6

Durch Blut

Welche Herzen muss ich brechen? Welche Lüge muss ich lügen? Durch wessen Blut werde ich waten?

Arthur Rimbaud, »Une saison en enfer / Eine Zeit in der Hölle«

Cordelia gefror das Blut in den Adern. Aber niemand weiß davon, dachte sie. Niemand weiß davon. Die Tatsache, dass sie an Lilith gebunden war, war ein Geheimnis. Matthew und sie hatten hier am Abend zuvor über Cortana gesprochen, aber weder die Mutter aller Dämonen erwähnt noch das Wort »Paladin«.

»Du musst dich irren. Ich …«, setzte sie an.

»Non. Je sais ce que je sais. Vous n’avez pas le droit d’entrer«, unterbrach der Türsteher sie barsch. Ich weiß, was ich weiß. Ihr dürft nicht hereinkommen.

»Was ist los?«, fragte Matthew auf Französisch, als er sich der Tür näherte. »Du verweigerst uns den Zutritt?«

Der Türsteher entgegnete etwas, und die beiden unterhielten sich so schnell auf Französisch, dass Cordelia Mühe hatte mitzukommen. Noch immer weigerte sich der Türsteher, sie einzulassen. Matthew beharrte, es liege ein Irrtum vor, eine Verwechslung. Cordelia sei eine angesehene Schattenjägerin. Aber der Türsteher schüttelte entschieden den Kopf. Ich weiß, was ich weiß – mehr sagte er nicht.

Cordelia presste die Hände zusammen, um ihr Zittern zu unterdrücken. »Ich möchte nur mit Madame Dorothea sprechen«, sagte sie, und ihre Stimme fuhr wie ein Messer durch den Streit der Männer. »Vielleicht kannst du ihr eine Nachricht überbringen?«

»Sie tritt heute Abend nicht auf.« Ein junger Mann neben ihnen zeigte auf das Programm, das an der Tür angeschlagen war. Tatsächlich: Madame Dorotheas Name fehlte. Stattdessen wurde ein Schlangenbeschwörer als Unterhaltungsprogramm für den Abend angekündigt. »Es tut mir leid, eine so hübsche Mademoiselle enttäuschen zu müssen.«

Er zog seinen Hut, bevor er das Theater betrat, und Cordelia sah, wie das Mondlicht golden in seinen Augen schimmerte. Werwolf.

»Hör zu …«, sagte Matthew und wollte wohl wieder auf den Türsteher einreden – er fuchtelte theatralisch mit seinem Gehstock herum, was er zumindest etwas zu genießen schien. Doch Cordelia legte ihm eine Hand auf den Arm.

»Es hat keinen Sinn«, sagte sie. »Sie ist nicht hier, Matthew. Lass uns gehen.«

Paladin. Das Wort hallte in Cordelias Ohren nach, lange nachdem sie wieder in einen Fiacre gestiegen waren. Selbst als sie sich rasch vom Montmartre entfernten, hatte sie noch immer das Gefühl, vor dem Varietétheater zu stehen und die Stimme des Türstehers zu hören, der ihnen den Zutritt verweigerte. Ich weiß, was ich weiß. Ihr dürft nicht hereinkommen.

Weil du im Innersten verdorben bist, sagte eine kleine Stimme in ihr. Weil du Lilith gehörst, der Mutter aller Dämonen. Wegen deiner eigenen Torheit bist du verflucht. Niemand sollte dir nahe sein.

Sie dachte an Alastair. Wir werden zu dem, was wir zu werden fürchten, Layla.

»Cordelia?« Matthews besorgte Stimme schien von weit her zu kommen. »Cordelia, bitte rede mit mir.«

Sie versuchte aufzublicken und ihn anzusehen, aber die Dunkelheit schien um sie herumzuwirbeln. Bilder anklagender Gesichter und enttäuschte Stimmen jagten durch ihren Kopf. Sie hatte das Gefühl, als wäre sie wieder in jene Nacht in London zurückversetzt worden – damals, als ihr Herz in tausend Stücke zerbrochen war und sie hinaus in die Nacht, in den Schnee getrieben hatte. Das schreckliche Gefühl des Verlusts, das Gefühl erdrückender Enttäuschung von sich selbst, stieg wie eine Woge in ihr auf. Sie hob die Hände, als könnte sie sie abwehren. »Die Kutsche – halt die Kutsche an«, hörte sie sich sagen. »Ich kann kaum atmen. Matthew …«

Das Fenster schwang auf, und kalte Luft strömte herein. Sie hörte, wie Matthew an die Scheibe des Fahrers klopfte und Anweisungen auf Französisch erteilte. Die Pferde kamen abrupt zum Stehen und brachten die Droschke ins Wanken. Cordelia stieß die Tür auf und sprang förmlich hinaus, wobei sie fast über den schweren Saum ihres Kleids gestolpert wäre. Sie hörte, wie Matthew ihr folgte und eilig den Fahrer bezahlte.

»Ne vous inquiétez pas. Tout va bien.« Keine Sorge, es ist alles in Ordnung. Er hastete zu ihr, als sie sich nach wenigen Schritten blindlings an einem Laternenpfahl festhielt. »Cordelia.« Behutsam legte er ihr eine Hand auf den Rücken, während sie sich bemühte, wieder zu Atem zu kommen. »Es ist alles gut. Du hast nichts falsch gemacht, Darling …« Abrupt verstummte er, als hätte er diese zärtliche Bezeichnung eigentlich nicht benutzen wollen.

Aber Cordelia interessierte das gar nicht. »Doch, das habe ich«, widersprach sie. »Ich bin zu ihrem Paladin geworden. Sie werden es alle erfahren – der Türsteher wusste es bereits, und bald werden es alle wissen.«

»Ganz und gar nicht«, erwiderte Matthew mit fester Stimme. »Selbst wenn Gerüchte in der Schattenwelt kursieren, bedeutet das nicht, dass sie sich bis zu den Schattenjägern ausbreiten. Du weißt doch, wie wenig sich die Nephilim für den Klatsch der Schattenwelt interessieren. Cordelia, hol tief Luft

Cordelia atmete tief ein und aus, zwang Luft in ihre Lunge. Die schwarzen Punkte vor ihren Augen verschwanden langsam. »Ich kann es nicht ewig vor ihnen verbergen, Matthew. Es ist wunderbar, mit dir hier in Paris zu sein, aber wir können nicht für immer bleiben …«

»Nein, das können wir nicht«, sagte er und klang plötzlich müde. »Ich will zwar nicht an die Zukunft denken, aber ich weiß durchaus, dass es eine Zukunft gibt . Sie wird uns schon bald einholen. Also warum sollen wir ihr entgegenlaufen?«

Sie lachte trocken. »Ist sie so schrecklich? Unsere Zukunft?«

»Nein, aber sie ist nicht Paris, mit dir. Komm.« Er streckte die Hand aus, und sie ergriff sie. Matthew führte sie in die Mitte der Pont Alexandre – es war nach Mitternacht, die Brücke lag verlassen da. Am linken Ufer der Seine konnte Cordelia den Invalidendom mit seiner goldenen Kuppel sehen, die sich gegen den Nachthimmel abhob. Der Grand und der Petit Palais am rechten Ufer leuchteten hell, dank elektrischem Licht. Mondschein ergoss sich über die Stadt wie Milch, ließ die Brücke schimmern, die den Fluss wie ein Goldbarren überspannte. Goldbronzene Statuen geflügelter Pferde auf hohen Steinsäulen wachten über alle, die sie überquerten. Das Wasser unter der Brücke funkelte wie ein Teppich aus Diamanten, und auf die vom Wind aufgepeitschten Fluten fiel das Licht der Sterne.

Hand in Hand standen Matthew und sie auf der Brücke und schauten auf das Wasser. Die Seine, das wusste Cordelia, drang von hier aus weiter in das Herz von Paris vor, wie ein silberner Pfeil, genau wie die Themse in London.

»Wir sind nicht nur hier, um zu vergessen«, sagte Matthew, »sondern auch, um uns daran zu erinnern, dass es gute und schöne Dinge in dieser Welt gibt – und immer geben wird. Und Fehler nehmen sie uns nicht weg. Nichts nimmt sie uns weg. Sie sind ewig.«

Cordelia drückte seine behandschuhte Hand. »Matthew, hörst du dir eigentlich selbst zu? Wenn du glaubst, was du sagst, dann trifft das auch auf dich zu. Nichts kann dir die guten Dinge dieser Welt wegnehmen. Und dazu gehört auch, wie sehr dich deine Freunde und deine Familie lieben und immer lieben werden.«

Er schaute zu ihr hinunter. Sie standen dicht nebeneinander, und Cordelia wusste, dass jeder Passant sie für ein Liebespaar halten würde, das einen romantischen Ort für eine Umarmung suchte. Aber es war ihr egal. Sie sah den Schmerz in Matthews Gesicht, in seinen dunkelgrünen Augen.

»Glaubst du, dass James …«, setzte er an, verstummte jedoch. Seit ihrer Ankunft in Paris hatte keiner von ihnen beiden seinen Namen erwähnt. Rasch wechselte er das Thema. »Möchtest du zurück zum Hotel laufen? Ich glaube, die frische Luft würde uns helfen, wieder einen klaren Kopf zu bekommen.«

Eine Steintreppe führte von der Brücke hinunter zum Quai , dem befestigten Uferweg entlang der Seine. Tagsüber angelten die Pariser hier; jetzt schaukelten vertäute Boote sanft in der Strömung. Mäuse flitzten auf der Suche nach Essensresten über das Pflaster. Cordelia wünschte, sie hätte ein wenig Brot, das sie ihnen zuwerfen könnte. Als sie diesen Wunsch gegenüber Matthew äußerte, wandte er jedoch ein, französische Mäuse wären vermutlich fürchterliche Snobs, die nur französischen Käse mochten.

Cordelia lächelte. Matthews Scherze, die Pariser Kulisse, ihr gesunder Menschenverstand – sie wünschte, irgendetwas davon könnte die Last von ihrem Herzen nehmen. Sie musste ständig daran denken, wie es wohl sein würde, wenn ihre Mutter die Wahrheit über ihre Vereinbarung mit Lilith herausfand. Wenn die Brigade es herausfand. Oder Will und Tessa. Sie wusste, dass die beiden nicht mehr lange ihre Schwiegereltern sein würden, aber irgendwie war es ihr furchtbar wichtig, was sie von ihr dachten.

Und Lucie. Sie würde es am stärksten treffen. Lucie und sie hatten immer vorgehabt, Parabatai zu werden, und jetzt ließ sie Lucie ohne eine Kampfpartnerin, eine Waffenschwester zurück. Cordelia hatte das deutliche Gefühl, es wäre besser, wenn Lucie sie niemals kennengelernt hätte. Denn wie anders hätte ihr Leben dann vielleicht ausgesehen, mit einer anderen Parabatai und anderen Perspektiven.

»Daisy«, sagte Matthew mit gesenkter Stimme, und seine Hand umschloss ihre Finger fester. »Ich weiß, du bist in Gedanken versunken. Aber … hör mal genau hin

Dringlichkeit lag in seinem Tonfall. Cordelia verdrängte ihre Gedanken an Lilith, an die Herondales und an die Brigade. Sie drehte sich um, blickte den langen Quai entlang – der Fluss auf der einen Seite, die steinerne Stützmauer auf der anderen, und über ihnen die Stadt, als hätten sie sich in den Untergrund zurückgezogen.

Schhhh. Nicht der Wind in den kahlen Ästen, sondern ein Zischen und ein Gleiten. Ein bitterer Geruch, der vom Wind herangetragen wurde.

Dämonen.

Matthew trat einen Schritt zurück und stellte sich vor sie. Cordelia hörte, wie eine Waffe gezogen wurde, sah das Funkeln von Mondlicht auf Metall. Offenbar war im ausgehöhlten Holz von Matthews Gehstock eine Klinge raffiniert verborgen gewesen. Er kickte den leeren Stock zur Seite, als auch schon die Kreaturen aus den Schatten auftauchten und sich über das Pflaster schlängelten.

»Naga-Dämonen«, flüsterte Cordelia. Sie waren lang und flach, mit einem peitschenartigen, von schwarzen, ölig glänzenden Schuppen bedeckten Körper, wie gigantische Wasserschlangen. Doch als sie zischten, erkannte Cordelia, dass ihr Kopf eher dem eines Krokodils glich, mit einem langen, aufgerissenen, dreieckigen Maul voller schartiger Zähne, die im Straßenlicht gelb leuchteten.

Eine graue Flut strömte an ihr vorbei, ein hastiges Tippeln winziger Füße. Die Mäuse, die sie vorhin gesehen hatten, flüchteten, als sich die Naga-Dämonen den Schattenjägern näherten.

Matthew streifte seinen Umhang ab, ließ ihn auf den Gehweg fallen und stürzte vorwärts. Cordelia stand wie versteinert da und sah zu, wie er einem der Dämonen den Kopf abschlug, dann noch einem … und ballte die Hände zu Fäusten. Sie hasste das. Es lief ihrer gesamten Natur zuwider, sich zurückzuhalten, während ein Kampf im Gange war. Aber wenn sie zur Waffe greifen würde, wäre sie Lilith schutzlos ausgeliefert – Lilith, die Cordelia benutzte, um ihren Willen durchzusetzen.

Matthew stieß mit seiner Klinge zu, verfehlte aber sein Ziel. Ein Naga-Dämon schnappte zu und schlug seine scharfen Zähne in seinen Fußknöchel. Matthew schrie auf, brüllte »Meine Gamaschen !« und stach nach unten. Dämonensekret spritzte hoch und über ihn. Rasch drehte er sich mit wirbelndem Schwert weg. Ein weiterer Dämon landete mit einem platschenden Geräusch auf dem Pflaster, peitschte ihn mit seinem Schwanz. Mit einem Schmerzensschrei taumelte Matthew zurück. Aus einer langen Schnittwunde an seiner Wange strömte Blut.

Hier lief alles falsch. Cordelia sollte an Matthews Seite sein, Cortana in der Hand, und dessen blutig-goldene Unterschrift an den Himmel zeichnen. Sie konnte sich nicht länger zurückhalten, riss sich den Umhang von der Schulter, nahm den Gehstock, den Matthew weggeworfen hatte, und stürzte sich ins Getümmel.

Sie hörte, wie Matthew ihr etwas zurief, während er zurückwich – es mussten noch immer zehn Dämonen übrig sein. Er konnte sie unmöglich alle töten, dachte sie, selbst als er sie anschrie, sie solle verschwinden und sich schützen. Vor Lilith, dachte sie – aber welchen Sinn hätte es, wenn sie sich schützte und dabei zuließ, dass Matthew verletzt wurde?

Sie schlug den mit Runen versehenen Stock mit voller Wucht auf den Kopf des Naga-Dämons, hörte dessen Schädel bersten und das knautschende Geräusch, als sein Körper verschwand und zurück in seine Dimension gesaugt wurde. Matthew, der nicht länger versuchte, Cordelia aufzuhalten, zog seine Klinge in großem Bogen durch die Luft und teilte einen Naga-Dämon sauber in zwei Hälften. Cordelia stach mit dem Stock zu und durchbohrte den Körper eines weiteren Dämons. Auch dieser verschwand und hinterließ eine Sekretlache auf dem Boden. Wieder wollte Cordelia zustechen, doch dann hielt sie inne. Die Naga-Dämonen schlängelten davon, fort von den beiden Schattenjägern.

»Wir haben es geschafft«, keuchte Matthew und legte eine Hand an seine blutende Wange. »Wir sind die verdammten Biester losgeworden …«

Er erstarrte. Nicht vor Überraschung oder erhöhter Wachsamkeit. Nein, er erstarrte einfach mit dem Schwert in der Hand, als wäre er zu Stein geworden. Cordelia schaute auf. Ihr Puls raste, als die Naga-Dämonen vor ihr den Kopf neigten und dabei mit dem Unterkiefer über den Boden kratzten.

»Mutter«, zischten sie. »Mutter.«

Cordelias Herz überschlug sich. Lilith kam über den Kai auf sie zu, in einen Umhang aus schwarzer Seide gehüllt.

Der Wind spielte in ihren offenen Haaren, entrollte sie wie ein Banner. Ihre Augen schimmerten wie mattschwarze Murmeln, ohne das geringste Weiß. Sie lächelte. Ihre Haut war sehr weiß, und ihr Hals ragte wie eine Elfenbeinsäule aus dem Kragen ihres Umhangs. Sie war einmal schön gewesen, so schön, dass sie Dämonen und Engel hatte verführen können. Und sie wirkte so jugendlich wie immer, obwohl Cordelia sich unwillkürlich fragte, ob sie sich im Laufe der Jahrhunderte nicht durch Verbitterung und Verlust verändert hatte. Ihr Mund war hart, selbst als sie Cordelia mit gefährlicher Belustigung im Blick betrachtete.

»Ich wusste, dass du dich nicht zurückhalten kannst, kleine Kriegerin«, sagte sie. »Die Kampfeslust liegt dir im Blut.«

Cordelia warf den Stock weg, den sie in der Hand gehalten hatte. Er rollte über das Pflaster und blieb vor Liliths Füßen liegen. Das Holz war mit Dämonensekret befleckt. »Ich habe meinen Freund beschützt.«

»Ja, den hübschen Fairchild-Jungen.« Lilith warf ihm einen kurzen Blick zu und schnippte dann mit den Fingern. Die Naga schlängelten sich davon, zurück in die Schatten.

Cordelia wusste nicht, ob sie erleichtert sein sollte. Sie fürchtete sich weitaus mehr vor Lilith als vor den Dämonen, über die sie herrschte.

»Du hast viele Freunde . Dadurch bist du leicht zu manipulieren.« Lilith legte den Kopf auf die Seite. »Aber zusehen zu müssen, wie du, mein Paladin, mit diesem … Stück Holz kämpfst …« Verächtlich trat sie gegen den Gehstock. »Wo ist Cortana?«

Cordelia lächelte. »Ich weiß es nicht.«

Das entsprach der Wahrheit. Noch in London hatte sie Alastair das Schwert gegeben, damit er es versteckte, und sie vertraute darauf, dass er ihre Bitte erfüllt hatte. Sie war froh, dass sie nichts mehr über dessen Aufenthaltsort wusste.

»Ich habe dafür gesorgt, dass ich es nicht weiß«, fügte sie hinzu, »damit ich es dir nicht sagen kann. Ganz gleich, was du mir antun wirst.«

»Wie tapfer«, meinte Lilith amüsiert. »Genau deshalb habe ich dich schließlich ausgewählt. Dieses tapfere, kleine Herz, das in deiner Brust schlägt.« Sie trat einen Schritt vor, doch Cordelia wich nicht zurück. Sie hatte bloß Angst um Matthew. Würde Lilith ihn verletzen, nur um Cordelia ihre Macht zu demonstrieren?

In diesem Falle würde Cordelia einen Weg finden, um es Lilith heimzuzahlen – das schwor sie sich.

Lilith schaute von Matthew zu Cordelia, und ihr Lächeln wurde breiter. »Ich werde ihm keinen Schaden zufügen«, sagte sie. »Noch nicht. Das erledigt er schon ganz allein, meinst du nicht? Du bist treu und loyal gegenüber deinen Freunden, aber manchmal denke ich, du bist zu clever.«

»Es ist ganz und gar nicht clever, das zu tun, was du willst«, erwiderte Cordelia. »Du willst das Schwert haben, damit du Belial töten kannst.«

»Genau wie du«, stellte Lilith klar. »Es wird dich freuen zu erfahren, dass die beiden Wunden, die du ihm zugefügt hast, ihm noch immer Schmerzen bereiten. Er leidet Höllenqualen, ohne Unterlass.«

»Vielleicht wollen wir das Gleiche«, räumte Cordelia ein. »Aber deshalb ist es noch lange nicht clever, dir zu geben, was du verlangst – einen Paladin, eine mächtige Waffe. Du bist nicht besser als Belial. Du hasst ihn einfach nur. Und wenn ich dich akzeptieren und dein Paladin werden würde, dann wäre das mein Ende. Das Ende meines Lebens – oder jedes Teils davon, für den es sich zu leben lohnt.«

»Andernfalls erwartet dich ein langes und glückliches Leben?« Liliths Haar raschelte. Vielleicht wanden sich ja die von ihr so heiß geliebten Schlangen in ihrer dunklen Lockenfülle. »Du glaubst, die Gefahr ist vorbei? Die größte Gefahr liegt noch vor dir. Belial hat seine Pläne nicht aufgegeben. Auch ich habe das Raunen im Wind gehört. ›Sie erwachen.‹ «

Cordelia zuckte zusammen. »Was …?«, setzte sie an. Doch Lilith lachte nur und verschwand. Der Kai war wieder leer – nur die Dämonensekretflecken, die herabgefallenen Umhänge und die Waffen deuteten darauf hin, dass hier irgendetwas geschehen war.

Matthew . Sie wirbelte herum und sah ihn auf den Knien. Sofort hastete sie zu ihm, doch er rappelte sich bereits auf. Sein Gesicht war weiß, und die rote Schnittwunde auf seiner Wange stach deutlich hervor. »Ich habe sie gehört«, sagte er. »Ich konnte mich nicht bewegen, aber ich konnte sehen … ich habe alles gehört. ›Sie erwachen.‹ « Er musterte sie besorgt. »Ist alles in Ordnung? Cordelia …«

»Es tut mir so leid.« Umständlich zog sie ihre Handschuhe aus und griff nach der Stele. Ihr ganzer Körper begann zu zittern, als Reaktion auf die Begegnung und auf den kalten Wind am Ufer. »Lass mich … Du brauchst eine Iratze .« Sie schob den Ärmel seines Hemdes hoch und trug mit der Spitze ihrer Stele die Heilrune auf. »Es tut mir so leid, dass du verletzt wurdest. Es tut mir so …«

»Sag nicht schon wieder, dass es dir leidtut«, forderte Matthew leise. »Sonst fang ich an zu schreien. Es ist nicht deine Schuld. «

»Ich habe mich täuschen lassen«, fuhr sie fort. Die helle Innenseite von Matthews Unterarm war blau geädert und mit einem Muster aus weißen, verblassten Runenmalen bedeckt. »Ich wollte glauben, dass Wayland der Schmied mich auserwählt hatte. Ich war eine Närrin!«

»Cordelia.« Er packte ihre Hand mit solcher Kraft, dass die Stele klirrend zu Boden fiel. Die Wunde an seiner Wange verheilte bereits, und seine Blutergüsse verschwanden. »Ich habe einer Elfe geglaubt, die behauptet hat, ich würde nur einen harmlosen Wahrheitstrank erwerben. Ich bin derjenige, der fast den Tod seiner eigenen …« Er sog scharf die Luft ein, als würden ihn die Worte schmerzen. »Glaubst du, ich weiß nicht, wie es ist, eine falsche Entscheidung zu treffen, im Glauben, es sei die richtige? Glaubst du, irgendjemand könnte sich besser vorstellen als ich, wie das ist?«

»Ich sollte mir die Hände abhacken, damit ich nie mehr eine Waffe aufheben kann«, flüsterte sie. »Was habe ich nur getan?«

»Nicht.« Die Qual in seiner Stimme ließ sie aufblicken. »Sprich nicht davon, dich selbst zu verletzen. Was dich verletzt, verletzt auch mich. Ich liebe dich, Daisy, ich …« Abrupt verstummte er.

Cordelia hatte das Gefühl, in einem Traum zu schweben. Sie wusste, dass sie ihren Umhang hatte fallen lassen, weil kalte Luft durch den Stoff ihres Kleids schnitt. Sie wusste, dass sie sich in einer Art Schockzustand befand. Dass sie trotz allem nicht wirklich mit Liliths Erscheinen gerechnet hatte. Sie wusste, dass die Verzweiflung ihre langen, dunklen Finger nach ihr ausstreckte, sie mit Macht in die Tiefe ziehen und im Elend ertränken wollte … Sie hörte sie im Flüstern der Stimmen: Du hast James verloren. Deine Familie. Deinen Namen. Deine Parabatai. Die Welt wird sich von dir abwenden, Cordelia.

»Cordelia, es tut mir leid«, versicherte Matthew.

Sie legte die Hände auf seine Brust, holte tief und gequält Luft. »Matthew. Halt mich fest.«

Wortlos zog er sie an sich. Die Zukunft war kalt und dunkel, aber Matthew fühlte sich warm an, ein Schutzschild gegen die Schatten. Er roch nach Nachtluft, nach Schweiß, Eau de Cologne und Blut. Du bist alles, was ich habe. Halt die Dunkelheit zurück. Halt die Erinnerungen zurück. Halt mich fest.

»Matthew, warum hast du seit unserer Ankunft in Paris nicht versucht, mich zu küssen?«

Seine Hände, die ihren Rücken gestreichelt hatten, hielten inne. »Du hast gesagt, dass du in mir nur einen Freund siehst. Du bist noch immer eine verheiratete Frau. Ich mag ein Trunkenbold und ein Taugenichts sein, aber ich kenne meine Grenzen.«

»Bestimmt gelten wir in London schon als schändlicher Skandal.«

»Ich schere mich nicht um Skandale«, erwiderte Matthew. »Das sollte bei allem, was ich tue, offensichtlich sein. Aber ich habe meine Grenzen für … mich selbst.« Seine Stimme bebte. »Denkst du, ich hätte dich nicht küssen wollen? Glaub mir, genau das wollte ich, jeden Tag, zu jeder Minute. Ich habe mich lediglich zurückgehalten. Und das werde ich immer tun, es sei denn …« In seiner Stimme lag so etwas wie Hunger. Eine Verzweiflung. »Es sei denn, du sagst mir, dass ich das nicht länger tun muss.«

Sie schob die Finger in den Stoff seines Hemds und zog ihn näher heran. »Ich möchte, dass du mich küsst.«

»Daisy, mach keine Witze …«

Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, streifte mit den Lippen über seinen Mund. Für den Bruchteil einer Sekunde blitzte die Erinnerung in der Dunkelheit ihres Verstandes auf: die Flüsterkammer, das Kaminfeuer, der Moment, als James sie geküsst hatte – der erste Kuss ihres Lebens, der ein unvorstellbares Feuer entfacht hatte. Nein, befahl sie sich. Vergiss es. Vergiss es.

»Bitte.«

»Daisy«, flüsterte Matthew mit erstickter Stimme, bevor er die Kontrolle zu verlieren schien. Mit einem Stöhnen zog er sie an sich und neigte den Kopf, um seinen Mund auf ihre Lippen zu pressen.

Als Bruder Zachariah ihre Zelle betrat, um ihr mitzuteilen, dass sie Besuch hätte, spürte Grace, wie ihr Herz zu rasen begann. Ihr fiel niemand ein, der mit guten Nachrichten zu ihr kommen würde. Jesse konnte es nicht sein. Wenn allgemein bekannt war, dass Lucie ihn wiedererweckt hatte … wenn er in London war, dann hätte Zachariah es ihr doch bestimmt gesagt, oder? Und wenn Lucie hier war … Na ja, James hatte Lucie inzwischen sicher die Wahrheit über das Armband erzählt. Lucie hätte keinen Grund, sie zu besuchen, außer um sie zu beschimpfen und zu beschuldigen. Niemand hatte einen Grund für einen Besuch.

Andererseits … Sie wusste nicht mehr, seit wie vielen Tagen sie schon in der Stadt der Stille war. Vermutlich eine Woche, aber wegen des fehlenden Tageslichts und den unregelmäßigen Befragungen durch die Stillen Brüder ließ es sich nur schwer sagen. Wenn sie müde war, schlief sie, und wenn sie Hunger hatte, brachte ihr jemand etwas zu essen. Es handelte sich um ein bequemes Gefängnis, aber trotzdem um ein Gefängnis. Eines, in dem keine menschliche Stimme die Stille durchbrach. Manchmal hätte Grace am liebsten laut geschrien, nur um irgendeine Stimme zu hören.

Als sie sah, wie sich der Schatten durch den Gang bewegte und näher kam, hatte sie sich bereits damit abgefunden, dass sie wahrscheinlich eine unangenehme Begegnung erwartete, aber immerhin eine Abwechslung in der lähmenden Eintönigkeit. Sie setzte sich auf ihrem schmalen Bett auf und strich sich die Haare glatt. Wappnete sich für …

»Christopher?«

»Hallo, Grace«, sagte Christopher Lightwood. Er trug seine übliche, mit Tinten- und Säureflecken übersäte Kleidung, und sein hellbraunes Haar war vom Wind zerzaust. »Ich hab gehört, dass du hier bist, und da wollte ich einmal nachsehen, wie es dir geht.«

Grace schluckte. Wusste er es denn nicht? Hatte James ihm nicht erzählt, was sie getan hatte? Doch Christopher betrachtete sie wie immer mit einer leichten Neugier. In seinem Gesicht war keine Wut zu erkennen.

»Wie lange«, fragte Grace fast im Flüsterton, »bin ich schon hier?«

Zu ihrer Überraschung wurde Christopher rot. »Ungefähr eine Woche«, sagte er. »Ich wäre schon früher gekommen, aber Jem meinte, ich solle dir etwas Zeit lassen, um dich ein­zugewöhnen.«

Er stand direkt vor der vergitterten Tür. Mit Schrecken erkannte Grace, dass er dachte, sie würde ihm irgendein Versäumnis vorwerfen, weil er nicht schon früher gekommen war. »O nein«, sagte sie, »ich wollte nicht … Ich bin froh, dass du hier bist, Christopher.«

Er lächelte, und dieses freundliche Lächeln ließ seine ungewöhnlich gefärbten Augen strahlen. Christopher war nicht im herkömmlichen Sinne gut aussehend, und Grace wusste sehr wohl, dass es viele Leute gab, ihre Mutter eingeschlossen, die ihn nicht im Geringsten attraktiv fanden. Aber Grace kannte Unmengen attraktiver Männer und wusste, dass äußerliche Schönheit weder Freundlichkeit noch Klugheit oder ein gutes Herz bedeutete.

»Ich freu mich auch«, sagte er. »Ich wollte mal sehen, wie es dir geht. Und ich fand es unglaublich tapfer von dir, dass du dich den Stillen Brüdern gestellt und zugelassen hast, dass sie dich studieren. Um herauszufinden, ob deine Mutter … irgendetwas Schreckliches mit dir angestellt hat.«

Er weiß es wirklich nicht. Und in diesem Moment wusste Grace, dass sie es ihm auch nicht sagen würde. Nicht jetzt. Natürlich war das nicht richtig und lief ihrem Versprechen zuwider, ehrlicher zu sein. Aber hatte Zachariah nicht gesagt, dass sie vorhatten, die Information über ihre Kraft geheim zu halten? Tat sie nicht das, was die Stillen Brüder von ihr verlangten?

Christopher trat von einem Fuß auf den anderen. »Also«, setzte er an, »ich bin tatsächlich hier, weil ich wissen wollte, ob es dir gut geht. Aber nicht nur deshalb.«

»Ah ja?«

»Ja«, bestätigte Christopher. Abrupt griff er in seine Hosentasche und zog ein Bündel sorgfältig gefalteter Blätter heraus. »Ich arbeite an diesem neuen Projekt … eine Art Verschmelzung von Wissenschaft und Nephilimmagie. Es ist dafür gedacht, Nachrichten über große Entfernungen zu versenden, und ich habe auch bereits Fortschritte gemacht. Aber jetzt bin ich auf ein paar Haken gestoßen und stecke in einer ziemlichen Sackgasse und … Oje, meine Metaphern geraten völlig durcheinander.«

Grace’ Nervosität hatte sich rasch gelegt, nachdem sie die Seiten gesehen hatte, die mit Christophers unleserlichem Gekrakel bedeckt waren. Jetzt lächelte sie sogar ein wenig.

»Und du hast einen wissenschaftlichen Verstand«, fuhr Christopher fort, »und den haben nur so wenige Schattenjäger. Und Henry ist zu beschäftigt, um mir zu helfen, und ich glaube, meine anderen Freunde sind es leid, dass ihre Sachen Feuer fangen. Also habe ich mich gefragt, ob du nicht einmal einen Blick darauf werfen könntest. Und so nett sein würdest, mir deine Meinung zu sagen … wo ich vielleicht einen Fehler gemacht habe.«

Grace spürte, wie sich ein freudiges Lächeln auf ihrem Gesicht ausbreitete. Vermutlich das erste richtige Lächeln seit … na ja, seit sie Christopher das letzte Mal gesehen hatte. »Christopher Lightwood«, verkündete sie, »es gibt absolut nichts, was ich lieber tun würde.«

Als sie einander berührten, fiel alles von Cordelia ab – Sorgen, Ängste, Enttäuschungen und Verzweiflung. Matthews Lippen lagen heiß auf ihren. Er taumelte rückwärts gegen einen Laternenpfahl, während er sie leidenschaftlich küsste, wieder und wieder, und mit den Fingern durch ihre Haare fuhr. Jeder Kuss war heißer und verlangender als der letzte. Er schmeckte zuckersüß, wie ein Bonbon.

Cordelia strich mit den Händen über seinen schlanken Körper, über die Arme, die sie vorhin bewundert hatte, seine breite Brust unter dem Hemd, seine Haut, die bei ihrer Berührung fiebrig glühte. Sie vergrub ihre Finger in seinem dichten Haar, spröder als das von James, und umfasste dann mit beiden Händen sein Gesicht.

Er hatte seine Handschuhe weggeworfen und berührte sie ebenfalls, strich über den dicken Samt ihres Kleids, fuhr mit einem Finger über ihr Schlüsselbein, den Ausschnitt ihres Abendkleids. Sie stöhnte leise und spürte, wie sein ganzer Körper erbebte. Dann vergrub er sein Gesicht an ihrer Kehle. Sein Puls raste wie ein Lauffeuer.

»Wir müssen zurück zum Hotel, Daisy«, flüsterte er und küsste sie auf den Hals. »Wir müssen zurück … bevor ich vor den Augen von ganz Paris Schande über mich und dich bringe.«

Cordelia erinnerte sich kaum an den Weg. Sie nahmen ihre Umhänge, ließen Matthews Waffe einfach liegen und kehrten in einer Art Traumzustand zurück. Etliche Male blieben sie stehen, um sich in einem dunklen Eingang zu küssen. Matthew hielt sie so fest, dass es beinahe schmerzte, streichelte ihre Haare und wickelte die Strähnen um seine Finger.

Es war wirklich wie ein Traum, dachte sie, als sie an dem Rezeptionisten in der Hotelhalle vorbeigingen. Offenbar versuchte er, sie an den Empfang zu winken, aber sie duckten sich in einen der vergoldeten, gläsernen Aufzüge und fuhren nach oben. Cordelia kämpfte gegen ein fast hysterisches Kichern an, als Matthew sie gegen die verspiegelte Wand drückte und ihren Hals küsste. Sie sah sich selbst im Spiegel gegenüber, die Finger in seinem Haar. Sie war errötet, wirkte fast trunken, und ein Ärmel ihres roten Kleids war zerrissen. Vielleicht vom Kampf. Oder von Matthew. Sie konnte es nicht sagen.

Das Zimmer war dunkel, als sie es betraten. Matthew schloss die Tür und riss sich mit zitternden Händen den Umhang herunter. Auch er war errötet, sein goldenes Haar von ihren Fingern zerzaust. Sie zog ihn an sich – sie standen noch immer im Eingangsbereich, aber die Tür der Suite war verriegelt. Sie waren allein. Matthews Augen schimmerten tiefgrün, fast schwarz, als er den Umhang von ihren Schultern streifte. Er landete in einem weichen, raschelnden Haufen zu ihren Füßen.

Matthews Hände waren sehr geschickt; lange Finger umschlossen ihren Nacken. Sie hob ihr Gesicht, damit er sie küsste. Er soll nicht glauben, James hätte mich nie geküsst, dachte sie und erwiderte seinen Kuss, verbannte jeden Gedanken an James aus ihrem Kopf. Sie schlang die Arme um seinen Hals. Sein Körper presste sich hart an sie, aber seine Lippen waren weich. Vorsichtig fuhr sie mit der Zunge über seine Unterlippe und spürte, wie er zitterte. Mit der freien Hand zog er den Ärmel ihres Kleids herunter, entblößte ihre Schulter und küsste dann ihre nackte Haut. Und Cordelia hörte sich selbst nach Luft schnappen.

Wer war das, dachte sie, dieses verwegene Mädchen, das einen jungen Mann in einem Pariser Hotel küsste? Sie, Cordelia, konnte es nicht sein. Es musste jemand anderes sein, jemand Unbekümmertes, jemand Mutiges, jemand, dessen Leidenschaften sich nicht auf einen Ehemann richteten, der ihre Liebe nicht erwiderte. Jemand, der begehrt wurde, wirklich begehrt. Sie spürte es an der Art, wie Matthew sie festhielt, wie er ihren Namen raunte, wie er zitterte, wenn er sie an sich zog, als könnte er sein Glück nicht fassen.

»Matthew«, flüsterte sie. Ihre Hände wanderten unter seine Jacke; sie spürte die Hitze seines Körpers durch die dünne Baumwolle seines Hemds, fühlte, wie sich sein Bauch zusammenzog, als sie mit der Handfläche darüberstrich. »Wir können nicht … nicht hier … wir sollten in dein Zimmer …«

»Mein Zimmer ist ein einziges Chaos. Wir gehen in deins«, erwiderte er, küsste sie leidenschaftlich und hob sie hoch. Dann trug er sie durch die verglaste Doppeltür ins Wohnzimmer, wo nur ein schwacher Lichtstrahl durch das Fenster fiel. Eine Mischung aus Mondlicht und Straßenbeleuchtung, die die Schatten in ein dunkles Grau verwandelte. Matthew taumelte gegen einen niedrigen Tisch, fluchte, lachte und ließ Cordelia sofort herunter.

»Tut es weh?«, flüsterte sie und hielt sich an seinem Hemd fest.

»Nichts tut weh«, versicherte er ihr und zog sie an sich, um sie mit einem solchen Verlangen zu küssen, dass sie es bis in die Zehenspitzen spürte.

Es war eine solche Erleichterung, etwas zu fühlen , sich in ihren Empfindungen zu verlieren und die Last der Erinnerung von den Schultern fallen zu lassen. Sie streckte die Hand aus, um sein Gesicht zu berühren, ein Schatten in der Dunkelheit – und in diesem Moment ging das Licht an.

Sie blinzelte kurz, während sich ihre Augen an die neue Beleuchtung gewöhnten. Jemand hatte die Tiffanylampe in der Leseecke eingeschaltet. Jemand, der in dem tiefen Polstersessel unter der Lampe saß, jemand in einem schwarzen Reiseanzug, das blasse Gesicht ein weißer Fleck zwischen seinem Hemd und dem rabenschwarzen Haar. Jemand mit Augen in der Farbe von Lampenlicht und Feuer.

James.