STAYIN’ ALIVE
The Bee Gees
I ch war selbst ganz benommen von der Erkenntnis, dass meine Masche noch funktionierte. Ein DJ in den Sechzigern spielt Musik aus den Sechzigern für die Generation Sechzig plus, einmal im Monat, im Bayerischen Rundfunk.
Von meinem Radiocomeback befeuert, schlug ich vor, in der Silvesternacht 17/18 eine Tanzparty mit Classic Rock und Publikum anzuzetteln. In das große Aufnahmestudio passen ungefähr siebenhundert Gäste – über achtzehntausend hatten sich um Tickets beworben. Zum Jahreswechsel 18/19 gab es eine Neuauflage, da hatten wir schon sechzigtausend Anfragen. Es läuft.
Dort wo sonst das Symphonieorchester geigt, hatte ich vor vierzig Jahren bei den berühmten »Rundfunkbällen« als Discjockey Platten aufgelegt. Mit meinem alten Radiokumpel Fritz Egner und mit mir stand in dieser Nacht die musikalische Kompetenz von mehr als hundertdreißig Jahren an der Diskothek.
Die Zuhörer tanzten wie die Derwische. Ein schöner Anblick war das nicht, aber unser Gewackel auf der Bühne war auch nicht sehr geschmeidig.
Fritz brachte seine neue Hüfte zum Glühen, und für mich begann das neue Jahr mit einem Notarzteinsatz. Ich war zu dem Event extra eingeflogen, war vom Jetlag gebeutelt und hatte mich in meine zu engen Jeans gehungert, um mir nicht mit einem Bauch die drahtige Discjockeyfigur zu verhunzen. Das öffentlich-rechtliche Catering bestand aus zwei Bananen, einem Schokoriegel und einer Tüte Studentenfutter. Ich warf alles ein, aber war wohl zu wenig. Nach der letzten Tanzrunde – alle Zeugen waren schon weg – sank ich erst Fritz Egner in die Arme und dann zu Boden. Der Krankenwagen rollte an.
»Dehydriert und unterzuckert« ist eine Diagnose, die jede Nachtschwester im Seniorenheim schon gestellt hat. Nach zwei Stunden war ich zwar wiederhergestellt und lag in meinem Hotelbett, aber mein Rutsch ins neue Jahr war diesmal wörtlich zu nehmen.
Mir war von vornherein klar gewesen, dass es keine sehr vernünftige Lebensplanung sein kann, in Kalifornien zu wohnen und jeden ersten Sonntag im Monat im Funkhaus an der Arnulfstraße anzutreten, wo meine Laufbahn einst begonnen hatte. Meiner Frau habe ich den Notarzteinsatz bis heute verschwiegen, die tanzte mit meinem Sohn, den ich dazu verdonnert hatte, mich zu vertreten, in Beverly Hills ins neue Jahr.
Thea hat nie versucht, mich zu »Extreme Rentnering« in Malibu zu überreden. Sie weiß auch, dass mir die Zeit davonläuft, und will mir mein Spielzeug nicht zu früh wegnehmen.
Ich habe zwar immer ein schlechtes Gewissen, wenn sie mir die Feuermeldungen aus Kalifornien nach Deutschland weiterreicht, und bin wenig hilfreich, wenn ich dann nassforsch aus München vermelde: »Hier regnet’s.« Trotzdem winkt sie mir jedes Mal freundlich nach, wenn ich das Haus verlasse. Dass sie von meiner Spätblüte begeistert ist, wage ich zu bezweifeln. Ich schon .
Einmal im Monat freue ich mich wie ein Kind, dass mir meine Magnetkarte automatisch die Studiotür zum Senderaum von Bayern 1 öffnet. Meinen Kopfhörer trage ich seit vier Jahrzehnten so, dass ein Ohr frei bleibt, damit ich merke, wenn ich bei den Ansagen zu laut schreie. Mit dem anderen inhaliere ich Songs, von denen ich manche selber ewig nicht mehr gehört habe. Bei »You Keep Me Hangin’ On« von Vanilla Fudge sind die Takte, bei denen ich zur Luftgitarre greife, seit 1967 exakt dieselben geblieben. Meine Hörer sind auch die letzten, die noch frankierte Briefe per Snail-Mail an den Sender schreiben. Ich habe allerdings darum gebeten, keine Fotos mehr beizulegen, das war zu ernüchternd.
Die Miss Bayern, deren Wahl ich 1982 moderierte, stand neulich nach der Sendung unten am Empfang. Sie ist immer noch hübsch und vertreibt inzwischen Cremes für die Haut ab vierzig. In alter Freundschaft überreichte sie mir eine Tube davon gratis. Die große, mit doppeltem Wirkstoff.
Technisch wäre ich als Radio-DJ mittlerweile völlig überfordert. Die Zeiten, wo ich mit dem Saphir des Plattenspielers nur die schwarze Rille zwischen zwei Titeln treffen musste, sind vorbei. Statt der drei Regler, mit denen ich früher hantierte, gibt es jetzt ein Dutzend, und von mehreren Monitoren springen einen Wetterbericht und Verkehrsmeldungen an. Weil ich beim Verlesen des Wetterberichts immer unterschlage, dass er »kompakt und zuverlässig« ist, und bei den Verkehrsmeldungen das Wortmonster »minutengenaue Stauzeitmessung« weglasse, gelte ich bei den Hörern als Revoluzzer. So schnell geht das heute.
Im Radio fühlte ich mich sofort wieder zu Hause. Das Band, das mich mit meinen Hörern verbindet, ist nie gerissen. Nach knapp einem halben Jahrhundert geht es mir jetzt darum, ein Fähnlein der Aufrechten zu motivieren, sich an einem Sonntagabend zu meinen Gunsten gegen den Tatort zu entscheiden.
Der Tatort . Wie sich die Dinge wandeln und wir uns mit ihnen. Mit zwanzig ging mir dieser Satz noch flüssig in Latein über die Lippen, eben musste ich nachschauen, wie die zweite Hälfte ging: »tempora mutantur et nos mutamur in illis«. Wie er betont wird, weiß ich auch noch.
T-E-mpora mut-A-nt-U-r et n-O-s mut-A-mur in-I-llis.
Anzufügen wäre aus meiner Sicht, dass nicht alles, was sich ändert, auch besser wird. Das gilt für mich ebenso wie für den Tatort . Als ich den ersten sah, war ich ein junger, schlanker und fröhlicher Twen, der Kommissar ein griesgrämiger Opa namens Trimmel. Trimmel gibt es nicht mehr, mich und den Tatort schon. Früher lag da zu Beginn des Krimis eine Leiche, die mit Rücksicht auf die jugendlichen Zuschauer die Augen geschlossen halten musste, und am Ende erklärte Trimmel, wer der Mörder war. Es gab keine Einsatzkommandos, die mit Maschinenpistolen Hochhäuser stürmten, und der Kommissar hatte weder einen Vater mit Alzheimer zu Hause noch ein verhaltensgestörtes Kind. Wenn es in seiner Ehe kriselte, hielt er das von den Zuschauern fern, die hatten selber Eheprobleme. Was er hatte, waren dicke Augenbrauen. Ich fand das gut.
Nach dem behäbigen, spießigen Kommissar Trimmel kam der aufsässige, coole Schimanski. Der sagte im Fernsehen »Scheiße« und pinkelte an graue Ruhrpotthäuser. Fand ich auch wieder prima. Ich riss im Radio inzwischen auch die Klappe ganz weit auf und versuchte im Fernsehen, soweit ich mich traute, jede Form von »political correctness« zu vermeiden. Das gelang mir ganz gut. Bald hatte ich höhere Einschaltquoten als der Tatort , obwohl die Leichen inzwischen die Augen aufbehalten durften und in jeder Folge ein Gerichtsmediziner zu sehen war, der in Mordopfern herumsägte, denen kleine Kofferzettel von toten Zehen baumelten.
Langsam drehte sich der Wind. Beim Tatort und bei mir. Die Kommissare wurden jünger, ich wurde älter. Meine Quote sank und die vom Tatort stieg. Dort waren plötzlich junge und vor allem weibliche Ermittler an der Macht, die mich irritierten. Sie saßen mit dem Colt im Schulterhalfter am Schreibtisch und zischten beim Verhör dem Verdächtigen schon mal »Fick dich!« ins Ohr. Ich wurde auf meiner Wetten-dass -Couch schon bei geringeren Anzüglichkeiten zur Ordnung gerufen.
Inzwischen ist der Tatort die letzte verbindliche Größe, auf die sich das deutsche Fernsehpublikum einigen kann, und es ist vielleicht meine kleine Rache an dieser Entwicklung, dass ich ihm einmal im Monat ans Bein pinkle, indem ich im Radio »Highway to Hell« spiele, während der sensible Kommissar Borowski mit ungewöhnlichen Ermittlungsmethoden den Täter überführt. Spontane Hörer-E-Mails wie »Geile Mucke heute wieder! Wer schaut Tatort , wenn er Thommy hören kann!« nehme ich hocherfreut zur Kenntnis.
Ein bisschen tricksen ist alles. Wer Paul McCartney nicht als Opa sehen will, der muss halt die Augen schließen, wenn er in seinen Konzerten »Yesterday« singt. Und wer mit dem, was gestern bei Wetten, dass..? im Schaufenster lag, nichts mehr anfangen kann, der soll das Radio einschalten und kriegt mich taufrisch. Ich bin von heute, nur die Musik ist von gestern.
Mit vierzig habe ich vollmundig getönt, dass ich spätestens mit sechzig in den Sonnenuntergang reiten würde. An meinem fünfzigsten Geburtstag war ich dann wirklich auf dem Höhepunkt meiner Laufbahn und fand, zehn Jahre seien doch etwas knapp. Meinen Sechzigsten feierte ich mit großem Tamtam in New York, der Intendant und der Programmdirektor des ZDF machten sich die Mühe anzureisen, ich war immer noch ihr bestes Pferd im Stall. Und auch mein siebzigster Geburtstag wird, wie ich mich kenne, nicht unter Ausschluss der Öffentlichkeit passieren.
Dafür kann es gut sein, dass mein Achtzigster ganz ohne mich stattfindet.
Falls ich ihn aber erlebe, was ich fest vorhabe, dann bitte so wie Larry King. Vor einiger Zeit war ich zu einem Dinner mit ihm eingeladen. Wie ein Marabu mit Hosenträgern hatte der in Hunderten von CNN-Talkshows an seinem Tisch gehockt und seine Gäste schräg von unten durch die Einweckgläser seiner Brille gemustert. Obama war einer davon, Clinton und so ziemlich alles, was Rang und Namen hatte. Ich übrigens auch. Larry King war die einzige US-Talkshow, zu der ich jemals eingeladen wurde. Ich flog extra nach Washington, und der Gastgeber begrüßte mich vielversprechend: »Ein Deutscher und ein Jude, das wird lustig!« War es auch. Nur als King seine Zuschauer dazu animierte, live im Studio anzurufen, um den Talkgast persönlich zu befragen, wurde mir mulmig. Würde das Telefon überhaupt klingeln?
Meine Rettung waren Deutsche, die in Amerika lebten, und Amerikaner, die früher in Deutschland gelebt hatten. Alle dachten gerne an ihren Aufenthalt in Germany zurück, und ich war ein Teil davon geworden. Das half mir auch in Kings Augen nach vorne. Vielleicht lag es aber auch am Ausschnitt mit dem klugen Hund aus Wetten, dass..? , den er bei meiner Vorstellung zeigte. Der Hund konnte auf Frauchens Befehl die BVB-Mütze aus allem möglichen Krempel herausfinden und war danach öfter im US-Fernsehen als ich. Kein Wunder, dass Larry King sich nicht mehr an mich erinnerte, als man mich jetzt, ein paar Jahre nach meinem Auftritt bei ihm, an seinem Tisch platzierte. Ich saß neben seiner jungen Frau, die Gott sei Dank mal mit Giorgio Moroder zusammen war, den ich gut kenne. So jung war sie also auch nicht mehr, aber solange King noch lebt, wird sie die »junge Frau an seiner Seite« sein. Ich nenne das den Heesters-Effekt. Frau King und ich hatten zumindest ein gemeinsames Thema.
Als Larry zu einem kleinen Talk auf die Bühne gebeten wurde, wackelte meine Entscheidung mit dem Aufhören wieder, denn da stand ein Mann mit vierundachtzig und war wesentlich lustiger und unterhaltsamer als die meisten seiner halb so alten Kollegen.
Und er konnte Geschichten erzählen: Als Highschoolstudent in Florida nahm ihn John F. Kennedy nur unter einer Bedingung als Anhalter in seinem Auto mit. JFK war damals Senator und hatte gerade den Entschluss gefasst, sich um das Amt des US-Präsidenten zu bewerben. Bevor er den jungen Larry King einsteigen ließ, musste der ihm in die Hand versprechen, ihn später zu wählen. Larry schlug ein und hat sich an sein Versprechen gehalten.
Da stand ein Entertainer, der den jüngeren Interviewer sehr schnell alt aussehen ließ, das Publikum hatte seinen Spaß mit dem alten Knacker. Ich als Fachmann war begeistert. Und King ist seitdem mein King.