IN THE ARMY NOW
Status Quo
A n dieser Stelle muss ich in meinen ernährungskundlichen Betrachtungen kurz innehalten, weil ich den inneren Drang verspüre, philosophisch zu werden.
Was ist es, das uns die Jugend und deren Blüte so überschätzen lässt, und warum macht uns der Gedanke an den Herbst, in dem Laub und Haut gelb werden, so schwermütig? Oder sind es nur die Oberflächlichen unter uns, die diese Gefühle entwickeln? Wäre es nicht ein Zeichen von Lebensklugheit und kontemplativer Gelassenheit, diese Veränderungen wenn schon nicht freudig zu begrüßen, so doch gleichmütig zu ertragen?
Na klar, ich würde gern so tun, als wär mir das egal, und lästere über jeden Mann meines Alters, der mit Lifting versucht, sein Geburtsdatum zu vertuschen, ohne zu bemerken, dass ihm lediglich der Haaransatz nach hinten rutscht.
Ich hatte kürzlich ein Abendessen mit dem »Creative Director« einer Werbeagentur. Als der mich nach meinem Alter fragte, habe ich mich doch, ohne eine Sekunde zu zögern, tatsächlich jünger gemacht. Ich war selber erschrocken. Das war ein Businessmeeting und kein Date.
Wollte ich mich tatsächlich für die Zielgruppe jünger lügen? Wie peinlich. Und dazu noch dumm in einer Zeit, in der jeder sein Gegenüber unterm Tisch durchgoogeln kann. Andererseits, wie weit kommt man mit der ehrlichen Altersangabe? Das Beste, was damit rauszuholen ist, ist ein pflichtgemäßes: »Hätte ich jetzt nicht gedacht.« Dafür kann ich mir weder was kaufen, noch bekomme ich dafür einen Werbevertrag. Der ging auch trotz der Alterslüge knapp an mir vorbei. Wahrscheinlich an einen zwölfjährigen Influencer.
Sobald das Gemogel mit dem Alter nur den Sinn hat, auf dem Markt der Eitelkeiten einen besseren Platz in der Auslage zu bekommen, halte ich das für peinlich.
Mein Ehrgeiz ist es inzwischen, meinen Körper so fit und gesund zu halten wie möglich, und das ist mir die eine oder andere Anstrengung wert. Das Wort Verzicht kommt auch erst seit Kurzem in meinem Wortschatz vor. So selten wie möglich. Aber ich reiße mich jetzt öfter und ganz bewusst zusammen. Das nennt man wohl Disziplin. Ich lasse mich neuerdings von meinem Körper in die Pflicht nehmen. Die Aufmerksamkeit hat er auch verdient. Über ein halbes Jahrhundert habe ich ihn nicht besonders verwöhnt, sondern nur gefordert, und er hat geliefert. Jetzt unterstütze ich ihn und merke auch, dass er mir das dankt.
Dass ich optisch langsam dahinwelke, ist eine Tatsache. Manchmal werde ich noch für jünger gehalten, aber ich versuche mir nichts vorzumachen. Es ist doch unsinnig, von seinem Spiegelbild belogen werden zu wollen, solange man nicht bereit ist, die eigene Geburtsurkunde zu verbrennen. (Inzwischen ist sie mir tatsächlich verbrannt, aber das Standesamt in Bamberg hat mir eine Zweitschrift mit demselben Geburtsdatum ausgestellt.) Und wenn man das Datum, an dem man geboren wurde, wirklich nicht mehr weiß, ist es auch egal, wie man aussieht .
Lange leben wollen wir ja alle, alt sein will keiner, alt aussehen schon gar nicht. Im täglichen Kampf gegen das Dahinsiechen helfen Eselsbrücken wie diese natürlich nicht. Das wissen Sie, das weiß ich. Helles Licht im Bad kann einem am Morgen schon den Tag verderben. Irgendwann ist der Dimmer dann so weit unten, dass man das Elend im Spiegel nicht mehr sieht und über die Kloschüssel stolpert. Brüche sollte man ab einem gewissen Alter aber auch vermeiden. Und jammern sowieso. Also habe ich angefangen gegenzusteuern: Ich versuche, den körperlichen Verfall zu akzeptieren und ihn gleichzeitig aktiv zu verzögern.
Das Fasten macht einen vielleicht schlanker und gesünder, schöner und jünger wird man davon nicht. Deswegen trifft man dort auch eher uneitle Naturapostel als reife Reiche. Denen begegnet man eher in einem Resort, auf das mich noch der Jetsetfachmann Gunter Sachs aufmerksam gemacht hatte. Immer wenn ich mir im Kalender ein halbes Dutzend Tage freischaufeln konnte, machte ich mich nach Südtirol dünne. Dort gibt es in Meran das alte »Hotel Palace«, in dem sich ein gewisser Monsieur Chenot ausgebreitet hat. Als ich zum ersten Mal dort aufkreuzte, stand im Foyer noch ein Hoteldirektor, neben dem ein Dackel saß. Der Maître rieb sich beflissen die Hände und fragte, ob man zum Feiern oder Fasten angereist sei. Die Zecher waren ihm natürlich lieber, zu denen war er auch netter. Die Fastenbrüder trafen sich im »Speisesaal«, die anderen dinierten dreigängig im stuckverzierten Nobelrestaurant. Kein Wunder, dass sich die beiden Fraktionen nicht besonders mochten. Das Publikum war damals eher mediterran, die Italiener tranken abends in der Bar ihre Grappas, die Franzosen pafften ihre Gitanes .
Ich saß mit den spaßfreien deutschen Nahrungsverweigerern in der Schmollecke beim Kräutertee, ein trauriger Mann spielte dazu auf einer Harfe.
Das ist viele Jahre her. Inzwischen ist der Hoteldirektor in Rente, der Dackel tot, und Monsieur Chenot hat das ganze Hotel übernommen. Ich war gerade erst wieder da. Auch in Meran hat man festgestellt, dass Fasterei weder frisch noch fröhlich macht. Also hat man auf Wellness umgestellt. Gehungert wird zwar immer noch, aber auf höchstem Niveau. Die Ober tragen Fliege, der Chefkellner ist im weißen Smoking unterwegs und macht vor jedem Tisch eine Art Bückling. Die Portionen sind klein, fleischlos und kalorienarm, sehen aber immer appetitlich aus. Ohne Abspecken geht also auch hier nichts. Von meinen sechs Kurtagen ist der dritte ein Fastentag, aber den überlebt man mit Wassersuppe, die es in zwei geschmacksfreien Sorten gibt und die aus silbernen Kännchen serviert wird. Den Bückling des Obers gibt es auch dazu, aber am nächsten Abend ist der Fisch dann wieder gegrillt, und man freut sich den ganzen Tag darauf. In der Bar gibt es keine lärmenden Italiener und keine rauchenden Franzosen mehr. Nur noch Kräutertee und den traurigen Harfenisten.
Dafür gibt es jetzt eine Menge von »spezifischen ästhetischen Behandlungen«: Tägliche Massagen mit dem Aufsetzen schmatzender Glasglocken und der Verteilung wohlriechender Öle gehören genauso zum Pflichtprogramm wie eine morgendliche Fangopackung. Die warme Pampe wird einem nach einer halbstündigen Wannensitzung auf den Körper gespachtelt und trocknet dann langsam vor sich hin. Das hat was von Einbalsamierung. Ich liege da immer etwas gedankenschwer im Halbdunkel und fühle mich wie ein Pharao. Früher, zu Zeiten des Dackels, war das alles noch etwas schrabbelig, jetzt liegt man in Badewannen, bei denen alle drei Minuten die Beleuchtung von Rosa auf Lila wechselt. Die Badabteilung ist einer der wenigen Orte auf der Welt, an denen man noch in Anwesenheit von jungen Damen den Bademantel ablegen darf. Ich tue dies auch dort nur sehr ungern, weil mir die Bademeisterinnen, nach einem strengen »Arme hoch«-Kommando, gnadenlos mit kaltem Wasser aus einem Gartenschlauch den Fangoschmodder vom Leibe fräsen.
Im kalten Licht der Folterkammer sorge ich mich nicht nur über den Anblick, den ich den Waschfrauen biete, sondern sie müssen sich auch noch mein mädchenhaftes Gequietsche anhören, wenn mich der kalte Strahl trifft. Das ist der unangenehmste Teil der Veranstaltung.
Bei meinen letzten Besuchen habe ich angefangen, mich für die Geheimnisse zu interessieren, die seit einigen Jahren im Obergeschoss der Kurklinik angeboten werden und die ich immer tunlichst gemieden habe. Es gibt da einen »Beautybereich«, in dem mehr Frauen als Kerle auf den Wartebänken sitzen. Alle in weißen Bademänteln, das ist dort tagsüber die Pflichtuniform. Das Publikum ist inzwischen stark russisch geprägt. Es gibt auch einen Ableger des Hotels in Aserbaidschan. Die Männer des Ostens scheinen ein stärkeres Körperbewusstsein entwickelt zu haben, seit Putin sich öfters oben ohne zeigt. Die meisten haben aber noch einen weiten Weg vor sich. Im Bademantel sehen sie sich alle etwas ähnlich, das Attraktivste an ihnen sind meist ihre kräftigen Waden, und sie scheren sich selten um das Handyverbot. Hört man ihnen beim Telefonieren zu, und es bleibt oft nichts anderes übrig, dann sorgt man sich immer um den Menschen am anderen Ende der Leitung .
Meist sitzen ohnehin Frauen im Wartebereich. Die wenigsten zum ersten Mal. Schmale Lippen sieht man kaum. Und man kann an einer Doktorarbeit über weiblichen Umgang mit Haaren arbeiten. Es muss wissenschaftlich bereits erwiesen sein: Frauen mit mehr Geld in der Tasche haben auch mehr Haare auf dem Kopf. Ob naturlang oder angelötet, sie durchpflügen die Mähne gerne mit gespreizten Fingern von der Stirn nach hinten, worauf sie sich teilt und schimmernd auf ihre Schultern fließt. Ich erkenne bereits am leichten Zurücklehnen des Kopfes, dass es gleich wieder so weit ist. Reifere Patientinnen schlingen sich auch gerne diese raffinierten Handtuchturbane ums Haupt, die zusammen mit dem weißen Bademantel wie ein königliches Ornat getragen werden. Bei mir löst sich das Handtuchkonstrukt immer schon nach zwei Minuten auf, aber man muss wohl sehr langsam und vor allem aufrecht schreiten, wenn es halten soll.
Der Sinn eines Aufenthalts bei Monsieur Chenot ist das Wiederfinden einer »gesunden Harmonie zwischen Körper und Geist«. So steht es im Prospekt, und da gibt es bei mir doch gewisse Diskrepanzen. Mein Körper ist sehr viel schwerfälliger als mein Geist. Der wiederum ist erfreulicherweise etwas langsamer gealtert. Böse Zungen sprechen sogar von geistiger Unreife. Dabei befindet sich mein Hirn in einem wesentlich besseren Zustand als mein Rücken. Also her mit der Harmonie!
Beim letzten Besuch besorgte ich mir sogar einen Termin beim großen Meister. Bis dahin hatte ich Henri Chenot für einen Friseur gehalten, der seinen Salon um eine Geschäftsidee erweitert hatte. Weit gefehlt! Der Mann hat zwei Doktortitel und beschäftigt sich seit einem Vierteljahrhundert mit Anthropologie und Philosophie, vor allem aber mit der traditionellen chinesischen Medizin. In seinem Büro herrscht in der Tat eine zenhafte Ordnung, und der Meister selbst strahlt die Ruhe eines Laotse aus. Er fasste mich milde ins Auge und riet mir als Erstes, mich gleich am nächsten Morgen aufzuhängen. Am besten sofort nach dem Aufstehen und das dann möglichst jeden Tag.
Entweder war ich bereits steifbeinig wie John Wayne in sein Amtszimmer geschwankt oder ich saß ihm so krumm gegenüber, dass er sofort bemerkte, was ich bei jedem Schritt spüre: Meine Bandscheiben sind im Eimer. Wenn ich meine Wirbelsäule also jeden Morgen aushängen würde, indem ich mich von der Decke baumeln ließe, wäre das eine willkommene Entlastung der Rückenknochen. Das mache ich seitdem, wann immer ich etwas zum Festhalten über mir finde, plumpse aber relativ schnell wieder auf den Boden. Muss an der Erdanziehung liegen.
Nun sind ja tägliche Verrenkungen etwas, das man uns schon ans Herz gelegt hat, seit wir mit dem Turnbeutel unterwegs waren. Nach Hopserlauf und Liegestütz haben wir schon als Kinder im Turnunterricht mitbekommen, wie segensreich sich tägliche Leibesertüchtigung später bemerkbar machen würde. Dehnen, Gliederstrecken und Greifen nach den Fußspitzen hätte ich mir angewöhnen sollen, bevor meine Beine zu lang wurden, um die Zehen zu erreichen. Jetzt ist es zu spät, und mir geht alles nicht mehr schnell genug.
Auch optisch bin ich immer noch nicht da, wo ich gerne wäre. Ganz weg geht der Bauch weder mit Fasten noch mit Sport.
Jetzt hilft nur noch die schnelle Lösung: absaugen, wegbrennen, flachfrieren. Letzteres kriegt man inzwischen in jedem Solarium. In den USA heißt die Methode »Cool Sculpting«. Hört sich naiv und einfach an. Was Michelangelo bei seinem David noch mit dem Meißel hingekriegt hat, wird bei mir auch mit einem Eiszapfen nicht mehr funktionieren.
Bei Monsieur Chenot steht diese Methode als »Kryolipolyse« ohnehin nur noch als Vorspeise auf der Karte. Ich schritt sofort zum Hauptgang: Der wird unter »Liposonix« angeboten, nutzt »thermische Ultraschallenergie« und lokalisiert nicht nur die Fettzellen unter der Haut, sondern reduziert sie auch. Hört sich super an. Meine Frage, ob das denn auch wirklich funktioniert, beantwortete der grauhaarige Arzt im weißen Gewand überraschend mit Ja. Man kann nicht behaupten, dass diese Behandlung preisgünstig wäre, aber ich hatte ja die ganze Zeit gearbeitet, in der ich mich um meinen Körper hätte kümmern sollen, also betrachtete ich diese Ausgabe als Rückinvestition. Die angebotenen Schmerztabletten vor der Behandlung lehnte ich stolz ab, der russische Oligarch und die französische Beauté brauchen so was vielleicht, aber doch nicht ich, die deutsche Eiche.
Hätte ich mal lieber. Das ging ganz schön ans Eingemachte, und die alte Erkenntnis, dass leiden muss, wer schön sein will, kann ich seitdem aus eigener Erfahrung bestätigen. Direkt nach der Prozedur sieht man natürlich genauso aus wie vorher, plus ein paar blaue Flecken, die später erst grün und dann gelb werden. Zahlen muss man zwar gleich, aber das Ergebnis würde sich erst nach vier Wochen in ganzer Pracht erweisen. Bis dahin solle man sich viel bewegen und weniger essen. Na prima, hätte man sich dann die Prozedur eventuell gleich ganz ersparen können? Der eine sagt so, der andere sagt so. Bei Michelangelo war das Ergebnis eindeutiger, aber ich wäre nicht ich, wenn ich mir nicht erfolgreich einreden könnte, es hätte wirklich was gebracht.
Beim nächsten Mal nehm ich die Pille vorher, fällt bei meiner täglichen Ration ohnehin nicht auf.
In schöner Regelmäßigkeit sitze ich vor meinen Plastikcontainern und sortiere kontemplativ acht Pillen in sieben Fächer. Immer von Mo bis So. Ich nehme das gemischte Sortiment gegen meinen hohen Blutdruck, gegen Verkalkung der Gefäße und zur Senkung des Cholesterinspiegels. Wofür die anderen sind, habe ich vergessen. Ich schluck sie trotzdem. Bis vor ein paar Jahren habe ich gleichaltrige Männer, die sich dauernd Tabletten einwarfen, für Hypochonder gehalten. Ich hatte was von hohem Blutdruck gehört, ich wusste von Schlaganfällen, Herzinfarkten und Diabetes, aber mit mir hatte das nichts zu tun. Ich war davon überzeugt, dass mein Blutdruck nach fünfzig Jahren keinerlei Grund mehr haben würde, anzusteigen. Die Aufregungen hatte ich weitgehend hinter mir, und was noch kam, würde ich wegstecken, ohne die Pumpe auf Overdrive schalten zu müssen. Ich hatte mit der »Gelassenheit des Alters« gerechnet und mich offensichtlich verkalkuliert.
Mein Blutdruck ist zu hoch, und zwar richtig. Ich besitze ein Messgerät, das aussieht wie in der Klinik, und Reiseversionen davon aus diversen Duty-free-Läden. Meine Söhne haben mir mehrfach erklärt, welche Apps ich mir herunterladen muss, um den Druck in meinen Arterien mit dem Smartphone messen zu können. Egal wie ich es mache, es kotzt mich an. Die Werte sind nie da, wo sie sein sollen.
Eine halbe Stunde Cardio am Tag wäre hilfreich. Und regelmäßiges Workout. Es ist schwer, ein deutsches Wort zu finden, mit dem man diese Aktivität halbwegs vernünftig beschreiben kann. Als ich in den Achtzigern damit anfing, besuchte ich noch ein »Bodybuilding Studio« in München, das einem Spezi von Arnold Schwarzenegger gehörte. Die meisten, die da rumliefen, eiferten ihrem Idol auch erkennbar nach. Man hat sie damals abschätzig als »Muskelprotze« bezeichnet, und für mich führte da ohnehin kein Weg hin. Das waren eher gedrungene Wichte mit breiten Schultern und einem runden Nacken. Viele haben mit Steroiden daraus einen Stiernacken gezüchtet. Den fand ich nie erstrebenswert, aber die hellenischen Ringkämpfer in meinen Griechischbüchern gefielen mir schon besser als ich mir selbst mit meinen Hängeschultern und meiner Trichterbrust. Also fing ich an, das zu tun, was alle taten, die sich dort rumtrieben: Ich stemmte Hanteln und anderes Schwermetall immer wieder nach oben. Ziemlich eintönig, dafür in schöner Regelmäßigkeit. Das ist wichtig. Denn was einem da an Muskeln langsam zuwächst, verschwindet auch relativ schnell wieder, wenn man nicht immer weiter macht.
Schnell bemerkte ich, dass mir eine Bodybuildertugend fehlt: stoische Disziplin. Arme, Schultern, Bauch. Immer wieder. Und Beine möglichst auch. Jeder Storch knickt irgendwann um, wenn Brust und Bizeps zu schwer werden. Aber das war meine geringste Sorge, dafür fehlte es mir an der nötigen Ausdauer. Man lernt beim Workout eine Fachsprache, die der normale Mensch nicht kennt. Die Weinpresse war mir bereits ein Begriff, die Beinpresse war mir neu. Bei den Bizeps-Curls werden Hanteln nach oben gestemmt, es gibt für den Fachmann noch die Hammer-Curls und für einige wenige Illuminati auch die Arnold-Curls. Wie die gehen, verrät Schwarzenegger aber nur seinen Spezis. Denen empfiehlt er immer zwölf am Stück. Vielleicht wegen der zwölf Apostel. Ich hielt mich eher an die sieben Zwerge.
Das konnte nichts werden. Vor allem weil um mich herum all diese Hagestolze schnauften und ächzten und schwitzten, während sie ihre Schwellkörper wohlgefällig in der verspiegelten Wand betrachteten. Bei mir gab es nicht viel zu sehen, und ich ersetzte das Triple Arme-Schultern-Bauch ziemlich schnell durch Sauna-Sofa-Sonnenbank.
Erst als ich anfing, einen größeren Teil meines Lebens in Kalifornien zu verbringen, wurde das Workout wieder ein regelmäßiger Teil desselben. Arnold war inzwischen Governor geworden und rauchte ab und zu eine Zigarre mit mir. Zwischendurch machten wir auch mal einen gemeinsamen Trip auf der Harley. Die muskelbepackten Schrate wurden jetzt eher als spleenige Freaks wahrgenommen. Optische Idole, denen man nacheifern wollte, waren sie nicht mehr. In den »Gyms« trafen sich mittlerweile vor Arbeitsbeginn die Executives der Filmbranche. Weniger um Gewichte zu stemmen, sondern um auf Laufrädern oder Stepmastern sich und ihren Konkurrenten Fitness zu demonstrieren. Ein Waschbrettbauch gilt immer noch als sexy, ein Oberarm in Form und Farbe einer gebratenen Ente ist inzwischen völlig aus der Mode.
Die Trainer von einst haben sich umgestellt. Wer was auf sich hält, hat in Malibu einen eigenen. Meiner heißt Joe und hat vielleicht deswegen die militärische Präzision der Actionfigur G.I. Joe. Er nennt mich mal »Chief«, mal »Mister T.« und gibt jeden Morgen die Parole aus. Da hat sich seit den Achtzigern wenig geändert. Aus »Brust-Arme-Rücken« wurde »chest-arms-back«. »Legs« sind für mich besonders wichtig geworden, seit es mir den Quadrizeps zersägt hat. Ins »Malibu Gym«, wo ich Joe einst schon als Trainer von Sylvester Stallone beobachtet hatte, muss ich nicht mehr.
Angesichts meiner schwindenden Kondition hatte meine Frau mich gezwungen, mich von zwei Oldtimern zu trennen, die mir sehr ans Herz gewachsen waren. Wo einst ein Aston Martin DB5 und ein Rolls-Royce Silver Shadow ihre Ölflecken hinterlassen hatten, standen jetzt ein paar massive Trimmgeräte. Und eine ganze Batterie von blitzenden Hanteln. Seit geraumer Zeit bringe ich mein tägliches Training mit geradezu religiöser Inbrunst hinter mich. Ich könnte Joe jedes Mal in den Hintern treten, wenn er kommt, und ihn umarmen, wenn er geht. Von ihm habe ich mehr als von den spritfressenden Nostalgiekutschen. Statt Motoröl tropft jetzt der Schweiß auf den Garagenboden. Meine Figur hat sich tatsächlich sichtbar verändert. Die Oberarme sind bei genauem Hinsehen durchaus »definiert«, das heißt, der Bizeps ist als solcher erkennbar. Mit dem Brustmuskel kann ich bei Bedarf zucken, allerdings nicht so imposant wie die beiden Kandidaten, die sich einst damit gegenseitig bei Wetten, dass..? Musiktitel zufunkten.
Wenn man einmal angefangen hat, zu bemerken, dass sich der Körper zum Positiven verändert, kann das ungeheuer motivierend sein. Sobald mich jemand für ein Selfie am Arm packt, spanne ich ungefragt alle neuen Muskeln an. Allerdings reagiert nur mein Enkel darauf mit der gebotenen Begeisterung. Wer weiß, was aus mir hätte werden können, wenn ich schon früher und konsequenter an meiner Optik gearbeitet hätte. Auf Wahlplakaten wäre ich alternativlos rübergekommen. »Sie kennen mich« hätte auch draufstehen können. Der kalifornische Gouverneursposten war zwar besetzt, aber vielleicht hätte ich es zum Ministerpräsidenten von Mecklenburg-Vorpommern geschafft? »Tommy’s Meck-Pomm« wäre doch ein toller Slogan gewesen. Und Currywurst bei der Wahlparty.
Zu spät. Mir geht es inzwischen auch nicht mehr um Ruhm und Ehr, sondern nur um ein paar Jahre mehr.