Die zweite Ankunft in Rom – Villa Massimo

Nach meiner ersten Ankunft in den siebziger Jahren bin ich beinahe jedes Jahr einmal für einen Kurzaufenthalt in die Ewige Stadt gefahren. Oft habe ich mich danach gesehnt, wie beim ersten Mal länger bleiben zu können. Nicht nur zehn oder vierzehn Tage, sondern monatelang.

Anfang der neunziger Jahre war es dann endlich so weit. Ich erhielt für zunächst ein halbes Jahr eines der begehrten Villa-Massimo-Stipendien und bewohnte während dieser Zeit ein Studio auf dem großen Villengelände der Accademia Tedesca. In einem Brief an eine in Deutschland zurückgebliebene Freundin erzählte ich euphorisch und ausgelassen vom Glück meiner zweiten Ankunft für längere Zeit.

Liebe Katja G.,

stellen Sie sich vor: ich bin in Rom, endlich bin ich in Rom! Habe ich nicht die letzten Wochen kaum noch einen anderen Gedanken hegen können als den, dass ich bald in Rom sein werde, und meldeten selbst meine Träume nicht laufend diese Sehnsucht nach Rom, Rom, Rom?! Ah, jetzt bin ich mit meinem kleinen, braunen Gefährt, das vollgeladen war mit Kisten und Kartons, mit prallen Koffern und sogar einem leibhaftigen Drucker, Ausdrucker, Ausdrucker für allerhand Getext, in der mir für die nächsten Monate zur Verfügung gestellten Massimo-Villa, Akademie, deutsch, tedesca, Accademia: eingetroffen.

Vorne, vor der sich fürstlich plazierenden Einfahrt, hat bei meiner Ankunft ein leibhaftiger Portiere gestanden, halleluja, hat er salutierend geschrien und seine Kappe dazu in die Luft geworfen, nebst der Schar seiner lieben Kinder, die antreten musste zu meiner Begrüßung, alle verbeugten sich artig, das ist der neue Künstler, haben sie gesagt, eines dieser deutschen Genies, allerhand, ein deutsches Genie, in diesen Mauern!

Dann aber hat mich der Portiere mit meinem braunen Gefährt durch die schnurgerade Zypressenallee geführt, ordentlich geschnalzt hat er dabei, oh, schauen Sie doch, diese Zypressen, ah, Zypressen, bis wir das mächtige, breit gestreckte, in der Sonne sich ausaalende Haupthaus erblickten. Pompös, pompös, riefen die uns nachlaufenden Kinder, jetzt lebt das deutsche Genie im schönen Haupthaus, halleluja, worauf mich der Portiere mit hinaufnahm, in den rechten Flügel, einige kühle Treppchen hinauf, alles aufschloss oben, um mich auf eine lange Terrasse zu versetzen, eine Erscheinung von einer Terrasse, meterchenlang, meterchenbreit, mit weißen Terrassenstühlchen und einem gelben Terrassensonnenschirmchen, mit einer Flucht doppelter Säulchen und einem schmalen Gebälk, eine Terrasse: dass ich gleich fragte, ist das also meine Terrasse, ausschließlich meine Terrasse, in den nächsten Monaten nur einzig meine Terrasse?

Da nickte er weich, alles dein, dein, dein, sagte er und fragte mich leise: aber weißt du auch, auf welch einer Terrasse du sitzen wirst, auf welchen Stühlchen und welchem Heiligtum? Weißt du, dass vor dir, in anderen Zeiten, die Freifrau von Kaschnitz auf dieser Terrasse saß und in anderen Zeiten der Rittmeister Jünger, weißt du, dass diese Terrasse Hunderten von großen Geistern diente als einzige Terrasse, und dass es sich nun zeigen wird, ob du das Genie bist, als das dich die deutschen Juroren erkoren, das wird sich jetzt zeigen, wird sich zeigen!

Dabei lachte er aber vielwissend und arglistig, so dass ich ihm gleich sein Lachen abschnitt, indem ich von meiner Terrasse herab auf den großen, unermesslichen Park deutete und ihm sagte: ah, diese Pinien, wie sie sich gen Himmel drehn!, und die steinernen Monumente aus römischer Zeit, wohl zweites, drittes Jahrhundert!, und das Mimosenwäldchen, exorbitant! … worauf er sich verbeugte und mich mit seinen Huldigungen bestürmte: ah, der Herr ist ein Dichter, ich höre es gleich, ein dichtender Wissender, und ein wissender Dichtender, das wird fein, dann gebührt ihm diese Terrasse, sie gebührt ihm, einzig und nur!

Und ich fragte ihn noch: aber sag mir, großer Portiere, Herrscher über die kleinen Attribute des Lebens, Sorger und Fürsorger von Tausenden deutscher Genies: wo sind die anderen Künstler, die Maler, Bildhauer, Architekten, die Musiker, Fotografen und Lyriker? Ach, antwortete er freundlich, nach diesen fragst du, nach diesen? Sie sind untergebracht, dort gegenüber, in der Reihe der Studios, dicht Studio an Studio, eng beieinander leben sie nebeneinander, mit ihren Familien, und sollen doch malern, bildhauern und musizieren!

Dort drüben, rief ich, das ist ja beinahe ein Abseits, ein Jenseits, welche Ehre also für mich, in diesem Haupthaus zu thronen, mit meiner einzigen Terrasse und ihrer Dichtungsgeschichte!

Ja, antwortete da der Portiere, du bist auserkoren unter vielen, um auf dieser Terrasse zu sitzen, einzig und nur, um zu dichten, um deine großen Werke ungestört hier zu verfassen und, wenn es dir denn beliebt, deine Worte manches Mal hinunterzustreuen, damit sie Frucht tragen in dieser sonst arg wortlosen Schönheit!

Dann umarmten wir uns, die Kinder klatschten vor Vergnügen in die Hände, alle verbeugten sich wieder und zogen davon, während ich begann, meine einzige Wohnung durchzubesichtigen, ah, welch ein Zimmer, und ein zweites, gewaltiges, und das Bad, eine Erscheinung, günstig im Schatten, und die Küche, voller lieblicher, weißer Tässchen und herrlicher Löffelchen, alles zu meiner Dichtungslaune plaziert, das kann etwas werden, heißa, das ist ja geradezu für mich geschaffen, diese feine Lokalität, und als ich mich aus einem Fenster beugte, auch den parkfernen Teil zu schauen, blickten mich zwei alterskluge Ziegen von unten her an, meckernd und mit dem Kopf schlagend, und ein paar Hühner gackerten sich auf meine Erscheinung ein, und ein kleiner Zoo solcher Geschöpfe schrie’s mir entgegen: füttre uns, schreib uns, sei unserer Tage Wortfütterer und unserer Nächte Worttraumartist!