EVERLASTING LOVE
Love Affair
I
rgendwo habe ich mal gelesen, dass in keinem Bereich der Literatur so viel gelogen wird wie bei Autobiographien. Dem Verdacht, Literatur zu erzeugen, war ich sowieso nie ausgesetzt, und als ich in Herbstblond
meine Lebensgeschichte erzählt habe, bin ich so nahe wie möglich an der Wahrheit geblieben, ohne mir dabei unnötig zu schaden. Das konnte ja nun wirklich keiner von mir verlangen.
In beruflichen Dingen ist mir vieles geglückt, sodass ich heute auf eine herbstbunte Karriere zurückblicken kann. Es »bunt getrieben« zu haben ist die unsympathische Art älterer Männer, sich an ein Liebesleben zu erinnern, das selten so stattgefunden hat und wenn, dann klingt das zumindest unappetitlich. Ich bin in dieser Beziehung ohnehin ein bisschen verklemmt und fand das brünftige Geröhre selbstverliebter Platzhirsche, die ihre amourösen Abenteuer öffentlich zum Besten gaben, immer peinlich. Ich habe mich auch stets gewunden, wenn mich die Sirenen der Klatschpresse dazu überreden wollten, mein privates Glück mit einer »schönen Fotostrecke« zu dokumentieren. Die herzerwärmenden Geschichten dazu hätte ich natürlich liefern können, notfalls hätte man auch welche erfunden. Liebesglück läuft als Thema für den Boulevard immer. Damals wie heute
.
Ich erinnere mich an die Zeit, in der noch einige wenige Platzhirsche stellvertretend für den deutschen Durchschnittsmann amourös unterwegs waren. Curd Jürgens und Gunter Sachs lebten und liebten mal in Saint-Tropez oder Sankt Moritz, sie gestalteten den Ortswechsel auf Jachten oder im Rolls-Royce und ernährten sich ausschließlich von Kaviar und Champagner. Das waren die Projektionsflächen für alle, die sich gerade mal einen VW-Käfer leisten konnten, in dem sie die Leberwurstbrote futterten, die ihre Frau am Morgen im Bademantel geschmiert und in die Brotzeitbüchse gepackt hatte. Deren Liebesleben fand statistisch eineinhalbmal pro Woche statt, und geredet wurde darüber gar nicht, auch weil es nicht der Rede wert war.
Heute breitet jeder, der es für RTL in den Dschungel schafft, seine klebrigen Lovestorys öffentlich aus. Es gibt sie natürlich noch, die massentauglichen Glücksfälle. Das Glück ist dabei meistens ein kurzes. Kaum hat man den Anfang der Lovestory erzählt, schon ist sie zu Ende. Ich bin weder der Fanclubvorsitzende von Helene Fischer noch der von Florian Silbereisen, meinen Respekt haben sie trotzdem, denn die beiden haben von Beginn bis zum Ende ihrer Beziehung im medialen Bereich alles richtig gemacht. Trotzdem hatte ich immer ein ungutes Gefühl, wenn ich die beiden lachend und singend in einer Gazette über blühende Almwiesen tanzen sah. Ähnliche Zweifel hatten mich schon bei Claudia Schiffer und ihrem Zauberkünstler David Copperfield beschlichen. Beide Beziehungen gingen mich nichts an, trotzdem hatten sie was Faszinierendes. Zu schön, um wahr zu sein.
Das Ende des Alpenglühens bei Helene und Florian hat mich dann gleichermaßen verstört und beruhigt. Genervt hat mich die immer noch funktionierende Erzählfolge in den Medien.
Erst die bittere Nachricht: Es! Ist! Aus! Dann die psychologische Aufarbeitung durch das entsprechende Fachpersonal. Zwei Alphatiere, deren Welten auseinandergedriftet sind, im Erfolg hat man sich verloren. Neu ist allerdings die Mitwirkung der Betroffenen, auch wenn sie über Anwälte und Publizisten darum bitten, von den Medien in Ruhe gelassen zu werden, und sich auf ihre Privatsphäre berufen. Über die eigenen Social-Media-Kanäle versichert man seinen Followern allerdings gleichzeitig, weiterhin ein kameradschaftliches Miteinander pflegen zu wollen, es gibt selbstverständlich weitere gemeinsame Pläne, und man vermittelt den tief empfundenen Dank an alle Fans, die das getrennte Paar nicht fallen lassen, sondern bitte den beiden Einzelkämpfern nun getrennt in den Kampf um Downloads, Einschaltquoten und Klicks folgen sollen.
Die Chefredakteure der Frauenzeitungen knirschen mit den Zähnen, ihre Deutungshoheit wurde genauso ausgehebelt wie die Exklusivität von Paparazzifotos der Verlassenen und Verzweifelten, die stellen nun eigene Fotos der glücklichen Trennung ins Netz. Man rächt sich mit den üblichen Nachfolgestorys. Die verlassene Ex ist immer eine schöne Geschichte, und meistens braucht sie in ihrer Not auch ein bisschen Kohle. Im Glücksfall von Helene Fischer, die ja von einem Luftakrobaten aufgefangen wurde, setzt sich die Exfreundin des Turners auch noch auf den Bahnsteig und lässt sich mit ihren Koffern fotografieren, bevor sie in den Zug nach Nirgendwo steigt. Solche Fotos will keiner der Betroffenen sehen, aber sie bleiben einem nicht erspart. Dann folgt noch verbindlich der »Streit ums Geld«, der entweder »bitter« oder »gnadenlos« zu sein hat.
Das war’s dann meistens schon, und das ist auch die erfreuliche Seite der neuen Entwicklung. Das Schlachtfest wird
zügig durchgezogen, denn die Aufmerksamkeitsspanne des Publikums wird immer kürzer. Als der Talkkönigin Sabine Christiansen von der Entertainerin Ulla Kock am Brink der Mann ausgespannt wurde, erregte das die Bild
-Zeitung über mehrere Wochen. Die sehr viel spektakulärere Trennung von Helene und Florian schaffte es nur ein paar Tage auf die Titelseite und wurde dann sofort an die ewig raunenden Klatschblätter durchgereicht, die allesamt auch schon bessere Zeiten gesehen haben.
Ich muss zugeben, dass mich die Angst, derart öffentlich verwurstet zu werden, zeit meines Promilebens immer verfolgt hat. Ob solche Geschichten dann wahr, halb wahr oder erfunden sind, spielt am Ende keine Rolle mehr. Ich habe keine Ahnung, was am Fall Kachelmann nun wahr oder Fiktion ist, ich sehe nur einen Mann, der freigesprochen wurde, aber dessen Namen oder Arbeit man kaum noch ohne entsprechende Assoziationen zur Kenntnis nehmen kann. Selbst für einen Komiker wie Karl Dall war irgendwann Schluss mit lustig. Im besten Fall war er nicht nur trief-, sondern auch blauäugig, als er nächtens irgendwo eine Frau in sein Zimmer einlud. Irgendetwas bleibt immer hängen – »aliquid semper haeret« stand schon in meinem Lateinbuch, und das hab ich mir genauso zu Herzen genommen wie das »Quidquid agis …«: Was du auch tust, handle klug und bedenke das Ende.
Ich habe nie damit gerechnet, selbst in die Verlegenheit zu kommen, das Ende meiner Beziehung erleben und auch noch kommentieren zu müssen. Jeder, der eine solche Trennung hinter sich hat, weiß, dass einem so was an die Nieren geht und dass das Letzte, was man dabei braucht, der neugierige Blick der Medien ist. Die Gewohnheit, bei allem, was man tut, beobachtet zu werden, hilft einem in solchen Momenten
wenig. Man durchlebt solche Lebensphasen mit den exakt gleichen Gefühlen wie Menschen, deren Leben sich nicht in der Öffentlichkeit abspielt. Sie sind für mich ebenso schmerzhaft, peinlich und schwer zu beschreiben wie für jeden anderen, der sie durchlebt hat. Und das sind viele.
In diesem Buch geht es aber darum, Ihnen die Wahrheiten meines Lebens nicht vorzuenthalten, ohne mir selbst dabei mehr als nötig zu schaden. Ich bin mir dieses Dilemmas durchaus bewusst und strebe folgenden Ausweg an: In meinem Leben habe ich mit Fremden und Freunden, Geschwistern und Söhnen, Männern und Frauen immer gern über Beziehungsfragen gesprochen. Betrachten Sie dieses Kapitel also bitte nicht nur als die Summe meiner persönlichen Erfahrungen, sondern auch als meine gesammelten Erkenntnisse in diesem Bereich. Ich bin in einem Alter, in dem mir nichts Menschliches mehr fremd ist, was den Umgang mit dem anderen Geschlecht betrifft. Mit dem eigenen kann ich nicht dienen. Der einzige Mann, den ich auf den Mund geküsst habe, war mein Vater.
Als Teenager habe ich erregt an parfümierten Liebesbriefen geschnüffelt. Der Duft war meistens bereits verflogen, wenn ich sie aus dem Briefkasten zog. Das war romantisch, aber langwierig und harmlos. Der erotische Bereich wurde sehr vorsichtig erforscht, Petting nannte man das damals, und die Erkundungsreisen führten nicht sehr weit. In meinem Falle waren sie eher etwas zittrig und überängstlich. Heute muss ich damit leben, dass meinem Nachwuchs in den sozialen Netzwerken intime Fragen beantwortet werden, die ich niemals im Leben zu stellen gewagt hätte.
Aber auch ich habe dazugelernt, auf dem zweiten Bildungsweg sozusagen. Inzwischen weiß ich, was läuft, denke aber gar
nicht daran, alles zu enthüllen, was bei mir gelaufen ist. Dem interessierten Leser rate ich dazu, alles, was ich über die Beziehung zwischen Frau und Mann, Ehe und Partnerschaft im Folgenden von mir gebe, als die Essenz dessen zu betrachten, was ich gehört und gesehen, gelesen und erlebt habe. Wenn Sie unbedingt meine Person hinter dem Geschriebenen identifizieren wollen, empfehle ich folgendes Vorgehen: Erwarten Sie von mir nur das Beste, aber trauen Sie mir das Schlimmste zu. So habe ich es immer selbst mit mir in diesen Dingen gehalten.
Meine Biographie, die jeder bei Wikipedia nachlesen kann, lässt mir zeitlich ohnehin wenig offiziellen Spielraum für ausgedehnte Forschungsreisen in Sachen Sex und Liebe. Ich war siebenundzwanzig, als ich geheiratet habe, und zweiundzwanzig, als ich meine Frau kennengelernt habe. Mit achtundsechzig war ich immer noch verheiratet und bin erst auf den letzten Metern aus der Kurve geflogen. Dazu später mehr.
Irgendwie hatte ich die Langstrecke bis zu diesem Zeitpunkt hinbekommen. Man hätte erwarten können, dass so ein Beispiel Schule macht und ich, mit erhobenem Zeigefinger, meinem Nachwuchs dieses Modell zumindest eindringlich ans Herz gelegt hätte. Hab ich nicht, und es hätte auch nichts gebracht. Einer meiner Söhne ist bereits geschieden, nachdem er mich im zarten Alter von zwanzig Jahren entgegen meinem ausdrücklichen Wunsch zum Großvater gemacht hatte.
Aber lassen Sie mich von vorne beginnen. Mein Vater wurde 1902, also in grauer Vorzeit, geboren. Meine Mutter 1921, der Altersunterschied von neunzehn Jahren erschien mir immer gewaltig. Er hat meine Eltern wohl nie besonders gestört. Die tragische Tatsache, dass mein Vater bereits mit zweiundsechzig
starb, hat zumindest verhindert, dass meine Mutter irgendwann einen Greis zu Hause sitzen hatte. Sie selbst wiederum, Witwe mit Anfang vierzig, hat nach dem Tode ihres Mannes nie wieder eine Beziehung gehabt. Ich hätte das bemerkt, denn ich habe immer im Stillen darauf gehofft, dass mir irgendein Kerl den Stress abnehmen würde, der einzige Mann im Leben meiner Mutter zu sein, der nicht flüchten konnte, wenn es brenzlig wurde.
Wie sie ohne Mann sexuell klarkam, war für mich kein Thema. Erstens hat es mich nicht interessiert, zweitens ging es mich nichts an, und drittens wurde über so was in einem frommen Haus wie dem unseren nie gesprochen. Die Tatsache, dass sie überhaupt Sex miteinander hatten, erschien mir ohnehin sehr weit hergeholt. Ich hatte als Ministrant frühzeitig an das Konzept der unbefleckten Empfängnis zu glauben, die mir auch in diesem Falle die beste Lösung zu sein schien. Meine Schwester muss gezeugt worden sein, als mein Vater sich bereits im biblischen Alter von achtundfünfzig Jahren befand. Hier war Urvater Abraham aus dem Alten Testament offensichtlich das leuchtende Vorbild, mir war das Ganze damals etwas peinlich.
Meine Mutter war wohl auch keine Zierde der frühen Emanzipationsbewegung, sie sah sich ganz in der Tradition der hingebungsvollen Ehefrau, die alles, was der »Vati« als gut und richtig empfand, auch für sich als das Maß aller Dinge akzeptierte. Er war offensichtlich nicht ganz so unbedarft, zumindest musste ich auf dem Kulmbacher Standesamt beim Abholen seiner Sterbeurkunde die Frage beantworten, ob es Kinder aus der ersten Ehe gegeben hatte. Ich wusste weder was von Kindern noch von einer ersten Ehe. Meiner Mutter war die entsprechende Nachfrage etwas peinlich, sie wollte
nicht, dass irgendein Schatten auf den Mann ihres Lebens fiel. Offensichtlich hatte mein Vater als junger Rechtsanwalt eine gut laufende Kanzlei in Breslau zusammen mit der schon etwas schlechter laufenden älteren Inhaberin geheiratet. Aber dann kam der Krieg, und dann kam meine Mutter, das junge Gänschen mit der weißen Haube einer Lazarettschwester.
Ich habe weder meinen Vater noch meine Mutter jemals nackt gesehen, nur einmal mussten mein Bruder und ich aus pädagogischem Grunde antreten und zuschauen, wie meine kleine Schwester gestillt wurde. Als ich mit neunzehn zur Musterung für die Bundeswehr nach Bayreuth musste, ermahnte mich meine Mutter am Vorabend durch die geschlossene Badezimmertür: »… und wasch dir dein Glied!« Ich war ziemlich erschrocken, denn ich fand es eher überflüssig, dass sie wissen musste, ob ich überhaupt eins hatte und dies auch noch auszusprechen wagte. Man kann also, ohne mir zu nahe zu treten, durchaus behaupten, dass ich etwas verklemmt aufgewachsen bin, was erotische Freiheit betrifft.
Da hat sich zu meinen Lebzeiten doch einiges geändert. Mein jüngerer Sohn wohnt in New York und ist mittlerweile Ende zwanzig. Schlimm genug, was er dort erlebt, ich weiß aber nicht, ob ich dankbar oder verzweifelt darüber sein soll, dass er es mir auch noch erzählt. »Too much information …«, sagt der Amerikaner, kurz bevor er sich die Ohren zuhält.
Warum geht diese Generation so offen und flexibel mit einem Thema um, das ich eher verdruckst und ängstlich angehe? Von mir hat er’s nicht. Ich war mir so lange sicher, dass ich in diesem Bereich alles richtig mache, indem ich das imitierte, was meine Eltern mir vorgelebt haben.
»Was Gott verbunden hat, das soll der Mensch nicht trennen« und das gnadenlose »… bis dass der Tod euch scheidet« ha
be ich als Ministrant bei unzähligen Hochzeiten schon im Knabenalter für den richtigen und einzigen Weg gehalten, ohne ihn jemals infrage zu stellen. Meine Internistin hat mir zwar erklärt, dass diese Denkungsart nur in einer Zeit funktionieren konnte, in welcher Tod das grausame Spiel wesentlich früher beendete als zu unserer Zeit. Ein Ehepaar in früheren Zeiten brachte es selten auf die gemeinsamen siebenundvierzig Jahre, die Thea und ich miteinander durchs Leben gingen. Ich hatte mich aber durchaus auf die Langstrecke eingestellt und bin sie dann ja auch gegangen. Selten war ich unglücklich dabei, was aber auch daran liegen kann, dass ich insgesamt nicht dazu neige, unglücklich zu sein.
Es gibt unterschiedliche Arten von Männern, was wohl keine besonders hellsichtige Erkenntnis ist. Die eine Spezies schaut gerne und neugierig auf die andere, jenseits des Zaunes, ist aber selten in der Lage, ihr dorthin zu folgen. Ich kenne Kerle, deren größtes Glück es ist, sich immer wieder neu zu verlieben. Sie taumeln von Rausch zu Rausch, sind sich nicht zu schade, das eher feminine Bild von »Schmetterlingen im Bauch« immer wieder aufs Neue zu bemühen, und man muss Herbert Grönemeyer ewig dafür dankbar sein, dass er die Idee mit den Flugzeugen hatte. Da klingt wenigstens etwas von Ingenieurskunst und Hochgeschwindigkeit mit. Die zarte, romantische Seite der Angelegenheit wird dabei etwas grummelig in ein Terrain befördert, auf dem Mann sich auskennt und eher zu Hause fühlt.
Ich habe mich sehr früh – und vielleicht zu früh – auf die altlateinische Position des »pater familias« zurückgezogen. Der »gute Hirte«, der ständig dafür sorgt, dass ihm keines seiner Schäfchen verloren geht, war eine Position, auf der ich mich immer wohlgefühlt habe. Ich habe mich um die Zahnspangen
meiner Kinder gekümmert, mir den Bankautomatencode meiner Frau gemerkt, weil sie ihn dauernd vergessen hat, und habe den Muttertag für wesentlich wichtiger gehalten als den Valentinstag. Das mag auch daran gelegen haben, dass ich zum Muttertag schon als Kind Gedichte auswendig gelernt habe, die ich meiner Mutter dann auch noch in schriftlicher Form, verziert mit einer bunten Borte, an ihrem Festtag feierlich überreicht habe. Der Valentinstag wurde von der Deutschen Interessenvertretung für Schnittblumen erst von den Amerikanern übernommen, als ich bereits im besten Mannesalter war und runde Ehejubiläen feierte. Zudem habe ich es immer vermieden, im Duty-free-Laden noch schnell ein paar Schnapspralinen mitzunehmen, nur weil rosa Herzchen darauf waren. Gleiches gilt für Kölnisch-Wasser-Kombos, auf denen »I love you« steht.
Viele Männer meines Alters haben damit kein Problem. Sie wussten es nie besser und haben nichts dazugelernt. Dafür haben sie einiges verpasst: Die verwunderlichen Junggesellenabschiede, bei denen mit identischen T-Shirts uniformierte Herrengruppen in Kompaniestärke Mallorca angreifen, waren zu unserer Zeit unbekannt. Es ist mir auch nicht erinnerlich, dass meine Frau vor unserer Eheschließung irgendwelche »Mädelsabende« zelebrierte, zu denen ein strippender Bodybuilder oder Briefträger engagiert wurde. Ich habe sie auf dem Medizinerball in München kennengelernt, was schon einen wesentlich erweiterten Aktionsradius bedeutet, die Mehrzahl meiner ehemaligen Klassenkollegen wurde im Umkreis von zwanzig Kilometern von Kulmbach fündig, was ihre Ehefrauen betrifft. Da kann schon rein statistisch irgendwas nicht stimmen, aber ein Großteil dieser Ehen besteht noch. Beinahe hätte ich geschrieben »funktioniert« noch, aber das
wäre sicher ein bisschen zu viel der Kühnheit. Die haben alle ihre Silberhochzeit bereits vor vielen Jahren gefeiert und fragen sich – nicht immer muss von mir die Rede sein – bei jedem Jubiläum, ob denn immer gut war, was letzten Endes gut ging. Kann ja gar nicht. Aber auch ich habe meinen Söhnen das »monogame« Modell vorgelebt und war zutiefst irritiert, als der jüngere bereits nach zwei Jahren Ehe den Stecker zog.
An dieser Stelle korrigiert er mich immer und belehrt mich, ohne zu erröten, dass es seine junge Frau war, die ihn vor die Tür setzte. Auch so ein angelernter Reflex. Ich hätte es immer so gedreht, als wäre ich der Herr des Handelns gewesen. Mein Bruder doziert immer noch, wie wichtig es für einen Mann in einer Beziehung ist, die »Lufthoheit« nicht zu verlieren. Aber wie viel Spielraum bleibt einem denn in einer Partnerschaft, die einem Modell folgt, das sich überlebt zu haben scheint? Das Motto »Durchhalten um jeden Preis« kam innerhalb meiner Lebenszeit auf den Schrotthaufen, auf den es gehört. Eine Scheidung jedoch war im katholischen Dunstkreis meiner Jugend noch ein in jedem Falle zu vermeidender GAU. Und ich glaubte damals allen Ernstes noch, dass es für treue Männer an der Himmelspforte ein Fleißkärtchen geben würde. »Geschieden« war ein Prädikat, das zwischen den Zähnen hervorgezischt wurde, mit abgesenkter Lautstärke, damit die Kinder es nicht hörten. Wir haben es natürlich gehört und waren entsprechend entsetzt.
Alleinstehende Frauen waren ehrsame Witwen, zu meiner Zeit gab es noch die allgemein bedauerte »Kriegerwitwe«. Frauen, die aus eigenem Entschluss ledig waren, gab es kaum. Sie waren entweder »sitzen geblieben« oder, obwohl durchaus noch in der Blüte ihrer Jahre, »alte Jungfern«. Ein kleiner,
aber durchaus nicht des Wahnsinns bezichtigter Kreis ging allen Ernstes noch »ins Kloster«.
Wer in einem solchen Denkmuster groß geworden ist, musste ja nach heutigen Maßstäben verpeilt enden. Im Gegensatz zu vielen meiner Altersgenossen rede ich mir diese Sichtweise nicht schön, sondern bin durchaus bereit, sie zu diskutieren und im Ernstfall auch aufzugeben. Trotzdem klebt sie mir wie Hundedreck an den Schuhsohlen. Einfacher ist es natürlich, das zu beklagen, was an die Stelle unseres wenn auch verkorksten, so doch vertrauten Weltbildes getreten ist.
Ich habe bereits eingestanden, dass es unsinnig ist, die Liebe seines Lebens in der gleichen Schulklasse oder der nächsten Dorfdisco zu vermuten. Aber ich wage auch zu bezweifeln, dass sie auf Tinder unterwegs ist. Das ist eine eigentlich geniale App, die nichts weiter darstellt als die Weiterentwicklung des »Computer Nr. 3«. Schlagerkundige Oldiefans werden sich an den Song von France Gall erinnern, den sie in den Sechzigern trällerte: »Der Computer Nummer drei, sucht für mich den richtigen Boy … Denn einer von vielen Millionen wartet auf mich irgendwo …« Im Zeitalter der Algorithmen ist es nicht mehr schwer, den exakt passenden Deckel für jeden Topf zu finden, egal welch toxische Brühe darin brodelt. Es ist allerdings das Schicksal dieser unglücklichen Köche beiderlei Geschlechts, dass sie die Suppe nie ganz auslöffeln, weil sie entweder nicht schmeckt oder man doch noch eine andere Geschmacksnote probieren möchte, bevor man sich gemeinsam zu Tische setzt. Unsereiner will sich rühmen, die Suppe ausgelöffelt zu haben, aber kann auch nicht behaupten, dass sie immer und zu jeder Zeit geschmeckt hat. Auch da ist meine Generation folgsam der Ansage gefolgt: Was auf den Tisch kommt, wird gegessen. Bevor
wir die Küche und deren Sprachbilder verlassen: Sie haben es bereits gemerkt, ich rede bei diesem Thema etwas um den heißen Brei herum.
Lassen Sie mich deshalb die eigenen Spuren etwas verwischen und allgemeiner werden. Im Bereich zwischenmenschlicher Beziehung gibt es kein Richtig oder Falsch. Rezepte, die Ihnen geholfen haben, schlagen bei mir nicht an, jeder wurschtelt sich durch, so gut er kann, und weiß im Ernstfall dann auch nicht, wie es weitergeht. Therapeuten haben mir nur Dinge erzählt, auf die ich selbst längst gekommen war. Meine eigene Lebens- und Liebeserfahrung hat meine Söhne in diesen Fragen keinen Zentimeter weitergebracht. Dabei ist es doch ganz einfach: Es gibt nur zwei unterschiedliche Arten zu lieben. Da staunen Sie, was? Lassen Sie mich erklären, was es damit auf sich hat. Damit Sie sich das merken können, müssen wir zwar ins Englische ausweichen, dafür hilft uns die Kraft des Reimes:
Der Fachmann unterscheidet in »Mild Love« und »Wild Love«. Leider gibt es beides nicht im gleichen Bett, nur eines davon auf Dauer, und wer beides gleichzeitig will, bekommt Stress.
Und fragen Sie mich bitte nicht, was die bessere Empfehlung ist. Es gibt keine. Für die etwas Schwerfälligeren unter Ihnen hier die ausführlichere Erklärung. Wir sind uns dabei einig, dass dies nur der männliche Blickwinkel sein kann und daher automatisch nicht der richtige, was die weibliche Sichtweise betrifft. Egal, ich bin bereits in den Fettnapf getreten, jetzt werfe ich ihn auch gleich um. Jeff Lynne muss sie auch gekannt haben, denn er hat sie mit seinem Electric Light Orchestra als »Evil Woman« ausführlich besungen: Die sinnbetörende und gleichzeitig verstörende Femme fatale geistert seit Menschengedenken durch die Köpfe der Männer. Sie ist
überall und begegnet uns im Alten Testament genauso wie in der bildenden Kunst und in der Literatur. Zu Zeiten meines Vaters stand sie »…unter der Laterne, vor dem großen Tor«, während meiner Pubertät hat sie es auch in die Rockmusik geschafft. Für jeden sieht sie anders aus, jeder will von ihr in einen anderen Abgrund gezogen werden. Welches Bild von ihr man auch vor Augen hat, als eines sieht man sie nicht: Als Mutter seiner Kinder. Das ist dumm, das ist verwerflich, das ist überholt. Ich weiß. Meine Frau sagt in solchen Momenten immer »… ich sag ja nur«. Und von Frauen ist ja hier die Rede.
Wild Love hat immer einen wunderbaren Anfang, dem in der Tat ein Zauber innewohnt, aber auch ein furchtbares Ende. Der Tag des Zornes und der Zähren kommt verbindlich für alle, die sich in solch eine Verstrickung begeben. Denn Wild Love ist immer aufs Ende hingedacht. Das Finale furioso ist ein verbindlicher Teil dieser Beziehungsform, die nie ein ruhiger Fluss sein kann und will. Sie hat zu jeder Zeit etwas leicht Hysterisches, steht immer auf der Kippe, lebt davon, dass sie immer gerade so überlebt, und ist eine lustvolle und beschwerliche Reise durch Höhen und Tiefen. Die Ebene kennt sie nicht. Sie kostet unendlich viel Kraft, gibt alles, wenn sie gibt, und nimmt alles, wenn sie nimmt. Es gibt Menschen, die nur in dieser Spirale leben und lieben können. Die sich zwanghaft immer an Partner binden, von denen sie ausgesaugt werden wie von einem Vampir, um dann entkräftet und geschwächt entsorgt zu werden.
Diese Beziehungen sind von großer Faszination, die Höhen und Tiefen durchlebt man mit Glücksgefühlen und Angstattacken wie eine Fahrt auf der Achterbahn. Aber danach geht’s einem schlecht. Der Kreislauf wird schneller, die
Auszehrung wird nach jedem Ende sichtbarer. Man bemitleidet Menschen, die in einer solchen Beziehung leben, weil sie leiden, und man beneidet sie, weil sie leben. Wer’s nicht erlebt hat, wird es nie erfahren. Und auch hier weiß ich nicht, was besser ist: diese Erfahrung zu genießen und das Ende zu durchleiden oder gleich die gesunde Diät der eher gewürzlosen »Mild Love« zu sich zu nehmen.
Der Vorteil dieser Variation ist es, deren Anfang kaum genießen zu können, ihn aber auch nicht verhindern zu wollen. Auch diese Form der Liebe kommt irgendwann zu einem stillen Ende, das man aber ebenfalls nicht mit großer Gefühlswallung zur Kenntnis nehmen muss. Es gibt nämlich kaum einen spürbaren Übergang zwischen dem Ende einer dahinplätschernden Beziehung und dem Beginn der gepflegten Gleichgültigkeit, die jedem seine Welt lässt, die der andere nur noch betritt, nachdem er vorher höflich angeklopft hat. Mild Love ist das, was unsere Vorfahren mit großer Kunst gepflegt haben und was sie von Generation zu Generation als Königsweg des fruchtbaren Miteinanders an ihren Nachwuchs vererbt haben. Gottes Auftrag lautete: Wachset und mehret euch. Lust und Leidenschaft hat er dabei nicht erwähnt.
Es ist ja eine Binsenweisheit, dass Ehen, die von den Eltern gegen den Willen der Betroffenen gestiftet worden waren, oft länger gehalten haben als manch ungestüme Liebesheirat, wo nach kurzer Zeit schon die Fetzen geflogen sind. Mild Love ist eben der ruhige Fluss, der ohne Stromschnellen, Untiefen und unvorhersehbare Windungen gemächlich dahinzieht. Nichts ist überraschend, alles ist planbar. Man kann gefahrlos auf Sicht fahren, wenn mal leichte Nebel aufziehen. Das Ruder liegt ruhig in der Hand, man darf auch mal einnicken, es geht ohnehin meist geradeaus. Die Biegungen
sind weit, die Strömung gibt die Richtung vor, und man kennt die Strecke. Es ist ohnehin immer die gleiche. Und es ist längst nicht mehr entscheidend für das sichere Erreichen des Zieles, ob Steuermann oder Steuerfrau auf der Kommandobrücke stehen. Wer an Bord das Sagen hat, spielt ebenfalls keine Rolle mehr, Kapitän oder Leichtmatrose. Mal ist es er, mal ist es sie, keiner ist euphorisch, keiner leidet. Beide würden behaupten, sie sind glücklich. Keiner würde sagen, er ist unfrei. Mit dem Satz von Marie von Ebner-Eschenbach: »Die glücklichen Sklaven sind die erbittertsten Feinde der Freiheit« wüssten sie nichts anzufangen.
Ich behaupte, damit hätte ich viele Langzeitverbindungen, ohne bösartig zu sein, treffend beschrieben. Ist ja auch nichts dagegen zu sagen, oder? Wenn es da nicht in der menschlichen Natur einen Haken gäbe. Von der männlichen weiß ich es verbindlich. Der Steuermann selbst des behäbigsten Großtankers träumt immer wieder mal davon, sich im kleinen Schlauchboot eine wilde Klamm hinunterzustürzen oder die wirbelnden Strudel eines reißenden Bergbaches zu bezwingen. Er träumt diesen Traum, während er in Schleichfahrt die Bojen ins Auge fasst, die ihm sichere Fahrt auf der Ideallinie zwischen den weiten Ufern garantieren.
Und seine Träume sollte man nie aufgeben, mit dem Alter hat das nichts zu tun. Ich bin herbstblond und träume herbstbunt. Was wäre, wenn sich zwischen Mild Love und Wild Love auf wundersame Weise doch der goldene Mittelweg auftut? Wenn plötzlich ein Einhorn aus dem Zauberwald tritt, schön, milde und zahm? Und dann schüttelt es die Mähne und wird zur feurigen Geliebten, die Ihnen den Kuss aufdrückt, der den hässlichen Frosch wieder zum ansehnlichen Prinzen werden lässt
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Alberne Träume einsamer alter Männer, die in der Herbstsonne dösen und wieder anfangen, an Märchen zu glauben? Vorsicht, Freunde! Das ist passiert, das kann passieren. Ihnen und mir, nicht allen. Aber Millionen spielen Lotto, weil einer hin und wieder den Jackpot knackt. Und ob das eine Sie oder ein Er ist, alt oder jung ist, dumm oder schlau, interessiert Fortuna nicht die Bohne. Und wenn der oder die Glückliche nicht sehr alt oder sehr dumm ist, dann wird er oder sie die Chance ergreifen und es der Welt noch mal zeigen.
Das gilt auch für alle, die an der Wild Love verzweifelt und bei der Mild Love eingeschlafen sind. Sogar für diejenigen, die es auf dem Strom der Mild Love so weit gebracht haben, dass sie die Einmündung ins Meer schon vor Augen haben. Wenn Sie am Ufer ein Einhorn sehen sollten, springen Sie und schwimmen Sie an Land. Egal wie tief das Wasser an dieser Stelle ist: Retten Sie sich, bevor Sie der große Ozean der Gleichgültigkeit verschluckt.