Katalanische Küche

Die Küche Barcelonas wartet mit erstklassigen Köchen, phantasievollen Rezepten und frischen Zutaten vom Land und aus dem Meer auf. Katalanische Spitzenköche wie Ferran Adrià und Carles Abellán sind weltbekannt und haben die Haute Cuisine verändert, doch in den Tapasbars und Gaststätten der Stadt können Gäste auch klassische katalanische Gaumenfreuden genießen.

Literatur

Ein Tag im elBulli (Ferran Adrià)

Katalanisch kochen. Gerichte und ihre Geschichte (Torsten Eßer)

Tapas favoritas. Die 101 besten Rezepte aus Spaniens Tapas-Bars (Fiona Dunlop)

Zurück zum Anfang des Kapitels

KULINARISCHE WURZELN

Die Römer bauten in der Kleinstadt Barcino nicht nur gerade Straßen, einen großen Tempel und eine funktionierende Kanalisation, sie richteten sich auch nach ihren Essgewohnheiten ein, und dazu gehörten grundsätzlich Oliven und Trauben. Zum Glück hat ihre Vorliebe für garum (eine Art Fischpaste, die auf langen Seereisen haltbar war) das Ende des Imperiums nicht überlebt.

Die jahrhundertelange maurische Besetzung schlug sich in der Verwendung von Gewürzen wie Safran und Kreuzkümmel und bei den Desserts in den vielen honiggetränkten Süßigkeiten, Mandeln und Früchten nieder. Weitere Quellen kulinarischer Inspiration boten Kolonialwaren aus Südamerika, wie Kartoffeln, Tomaten und natürlich Schokolade.

Wenn der Kellner pijama vorschlägt, dann ist das keine Aufforderung, nach Hause und ins Bett zu gehen, sondern die Empfehlung, eines der berüchtigtsten Desserts der Landesküche zu kosten. Es besteht aus Pfirsichscheiben, einem Klecks Flan, zwei Kugeln Eiscreme (etwa Erdbeere und Vanille) und einem Sahnehäubchen mit Schokoladenverzierung!

Zurück zum Anfang des Kapitels

EIN LAND DER IMMIGRANTEN

Barcelona zieht seit Langem Migranten an, zunächst aus Spanien und seit den 1990er-Jahren aus aller Welt. Daher ist die Stadt voll mit galicischen Fischrestaurants, baskischen Tapasbars und seit rund 20 Jahren auch exotischen Lokalen. Zwar waren preisgünstige, freundliche Chinarestaurants schon längst etabliert, doch ließen sich vor 1990 die Japaner, Thais oder Inder an einer Hand abzählen. Heute ist das ganz anders. Plötzlich gibt es überall Pizzerien, Sushi-Restaurants, Tandoori-Tafeln, Thai-Imbisse, koreanische Lokale und Dönerbuden. Seit Beginn dieses Jahrhunderts hat sich die Anzahl an nicht spanischen Restaurants vervierfacht.

Zurück zum Anfang des Kapitels

DAS KATALANISCHE FÜLLHORN

Die katalanische Küche basiert auf einer breiten Palette von Zutaten und Traditionen. Manche Gerichte werden bezeichnenderweise mit mar i muntanya (Meer und Berg, eine Mischung aus Meeresfrüchten und Fleisch) betitelt. Die Menschen von Barcelona liebten schon immer, was sich Essbares vor ihren Küsten tummelte (in römischen Annalen liest man, dass die fetten Austern der Gegend damals fester Bestandteil der Ernährung waren), während im katalanischen Hinterland, besonders in den Pyrenäen, recht deftig gekocht wird. Mit kräftigen Wintereintöpfen und einer Vorliebe für verschiedene Würste, Schwein und Wild trägt die ländliche Tradition Kataloniens viel zu Gerichten auf spanischen Tellern bei. Die Katalanen fügen diesem Grundstock noch verschiedene Soßen hinzu und verweisen damit auf den Einfluss der Franzosen.

VEGETARIER

Vegetarier und besonders Veganer haben es in Spanien zum Teil recht schwer, aber in Barcelona schaffen viele neue vegetarische Restaurants endlich Abhilfe. Bei herkömmlichen Salaten (wie z. B. amanida catalana) ist jedoch Vorsicht geboten, da sie nicht selten Schinken oder Thunfisch enthalten.

Die Grundlagen

Die Grundnahrungsmittel sind recht einfach: Brot und Olivenöl – und viel Knoblauch. Kein Katalane würde eine Mahlzeit ohne Brot essen, und Olivenöl findet seinen Weg in fast alle Rezepte. Dem Katalanen ist das Konzept von Butterbrot unverständlich, wo doch pa amb tomàquet/pan con tomate (Brotscheiben, die mit Tomate, Olivenöl, Knoblauch und Salz eingerieben werden) so viel besser schmecken!

Es gibt viele heimische Arten von Olivenöl, aber eines der besten ist Borges, das seit 1896 in Tàrrega in der Provinz Lleida hergestellt wird. Gewürze glänzen dagegen eher durch Abwesenheit. Wenn etwas als picante (scharf) bezeichnet wird, kann ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass es nur etwas schärfer als mild ist.

Fisch & Meeresfrüchte

Fisch und Meeresfrüchte stellen natürlich wichtige Bestandteile der regionalen Küche dar. Nur ein geringer Teil des in Katalonien konsumierten Fischs wird vor Ort gefangen: Was auf den Teller kommt, stammt überwiegend aus dem Golf von Biskaya, aus Frankreich, Großbritannien oder gar Südafrika (hier insbesondere Kabeljau). Während 1996 nur etwa 15 % aller auf dem Großmarkt (Mercebarna) von Barcelona verkauften Waren importiert wurden, kam 2011 schon über die Hälfte aller Fische aus dem Ausland.

Reis als Basis

Die Hauptzutat zur Paella, Reis, wird nicht weit von der Stadtgrenze entfernt angebaut, nämlich im Delta de l’Ebre im südlichen Katalonien, und kommt oft zum Einsatz. Die Reisgerichte in Barcelona mit Fisch aus dem Mittelmeer und Fleisch von den nahen Bergen zählen zu den besten Spaniens – nur denen aus Valencia können sie nicht das Wasser reichen.

Pilze sammeln

Bolets (Waldpilze) sind eine wahre Passion – im Herbst verschwinden die Katalanen im Wald, um sie zu suchen. Die großen, fleischigen rovellons (Edelreizker) sind besonders beliebt. Trompetas de la muerte (Totentrompeten) gibt es im Sommer und Herbst, und sie sind eine Delikatesse. Bei einem Besuch im Oktober auf dem Boqueria-Markt im Zentrum von Barcelona lassen sich noch weitere Sorten entdecken.

Käseherstellung

Katalanischer Käse wird hauptsächlich in La Seu d’Urgell, der Cerdanya und der Region Pallars im Nordwesten hergestellt. Obwohl einige traditionelle Käsesorten selten werden, kann man auf Bauernmärkten und in Feinkostläden immer noch Produkte wie formatge de tupí (Ziegenkäse in Olivenöl) kaufen.

Italienisch beeinflusste Gerichte

Die katalanische Version von Pizza heißt coca und hat meist eine längliche Form wie eine breite Zunge. Es gibt mehrere Variationen, sowohl herzhafte als auch süße. Herzhafte sind mit Tomaten, Zwiebeln, Paprika und manchmal Sardinen belegt. Die süße Version wird oft mit Mandeln gebacken. Sie ist beliebter und Teil vieler Feste wie z. B. des Dìa de Sant Joan im Juni. Außerdem lieben die Katalanen Pasta, und canelons (ähnlich den italienischen Cannelloni) kommen oft auf den Tisch.

Tapas

Statt eine Mahlzeit im Sitzen einzunehmen, bevorzugen einige Einheimische tapear oder ir de tapeo (von Tapasbar zu Tapasbar ziehen, auch picar oder pica-pica genannt). Dabei stehen die Gäste locker in Bars herum und suchen sich etwas aus dem Angebot herzhafter Leckerbissen aus. Ob man nun die ganze Zeit in einer Bar bleibt oder weiterzieht, überall wird getrunken und schnabuliert bis zum Abwinken.

Ursprünglich scheinen Tapas vom Brauch herzustammen, Getränke mit einem Deckel (tapa) zu servieren, vielleicht um lästige Fliegen abzuhalten. Eine tapa war vielleicht ein Stück Brot, und später wurde es als normal angesehen, etwas auf das Brot zu geben – möglichst etwas Salziges, um den Durst anzuregen. Einige Bars servieren heute noch kostenlos ein paar Oliven oder Cracker mit dem Bier, aber da Tapas eigentlich eine südspanische Tradition sind, ist das in Barcelona eher selten. Hier wird normalerweise für alles bezahlt.

Seit Mitte der 1990er-Jahre ist die Anzahl baskischer Tapasbars in die Höhe geschossen.

EL BULLI

Das El Bulli, das vielen bis zu seiner Schließung 2011 als eines der besten Restaurants der Welt galt, führte die Welt in die nueva cocina española ein. Doch trotz der hohen Preise (die Festpreismenüs kosteten 270 € pro Person) rentierte sich das Restaurant nie. Gewinne wurden allein durch El-Bulli-Produkte und Vorträge von Koch Ferran Adrià erzielt.

Zurück zum Anfang des Kapitels

NUEVA COCINA ESPAÑOLA

Avantgardistische Köche haben Katalonien auf der ganzen Welt mit ihrem kulinarischen Schöpfergeist, ihrem Engagement für das Essen als Kunst und ihren verrückten Interpretationen traditioneller regionaler Küche berühmt gemacht. Was als kleines Experiment begann, löste eine Essensrevolution aus, zunächst in Spanien, dann auch in den anderen wichtigen gastronomischen Zentren der Welt.

Einer der Großväter der nueva cocina española ist der äußerst erfinderische katalanische Koch Ferran Adrià, der Ende der 1980er- und in den 1990er-Jahren mit neuen Methoden der Essenszubereitung experimentierte. Er verwandelte Flüssigkeiten und feste Speisen in Schäume, schuf aus klassischen Zutaten „Eiscreme“ mit Hilfe von flüssigem Stickstoff, unterzog Speisen der Gefriertrocknung, um aus ihnen konzentrierte Pulverversionen herzustellen, und nutzte die Methode der Sphärifikation, um ungewöhnliche und künstlerische Formen zu schaffen. Dieses alchemistische Kochen wurde später als Molekularküche bezeichnet und löste eine Welle der Neuerungen aus, da immer mehr Köche Adriàs Techniken studierten und eigene Erfindungen einbrachten.

Egal, wie man das Ganze nennt – Adrià beschreibt seine Technik als „Dekonstruktion“ –, wichtig ist v. a. Kreativität. Die Köche der nueva cocina möchten schmackhafte Gerichte schaffen, die auch zum Denken anregen. Dies ist Kochen als echte Kunst: Alles, was einem vertraut erscheint, wird in etwas wundersames Neues und manchmal völlig Surreales verwandelt. Ein Beispiel für diese Dekonstruktion ist die Verwandlung der klassischen tortilla española (spanisches Omelett). Man nehme die drei Zutaten – Eier, Kartoffeln und Zwiebeln – und bereite alle drei separat zu, wobei man ihre traditionelle Konsistenz verändert. Die Kartoffeln werden in einen Schaum verwandelt, die Zwiebeln püriert, und aus den Eiern macht man eine Mousse-ähnliche Zabaglione. Dann werden die drei Komponenten übereinander geschichtet mit frittierten Kartoffelstückchen garniert. Das Ganze wird in einem Sherryglas serviert – und fertig ist eine radikal neue Version der tortilla española.

Die Gäste müssen sich vielleicht einstellen auf: Olivenöl-„Kaviar“, warme Eiscreme, eine Piña Colada aus Kokosschaum, dehydrierte Ananas und Rum-Gel, serviert auf einem Löffel, sphärische Oliven (Olivenpüree und Kräuter, die eine merkwürdige Nachbildung echter Oliven abgeben), „Schnee“ aus Gazpacho mit Sardellen oder in Spaghetti verwandelten gelierten Parmesan.

Zurück zum Anfang des Kapitels