Als erstes wirst Du lernen, leichte Kontraktionen der Muskulatur zu erkennen. Suche Dir dafur, wie schon fur die anderen Ubungen auch, einen Platz, an dem Du nicht gestort wirst:
Du legst Dich flach auf den Rucken, die Arme seitlich neben Dir. Die Augen bleiben wahrend der ganzen Ubung fest geschlossen. Nach einigen Minuten der Ruhe richtest Du die Aufmerksamkeit auf Deine rechte Hand und beginnst, diese sehr langsam nach hinten zu beugen. Dabei konzentrierst Du Dich darauf, wie sich Dein Handrucken anfuhlt.
Du wirst eine leichte Kontraktion in den Muskeln des Handruckens bemerken. Sollte im Oberarm ebenfalls ein Kontraktionsgefuhl auftreten, bist Du zu eifrig. In diesem Fall legst Du die Hand noch einmal nieder und beginnst nach einer kleinen Pause erneut. Gehe sicher, DaB Du das Gefuhl der Muskelanspannung nur im hinteren Teil des Handruckens verspurst.
Erhole Dich jeweils kurz zwischen den Versuchen, um Ermudungserscheinungen zu vermeiden.
Noch einmal: Du darfst in diesem Stadium der Ubung lediglich eine leichte
Muskelanspannung fuhlen, wenn Du die Hand nach hinten beugst. Du sollst so lernen, dieses Gefuhl zu identifizieren, wann und wo immer es auch auftreten mag. Das ist nicht so einfach, wie es vielleicht klingen mag. Kontraktionsreize sind oft nur schwach und sehr kurz; anfangs sind sie kaum wahrnehmbar. Du solltest Dich deshalb bei dieser Ubung nicht beeilen. Nehme Dir Zeit dafur und fahre erst dann fort, wenn Du diesen Reiz sicher erkennen kannst. Das kann unter Umstanden einige Stunden der Ubung erfordern.
Wenn Du sicher bist, das Gefuhl der Anspannung erkennen zu konnen, egal, wo im Korper es auftritt, kannst Du Dich einer anderen Wahrnehmung zuwenden - dem Gefuhl der Dehnung:
Lege Dich dafur genauso hin wie zuvor, die Arme neben dem Korper. Nach einigen Minuten der Ruhe hebst Du Deinen rechten Unterarm soweit an, daB dieser vertikal nach oben zeigt, wahrend der Ellbogen auf der Unterlage ruht. Jetzt beugst Du die Hand nach hinten, in Richtung der Schulter. Dabei konzentrierst Du Dich auf die Empfindungen im Handrucken. Erkennst Du das Gefuhl? Das muBtest Du eigentlich - es ist das Gefuhl von Anspannung und Kontraktion. Drehe jetzt das Handgelenk (die Handflache zeigt zum Oberarm) und versuche, mit den Fingerspitzen die Schulter zu beruhren. Verharre in dieser Position. Jetzt solltest Du ein neues Gefuhl im Handrucken registrieren, das sich von dem der Kontraktion unterscheidet - Dehnung.
Anspannungs- und Dehnungsgefuhl haben nur wenig gemein; Du wirst wenig Muhe haben, sie zu unterscheiden. Das heiBt aber nicht, daB Du dies ohne Ubung lernst, oder besser: Die Wahrscheinlichkeit, daB Du beide Gefuhle ohne Training sicher identifizieren kannst, ist recht gering. Du muBt diese Empfindungen immer wieder hervorrufen, um sie prazise im Gedachtnis speichern zu konnen. Wenn Du fleiBig ubst, wirst Du Kontraktions- und Dehnungsreize bald in einem Bruchteil der Zeit erkennen, die Du am Anfang dieser Ubung benotigt hast.
Nachdem Du das „Unerwunschte“ kennengelernt hast, wirst Du nun Anspannung und Dehnung ins Gegenteil verkehren - in einen Zustand, bei dem Du weder Kontraktion noch Dehnung verspurst, oder besser gesagt: Einen Zustand der Entspannung. Das Wichtigste dabei ist, daB es keinerlei Anstrengung bedarf, um Entspannung zu erreichen. Das ist eigentlich das ganze Geheimnis. Weder Arbeit noch Muhe, so als sei die Quelle Deiner Energie versiegt und alle Muskeln hatten sich in Luft aufgelost. Das Gefuhl, das Du letztlich spuren sollst, ist die vollige Abwesenheit von Spannung und Dehnung:
Die Arme an den Seiten, legst Du Dich mit geschlossenen Augen hin. Nach einer kurzen Ruhephase richtest Du die Aufmerksamkeit auf die rechte Hand. Wie schon zuvor, beugst Du die Hand nach hinten. Du solltest jetzt in der Lage sein, das Gefuhl der Anspannung sofort zu registrieren. Statt abzubrechen, drehe das Handgelenk und beuge die Hand so weit vor, wie Du kannst. Das Gefuhl, das Du jetzt verspurst, ist naturlich Dehnung. Verharre nun etwa zwanzig Sekunden in dieser Stellung, dann „schalte Deine Energie ab“. Das bedeutet, daB Du Dich auf der Stelle entspannst.
Um zu illustrieren, wie die Anweisung „Energie abschalten“ zu verstehen ist, stelle Dir vor, daB Du all Deine Kraft zusammen nimmst, um einen groBen Felsbrocken uber die Kante einer steilen Klippe zu rollen. Sobald der Fels hinabgesturzt ist, gibt es keinen Widerstand mehr gegen Deinen Druck; die ganze Anspannung ist augenblicklich verflogen. Genau dieses Gefuhl - das „Nichts“, nachdem der Fels hinabgefallen ist - solltest du verspuren, wenn Du die „Energie abschaltest“. Danach laBt Du den Arm wieder herabsinken und konzentrierst Dich auf das Gefuhl der Entspannung.
Denke daran: Du willst das absolute Nichts, keine Arbeit, keine Muhe, lediglich totale korperliche Entspannung. Entspanne ein paar Minuten lang und versuche es dann noch einmal. Wiederhole diese Ubung solange, bis sich das Gefuhl tiefer Entspannung tief in Dein Gedachtnis eingepragt hat.
Am Ende solltest Du gelernt haben, diese Empfindung auch ohne vorherige Anspannung oder Dehnung hervorzurufen. Wenn das erreicht ist, konnen wir die Teile des Puzzles zusammensetzen. Kontraktion, Dehnung und Entspannung sind Bestandteile des Bestrebens vollige physiologische Entspannung zu erreichen. Du muBt zunachst ein ruhiges, gemutliches Zimmer aufsuchen, wo Du mindestens eine Stunde lang ungestort bleiben kannst. Ein nur schwach beleuchteter oder abgedunkelter Raum eignet sich hervorragend fur dieses Experiment. Du solltest bequeme Kleidung tragen, die Deine Bewegungsfreiheit nicht einschrankt, vielleicht einen Pyjama oder Jogginganzug:
Lege Dich wieder auf den Rucken, die Arme an den Seiten, und halte die Augen geschlossen. Kniekehlen und Kopf sollten jeweils auf einer Nackenrolle oder einem Kissen ruhen; der ganze Korper so bequem wie moglich, und der Kopf auf einer Hohe mit dem Korper liegen.
Wenn Du jetzt die Muskeln anspannst, visualisiere, sie seien aus weichem Gummi und so elastisch wie ein Gummiband. Nun stelle Dir vor, sobald Du die Muskeln einzeln entspannst, wurde Dein ganzer Korper in einen Zustand totaler Entspannung versinken, selbst wenn Du die Muskeln nicht mehr wahrnimmst. Du solltest Dich jeder Muskelgruppe mindestens zwanzig Sekunden zuwenden.
Nachdem Du so einige Minuten geruht hast, richte Deine Aufmerksamkeit auf die Zehen, dort fangen wir an. Rolle die Zehen ein und presse sie fest zusammen. Kommt Dir das Gefuhl bekannt vor? Es ist Spannung. Wahrend Du die Zehen in dieser Position haltst, versuche, Dir die Zehenmuskulatur bildlich vorzustellen.
Visualisiere, die Muskeln seien elastische Gummibander. Nun entspannst Du sie langsam. Sehe vor Deinem geistigen Auge, wie die Muskeln immer schlaffer werden, wie alle Energie aus ihnen entweicht. Du suchst das Gefuhl der Entspannung, der Leere, des „Nichts“. Als nachstes spreize die Zehen und beuge sie nach oben. Spanne die Muskeln richtig an, so daB Du diese Korperpartie und das Kontraktionsgefuhl deutlich spurst... sehr stramm... sehr straff... dann lasse sie los... „Energie aus“.
Danach ist die Beinmuskulatur an der Reihe. Strecke die Beine so, daB die Zehen nach vorn zeigen, die Fersen aber auf dem Bett ruhen. Spanne Oberschenkel und Wadenmuskulatur an, so als seien sie straff gespannte Gummiseile. Konzentriere Dich auf die Empfindungen in Deinen Beinen, dann entspanne sie... keine Energie... totale Entspannung... schlaff und locker... leicht und kraftlos.
Nun konzentriere Dich auf den Po. Drucke die unteren Oberschenkel fest auf das Kissen, das unter den Kniekehlen plaziert ist, und spanne alle Muskeln des Hinterteils fest an. Konzentriere Dich auf das Gefuhl der Anspannung und verweile kurz in dieser Position, bevor Du die Muskulatur langsam lockerst. Denke an das, was wir anstreben: Entspannung -das „NullGefuhl“.
Dann atmest Du tief ein, haltst die Luft an und spannst die Ruckenmuskulatur fest an. Konzentriere Dich auf die beteiligten Muskeln und visualisiere, sie seien starke Gummibander, die immer straffer gezogen werden. Richte Deine ganze Aufmerksamkeit auf das Gefuhl der Anspannung, das von den Ruckenmuskeln ausgeht. Dann atmest Du langsam aus und entspannst sie. Dabei denkst Du: „Energie aus... alles wird schlaff.“ Mittlerweile sollte Dir das Gefuhl totaler Entspannung vertraut sein.
Als nachstes sind die Arme an der Reihe. Hebe sie mit gespreizten Fingern in Richtung Zimmerdecke. Drucke sie so fest nach oben, wie Du kannst, und spanne die Armmuskulatur stark an. Dann krumme die Finger zur Faust und presse sie fest zusammen. Visualisiere, wie die Muskeln immer mehr kontrahieren. Nun beuge langsam die Unterarme herunter und fuhre die Fauste zu den Schultern. Die Muskeln der Hande und Arme bleiben dabei voll angespannt, wahrend Du gleichzeitig das Bild starker, straff gespannter Gummibander vor Augen hast und das Gefuhl der Anspannung deutlich wahrnimmst. Danach lasse die Arme langsam wieder zu den Seiten herabgleiten... alles wird abgeschaltet ... Leere... das „Null-Gefuhl“.
Wir gehen jetzt zum Kopf uber. Beuge ihn so vor, daB Dein Kinn die Brust beruhrt und die Nackenmuskulatur voll angespannt wird. Diese Muskeln befinden sich in unmittelbarer Nate zu den Nervenbahnen, die vom Gehirn zum Ruckenmark verlaufen; ihre Lockerung ist un-geheuer wichtig fur die Entspannung des gesamten Korpers. Konzentriere Dich auf die Nackenmuskeln und das Gefuhl der Anspannung in ihnen. Dann entspannst Du sie, indem Du den Kopf langsam nach hinten, in eine bequeme Position zurucksinken laBt.
Als letztes ist das Gesicht an der Reihe: Presse die Augen fest zusammen, denke an die beteiligten Muskeln der Stirn und Schlafenregion und das Gefuhl der Spannung, das von ihnen ausgeht. Entspanne sie dann, um sie in den Zustand der Leere versinken zu lassen. Bearbeite danach die Mundregion. Presse die Lippen zusammen, als wurdest Du einen Ballon aufblasen; spanne dabei die Gesichtsmuskulatur fest an. Fuhle, wie sich die Muskelstrange enger und enger zusammenziehen und konzentriere Dich auf die Empfindungen, die damit einhergehen. Halte die Anspannung fur einen Moment, dann blase die Luft aus. Die Muskeln entspannen sich und werden schlaff. Du verspurst nun auch in dieser Region das Gefuhl totaler Entspannung.
SchlieBlich spannst Du die gesamte Korpermuskulatur an: Strecke die Zehen gerade nach vorn und die Arme in die Luft, spanne den Rucken an, setze Dein Kinn auf die Brust und kontrahiere die Muskeln im Gesicht. Spanne alle Muskeln fest an und visualisiere, wie sie sich immer mehr verkurzen. Konzentriere Dich auf die Empfindungen in den einzelnen Korperpartien, dann „schalte Dich komplett aus“. Lasse die FuBe erschlaffen, die Arme trage zur Seite und den Kopf zuruck ins Kissen sinken. Atme langsam aus. Du sinkst ins Nichts... das „NullGefuhl“... vollige physiologische Entspannung.
Du muBt Dich solange auf die einzelnen Phasen der Ubung konzentrieren, bis Du in der Lage bist, die jeweilige Muskelgruppe vollig zu entspannen. Auch hier gilt ubrigens: Geduld ist der Schlussel zum Erfolg. Hetze also nicht! Naturlich ist auch Jacobson’s progressive Entspannungstechnik nicht uber Nacht zu erlernen. Doch eines kann ich Dir versichern: Wenn Du TME einmal beherrschst, bleibt Dir diese Fahigkeit fur den Rest Deines Lebens erhalten. Diese Entspannungstechnik kann nicht nur im Sport angewendet werden, sondern in allen angstauslosenden Situationen, die das Leben bereithalt.
Ganz gleich, welche Technik der Selbsthypnose Du anwenden mochtest, es ist unumganglich, daB Du zunachst TME beherrschst, bevor Du Dich dem „Traum-Training“ zuwendest. Die Effektivitat Deines Programms zur geistigen Kontrolle basiert uberwiegend auf TME. Im nachsten Kapitel werden wir visualisierte Szenen aus Deinem Training oder aus Wettkampfen wiederholt mit TME verknupfen. Mit der Zeit werden diese visualisierten Szenen tiefe Entspannung auslosen. Und obwohl die Konditionierung nur mit visualisierten Szenen, also allein in der Phantasie erfolgt, ist wissenschaftlich bewiesen, daB sie sich auf die reale korperliche Leistung ubertragt.