5. Unter Ferdinand
von Braunschweig

»In solchen Ängsten kriegen wir die Franzosen nie wieder«

»Wenn es sich nur darum handelte, meinen eitlen Ruhm zu befriedigen, würde ich aus einem anderen Tone sprechen. Aber hiervon hängt das Wohl der Staaten ab, deshalb muß ich demgemäß handeln, und das ist es, was mich bestimmt, unerschütterlich bei meinem einmal gefassten Entschluss zu bleiben. Unter den Auspizien des Ewigen unternehme ich es, und ich habe das feste Vertrauen zu ihm, dass er mir seinen mächtigen Schutz gewähren wird.«

Ferdinand von Braunschweig an seinen Generaladjutanten
Johann Wilhelm von Reden
1

Als Louis von Bourbon-Condé, Graf von Clermont und neuer Oberbefehlshaber der französischen Westfalenarmee, am 14. Februar 1758 in Hannover eintraf, musste er erstaunt feststellen, dass sein Vorgänger, der Herzog von Richelieu, bereits nach Paris abgereist war. Der 49-jährige Clermont, ein Urenkel des großen Condé, sollte ursprünglich Kleriker werden, hatte bald aber aus Neigung die Offizierlaufbahn eingeschlagen und sich unter Moritz von Sachsen in Belgien bewährt. Immer noch Vorsteher der einträglichen Abtei St. Germain des Près, leistete Clermont seit 20 Jahren seinen Militärdienst mit päpstlichem Dispens. Kritiker verspotteten ihn daher gern als kriegerischen Abt, halb Federbusch, halb Beffchen.2

Im hannoverischen Hauptquartier suchte Clermont vergebens nach Instruktionen oder Nachrichten des Abgereisten. Doch sehr bald musste er erkennen, dass ihm der »Vater der Marodeure«, der unlängst noch umjubelte Eroberer von Menorca, keine Armee, sondern eine vor sich hin siechende Ansammlung bewaffneter Männer hinterlassen hatte. Ohne Ziel, ohne Disziplin und ohne Zelte hausten die Truppen, von Hunger und Infektionen heimgesucht, von ihren Offizieren um den Sold betrogen, unter unbeschreiblichen Bedingungen in der winterlichen Kälte. Über den Besuch einiger Hospitäler in Hannover schrieb ein entsetzter Clermont an einen Freund, dass der höllische Gestank dort selbst Gesunde umbringen würde.3 In der Residenzstadt an der Leine, wo das blanke Elend herrschte, machte unter den Bürgern bereits das Wort die Runde, dass Deutschland der Kirchhof der Franzosen geworden sei.4

Voller Sarkasmus fasste Clermont in einem Brief vom 20. Februar 1758 an seinen königlichen Vetter in Versailles seine prekäre Lage zusammen: »Die Armee Ihrer Majestät ist in drei Teile gespalten. Jenes Drittel, das noch nicht unter der Erde liegt, besteht aus Plünderern und Befehlsverweigerern, das zweite Drittel liegt bereits unter der Erde und das letzte Drittel füllt die Hospitäler. Soll ich mich mit dem ersten Teil zurückziehen oder warten, bis er mit den anderen beiden vereint sein wird?«5

Die Antwort erteilte ihm der Gegner. Clermont hatte sein neues Kommando noch nicht wirklich angetreten, da begann am 18. Februar die hannoverisch-hessische Observationsarmee unter Ferdinand von Braunschweig, ihre Offensive gegen die weit über Norddeutschland verstreuten Franzosen. Der jüngere Bruder des regierenden Herzogs Karl von Braunschweig-Wolfenbüttel und Schwager des Königs von Preußen hatte die Zeit seit seiner Befehlsübernahme im November 1757 nicht ungenutzt verstreichen lassen. Aus den demoralisierten und heterogenen Kontingenten der Hannoveraner, Hessen, Braunschweiger und Bückeburger, die nach Cumberlands Abgang von den Franzosen in einem engen Brückenkopf um Stade zusammengedrängt worden waren, formte er in weniger als drei Monaten wieder eine schlagkräftige Armee von 35.000 Mann. Der Braunschweiger zeigte dabei ein erstaunliches Geschick, durch eine Mischung aus demonstrativer Solidarität mit dem einfachen Musketier und effektiver Logistik die Moral seiner Regimenter deutlich anzuheben und sich einen dauerhaften Ruf als fürsorglicher Truppenführer zu erwerben.6

Ferdinand war inzwischen klar geworden, dass er sich mit seinem Wechsel unter die britisch-hannoverischen Fahnen in eine außergewöhnlich delikate Lage begeben hatte. Obwohl für ihn jetzt nur noch die Befehle des britischen Monarchen Georg II. maßgebend sein sollten, der wiederum seine oberste Befehlsgewalt nur als deutscher Kurfürst ausübte, behielt er doch seinen Rang als preußischer Generalleutnant und fühlte sich – zumindest anfänglich – immer noch seinem alten Potsdamer Kriegsherrn und Förderer verpflichtet. Friedrich wusste dies auch trefflich auszunutzen und bombardierte seine »Leihgabe« weiterhin mit Kritik oder Ratschlägen. Dessen ungeachtet aber erhob auch das britische Kabinett unter William Pitt ein maßgebliches Mitspracherecht. Ferdinands Armee war immerhin von den Zahlungen des Parlaments abhängig und seine Operationen sah man in London inzwischen als Teil einer britischen Gesamtstrategie gegen Frankreich.7

Das probateste Mittel gegen den dreifachen Druck war der Erfolg und den hatte der erst 36-jährige Feldherr nach einer zweimonatigen Winterpause in kaum erwartetem Maß. Auch wenn die ihm unterstehenden Regimenter hinsichtlich Drill, Manöverpräzision und Disziplin keinen Vergleich mit den gewohnten preußischen Standards aushielten, gelang es Ferdinand, die Franzosen, um deren Disziplin und Kampfgeist es noch viel schlechter stand, über die Aller, die Weser und schließlich auch über den Rhein zu drängen. Dem überrumpelten Clermont blieb keine Zeit, aus seinen weit verstreuten und dezimierten Regimentern noch einmal eine schlagkräftige Truppe zu bilden. In einem Wettlauf mit dem Gegner musste er retten, was zu retten war, und das war nicht viel. Zu ernsthaften Kämpfen kam es kaum noch, nachdem mit Hoya und Verden gleich zu Beginn der Offensive zwei Schlüsselpositionen der Franzosen genommen werden konnten.

Begeistert von den sich überstürzenden guten Nachrichten schrieb Friedrich aus dem fernen Breslau an seinen Schwager und ehemaligen Schützling, dass er bloß alle Franzosen mit dem Zeichen des Westfälischen Friedens [IPO – Instrumentum Pacis Osnabrugensis] auf dem Hintern brandmarken und sie so über den Rhein jagen möge.8 Als Clermonts Truppen sich am 31. März bei Wesel glücklich über den Strom retten konnten, hatten sie seit Beginn der Offensive allein 16.000 Mann als Gefangene und Dutzende von Geschützen verloren. Von der stolzen Armee ihrer Allerchristlichsten Majestät, die im Vorjahr mit fast 100.000 Mann an derselben Stelle ihren Vormarsch nach Deutschland begonnen hatte, war Clermont kaum die Hälfte geblieben. Mit satter Geringschätzung kommentierte der unbekannte Verfasser des preußischen Generalstabswerks den spektakulären Abschluss des sechswöchigen Winterfeldzuges: »Der große Kehraus war beendet.«10 Frankreich hatte sein zweites »Rossbach« erlitten.

Alle Gesichter seien von Angst gezeichnet, schrieb der junge Louis Marie Fouquet, Graf von Gisor, an seinen Vater, den Herzog von Belle-Isle,11 und Georg Ludwig, der Herzog von Holstein-Gottorp und Kommandeur des an Ferdinand detachierten preußischen Kavalleriekorps, bedauerte Ende März gegenüber seinem Oberbefehlshaber, dass er nun mit seinen Leuten in die Quartiere einrücken müsse, denn »in solchen Ängsten kriegen wir die Franzosen nie wieder.«12 Eine gewaltige Menge an Vorräten und Kriegsmaterial war in die Hände seiner Husaren und Dragoner gefallen, die sich dem Gegner fast jeden Tag dicht an die Fersen geheftet hatten.

Den zermürbten Franzosen schien auch der Rhein keine Sicherheit mehr zu bieten, und Clermont dachte zum Entsetzen des Versailler Hofes bereits an einen weiteren Rückzug bis zur Maas. Selbst der König sah sich genötigt, einen zornigen Brief an seinen Vetter zu schreiben und ihm zu befehlen, die Rheinlinie um jeden Preis zu halten. Der 73-jährige Herzog Belle-Isle wiederum, inzwischen zum Kriegsminister avanciert, versprach vollmundig, die Westfalenarmee bis zum Sommer wieder auf 80.000 Mann zu bringen.13 Tatsächlich gelangte aber in den folgenden Wochen nur wenig brauchbarer Ersatz an den Niederrhein. Hunderte von jungen Leuten musste Clermont zurückschicken lassen, da sie körperlich dem Militärdienst nicht annähernd gewachsen waren.14

Von den Erfahrungen der letzten Wochen nachhaltig verunsichert, neigte der sonst hochmütige Clermont inzwischen dazu, seinen Gegner zu überschätzen. Er ahnte nicht, dass Ferdinands Armee ebenfalls am Ende ihrer Kräfte stand und dass der Braunschweiger Anfang April selbst kaum noch 15.000 Mann unter Waffen bringen konnte.15 Ferdinand war zunächst froh, mit seinen vom sechswöchigen Winterkrieg gezeichneten Truppen in Westfalen Quartier beziehen zu können. Der rasche Vormarsch, die raue, feuchte Witterung und die miserablen Straßenverhältnisse hatten ihren Tribut gefordert. Mehr als 6000 seiner Leute füllten die Lazarette und etliche Kontingente hatte er als Besatzungen zurücklassen müssen.

Auch mit einer durch britische Subsidien wieder auf die alte Stärke gebrachten Armee wollte Ferdinand sich zunächst darauf beschränken, entlang der Lippe eine neue Verteidigungslinie zu beziehen. Mit dieser plötzlichen Passivität der neuen Feldherrenikone konnte der große Zahlmeister Pitt nicht einverstanden sein. Der Meister der geschliffenen Rhetorik, der sich in seiner 20-jährigen Parlamentslaufbahn den respektvollen Titel Great Commoner erworben hatte, musste die gewaltige Summe von 657.000 Pfund, zu deren Zahlung sich Großbritannien am 11. April 1758 gegenüber Preußen verpflichtet hatte, im Parlament durchbringen. Dafür beanspruchte er handfeste Gegenleistungen. Pitt stand in diesen Monaten, da sich das Kriegsglück erst allmählich der britischen Seite zuwandte, unter gewaltigem Druck und zögerte nicht, ihn an den Deutschen weiterzugeben. Ferdinand müsse möglichst rasch den Rhein überqueren, lautete seine Forderung, die er im Laufe des Aprils mehrfach wiederholte.16 Noch ehe die Franzosen sich von ihren jüngsten Verlusten erholen konnten, sollte die hannoverisch-hessische Armee Clermonts Stellung zwischen Wesel und Köln von Norden her aufrollen und die Reste des Gegners zum Rückzug in die österreichischen Niederlande zwingen. Pitts Ehrgeiz ging sogar so weit, dass er bereits an eine Invasion Frankreichs dachte, die er durch eine Reihe von Landungen in der Bretagne unterstützten wollte. Der Braunschweiger war diplomatisch genug, Pitts weitreichende Wünsche nicht direkt abzulehnen. Stattdessen betonte er, dass vor einem Rheinübergang der ganzen Armee wenigstens die Festung Wesel, die immer noch von vier französischen Infanterieregimentern gehalten wurde, genommen werden müsse. Dann wieder wandte Ferdinand ein, dass ein Übergang nahe der Grenzstadt Emmerich nur möglich sei, wenn auch die benachbarten Generalstaaten Frankreich den Krieg erklären würden.17 Auch der Vorschlag einer nur begrenzten Operation auf dem linken Rheinufer konnte Pitt nicht überzeugen. Ein kleines Korps von 7000 Mann könne, so hatte Ferdinand vorgeschlagen, den Strom überqueren, einige französische Quartiere im Raum Kleve überfallen, um sich dann wieder zurückzuziehen.

Schließlich gab der Braunschweiger den Briten nach, zumal sich jetzt auch Friedrich für einen kräftigen Vorstoß über den Rhein aussprach. Der König zeigte sich plötzlich geradezu begeistert von den Möglichkeiten, die ein erfolgreicher Rheinübergang der britisch-preußischen Allianz bot. So könnten vielleicht sogar die Generalstaaten in den Krieg eintreten, in jedem Fall aber würde ein Rückzug Clermonts über die Maas die Entsendung eines französischen Hilfskorps nach Sachsen oder Böhmen nahezu unmöglich machen.18 Um genügend Boote für den Übergang zusammenzubekommen, sandte Ferdinand Mitte Mai einen Agenten in die Niederlande, der über einen Generalunternehmer aus Utrecht die erforderlichen 80 Schiffe beschaffen konnte. Der Hauptübergang sollte Anfang Juni mit einem starken Korps von 14.000 Mann und 44 Geschützen durchgeführt werden, das Ferdinand bis zum 27. Mai bei Coesfeld zusammengezogen hatte. Ein weiteres Korps aus 28 Bataillonen Infanterie und 30 Eskadronen Kavallerie war zur selben Zeit unter Generalleutnant Graf August Friedrich von Spörcken bei Dülmen versammelt worden, um die Festung Wesel zu bedrohen und die Franzosen dadurch von der tatsächlichen Übergangsstelle abzulenken.19 Das Täuschungsmanöver blieb jedoch ohne den gewünschten Erfolg. Der Kommandant der Festung Wesel verweigerte die zweimal geforderte Übergabe. Clermont wiederum war schon seit Mitte Mai durch Agenten über die Bewegungen des Gegners im Raum Coesfeld orientiert, glaubte aber nur an einen begrenzten Rheinübergang. Der Franzose schwankte in diesen Wochen zwischen kühnen Projekten und ängstlichem Zaudern. An einem Tag neigte er dazu, von seinem Brückenkopf bei Düsseldorf den Gegner auf der rechten Rheinseite im Rücken zu fassen, dann wieder glaubte er, dass ein weiterer Rückzug über die Maas unvermeidlich sei. Selbst eine Verzögerung des Brückenschlages der Observationsarmee um 24 Stunden, hervorgerufen durch die Proteste der niederländischen Schiffer, die hinter die wahren Absichten der Deutschen gekommen waren, half den Franzosen nicht.20 Als Ferdinands Bataillone mit Holstein-Gottorps Kavallerie an der Spitze in der Nacht zum 2. Juni 1758 in Flachbooten den Strom überquerten, stießen sie nur auf eine geringe Zahl an Gegnern, die zudem völlig überrascht waren. Am folgenden Morgen hatte Ferdinand, der den Übergang persönlich kommandierte, die Masse seines Korps bereits auf das linke Ufer gebracht. Inzwischen war auch die Pontonbrücke bei Lobith fertiggestellt, sodass die Artillerie und der Train folgen konnten. Schon am selben Nachmittag zog der Braunschweiger unter dem Jubel der Bevölkerung in die Stadt Kleve ein.21 Die französische Besatzung hatte sich unter Zurücklassung aller Kranken und Marschuntauglichen überstürzt nach Kalkar und weiter auf Xanten zurückgezogen. Versailles war alarmiert. Von Belle-Isle gedrängt, ließ sich Clermont davon überzeugen, seine Truppen endlich zusammenzuziehen und dem Gegner möglichst nah an der Übergangsstelle eine Schlacht anzubieten. Damit kam er Ferdinands Wünschen sehr entgegen, der mehrfach geäußert hatte, dass der Rheinübergang keinerlei Wert habe, wenn es nicht gelänge, die französische Armee zu schlagen.22 An das Korps des Generals Spörcken ging der Befehl, nur vier Bataillone und einige Schwadronen vor Wesel zu belassen und mit dem Rest so rasch wie möglich auf das linke Rheinufer zu folgen. Da die ursprünglich auf holländischem Gebiet errichtete Pontonbrücke nach Rees verlegt werden musste, um diplomatische Schwierigkeiten mit Den Haag zu vermeiden, dauerte es bis zum 10. Juni, ehe Ferdinand die Masse seiner Armee bei Sonsbeck westlich von Xanten versammeln konnte. Clermont hatte inzwischen seine Armee aus insgesamt 87 Infanteriebataillonen und 111 Eskadronen in einer Stellung bei Rheinberg mit Front nach Westen in Stellung gebracht. Seine Position bot zwar eine Reihe taktischer Vorteile, verlief aber nur wenige Kilometer westlich des Rheins, der bei ungünstigem Verlauf der Schlacht zur Falle werden konnte.

Sobald Ferdinand die Aufstellung der Franzosen ausgemacht hatte, zeigte er sich über Clermonts Entgegenkommen hocherfreut und entwickelte sofort einen Angriffsplan nach friderizianischem Schema. Während der rechte Flügel und das Zentrum des Gegners nur frontal beschäftigt werden sollten, hatte das preußische Kavalleriekorps unter dem Herzog von Holstein-Gottorp den Auftrag, Clermonts linken Flügel zu umfassen und der französischen Armee insgesamt den Rückzug nach Süden zu verlegen. Der sonst bewährte General schlug jedoch mit seinem Detachement in der Nacht zum 11. Juni den falschen Weg ein und erschien am Morgen unvermutet im Rücken der eigenen Armee. Verärgert über den Irrtum verschob Ferdinand seinen Angriff auf den nächsten Tag. Clermont hatte jedoch die Absicht des Gegners erkannt und fürchtete, durch einen Angriff auf seinen linken Flügel von seinen Magazinen abgeschnitten zu werden. Er nutzte daher die Galgenfrist und zog in der folgenden Nacht mit seinen 50.000 Mann, welche die Stärke der Angreifer fast um das Doppelte übertrafen, nach Moers ab. Seine Entscheidung löste unter den französischen Offizieren Wut und Ratlosigkeit aus. Der Graf von Clermont sei völlig von seinen Ratgebern abhängig und unfähig, einen selbstständigen Entschluss zu fassen, schrieb der Graf von Gisor an seinen Vater. Belle-Isle aber konnte nichts anderes tun, als seinen General daran zu erinnern, dass es wohl besser gewesen wäre, den Rückzug erst nach einer ungünstig verlaufenen Schlacht anzutreten als ganz ohne Kampf. Die Ehre der französischen Waffen müsse nun unbedingt wiederhergestellt werden, mahnte der Kriegsminister und brachte damit auch das allgemeine Entsetzen des Versailler Hofes zum Ausdruck.23 Belle-Isle hatte sofort die Gefahr erkannt, die der durch Clermonts Rückzug isolierten Festung Wesel drohte, und den König davon überzeugt, das für Böhmen bestimmte Hilfskorps des Generals Soubise nach Düsseldorf heranzuziehen. Inzwischen war Clermont, der sich durch Ferdinands Vormarsch auf Rheurdt erneut in seiner linken Flanke bedroht fühlte, noch weiter auf Neuss zurückgegangen. Als er am 15. Juni dort eintraf, wurde ihm jedoch rasch klar, dass die massive Kritik im Heer und auch in Versailles an seiner bisherigen Führung keine andere Wahl ließ, als dem Braunschweiger noch einmal entgegenzuziehen. Selbst der letzte Musketier begann an der Führung zu zweifeln, als nach einem Gewaltmarsch von 30 Kilometern schon am nächsten Tag wieder kehrtgemacht werden sollte.

Kein zweites Rossbach – Ferdinand von Braunschweig bezwingt die Franzosen in der Schlacht von Krefeld

Als Clermont nach seiner Umkehr am 18. Juni die Gegend südlich von Krefeld erreichte, hatte ihn sein Angriffsgeist schon wieder verlassen.24 Ein als Landwehr bezeichnetes Grabensystem, der seit dem Mittelalter die Grenze zwischen Kurköln und der Grafschaft Moers markierte, erschien dem Franzosen als ideale Position, in der sich die weiteren Schritte des Gegners ohne größere Gefahr abwarten ließen. Das von Osten nach Westen verlaufende Hindernis bestand aus drei dicht nebeneinander verlaufenden Gräben, in denen noch Wasser stand und deren etwa vier Meter hohe Böschungen dicht mit Bäumen und Buschwerk gesäumt waren. Insgesamt bot die Landwehr nach dem Urteil des Preußischen Generalstabswerks eine hervorragende Verteidigungsstellung. Auf einer Länge von zehn Kilometern war sie nur von wenigen Lücken unterbrochen, welche die Franzosen in den folgenden Tagen gut verbarrikadierten.25 Obwohl Ferdinand, der seine Armee nordwestlich von Krefeld zwischen Kempen und Hüls versammelt hatte, auch nach zweitägiger Erkundungsphase nur eine ungenaue Vorstellung von der Aufstellung und der Stärke der Franzosen besaß, war er entschlossen, den Gegner in seiner starken Position anzugreifen. In der Nacht zum 23. Juni erhielten die Kommandeure ihre Befehle. Die Truppe stand seit 1 Uhr morgens marschbereit. Ferdinand hatte seine 30.000 Mann zunächst in vier Kolonnen unterteilt. Die erste unter Graf von Spörcken hatte den Auftrag, mit 13 Bataillonen und 23 Eskadronen zwischen Krefeld und Rhein gegen den rechten Flügel der Franzosen vorzugehen und ihn möglichst lange zu binden. Unterstützt von einem Dutzend schwerer Geschütze sollte er den Schwerpunkt des Angriffs vortäuschen, während Ferdinand selbst mit zwei Infanteriekolonnen und der Kavallerie des Herzogs von Holstein-Gottorp den Versuch unternahm, in einer weit ausholenden Bewegung über St. Tönis und Anrath den linken Flügel der Franzosen in einem Umfassungsangriff zu zerschlagen. Um die Lücke zwischen seinen beiden Flügeln nicht zu groß werden zu lassen, hatte Ferdinand befohlen, aus Spörckens Truppen eine fünfte Kolonne aus sechs Bataillonen und sechs schweren Geschützen zu bilden, die unter dem Befehl des Generals Christoph Ludwig von Oberg den mittleren Teil der Landwehr angreifen sollte.

Die Infanterie seines rechten Flügels hatte Ferdinand seinem gleichnamigen Neffen und Erbprinzen von Braunschweig, dem späteren Heerführer Preußens bei Valmy und Auerstedt, unterstellt. Wegen des schwierigen Geländes aus zahllosen Abflussgräben und dichtem Buschwerk nahm ihr Anmarsch den gesamten Vormittag in Anspruch. Erst gegen 14 Uhr, drei Stunden nachdem Spörckens Artillerie das Feuer auf den rechten französischen Flügel eröffnet hatte, konnten sich die 17 Bataillone des Erbprinzen vor einem großen Graben zum Angriff formieren. Eine halbe Stunde später eröffneten die mitgeführten acht Geschütze und drei Mörser das Feuer und die Truppe überwand an mehreren Stellen einen großen, drei Meter tiefen Graben, der von Süden auf die Landwehr zulief und den linken französischen Flügel im Bereich der Holterhöfe schützte. Ferdinand profitierte davon, dass Clermont die hier drohende Gefahr zu lange unterschätzte. Erst gegen 13 Uhr ließ er zum Generalmarsch schlagen und unterbrach den Mittagstisch mit seinen Offizieren. Unterstützt von General von Oberg, der mit seiner Kolonne die Landwehr im Bereich der Ortschaft Hückesmay durchbrechen konnte, gelang es den Bataillonen des Erbprinzen, sich nach etwa zweistündigem Kampf auf dem Plateau jenseits des großen Grabens zu etablieren und die französische Infanterie zurückzudrängen. Die Reste der hier eingesetzten 15 Bataillone des Generals Claude Louis Saint Germain mussten sich in den Schutz der französischen Kavallerie zurückziehen. Clermont hatte seine Reiterei in zweiter Linie postiert, von wo aus sie einige beherzte Attacken unternahm und die nachdrängenden Bataillone des Braunschweiger Erbprinzen auf Distanz hielt. Bei einem ihrer ersten Angriffe wurde auch der Graf von Gisor, der als Oberst ein Karabinier-Regiment führte, vom Pferd geschossen. Er verstarb drei Tage später in einem Lazarett in Neuss. Da Clermont sich zu lange von Spörckens Bombardement auf den rechten Flügel hatte täuschen lassen, trafen die endlich in Marsch gesetzten Verstärkungen zu spät ein, um auf seinem linken Flügel noch eine Wende zu bewirken. Obwohl mehr als 50 seiner Bataillone überhaupt nicht an den Feind geraten waren, entschloss sich Clermont mit seiner Armee vom Schlachtfeld abzuziehen, was immerhin in guter Ordnung geschah, da die erschöpften Bataillone des Erbprinzen, nachdem sie fast 20 Stunden marschiert waren und gekämpft hatten, zu einer ernsthaften Verfolgung nicht mehr fähig waren.

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Johann Georg Ziesenis der Jüngere: Porträt des Herzog
Ferdinand von Braunschweig-Wolfenbüttel (1721–1792),
preußischer Feldmarschall, in seiner Robe des Hosenbandordens.

Auf der Basis eines gewagten Plans hatte Ferdinand von Braunschweig seinen ersten Sieg erfochten. Mit nur 30.000 Mann war es ihm gelungen, eine überlegene französische Armee aus einer hervorragenden Stellung zu vertreiben und dem Gegner beinahe drei Mal höhere Verluste zuzufügen, als er selbst hatte hinnehmen müssen. Allerdings konnte Clermont seine Verluste, die etwas über 4000 Mann gelegen hatten, durch Heranziehung verschiedener Detachements vorerst ausgleichen. Obwohl er somit seinem Gegner immer noch mehr als 50.000 Mann entgegenstellen konnte, zog er sich über Neuss hinaus auf Worringen und Köln zurück. Dort erreichte ihn die Nachricht von seiner Ablösung. Die Entscheidung dazu hatte der Ministerrat getroffen, noch ehe die Nachrichten von Krefeld in Versailles eingetroffen waren. Zu seinem Nachfolger bestimmte man den General Louis George Marquis von Contades. Der nach Clermont ranghöchste Offizier in der Westfalenarmee galt allerdings nur als Übergangslösung.

Trotz seines Sieges hatte sich die operative Lage des Braunschweigers auf dem linken Rheinufer kaum verbessert. Gewiss hatte der Ausgang der Schlacht Ferdinands Koalitionsarmee neuen Zusammenhalt gegeben und hohe Erwartungen geweckt. Da aber die Franzosen weiterhin Wesel und Düsseldorf hielten, während die verbündete Armee auf ihre einzige Übergangsstelle bei Rees angewiesen blieb, war an einen energischen Vorstoß über die Maas nicht zu denken.

Immerhin erwiesen sich die politischen Konsequenzen der siegreichen Schlacht von Krefeld als weitreichend. In Großbritannien löste die Nachricht von Ferdinands Erfolg große Begeisterung aus und steigerte die Popularität des Deutschen ungemein. Gegen Pitts Entschluss, die alliierte Armee nun auch mit britischen Truppen zu verstärken, regte sich im Parlament jetzt kaum noch Widerstand. Von dem aus St. Malo zurückkehrenden Kontingent wurden sechs Bataillone Infanterie zu 900 Mann und 14 Eskadronen Kavallerie für die erneute Verschiffung nach Emden vorgesehen. Das insgesamt 8500 Mann starke Korps unter Führung von Generalleutnant Charles Spencer Churchill, dem 3. Herzog von Marlborough, traf allerdings erst am 3. August im Hafen von Emden ein.26 Inzwischen hatte Ferdinand am 7. Juli 1758 die Stadt Düsseldorf zur Übergabe zwingen können, musste es aber hinnehmen, dass ein kleines französisches Korps aus etwa 4500 Mann unter dem Befehl des Generals François de Chevert hinter seinem Rücken zur Lippe vorgestoßen war. Dort hatte es sich durch Teile der Weseler Besatzung verstärkt und hatte am 5. August den Übergang bei Rees angegriffen. Ferdinand hatte Glück. Der Überfall der Franzosen war noch einmal am geschickten Widerstand der als Brückenschutz eingesetzten sechs hannoverischen Bataillone gescheitert.27 Doch der Rückzug über den Rhein nach Westfalen war bei wachsenden Versorgungsschwierigkeiten unvermeidbar geworden. Die eigenen Brotvorräte reichten nur noch bis zum 5. August und der Hochwasser führende Rhein zwang zum Abbruch der Pontonbrücke bei Rees. Zu allen Widrigkeiten fügte es sich, dass inzwischen auch die Franzosen am Main wieder aktiv geworden waren. Auf Druck von Kriegsminister Belle-Isle hatte Soubise mit seinem Korps aus deutschen und schweizerischen Regimentern am 16. Juli 1758 Marburg eingenommen. Eine 7000 Mann starke Vorhut unter dem Herzog von Broglie war eine Woche später bei Sandershausen nördlich von Kassel auf ein schwächeres hessisches Kontingent gestoßen und hatte es praktisch zersprengt.28 Der Weg nach Hannover schien damit für Soubise frei. Ferdinand musste handeln und Kräfte zur Weser verschieben. Mit einer Mischung aus Glück und Geschick gelang es ihm, seine Armee in einem Gewaltmarsch von seinem Gegner zu lösen und am 8. August über eine neue bei Griethausen errichtete Brücke das rechte Rheinufer zu erreichen. Vier Tage später vereinigte er seine Truppen mit den britischen Verstärkungen in Coesfeld.

Auf den ersten Blick schien der zweimonatige Feldzug der Observationsarmee auf dem linken Rheinufer ein Fehlschlag gewesen zu sein. Trotz ihrer Niederlage bei Krefeld hatten die Franzosen ihre Lage konsolidieren können und der erhoffte Kriegseintritt der Generalstaaten war unterblieben. Auf der Habenseite ließ sich jedoch verbuchen, dass den Franzosen mit Ferdinand von Braunschweig nunmehr ein versierter und auch in Krisenlagen umsichtiger Feldherr gegenüberstand. Aus zusammengewürfelten norddeutschen Truppen hatte der Braunschweiger eine schlagkräftige Armee geformt, die inzwischen auch auf direkte britische Unterstützung zählen konnte. Am meisten aber honorierte Friedrich die Leistungen seines ehemaligen Generals, der es mit seinem Rheinübergang immerhin verhindert hatte, dass Soubises Korps nach Sachsen marschierte.