicher waren fast doppelt so stark, standen in einer günstigen Stellung und konnten seit Kolin auf eine beeindruckende Kette von Erfolgen zurückblicken.
Den Preußen schien nur noch ein Wunder helfen zu können, und das trat auch tatsächlich ein. Im österreichischen Hauptquartier im Schloss des Barons von Mudra in Lissa hatte sich am 2. Dezember nach offenbar langer und heftiger Debatte Erzherzog Karl mit der Ansicht durchgesetzt, die günstigen Stellungen vor Breslau zu verlassen und dem Gegner über die Weistritz, einem rechten Nebenlauf der Oder, entgegenzuziehen. Die Preußen sollten endgültig aus Schlesien vertrieben werden, ehe sie sich in ihrer gegenwärtigen Stellung allzu sehr befestigen konnten und dort eine ständige Gefahr für die österreichischen Winterquartiere sein würden. Der vorsichtigere Daun schien dagegen zunächst die Ansicht vertreten zu haben, den immer noch gefährlichen Gegner hinter der Weistritz zu erwarten. Schließlich aber hatte er doch der auch vom Wiener Hof bevorzugten Meinung nachgegeben, dass der Feldzug mit einer erfolgreichen Aktion abgeschlossen werden müsse.176
Wirklich überzeugende Gründe für den Vormarsch der Österreicher werden jedoch an keiner Stelle genannt. In einem Brief vom 27. November hatte Karl seinem kaiserlichen Bruder in Wien voller Optimismus über die außergewöhnlich hohe Desertionsrate der Preußen in Breslau berichtet und möglicherweise setzte er darauf, dass auch das preußische Hauptheer von dieser Entwicklung betroffen sei. Eine Woche später aber warnte er plötzlich, dass Friedrich immer noch ein höchst gefährlicher Gegner sei und man in ernste Schwierigkeiten geraten werde, wenn er einen mit seiner gesamten Macht attackiere.177
Dieser »höchst gefährliche Gegner« fand dann auch die treffenden Worte, als ihm am 4. Dezember abends in seinem Neumarkter Quartier gemeldet wurde, dass die gesamte feindliche Armee die Weistritz überschritten habe. Der Fuchs habe seinen Bau verlassen, bemerkte Friedrich in allerbester Stimmung zu dem Prinzen Franz von Braunschweig, nun werde er seinen Übermut bestrafen.178 Am selben Nachmittag hatten seine Husaren in Neumarkt eine große Feldbäckerei der Österreicher mit riesigen Vorräten an Brot und Mehl in ihre Hand gebracht und dabei auch noch 500 Kroaten gefangen genommen.179 Für die Preußen mitten im Winter eine willkommene Beute und zugleich ein gutes Omen für die bevorstehende Schlacht.
Am nächsten Morgen brach die preußische Armee noch in der Dunkelheit ihr Lager ab und setzte sich gegen 8 Uhr in vier parallelen Kolonnen, die Infanterie in der Mitte, auf der Heerstraße von Liegnitz nach Breslau in Bewegung. 25 Eskadronen und sechs Bataillone Infanterie unter dem Kommando des Prinzen Moritz von Dessau bildeten die Vorhut. Das Wetter war zunächst neblig und eine leichte Schneedecke lag über den fast ebenen, gefrorenen Feldern. Etwa eine Stunde nach Beginn des Marsches kam es vor der kleinen Ortschaft Borne zu einem ersten Schlagabtausch mit der gegnerischen Kavallerie, wobei die preußische Vorhut drei sächsische Kavallerieregimenter zersprengte und 600 Gefangene machte. Friedrich ließ die Sachsen an den preußischen Kolonnen vorbei nach hinten führen, was die Stimmung ungemein anhob.
Von einem der Hügel südlich Groß-Heida, das etwa acht Kilometer westlich von Lissa lag, konnte sich Friedrich kurz vor Mittag eine erste Einsicht in die österreichischen Stellungen verschaffen. Inzwischen war der Nebel einem klaren Tag gewichen. Da der König das Gelände aus früheren Feldübungen kannte, überraschte es ihn nicht, dass die beiden gegnerischen Heerführer ihre Armee ausgerechnet hier in einer etwa acht Kilometer langen Front von Nippern im Norden bis Sagschütz im Süden in Stellung gebracht hatten. Das Zentrum der Österreicher bildete das leichte Höhengelände vorwärts der Ortschaften Frobel-witz und Leuthen, das durch zwei schwere Batterien in vorderster Linie verstärkt worden war. Friedrich hätte von seinem Übersichtspunkt aus jeden einzelnen Soldaten auf österreichischer Seite zählen können.180 Spätestens jetzt dürfte ihm aber auch klar geworden sein, dass er es mit einer erheblich größeren Streitmacht zu tun hatte, als bisher angenommen. Anders als bei Kolin verfiel er aber nicht in stundenlanges Zögern. Friedrichs Plan für die Schlacht dürfte in groben Zügen schon seit dem Vorabend festgestanden haben. Jetzt ging es nur noch um letzte Anpassungen. Seiner Vorhut befahl er, ihren Marsch über Heida hinaus auf den nördlichen Flügel der Österreicher fortzusetzen und sich gegen Frobelwitz zum Angriff zu entfalten. Dahinter ließ er seine vier Kolonnen, deren Spitzen noch etwa 1500 Meter zurückhingen, zunächst aufschließen, als ob sie sich hinter der Vorhut zum Angriff entfalten sollten. Dann aber befahl er ihnen etwa gegen 11 Uhr, von der Breslauer Heerstraße scharf nach Süden zu schwenken. Dabei bildete die vordere Hälfte aller vier ursprünglichen Kolonnen eine neue Marschgruppe aus Infanterie und Kavallerie, die hintere Hälfte eine zweite.181 Beide neuen Kolonnen bewegten sich nun parallel etwa vier Kilometer entlang der österreichischen Stellungen, bis sie hinter der Ortschaft Lobetinz wieder eine östliche Richtung einschlugen, um nach weiteren drei Kilometern durch eine geschlossene Linksschwenkung Front gegen Sagschütz zu machen. Die kleine Ortschaft auf einer sanften Anhöhe bildete den südlichen Pfeiler der österreichischen Gesamtstellung und wurde von drei württembergischen Bataillonen gehalten. Wie schon bei Prag und Kolin beabsichtigte Friedrich, mit seiner gesamten Truppenmacht nur einen einzigen Flügel der Österreicher anzugreifen, während ihr Zentrum und der zweite Flügel völlig unbehelligt blieben. Dabei setzte er darauf, dass der Gegner nicht schnell genug auf die neue Bedrohung reagierte.
Der König profitierte in dieser Eröffnungsphase von zwei Umständen. Schon beim Herannahen der preußischen Vorhut hatte ein verunsicherter Erzherzog Karl den wiederholten Hilferufen seines Generals Joseph Graf von Lucchesi, der den Nordflügel der Österreicher bei Nippern befehligte, nachgegeben und ihm neun Bataillone sowie etliche Kavallerie aus seiner Hauptreserve zur Unterstützung geschickt. Friedrichs Finte, seine Vorhut über Groß-Heida hinaus weiter auf die österreichischen Stellungen marschieren zu lassen, hatte ihr Ziel nicht verfehlt. Der durchaus kriegserfahrene Karl beging einen Anfängerfehler, den Daun trotz heftiger Einsprüche nicht verhindern konnte und auf den Friedrich auch nicht unbedingt hatte zählen können.182 Ein zweiter für die Preußen glücklicher Umstand ergab sich daraus, dass den beiden österreichischen Befehlshabern, die das Geschehen aus einer Windmühle auf einem Hügel hinter Frobelwitz, der Breslauer Berg genannt wurde, beobachteten, der Umgehungsmarsch in seinem ganzen Ausmaß entging. Daun glaubte beim Rechtsschwenk der Preußen eher an einen Abmarsch des Gegners wie wenige Monate zuvor bei Zittau.183 Möglicherweise wollte Friedrich sie auch aus ihrer Stellung manövrieren. Auf die Idee, die Reserve vom Nordflügel wieder zurückzubeordern, kamen aber weder er noch Erzherzog Karl. Von dem plötzlichen Auftauchen des Gegners südlich von Sagschütz wurden beide Feldherren nur zwei Stunden später völlig überrascht.
Etwa gegen 13 Uhr hatten die Bataillone des preußischen Umfassungsflügels ihre Ausgangsstellung erreicht. Durch ein Linksschwenken auf der Stelle hatten sich die beiden Marschkolonnen auf einen Schlag zu zwei hintereinander stehenden Treffen entwickelt. Nach der Taktik der schiefen Schlachtordnung sollten die Bataillone des ersten Treffens, beginnend mit dem äußerst rechten, en echelon den Gegner angreifen. Das zweite Bataillon rückte vor, wenn das erste 50 Meter voraus war. Die übrigen Bataillone agierten analog, sodass eine schiefe Angriffslinie entstand. In gleicher Weise hatte sich auch das zweite Treffen formiert. Zietens Kavallerie deckte mit 23 Eskadronen den rechten Flügel der Preußen zur Weistritz hin. Zehn 12-Pfünder-Geschütze, die zunächst auf dem Glanzberge in Stellung gegangen waren, sollten den ersten Ansturm mit ihren weitreichenden Geschossen unterstützen. Drei preußische Bataillone unter dem Kommando des Generals Karl Heinrich von Wedell bildeten die Angriffsspitze. Eile war geboten, denn es standen nur noch vier Stunden Tageslicht zur Verfügung. Friedrich wies Wedells Bataillone persönlich ein. Das Angriffsziel war ein mit Kiefern bestandener Hügel am südlichen Ortsrand von Sagschütz. Vor den Grenadieren aus der Niederlausitz und aus der Neumark lagen etwa 1000 Meter freies Feld. Einer von ihnen war der Freikorporal und Fahnenträger des Bataillons Meyerinck, der 20-jährige Friedrich Rudolph Freiherr von Barsewisch. Seine persönlichen Eindrücke bis zu seiner schweren Verwundung hat er in seinen Erinnerungen festgehalten:
»Der Feind stand ganz ruhig und störte uns in unserer militärischen Ordnung nicht eher, bis wir etwa 200 Schritte von ihm entfernt waren. Hierbei ist noch zu bemerken, dass seine Majestät uns während des Avancierens einige Male einen Adjutanten schickten, wir sollten nicht so stark, sondern ganz langsam avancieren. Unsere Soldaten hätten aber lieber den Feind in vollem Lauf sogleich angegriffen, dass daher der Oberstleutnant von Bock und die übrigen Kommandeure der Bataillone genug zu tun hatten, die Truppen von dem allzu starken avancieren zurückzuhalten, welches teils mit Güte und teils mit Gewalt geschehen musste. […]
Da wir nun bis auf die Entfernung von 200 Schritten an die feindliche Verschanzung vorgerückt waren, so trafen wir dort einen kleinen Feldgraben mit Weiden an. Nun schrie unser Kommandeur: Canoniere, protzt ab und gebt Feuer. Indem nun unsere Canoniere am Werk warten an dem Graben, den sie ohnehin nicht so mit geraden Schritten und den Canons passieren konnten, dieselben abzufeuern, so fing der Feind an, mit sieben Canonenschüssen uns zu begrüßen, was unsere Canoniere sogleich erwiderten, dass wir also fast mit ihnen zugleich anfingen zu feuern. Ihre sieben Schüsse taten uns beträchtlichen Schaden, indem selbige alle auf diese Gräben gerichtet waren.
Der Verhau war mit Württembergischen Grenadiers besetzt, welche über ihre blanken Mützen weiße Überzüge hatten. Solche fingen mit ihren kleinen Gewehren mit den Canonen beinahe zugleich zu feuern an. Da aber entweder ihre Patronen zu schwach [waren], oder sie ihre Gewehre zu niedrig gerichtet hatten, kurz, wir hatten von ihrem ersten kleinen Gewehrfeuer wenig Schaden. Wir erwiderten dieses Feuer, sobald wir über den Graben gesprungen, sogleich mit einer Salve vom kleinen Gewehr und blessierten dabei viele tapfere Württemberger. Unsere Artillerie hatte bei dem ersten Schuss sogleich zwei feindliche Canonen demoliert. Unsere beherzten Soldaten hatten nun keine Geduld mehr, sondern liefen mit der größten Bravour und gefälltem Gewehr auf den Feind zu, so dass wir bei der zweiten Salve bereits unter ihren Canonen waren.«184
Der Einbruch der Preußen in Sagschütz ließ auch die links und rechts benachbarten württembergischen Bataillone zurückgehen, obwohl sie nicht einmal in die Nähe der preußischen Bajonette geraten waren. Verzweifelt versuchte der Befehlshaber des südlichen Flügels, General Franz Nadasdy, eine zweite Verteidigungslinie westlich angelehnt an die Ortschaft Groß Gohlau aufzubauen. Zugleich führte er seine Kavallerie in die östliche Flanke der preußischen Angriffswelle. Dort aber stießen sie auf die fünf bereits vorgezogenen Infanteriebataillone des Prinzen Moritz von Anhalt-Dessau. Gegen deren massives Abwehrfeuer drangen Nadasdys Reiter nicht durch und mussten schließlich kehrtmachen, dabei wurden sie auf ihrem Rückzug von Zietens Husaren angefallen. Die preußischen Reiter machten 2000 Gefangene und schlugen den Rest in die volle Flucht auf Lissa.
Derweil setzten nach kurzem Ordnen ihrer Reihen von Wedells Infanteriebataillone zum Sturm auf die zweite Verteidigungslinie der Österreicher hinter Sagschütz an. Günstig wirkte sich jetzt auch das Feuer sämtlicher schwerer preußischen Geschütze in die dichte und ungeordnete Masse der Österreicher aus.
Endlich hatten Erzherzog Karl und Graf Daun die Gefahr für ihren südlichen Flügel erkannt und auf die immer dringlicheren Hilferufe Nadasdys mit Verstärkungen reagiert. Vom österreichischen Zentrum und schließlich auch vom nördlichen Flügel wurden stetig mehr Bataillone nach Süden dirigiert. Etwa gegen 15.30 Uhr hatte die österreichische Gesamtstellung sich von ihrer ursprünglichen Nord-Süd-Ausrichtung um ein Viertel in eine von Westen nach Osten verlaufende Position gedreht. Das Zentrum der Österreicher bildete die Ortschaft Leuthen, die sich in einer Länge von anderthalb Kilometern ebenfalls von Westen nach Osten ausdehnte. Etwa gegen 16 Uhr erfolgte der preußische Hauptangriff, der aber nur bis zum Ortsrand von Leuthen vordrang. Insbesondere der stark ummauerte Kirchhof des Ortes wurde von einem Würzburgischen Bataillon hartnäckig verteidigt und konnte erst genommen werden, nachdem die Bataillongeschütze eine Bresche in den südlichen Mauerring geschossen hatte. Zeitgleich drang auch das III. Bataillon der Garde durch ein aufgebrochenes Nebentor in die Ummauerung ein. Von den Würzburgern entkamen nur vier Offiziere und 33 Mann.185
Die Österreicher und die Reste der Süddeutschen sammelten sich noch einmal nördlich der Ortschaft und bildeten zusammen mit den nun von Norden eintreffenden Verstärkungen eine dichte Masse, die dem Ansturm der mittlerweile erschöpften preußischen Bataillone immer noch mehr als gewachsen schien. Selbst zu diesem späten Zeitpunkt hätte die Schlacht eine Wende zugunsten der Österreicher nehmen können, wenn der überraschende Angriff von 70 Eskadronen der österreichischen Kavallerie unter den Generalen Lucchesi und Serbelloni in die westliche Flanke der preußischen Infanteriemasse nicht abgefangen worden wäre.
In der Eile hatte es Luchesi versäumt, die übliche Gefechtsaufklärung zu betreiben, und so war ihm entgangen, dass die Preußen noch über eine einsatzbereite Kavalleriereserve von 40 Schwadronen verfügten.186 Unter dem Kommando des Generalleutnants Georg Wilhelm von Driesen hatte sich dieser Teil der preußischen Reiterei, darunter die berühmten Ansbach-Dragoner, in einer Bodensenke westlich der Ortschaft Lobetinz bereitgehalten. Driesen erkannte sogleich die ungeheure Bedrohung des österreichischen Angriffs und führte seine Kavallerie aus eigenem Entschluss in die Flanke der überraschten Österreicher. Luchesis Reiter hielten den Angreifern noch eine Weile stand, als aber auch die preußischen Kürassiere ins Geschehen eingriffen, löste sich alle Ordnung auf. Ganze österreichische Regimenter ergriffen jetzt die Flucht und sprengten dabei mitten durch die eigene Infanterie, rissen etliche Bataillone mit und sorgten dafür, dass sich der linke Flügel der Österreicher in ein Chaos dicht gedrängter und ungeordneter Massen verwandelte. In der nun einbrechenden Dunkelheit schwoll der Strom der Flüchtigen immer weiter an und riss schließlich auch diejenigen mit, die bis dahin noch ihre Stellungen gehalten hatten. Jetzt erst war die Niederlage der Österreicher vollkommen. 46 Fahnen und 131 Geschütze blieben auf dem Schlachtfeld zurück. Graf von Luchesi und drei weitere Generale waren tot, 3000 Österreicher waren gefallen, weitere 6000 bis 7000 Mann fielen verwundet dem Sieger in die Hände. Doch es gelang Daun und Karl noch, die Masse ihrer Regimenter über mehrere am Vortag gelegte Kriegsbrücken hinter die Weistritz zu bringen. Als Friedrich im mit der Dunkelheit einsetzenden Schneetreiben persönlich noch einige Kavallerie- und Grenadierbataillone zusammenbrachte, um damit den geschlagenen Österreichern bis nach Lissa zu folgen, zeigte sich, dass die Ortschaft nur noch von schwachen Nachhuten besetzt war. Was sich von den Österreichern noch diesseits der Weistritz aufhielt, geriet in Gefangenschaft. Bis in die Nacht hinein ergaben sich weitere 12.000 Gegner den Preußen. Damit war insgesamt ein Drittel der österreichischen Armee an einem einzigen Tag verloren gegangen. Der kaum für möglich gehaltene Erfolg machte Friedrich mit einem Schlag zum größten Feldherrn seiner Zeit. Tatsächlich hatte er sich durch die Motivation seiner Armee und durch die taktische Anlage der Schlacht als Vater des Sieges erwiesen. Die Militärgeschichte des 18. Jahrhunderts kennt keinen bedeutenderen und spektakuläreren Sieg als den von Leuthen. Doch der preußische Erfolg war teuer bezahlt. Aufseiten der Sieger waren beinahe 1200 Tote, darunter 59 Offiziere, und 5200 Verwundete zu verzeichnen, was mehr als ein Sechstel der Armee ausmachte. Die beiden Bataillone des Regiments von Meyerinck, das den gesamten Nachmittag die Speerspitze des preußischen Angriffs gebildet hatte, verloren mit 100 Toten und 300 Verletzten sogar ein Drittel ihrer Truppenstärke.187 Zu ihren Verletzten zählte auch der Fahnenjunker von Barsewisch, der beim Ansturm auf die zweite österreichische Linie hinter Sagschütz von einem Schuss in den Hals niedergestreckt worden war und erst nach einer Stunde durch einen Tambour, der ihn angestoßen hatte, aus seiner Bewusstlosigkeit wieder zu sich kam. Das Geschoss hatte Halsschlagader und Luftröhre nur knapp verfehlt, sodass Barsewisch, zu einem Feldscher gebracht, den Tag von Leuthen überlebte und später noch zum Generalquartiermeister aufsteigen konnte. Tausende von anderen Verwundeten beider Seiten mussten die Nacht auf dem Felde verbringen und boten am nächsten Morgen, ganz von Schnee bedeckt als kleine weiße Hügel den Überlebenden ein bizarres Bild.188
Friedrich überschritt am nächsten Tag in aller Frühe die Weistritz an vier Übergangsstellen und rückte auf Breslau vor. Noch ohne einen genauen Überblick über die Verluste des Gegners rechnete er damit, dass die Österreicher noch einmal in Braunschweig-Beverns alten Stellungen an der Lohe Front machen würden. Doch Karl und Daun hatten schon in der Nacht die Hoffnung auf einen letzten Widerstand vor den Toren Breslaus aufgegeben und den Entschluss gefasst, mit der Masse ihrer Armee nach Böhmen zurückzugehen. In Breslau selbst verblieb nur die ursprüngliche Besatzung von 3500 Mann unter Feldmarschall Baron von Sprecher sowie die doppelte Anzahl an Versprengten aller Waffen. Außerdem befanden sich noch 6000 Verwundete und Kranke in der Stadt, die zwar ausreichend versorgt, deren Besatzung aber unter einem ratlosen Führer nur noch geringen Widerstandswillen aufwies. Breslau kapitulierte schließlich am 20. Dezember 1757, nachdem ein Volltreffer in ein Pulvermagazin einen Teil der Befestigung zerstört hatte. 17.000 Österreicher, darunter neun Generale, mussten die Waffen strecken, was die Zahl der gefangenen Österreicher auf insgesamt 40.000 Mann erhöhte. Am selben Tag überquerten auch die Reste der österreichischen Armee die Grenze nach Böhmen, um dort Winterquartiere zu beziehen. Von den 90.000 Mann, die im September den Marsch nach Schlesien angetreten hatten, waren der Kaiserin gerade einmal 25.000 Mann verblieben. Einzig die Festung Schweidnitz befand sich zum Jahreswechsel noch in österreichischer Hand, nachdem die 3700 Mann zählende Besatzung von Liegnitz am 28. Dezember gegen freien Abzug die Festung und die darin befindliche Artillerie an die Preußen übergeben hatte.189