Schließlich ist Benjamin Merz fähig, seine Erfahrungen und Erkenntnisse genauer zu fixieren. Er schreibt einen längeren Bericht und skizziert, was er vom sizilianischen Leben verstanden zu haben glaubt.
Einen solchen Text hätte er nicht schreiben können, wenn es ihm nicht auch gelungen wäre, Einblicke in das eher private und intime Leben der Einheimischen zu erhalten. Dazu verhalf ihm eine Frau, die schon seit Langem in Sizilien lebte und in die er sich verliebt hatte. Die Nähe zu ihr hatte gleichsam noch eine engere Verbindung mit dem Leben der anderen Bekannten und Freunde ermöglicht.
Kurz bevor er nach Deutschland zurückreisen will, ist diese Nähe so stark geworden, dass er sich überlegt, in Sizilien zu bleiben.
Auch hier zeigt sich wieder das alte Motiv, das mich ein Leben lang verfolgt hat. Bei fast jedem Abschied aus Italien habe ich mir die Frage gestellt, ob es nicht besser und richtiger wäre, einfach zu bleiben und nur noch für Kurzaufenthalte nach Deutschland zurückzukehren. Bis heute ist das eine offene Frage – und ich bin während jeder Reise in den Süden unsicher, ob ich nicht wirklich mit dem Bleiben ernst machen werde.
Nach einer langen, scheinbar ewig währenden Hitzeperiode gibt es nun die ersten, schweren Gewitter. Sie dauern meist einen halben Tag und sind so heftig, dass man glaubt, nie zuvor ein Gewitter erlebt zu haben. Kurz bevor sie ausbrechen, regt sich der Wind, pfeift durch die Gassen und wirbelt alles vor sich her, was nicht zwei- oder dreimal befestigt oder angebunden ist. Die Läden der Geschäfte werden rasch geschlossen, die Auslagen draußen im Freien hastig in das Geschäft geräumt, alles duckt sich ins Dunkle weg und verharrt dort für die Zeit des Sturms.
Nach den ersten Gewittern wird es allmählich sogar etwas herbstlich. Die Temperaturen sinken um zehn, fünfzehn Grad, und manchmal hocken oben, am früher noch schwerblauen Himmel, graue, aufgedunsene Wolken, so missmutig und gelangweilt, dass man nicht hinschauen mag. Im Ort breitet sich eine verhaltene Trauer um den verschwundenen Sommer aus, ja sogar eine Sehnsucht nach Hitze (die vor einigen Tagen noch heftig beklagt wurde). Der Herbst bedeutet nicht nur unsicheres, sich laufend veränderndes Wetter, sondern auch Arbeit, viel Arbeit. In den Gärten und auf den Feldern wird jetzt geerntet, und in den hoch an den Steilhängen neben der Stadt gelegenen Weinbergen stehen kleine Menschengruppen und arbeiten sich von einem Weinstock zum anderen vor.
Meine Arbeit kommt ebenfalls sehr gut voran. Ich habe viele Gespräche geführt und bin dabei, die Tonaufnahmen durchzuhören und mir zu ihnen Notizen zu machen. Jedes Gespräch höre ich mindestens fünfmal an, ich achte auf jeden Verweis und jede Kleinigkeit und erstelle kurze Protokolle über die zur Sprache gekommenen Themen. So entstehen Vorfassungen des späteren Buches, für das ich wohl noch viel Zeit brauchen werde, denn noch nie habe ich so komplex und ideenreich gearbeitet. Im Vordergrund meiner jetzigen Untersuchungen stehen mehr als jemals zuvor die Biografien der einzelnen Menschen, während die großen Themen nicht das Hauptgewicht bilden. Aus den Biografien heraus soll also das Buch entstehen und sollen die einzelnen Themen dann weiter verfolgt werden. Dieser Zugang zu meinem Stoff wird sich in der Endfassung spiegeln. In ihr werde ich immer die Geschichten einzelner Menschen erzählen und schließlich auch die größeren Themen in erzählender Form behandeln. (Ich nähere mich den erzählerischen Darstellungsformen der ethnologischen Meister, endlich werde auch ich zum Erzähler.)
Immer wieder verblüfft mich, wie gut die Einwohner von Mandlica das Erzählen beherrschen. Sie können es, als wären sie damit geboren worden, und sie haben nicht die geringste Mühe, verzweigte Sachverhalte konkret und anschaulich darzustellen. Selbst ältere Männer, die im Ort als schweigsam und etwas verstockt gelten, erzählen nach einigen Auflockerungsübungen mit großer Bereitschaft und als wären sie froh, endlich einmal länger sprechen zu dürfen. Genau hierin besteht die Macht meiner Fragen. Sie entlocken den Menschen Details und Geschichten, die sie zuvor nicht loswurden und die sie seit Langem nur für sich behielten. Ich wittere solche Details und Geschichten relativ rasch, und wenn ich auf solche Details und Geschichten (Nebenfiguren, übersehene Verwandte, Sehnsüchte nach bestimmten Erlebniszuständen) gestoßen bin, versuche ich, zu den Erzählzentren vorzudringen.
Bei den Erzählzentren handelt es sich um Urszenen oder Urkonstellationen einer Biografie. Trifft man auf ein derartiges Zentrum, wird der Erzähler unruhig, beredsamer (oder aber plötzlich schweigsamer) als sonst, bricht häufig ab, setzt wieder neu an und zeigt überhaupt eine gewisse Angespanntheit oder Übererregtheit. (Sie rührt daher, dass er noch keine endgültige Fassung seiner Erzählung besitzt. Das Erzählte befindet sich vielmehr noch in einem kruden Rohzustand.) So etwas kann bei der Erwähnung einfachster und scheinbar unauffälliger, ja sogar nichtiger Details geschehen, denn schon ein einziger, winziger Pfirsich, den ein älterer Bruder einmal langsam durchschnitten und geteilt hat, ohne ihn dann wirklich mit dem jüngeren Bruder zu teilen, kann ein Leben vergiftendes Zeichen sein, das sich tief eingebrannt hat. Eingebrannte Details sind Zeichen, die man sich ein Leben lang merkt. In Momenten von Traurigkeit treten sie geradezu inflationär auf und bilden lauter kleine Ketten aus vielen Vorwürfen oder Abneigungen (Typische Redensarten sind dann: Schon immer hat er/sie … – Seit ich mich erinnern kann, war dies/das … – etc.).
Natürlich habe ich mich oft gefragt, wodurch das besondere Erzählvermögen der Mandlicaner Bevölkerung entstanden sein mag. Einige einfache Beobachtungen haben mir geholfen, diese schwierige Frage zu beantworten. (Und ich vermute nach einer längeren Unterhaltung mit Paula über genau dieses Thema, dass meine Antworten nicht nur auf Mandlica, sondern auf große Teile Siziliens, ja vielleicht sogar Italiens zutreffen.) Ich habe nämlich beobachtet, dass es in vielen Familien meist immer eine Person gibt, die wie ein Erzählmotor wirkt. Oft steht sie als Erste auf und beginnt dann gleich, die anderen Familienmitglieder, sobald sie auf sind, in ihr fortlaufendes Sprechen einzubeziehen. Schon in den frühsten Morgenstunden geht das los: Der Erzählmotor wird angeworfen und schnurrt dann ohne größere Pausen, bis auch die ruhigeren Familienmitglieder in das Gespräch einsteigen und zu sprechen beginnen.
Dieses frühmorgendliche Sprechen taut die nächtliche Steifheit und Verlegenheit (die in eher nördlichen Ländern wie Deutschland den ganzen Tag mehr oder weniger anhält) rasch auf. Sie wirkt wie ein Morgentraining in Sprache und Eloquenz und ruft allen Familienmitgliedern in Erinnerung, dass der Mensch ein sprechendes und sich darstellendes Wesen ist. Die Hilfsmittel dieses Trainings aber bestehen aus einer jahrtausendealten Rhetorik, und das meint: Es werden bestimmte Stilmittel (wie etwa die Wiederholung, die Aneinanderreihung, die Umdrehung, der Kontrast etc.) eingesetzt, die gute Sprecher, ohne es deutlich zu wissen, von Natur aus und von den frühsten Kinderjahren an beherrschen. Darüber hinaus haben sie seit diesen ersten Jahren ein Reservoir an bestimmten Vokabeln und Begriffen gesammelt, das sie immer neu miteinander kombinieren und Stück für Stück erweitern. So entsteht ein fester Vokabelvorrat, auf den sich ein guter Sprecher verlassen kann. (Einen guten Sprecher zeichnet aus, dass er diesen Vorrat fast täglich abruft, er spricht über die verschiedensten Themen an immer neuen Orten auf meist dieselbe, höchstens leicht variierte Art.)
So muss man sich Mandlica in der Frühe (etwa ab sechs Uhr und damit seit Sonnenaufgang) als einen Ort vorstellen, der zum Sprechen erwacht. In den Wohnhäusern und in den Geschäften wird der Erzählmotor angeworfen, werden Erzählkerzen entzündet und erste Erzählpirouetten gedreht. Das Sprechen schwillt an und beginnt dann zu rauschen, und die verschiedenen Sprecher tauchen langsam ein in die Sprech- und Erzählströme. Dabei kommt es eben nicht darauf an, von sich selbst oder überhaupt von etwas Neuem, höchst Mitteilenswertem zu erzählen. Es wird gesprochen, um sich des Sprechens zu vergewissern, um im Sprechen warm zu werden und dieses Warmwerden auf andere Sprecher zu übertragen: Ah, da liegt ja meine Haarspange, da habe ich sie also gestern hingelegt! – Was du nicht sagst, ich dachte, du hast sie vorgestern verloren? – Vorgestern? Nein, gestern erst habe ich zu dir gesagt, ich könnte sie gerade verloren haben, beim Fahrradfahren. Aber ich wusste nicht genau, wo, ich hatte überhaupt keine Ahnung. – Richtig, du hattest überhaupt keine Ahnung, und jetzt fliegt dir das blöde Ding einfach ruckzuck zurück in die Hände. Du hast Glück. – Ja, heute habe ich Glück, ruckzuck fliegt mir das Ding in die Hände. – Ruckzuck. – Ja, ruckzuck. So sollte es immer sein mit Dingen, die man vermisst: Einfach ruckzuck. – Ja, genau. Neulich habe ich meinen Lippenstift gesucht, stundenlang …
So ein Reden und Gegenreden ist durch und durch rhetorisch. Der Inhalt ist zunächst nichtig, viel wichtiger ist, dass das gegenseitige Reden sich langsam verstärkt und anschwillt. Dabei ist auch von Bedeutung, dass sich die Gesprächspartner nicht laufend widersprechen (wie das in eher nördlichen Ländern beinahe zu einer fatalen, letztlich gesprächshemmenden Mode geworden ist), sondern sich eher in der Rede bestärken. (Widerspruch wird zumeist vorsichtig, als zögernde Frage, als Annäherung oder als Nachfragen artikuliert, während das Bestärken und Zusprechen eine unterstützende, anheizende und aufhellende Funktion hat.)
Gutes miteinander Reden und Sprechen hat dadurch etwas Helles, Klingendes, Freundliches, Verlockendes, manchmal sogar dezidiert Albernes. Es hört sich an wie ein immer flotter, leichter und brillanter werdendes Duett, mit kurzen Rezitativen beiderseits. Die Sprechmusik trällert, windet sich in die Höhe, ruht sich aus in den Tiefen, legt wieder los, holt Luft, wird hektisch und nervös, fast bis zur Besinnungslosigkeit. Diese Hektik und Raschheit lässt sie immer weiter ausholen, als müsste sie die halbe Welt neu erzählen. Bald fallen von allen Seiten schwere Themenbrocken ins Reden, werden unwirsch beiseitegestoßen, rühren sich von selbst wieder, kollern umher und werden schließlich doch noch in Angriff genommen (der Tod eines nahen Menschen, ein Verkehrsunglück, die Taufe der Nichte … – also sowohl negativ wie positiv besetzte, schwerer wiegende Ereignisse).
Irgendwann muss dann aber aus verständlichen, zeitlichen Gründen Schluss gemacht werden. Die Sprecher müssen raus aus ihren Häusern und sich unter andere Sprecher mischen, die ebenfalls am frühen Morgen das große Training des Sprechreigens durchlaufen haben. Günstig ist es, wenn bereits die Straße, die direkt vor dem eigenen Haus liegt, solche anderen Sprecher zum erneuten Gespräch anbietet. Das Sprechen und Reden verlagert sich dann vom Haus hinaus auf die Straße – und wird dort den ganzen Tag über mit neuen Sprechern und in neuen Konstellationen weitergeführt. Der ganze Tag – ein einziges Sprechen mit immer denselben Versatzstücken an immer neuen Orten! (Genau dafür wurden in Italien die Bar, der Tabacchi-Laden, das Lebensmittelgeschäft etc. erfunden, und genau deshalb gibt es in Italien in fast allen Orten und Städten noch immer derart viele kleinere Läden. Es sind Sprechzentren, von denen man sich nicht trennen mag.)
So besteht jeder normale Tag für einen Mandlicaner aus vielen kurzen Duetten und Gesprächen, die sich manchmal auch zu größeren Runden (einem Trio, einem Quartett) hin erweitern. Die Oper ist in Italien (und nirgends sonst) entstanden, weil sie die Umsetzung solcher Gesprächsformen ins Musikalische ist. Als Kunstform führt sie vor, dass Leben aus Sprechen und Sprechen aus Musik besteht und dass alles Leben nur existiert, insofern es ausgesprochen und besungen wurde. (Selbst im Sterben wird noch gesungen, selbst der tödlich Getroffene bäumt sich noch ein letztes Mal auf, um zu verkünden, dass er gerade tödlich getroffen wurde.)
Jeder Tag führt also die Bewohner Mandlicas zu immer neuen Sprechgesängen zusammen, jeder Tag ist ein Meister der Komposition, ja ein Komponist. Und manchmal, in besonders schönen Momenten, bilden diese Menschen dann sogar einen Chor. Wie etwa nach schweren Gewittern, wenn die Frauen Mandlicas, ohne sich dazu verabredet zu haben, in den Dom strömen, um dort Marienlieder zu singen. Höre ich sie von Weitem, laufe ich jedes Mal auf den Domplatz und zeichne ihre Gesänge auf. (Eine natürliche Scheu verbietet mir, den Dom als Mann zu betreten, die Frauen von Mandlica wollen unter sich bleiben – das spüre ich und habe davor auch Respekt. Es gibt aber kaum Schöneres, als die alten Marienlieder leicht gedämpft auf dem Domplatz zu hören und dabei zu erleben, wie der Regen abzieht, die Dinge wieder Farbe und Geruch annehmen, die Erde noch dampft und die Pfützen im langsam wieder aufstrahlenden Sonnenlicht blinken. Der Chor der Sängerinnen dankt Maria für die Rückkehr des Lichts – genau diesen Eindruck hinterlassen solche Szenen. Großer Film ist auch das, aber auch in diesem Fall interessiert sich wahrscheinlich kein Mensch für mein Drehbuch.)
Und ich?! Wie steht es inzwischen mit meinem Erzählen? Sagen wir es so: Noch nie bin ich an einem Ort derart leicht und effektiv mit anderen Menschen ins Gespräch gekommen. Dadurch ist hier in Mandlica alles anders als sonst. Ich verstecke mich nicht den halben Tag in den Zimmern meiner Pension, und ich sitze längst nicht mehr allein an einem Tisch, um in der Gesellschaft von ein paar Zeitungen oder Büchern einsam zu Abend zu essen. Kaum habe ich die Pension verlassen, strömen Menschen auf mich zu, grüßen mich, beginnen ein zumindest kurzes Gespräch mit mir, erzählen mir etwas. Das alles ist wohltuend, erleichternd und angenehm, und ich habe mich noch in keinem Moment über diese Veränderungen gegenüber meinem bisherigen, extrem scheuen Leben beklagt. Im Grunde könnte es nicht besser und schöner sein: Die Bewohner von Mandlica haben mich eingemeindet, und ich habe eine bestimmte, von ihnen anerkannte Aufgabe übernommen, um ihr Sprechen, Denken und Leben zu dokumentieren.
Andererseits aber bemerke ich (fast schmerzhaft) weiterhin, dass ich in all diesen Situationen, die mein Leben jetzt so bereichern, noch immer der Zuhörer bin. Die Mandlicaner sprechen mit mir, aber sie tun es aus eigenem und meistens konkretem Verlangen heraus. Keiner von ihnen befragt mich, keiner will wissen, wie es mir geht, was ich denke und woraus mein Leben besteht. Ich höre genau zu, mache ein paar Anmerkungen, halte das Gespräch in Gang, kommentiere eine Neuigkeit oder eine Frage, stelle mich für jedes Thema als Gesprächspartner zur Verfügung. (Alles ist ja von Interesse, ja, genau, ein Ethnologe hat das Glück, dass eigentlich alles, was ein Befragter sagt, von Interesse ist.) Ich selbst aber bringe mich in all diesen Unterhaltungen nicht ein. Und so bin ich weiter der fleißige Diener der Forschung, der Mann aus Deutschland, der das Fragen so unglaublich gut beherrscht und der von den Menschen Dinge weiß, die sie selbst oft nicht einmal mehr von sich wissen.
Sollte es aber nicht genau so sein? Besteht eines der stillschweigend eingehaltenen wissenschaftlichen Gebote nicht genau darin, dass der Ethnologe sein eigenes Leben aus dem Spiel der Befragungen heraushält? Natürlich, so soll es sein. Doch es hat noch nie einen Ethnologen von einigem Können gegeben, der sich an eine solche Regel gebunden gefühlt hätte. Im Gegenteil, große Ethnologen wurden vor allem deshalb groß und bedeutend, weil ihren Texten die Beziehung zu ihren Themen anzumerken ist. Letztlich waren es Menschen, die ihre Zurückhaltung und Schüchternheit im Umgang mit der Fremde zunehmend verloren. Genau deshalb gingen sie ja in die Fremde: um dort die sie störenden Eigenschaften ihrer früheren Identität gegen eine neue, von der Fremde begründete und geformte Identität einzutauschen. In der Fremde verwandelten sie sich, blühten auf und spürten die positiven Auswirkungen ihrer Forschungen am eigenen Leib und an der eigenen Seele.
Was nun aber Deutschland betrifft, so habe ich die Kontakte dorthin beinahe vollständig abgebrochen. Ich habe meine Brüder eindringlich gebeten, mich nicht mehr laufend anzurufen, und ich selbst rufe einen von ihnen höchstens einmal pro Woche an. Unsere Gespräche sind kurz und berühren keine wichtigen Themen. Ich melde, dass ich am Leben bin und meine Forschungen Fortschritte machen, mehr möchte ich nicht sagen. Die Kürze meiner Telefonate hat aber auch damit zu tun, dass ich mir eine Rückkehr nach Deutschland immer schwerer vorstellen kann. Wenn ich die Augen schließe und an Deutschland denke, sehe ich ein Land der Quiz-und Kochsendungen, der überdrehten, wichtigtuerisch vorgetragenen Wetterberichte und der sich täglich ins Kleinste verlaufenden politischen und ökonomischen Kommentare, die ein immerwährendes Unwohlsein verbreiten und dieses Unwohlsein kultivieren. Ich will diese Welt nicht mehr sehen, und ich will auch nicht mehr tagaus, tagein in meinen Kölner Zimmern sitzen, um mich auf universitäre Seminare mit Erstsemestern vorzubereiten.
Am liebsten würde ich den größten Teil des Jahres hier im Süden Italiens verbringen. Ich würde die Sonne spüren und damit die Leichtigkeit meines Körpers, ich würde überhaupt ein freundlicheres, geselligeres Leben führen. Ich hätte nicht das Gefühl einer niemals aufhörenden Bedrückung, sondern eine Empfindung von lebenswertem Elan. Schon wenn ich morgens die Pension verlasse, ist dieser Elan da, er hat damit zu tun, dass ich in das Leben hier eintauche, ich wittere die Atmosphären der Gassen und Straßen, die Düfte und Gerüche fliegen auf mich zu, und ich betrete eine Bar, in der die Menschen das Leben nicht laufend beklagen, sondern munter, ironisch oder sarkastisch von ihm erzählen. Ob ich noch weiter in Deutschland leben werde, hängt auch von der weiteren Entwicklung meiner Liebesgeschichte ab. Sollte ich mit Paula zusammenbleiben, würde ich den größten Teil des Jahres hier in Mandlica bleiben wollen. Ich kann mir das gut vorstellen, und ich möchte nichts lieber. Ich warte aber noch, dass mit mir etwas geschieht, ja, verdammt, ich warte darauf, dass sich mein Herz endlich öffnet.