KNOCKIN’ ON HEAVEN’S DOOR
Bob Dylan
B
in ich altersblind? Dichte Schwaden umwabern mich. Ich kann nichts sehen. Mach doch mal einer die Nebelmaschine aus! Was ist denn das? Ein Bühnenauftritt? Wo bleibt die Musik? Ich will die Eurovisionsfanfare. In alter Zirkusmanier breite ich die Arme aus und trete in den hellen Saal. Eine große Halle, ganz leer, es gibt nur ein einziges Möbelstück. Ich kenne diese Sitzgelegenheit. Diese Polster, diese elfenbeinfarbenen Polster mit der unbequemen Rückenlehne. Das Halbrund, wie ein riesiges auseinandergezerrtes U.
Mein Wetten-dass
-Sofa!
Wie kommt das hierher, wie komme ich hierher? Bin ich im Himmel? Bin ich tot? Mit dem Jumbo abgestürzt, bei einem kalifornischen Erdbeben in einer Erdspalte versunken? Man hat mich Gott sei Dank in Showklamotten beerdigt, ich trage den schwarzen Lederanzug, bei dem man erst auf den zweiten Blick erkennt, dass es sich um einen Smoking handelt. Die Revers und die Streifen an den Hosenbeinen sind in schwarzem Wildleder abgesetzt, der Rest ist aus glänzendem Nappa. Das Outfit habe ich getragen, als ich auf diesem Sofa zwischen Bill Gates und Naomi Campbell saß.
Jetzt bin ich ganz allein im Saal und bewege mich auf das Sofa zu. Oder bewegt es sich auf mich zu? Herrlich! Als
würde ich einen alten Freund wiedersehen! Als ich mich auf die Couch plumpsen lasse, spüre ich meine Bandscheiben nicht. Ich bin zu Hause, hier gehöre ich hin, Applaus, die Show geht weiter. Auftrittsjingle, und durch den Wolkenvorhang tritt mein erster Gast auf: Gunter Sachs. Er saß schon bei meiner Wetten-dass
-Premiere in Hof auf diesem Sofa und tritt auch jetzt mit seinem typisch gewichtigen Gang auf. Die Schultern leicht hochgezogen, das Kinn dazwischen, im bunten Krepphemd, halbseitig schmunzelnd. Er winkt mir zu und begrüßt mich mit seiner tiefen, etwas grollenden Stimme »Haha, da isserrr ja!«
Er rollt das R wie einen großen Batzen Gold in seinem Mund.
Ich breite die Arme aus.
»Schön, dich zu sehen!«, ruft er. »Was ist denn bei euch eigentlich los?«
»Ach, hör bloß auf! Seit du weg bist, ging’s bergab. Donald Trump hast du hier mitbekommen, oder?«
»Ein ungehobelter Bursche.«
Bursche mit drei R.
Aus dem Restnebel kommt feierlich ein Mann in einem weißen Morgenmantel, er geht kerzengerade, aber man erkennt trotzdem, dass er nicht mehr der Jüngste ist. Er ist schlank, hat kurze braune Haare (gefärbt, erkennt der Fachmann) und balanciert eine Tasse Tee.
Ich sage ihn an: »Meine Damen und Herren: Udo Jürgens!«
Er verneigt sich und spiegelt sich dabei in seinen Lackschuhen. Bei ihm passen sie zum Frotteemantel.
Gunter Sachs erhebt sich etwas bucklig zur Begrüßung, ruft wieder »Haha, da ist errr ja!« und raunt mir zu: »Wir haben oft zusammen in der Kronenhalle zur Nacht gegessen.
«
»Und ich bin bei irgendeinem runden Geburtstag von dir aufgetreten«, ergänzt Jürgens und hält mir fragend den Teebeutel entgegen. Ich wollte gerade einwerfen »Es war der sechzigste, und ich war dabei« aber nehme in neuer Bescheidenheit stumm den Teebeutel entgegen, ich muss ja nicht immer von mir reden, und werfe das tropfende Säckchen nach hinten in den Nebel.
»Was hältst du von Helene Fischer?«, frage ich Udo.
»Ganz dolles Mädel. Weltklasse. Die kann wirklich alles. Singen, tanzen, ganz doll.«
»Aber mehr Kalkül als Sexappeal«, brummelt Gunter Sachs.
Ich sage schnell: »Jetzt sitzen hier drei Kerle, eine Frau würde der Veranstaltung guttun.«
Schon öffnet sich der Wolkenvorhang, und eine schöne Frau betritt die Bühne. Auf jeden Fall war sie mal schön. Langes Abendkleid, schwarzer Tüll, akkurate Retrofrisur. Verdammt, ein Foto von der stand doch bei uns auf der Wohnzimmerkommode. Ich erkenne sie und freue mich, sie wiederzusehen. Gleichzeitig wird mir mulmig: Gleich setzt es was.
»Das ist Mutti«, erkläre ich.
Sie ignoriert meine Gäste: »Thomas, du siehst schlecht aus.«
Gunter erhebt sich und bietet meiner Mutter einen Platz auf dem Sofa an. Dabei sagte er: »Haha, die Frau Rutila.«
Sie mustert den weißhaarigen Löwen streng.
»Herr Sachs, ich halte Sie für einen Windhund!«
Ach du lieber Himmel! Muss man hier immer die Wahrheit sagen? Geht das so im Jenseits zu?
»Mutti, bitte, jetzt nicht hier vor den Leuten.«
»Thomas, du hast diesen Playboy Sachs und seinen Kaviar immer meinem Kirschkompott in Kulmbach vorgezogen. Schön war das nicht von dir.
«
Recht hat sie. Ich lenke ab und zeige auf Udo Jürgens.
»Na, Mutti, kennst du den?«
»Endlich mal ein deutscher Künstler. Es müssen ja sonst immer Ausländer sein. Herr Jürgens, Sie sind ein toller Mann! Aber kommen Sie gerade aus der Badewanne?«
Jürgens räuspert sich.
»Mutti, er hat seine Zugaben nach dem Konzert immer im Bademantel gemacht. Mit einer Tasse Tee auf dem Flügel.«
»Woher soll ich das wissen, zu so was hast du mich ja nie mitgenommen!«
»Doch, ich hab dich mal nach London mitgenommen, zur Premiere von Phantom der Oper
.«
»Das war furchtbar! Viel zu laut! Und von überall zusammengeklaut!«
Ich bin froh, dass Andrew Lloyd Webber noch lebt. Er wahrscheinlich auch. Höchste Zeit, den nächsten Gast anzumoderieren.
»Jeder Mensch, der deutsche Literatur liebt, kennt und vermisst ihn. Meine Damen und Herren, begrüßen Sie mit mir: Marcel Reich-Ranicki.«
Der Wolkenvorhang öffnet sich, und MRR kommt hereingewackelt. Er genießt den Auftritt. Und korrigiert mich gleich.
»Dazz ist nischt ganz korrekt, mein Lieber. Natürlisch hat misch die deutsche Literatur, ganz besonders interezzziert, aber denken Sie an den Franzosen Albert Camus oder den Amerikaner Saul Bellow. Grozzzartige Leute.«
Mutti greift ein: »Hm, Camus, Die Pest
hab ich schon als Mädchen gelesen. Stand bei uns im Bücherregal, hat den Thomas aber nie interessiert.«
MRR wirkt angetan von der Erscheinung meiner Mutter
.
»Sagen Sie, Gnädigste, stammen Sie nicht auch aus Polen?«
»Aus Oppeln, das war damals Schlesien …«
Ich befürchte das Schlimmste, aber Mutti bleibt bei meinem literarischen Versagen.
»Thomas, du hast ja nur Mist gelesen. Ich hab dir immer gesagt, wirf diesen Schund weg. Wie hieß dieser Idiot? Jimmy Cotton?«
»Jerry Cotton, Mutti.«
MRR: »Wissen Sie, dass Bertolt Brecht am liebsten Krimis gelesen hat? Und dann hat er die Dreigroschenoper
gemacht.«
Auch Gunter Sachs kommt mir zu Hilfe.
»Hat Ihr Sohn nicht Germanistik studiert? Ich habe mich für die Mathematik entschieden.«
Reich-Ranicki zu mir, mit Blick auf Gunter Sachs: »Wer ist dieser Mann? Isch habe ihn schon auf Illustriertenfotos gesehen.«
»Er war mit Brigitte Bardot verheiratet.«
Ranicki: »Das interessiert mich! Das interessiert mich sehr! Sind Sie dieser französische Regisseur?«
Sachs: »Sie meinen Roger Vadim … der war vor mir …«
Ich hole Jürgens ins Gespräch, meine Mutter lasse ich wohlweislich draußen: »Udo, du warst ja mit ›Merci, Chérie‹ auch in Frankreich sehr erfolgreich …«
Jürgens: »In ganz Europa. Jeder kennt das Lied.«
Ranicki: »Isch kenne es nischt. Interessiert mich nicht. Fällt nicht in mein Genre.«
»Das wird dich interessieren«, sage ich und berichte vom letzten Fernsehpreis. »Dort wurde ich mit dem Sonderpreis für mein Lebenswerk geehrt. Hab ihn natürlich angenommen. Aber im Fernsehen wird so was nicht mehr übertragen.«
Meine Mutter: »Davon weiß ich ja gar nichts.
«
»Mutti, da warst du schon zehn Jahre tot.«
»Thomas, das ist unverschämt!«
»Aber du wärst stolz auf mich gewesen, als ich im Literarischen Quartett
zu Gast war.«
Ranicki: »Ach, gibt es das noch? Haben sie die Löffler wieder ausgegraben?«
»Nein, lauter neue Moderatoren. Ich habe die Obstdiebin
von Peter Handke gelesen.«
»So, so, der Handke, ich war nie ein großer Freund seiner Bücher. Bei seinem literaturhistorischen Auftritt vor der Gruppe 47 war ich dabei und saß nur zwei Meter von Handke entfernt …«
Das wird mir jetzt doch etwas zu speziell. Zwei Showleute, ein Literaturkritiker und meine Mutter als Tretmine, Michelle Hunziker hatte ich immer irgendwie im Griff, meine Mutter war schon zu Lebzeiten unberechenbar.
Sie legt schon wieder los: »Thomas, gibt es hier was zu trinken? Du weißt, ich hab Zucker … ich muss was trinken.«
Ihren Diabetes hat sie immer gerne zum Thema gemacht, da kannte sie sich besser aus als jeder Internist. Ich hab sie dabei immer so schnell wie möglich unterbrochen und tue dies auch jetzt.
»Mutti, hier kommt einer der wenigen Politiker, die du gemocht hast.«
Sie vergisst das angeforderte Getränk sofort.
»Komm mir nicht mit dem Gerhard Schröder. Das war ein Blender …«
»Nein, Mutti, der lebt noch, und ich glaube, er hat jetzt zum fünften Mal geheiratet.«
Ich erinnere mich an eine wahre Episode aus der Zeit, als meine Mutter noch lebte und ich weltberühmt war.
Zumindest so berühmt, dass der Bundeskanzler ab und zu mit mir zum Essen ging und mich auf dem Handy anrief. Einmal erwischte er mich in Kulmbach, und ich stoppte Mutti in einem ihrer Monologe, um ihr wichtigtuerisch klarzumachen, dass der amtierende Bundeskanzler am Telefon war. Bei meiner Mutter war Gerhard Schröder zu diesem Zeitpunkt seiner Kanzlerschaft allerdings bereits in Ungnade gefallen.
Ohne einmal Atem zu holen, trug sie mir auf: »Sag ihm, er soll zurücktreten!«
Hab ich unterlassen und war froh, dass jetzt ein Politiker die Szene betrat, den meine Mutter, da waren wir uns mal einig, genauso geschätzt hatte wie ich: Hans-Dietrich Genscher. Zu seinen Lebzeiten waren wir uns persönlich sehr nahe gekommen. Erst genoss ich es, in seiner Ministerkolonne samt Polizeieskorte bei den Bayreuther Festspielen vorfahren zu dürfen, dann war ich öfters bei ihm in Bonn in seiner Kellerbar zu Gast, die ein Schrein der Fünfzigerjahre war. Mit Lampe aus Schmiedeeisen und Weingläsern mit eingeschliffenen Trauben und grün geriffelten Füßen.
Der erste Besuch in seinem Haus klappte nicht ganz, es war eine Wahlnacht, und ich hatte mich aus Kalkül erst mal auf der Party der Grünen herumgetrieben und sichergestellt, dass mich die TV-Kameras dort auch bemerkten, bevor ich zur FDP überlief, die mir damals politisch näher stand. Dann marschierte ich durch die Bonner Nacht und wusste nur, dass Genscher damals in Pech wohnte. Ich ließ das Taxi vor dem erstbesten Haus halten, in dem gefeiert wurde, und als ich am Klingelschild irgendetwas las, das wie »Hadge« aussah, fantasierte ich mir das als Kurzform von »Hans-Dietrich Genscher« zurecht und stürzte mich ins Partygewühl.
Das war eine Zeit, in der ich in Deutschland auf jeder Fete auch ohne Einladung als unterhaltsame Bereicherung empfunden wurde, und ich merkte erst nach ein paar Gläsern Wein und mehreren Fehlküssen, dass ich auf der falschen Veranstaltung war. Genscher wohnte ein paar Häuser weiter. Dort erlebte ich dann zu später Stunde meine ersten Fake News: Als irgendein Friedrich Nowottny oder Ernst Dieter Lueg mit ernster Miene gegen Mitternacht in die Kamera feststellte, dass »… die Parteivorsitzenden jetzt im engsten Kreis ihrer Vertrauten bereits über mögliche Koalitionen nachdenken«, prostete Genscher auf dem Sofa neben mir dem Kommentator auf dem Bildschirm fröhlich zu und bemerkte mit seinem kehligen Lachen: »Ch, ch, ch … das denkt der sich so!«
Ich war sehr beruhigt, dass die Wirklichkeit meiner Vorstellung wesentlich mehr entsprach als die Deutung der Politjournalisten.
Und es beruhigte mich auch jetzt wieder, dass Hans-Dietrich seine Berechenbarkeit behalten hatte und immer noch im gelben Pullunder unterwegs war.
»Herr Genscher … schön, dass Sie heute Abend bei uns sind.«
Obwohl wir per Du waren, hatte ich immer etwas Probleme, ihn im Fernsehen so kumpelhaft anzusprechen. Ich hatte größten Respekt vor ihm und seiner Lebensleistung, ihn zu duzen erschein mir immer etwas unangemessen, und dieses Gefühl kannte ich beruflich sonst nie. Er auch nicht, denn er erinnerte mich prompt: »Wir waren doch beim Du. Und hier duzt mich jeder … sogar der Konrad Adenauer … ch, ch, ch, ch. Sag mal, der Trump hat se doch nicht alle, oder? Du lebst doch noch in Amerika?
«
Im Moment wusste ich zwar nicht, ob ich überhaupt noch lebte, aber meine Mutter grätschte schon wieder dazwischen.
»Ich habe nie begriffen, wie du es deinen Kindern antun konntest, sie in Amerika aufwachsen zu lassen. Die sind doch dort alle dämlich, oberflächlich oder beides.«
»Nicht alle, Mutti.«
Ranicki greift ein: »Saul Bellow habe ich bereits erwähnt, John Steinbeck, Hemingway, Jonathan Franzen, alles großartige Leute. Und Verehrteste, Gertrude Stein … vergessen Sie nicht Gertrude Stein, eine wunderbare Frau …«
Meine Mutter widerspricht, aber immerhin etwas unsicher. Vor dem Literaturkritiker hat sie mehr Respekt als vor ihrem Sohn.
»War Gertrude Stein nicht Französin …?«
»Papperlapapp, meine Gnädigste!«
Er hat tatsächlich »papperlapapp« gesagt.
»Dort hat sie lange gelebt, da haben Sie recht, aber …«
»Apropos lange gelebt …«, Udo Jürgens unterbricht. »Kann es sein, dass ich Charles Aznavour kürzlich hier gesehen habe? Toller Kollege, aber er war gleich wieder verschwunden. Es hieß, er sucht nach Gilbert Bécaud.«
»Mit dem hab ich mich hier schon ein paarmal auf einen Cocktail getroffen«, wirft Gunter Sachs ein, »obwohl er mir die Bardot nie gegönnt hat. Sag mal, haben die Russen inzwischen die gesamte Côte d’Azur versaut? Das ging ja schon los, als ich noch da war. In Saint-Tropez haben mich die Kellner nicht mehr erkannt und riesige Wodkaflaschen auf beleuchtetem Eis durch die Bars geschleppt. Fürrrchterrrlich.«
Ich schaue meine Mutter scharf an, weil ich ihr die Frage zutraue, ob sich Gunter deswegen die Pistole an die Schläfe gesetzt hat. Aber so weit geht sie doch nicht
.
Gunter plaudert bereits mit Udo Jürgens, ob es besser ist, Wodka pur zu trinken (Gunter) oder gemischt mit Orangensaft (Udo).
Ich stelle Genscher eine Frage, die mich wirklich bewegt: »Woran liegt es, dass man geglaubt hat, Leute wie du oder Willy Brandt wussten immer, wo’s langgeht. Und warum ist dieses Gefühl verloren gegangen?«
Genscher legt seine Stirn in Falten, er hat wirklich große Ohren.
»Ich wusste nie, wo’s langgeht, aber ich wusste immer, wo ich hin wollte. Geradeaus ging das selten, aber ich bin meistens dort angekommen … und ich hab nie den Humor verloren, ch, ch, ch. Kennste den schon?«
Niemand konnte so gut Witze erzählen wie Genscher. Ich wollte mir alle merken und habe keinen behalten. Doch, einen, aber den behalt ich für mich. Passte damals. Passt heute nicht mehr. Überhaupt fiel mir plötzlich auf, dass alle auf meiner Couch aus einer Welt kamen, die mit ihnen versunken ist: Gunter Sachs war ein kultivierter, intellektueller Schwerenöter, der viel Geld geerbt hatte und sich die Sonnenseite des Lebens als Aufenthaltsort gewählt hatte. Hat ihm nie wirklich jemand übel genommen. Udo sang und lief bis ins hohe Alter Frauen hinterher, die im Idealfall siebzehn Jahre alt waren und blondes Haar hatten. Marcel Reich-Ranicki lebte in der Welt der Literatur. Als er mir half, bei Günther Jauch die Million zu gewinnen, hat er die richtige Antwort in seinem Kopf gefunden und nicht im Internet: »Wie hieß Franz Kafkas letzte Lebensgefährtin, die er 1923, ein Jahr vor seinem Tod, kennenlernte?« Man hatte mir vier Edelsteine zur Auswahl gegeben: Diamant, Saphir, Rubin und Opal. Ich konnte mit keinem was anfangen.
Dora Diamant war richtig, hätte ich googeln müssen. Marcel wusste es.
Fünf Männer und eine Frau. Meine Mutter, vier Kerle, mit denen ich aufgewachsen bin, und ich der letzte, der noch lebte. Gerade zwar nicht, denn ich war, wie auch immer, plötzlich einer von ihnen. Weltentrückt oder Zombie? War ich plötzlich Schillers »Poet«, dem Zeus das Angebot gemacht hatte: »Willst du in meinem Himmel mit mir leben? Sooft du kommst, er soll dir offen sein!«
Wäre das jetzt die Chance gewesen, dem Irdischen zu entsagen und, ohne gestorben zu sein, mein Plaudersofa im Elysium aufzubauen? Ich will es gar nicht mehr wissen. Auch wenn dieses Kapitel mir die Gelegenheit gegeben hätte, mich ernsthaft mit meinem Tod auseinanderzusetzen und mich sozusagen literarisch selbst zu entsorgen – drauf gepfiffen. Ich will immer noch Currywurst mit Pommes, ich will den nächsten Jack-Reacher-Roman lesen und den nächsten Star-Wars
-Film sehen. Ich will keine Legende sein, die mit anderen Legenden auf der Wolke sitzt. Hier bin ich wieder und hier bin ich noch. Ich fall erst um, wenn ich nicht mehr stehen kann. #MeToo ist richtig, Trump ist falsch, das Internet ist kompliziert – ich muss und will, und vor allem: Ich kann mit allem leben.