Kapitel zweiundfünfzig
DIE NACHWIRKUNGEN DES TERRORS
14. JULI 1977
Brooklyn, New York
Nachdem ihm Sanitäter die Schulter verbunden hatten, saß Hopper im Rettungswagen und zog mit schmerzverzerrtem Gesicht die Decke um seine Schultern ein wenig fester. Auch wenn es nur ein Streifschuss gewesen war, schmerzte sein Arm, als hätte die Kugel ihn in der Mitte durchschlagen. Die Luft hatte sich auch in der fortgeschrittenen Nacht nicht sonderlich abgekühlt, trotzdem fror Hopper, als hätte sich die Kälte in seinen Knochen eingenistet.
Um das Rookwood Institute herum wimmelte es von Fahrzeugen. Rettungs- und Feuerwehrwagen und mindestens ein Dutzend Streifenwagen standen kreuz und quer auf dem Gelände und tauchten die Umgebung in einen wirbelnden Lichtstrudel aus Weiß und Blau, der Hopper schwindelig werden ließ. Die Droge befand sich noch immer in seinem Blutkreislauf, und auch wenn die Wirkung langsam nachließ, spürte er in größeren Abständen immer wieder dieses seltsame Gefühl der Losgelöstheit. Als würde er bereits seit tausend Jahren im Heck des Rettungswagens sitzen und alles, was im Rookwood Institute passiert war, wäre Teil eines weit zurückliegenden Traums.
Vorsichtig rutschte Hopper von der Kante der Ladefläche. Er wartete einen Moment, um sicherzugehen, dass seine Beine ihn wirklich trugen, bevor er zum nächsten Sanitärwagen hinüberging.
Darin saß Delgado auf einer Krankenliege und beantwortete die Flut an Fragen, die ihr der behandelnde Sanitäter stellte, während er die Blutdruckmanschette, die um ihren Arm geschlungen war, aufpumpte.
Als Delgado Hopper bemerkte, verzog sie die Lippen zu einem Lächeln und nickte ihm zu, bevor sie sich kraftlos zurück auf die Liege sinken ließ.
Sie lebte.
Genau wie Leroy.
Hopper ging zum nächsten Rettungswagen.
Leroy lag, wie Delgado, auf einer Liege ausgestreckt, während einer der Sanitäter mit einer Stableuchte seine Pupillen überprüfte und ein anderer eine Checkliste auf einem Klemmbrett ausfüllte. Als Leroy schwach einen Arm hob, drückte der Sanitäter ihn sofort wieder runter. Er war bei Bewusstsein, stand jedoch noch immer unter dem Einfluss dessen, was auch immer Saint John ihm verabreicht hatte.
Aber er lebte.
Hopper wandte sich zur Straße um. Die meisten Gangmitglieder waren verschwunden, nur einige wenige befanden sich noch auf dem Gelände, allerdings in Gewahrsam. Sie saßen auf den Rückbänken der umstehenden Streifenwagen, und eine Schar uniformierter Beamter versuchte, sie zum Reden zu bringen. Der Großteil der Vipers hatte offenbar flüchten können, bevor das FBI
– eine kleine Truppe, bestehend aus Männern von Gallups Task Force – eingetroffen war.
Hinter zwei Streifenwagen, die das Gelände in diesem Moment verließen, hielt ein dunkler Wagen ohne Kennzeichen. Auf dem Dach über der Fahrerseite erkannte Hopper ein magnetisches Streiflicht. Kaum dass der Wagen, halb auf dem Bürgersteig, halb auf der Straße geparkt hatte, flogen die Türen auf, und Martha und Special Agent Gallup stiegen aus.
Hopper ließ die Decke um seine Schultern fallen und ging zu den beiden hinüber.
Martha musterte ihn von oben bis unten. »Alles okay? Was ist passiert?«
Als Hopper ihrem Blick folgte und an sich hinuntersah, stellte er fest, dass seine Sachen von Saint Johns Blut durchtränkt waren. »Es geht mir gut«, beruhigte er sie. »Ich nehme mal an, du hast keine Möglichkeit gefunden, früher hier aufzukreuzen.«
»Dafür kannst du dich bei diesem Idioten hier bedanken.« Martha warf Gallup einen bösen Blick zu. »Erst hat er behauptet, er würde mir einen Wagen besorgen, dann hat er mich darin eingeschlossen.« Sie drehte sich einmal um die eigene Achse und sah sich suchend um. »Wo ist Leroy? War er hier, Hopper?«
Hopper deutete stumm auf den Rettungswagen, in dem ihr Bruder lag.
Martha lief los, wobei sie beinahe über ihre eigenen Füße gestolpert wäre. Mit einem Satz erklomm sie die Ladefläche des Rettungswagens und stürzte sich auf Leroy, ohne dem überrumpelten Sanitäter auch nur die geringste Beachtung zu schenken.
Hopper sah, wie Leroy schwach einen Arm hob, um seine Schwester zu umarmen.
»Es ist vorbei, Detective.«
Hopper rieb sich das Gesicht, bevor er tief Luft holte und sich mit einer stummen Ermahnung, sich zusammenzureißen, zu Gallup umdrehte. Jeder Zentimeter seines Körpers schmerzte, und er hatte das Gefühl, in seinem ganzen Leben noch niemals so müde gewesen zu sein.
Gallup klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter. »Es ist vorbei«, sagte er noch einmal. »Gehen Sie nach Hause. Gehen Sie zu Ihrer Familie.«
Es dämmerte bereits, als Hopper die Treppe zur Haustür hinauflief. Die Scheinwerfer des Polizeiwagens, in dem er hergebracht worden war, verblassten langsam im hellen Licht der aufgehenden Sonne.
Noch bevor er die Haustür erreichte, wurde sie aufgerissen, und Diane stand vor ihm. Auf ihrem Arm schlief Sara, den Kopf unter das Kinn ihrer Mutter gebettet.
Hopper blieb zwei Stufen unterhalb von ihnen stehen.
Diane lachte erleichtert auf, während Tränen über ihre Wangen liefen.
Hopper stieg die letzten beiden Stufen hinauf und trat zu seiner Frau in den Flur, wo sie sich umarmten. Sein Arm schmerzte, als Diane sich an ihn drückte, aber das spielte jetzt keine Rolle.
In diesem Moment öffnete Sara die Augen und hob den Kopf. Blinzelnd sah sie zuerst Diane an und dann Hopper, bevor sie sich mit der Rückseite ihrer kleinen Hand die Augen rieb.
»Bist du das, Daddy?«
»Ja, mein Schatz, ich bin’s.« Er gab ihr einen zärtlichen Kuss auf die Wange. »Ich bin zu Hause.«