STUCKRAD-BARRE:
Folgende Situation: Es ist August, Hochsommer an der Ostsee, und ich weiß, dass dieser Martin Suter im selben Hotel zu Gast ist. Dieser Martin Suter nervt mich ein bisschen, weil er wahnsinnig viele Bücher verkauft und das alles Bücher sind, die ich nicht verkaufe. Obendrein sind sie auch noch gut. Unverschämtheit! Und plötzlich steht er neben mir und sagt, er wolle sich einmal vorstellen – und ist ganz bezaubernd. Wir kommen rasch ins Gespräch, beide mit leichtem Kennenlernhandicap, weil wir nämlich beide nur Badehosen anhaben, was seltsam ist beim Einander-Kennenlernen. Das nahm mich aber sofort, neben vielem anderen, für dich ein, dass du nicht nur der bist, der diese fabelhaften Bücher schreibt, die sich auch noch so irre gut verkaufen, und Nähe also so oder so gewinnbringend sein könnte – aber Spaß beiseite, wie es im Radio oft heißt, wenn es zuvor überhaupt nicht lustig war. Es war einfach sehr unerwartet und wirklich schön, dass du dich mir so höflich vorstelltest, und das in orangener Badehose. Seitdem mag ich dich auf eine solche Art gern, das glaubst du gar nicht. Wie aber kam es nun bitte zu dieser Badehose? Wenn man dich sonst so anschaut und Fotos von dir kennt, würde man erst mal nicht vermuten, dass
du eine signalfarbene Badehose trägst. Überhaupt besitzt!
SUTER:
War die signalfarben?
STUCKRAD-BARRE:
O ja! Weithin sichtbar, neonorange. So was kann doch gar nicht von dir selbst gekauft worden sein. Die muss deine Frau gekauft haben.
SUTER:
Nein, nein, nein. Nein, das würde sie nie tun.
STUCKRAD-BARRE:
Nein?
SUTER:
Ich glaube, diese Badehose habe ich in Biarritz gekauft. Und zwar, weil wir uns in Biarritz mit Freunden trafen, und ich hatte vergessen, Badehosen einzupacken. Und ich wollte natürlich …
STUCKRAD-BARRE:
Schwarz.
SUTER:
… sowohl ins Meer wie auch …
STUCKRAD-BARRE:
Die Würde wahren. Schwierig.
SUTER:
… in den Pool. Und dort in dem Hotel gab es einen kleinen Laden mit Badehosen.
STUCKRAD-BARRE:
Das sind ja immer die unverschämtesten Läden, die in den Hotels. Da steht dann drauf:
Bulgari
oder so ein Unfug, und plötzlich wird es unübersichtlich teuer.
SUTER:
Und diese Badehose … Es gab schon auch andere.
STUCKRAD-BARRE:
Als Werbespruch wäre das wiederum herrlich: Man sähe dich in dieser orangenen Badehose – und darunter der Slogan »Es gab schon auch andere«.
SUTER:
Nur, bei Badehosen geht es ja nicht nur um die Farbe. Bei der Badehose geht es ja auch um den Sitz.
STUCKRAD-BARRE:
O ja. Bei allem eigentlich.
SUTER:
Bei allem, ja. Das heißt, die schwarzen oder auch die marineblauen oder so …
STUCKRAD-BARRE:
Zweireiher.
SUTER:
… die ein bisschen besser zu dem Eindruck, den du von mir haben willst, passen würden …
STUCKRAD-BARRE:
Das ist schön gesagt. Da kann ich jetzt bis übermorgen drüber nachdenken: zu dem Eindruck, den ich gerne haben will. Das ist sehr, sehr gut formuliert. Genau so war es nämlich.
SUTER:
… die waren entweder viel zu groß oder, was noch blöder ist bei Badehosen, zu eng. Und wenn man diese Waschbrettillusion einigermaßen aufrechterhalten will, darf es nicht einschneiden, oder? Sonst lappt das so.
STUCKRAD-BARRE:
Sonst liegen die Beweise zu deutlich vor.
SUTER:
Genau. Die hängen dann über dem Gummizug der Badehose. Deswegen habe ich mich entscheiden müssen zwischen der Farbe und dem Sitz. Und da habe ich mich für den Sitz entschieden.
STUCKRAD-BARRE:
Aber der Eindruck, den ich von dir haben wollte … Ich hänge noch dieser Formulierung nach. Beim zweiten Nachdenken will ich genau diesen Orangene-Badehose-Eindruck von dir haben, weil der so schön gegen den anderen arbeitet, gegen das andere Bild, das Klischee: Martin Suter, der soignierte Schweizer, ehemalige Werber, Weltbestseller, lebt in Dings und Bums – diese Stereotypen, die dann alle losprasseln. Und natürlich auch alle stimmen, das kommt ja noch hinzu. Da passt dann auch, dass du eine Menge Haargel verwendest. Ein nun doch außerliterarisches Kriterium, das aber in Porträts über dich – und sogar Buchbesprechungen – regelmäßig zur Anwendung kommt. Speziell in so
Zeitschriften, Zeitungen, Medien, die ein doch tiefgründigeres Selbstbild haben, gerade dort ist, wenn es um dich geht, auffallend ausgiebig die Rede von Äußerlichkeiten, immerzu. Ich finde das sehr oberflächlich – dass die dich oberflächlich finden.
SUTER:
Ja, das ist wahr, es wundert mich auch immer mehr. Je älter ich werde, desto seltsamer ist es, dass man über die Kleidung schreibt bei mir. Ich habe zwar mein ganzes Leben lang, mit einer kürzeren Hippie-Unterbrechung von ein paar Jahren vielleicht …
STUCKRAD-BARRE:
Bitte was? Wann war die denn?
SUTER:
Ende der sechziger Jahre war die erste, und dann so Mitte der siebziger die zweite.
STUCKRAD-BARRE:
Und abgesehen von diesen beiden Hippie-Unterbrechungen hast du immer Anzüge getragen?
SUTER:
Ja. Es gibt auch Kinderfotos von mir, Jugendfotos mit Krawatte auf dem Fahrrad. Ich habe auch als kleiner Junge Anzug getragen. Da kam eine Störschneiderin zu uns. Die hat in einer Mansarde kleine Anzüglein genäht für mich.
STUCKRAD-BARRE:
Wirklich?
SUTER:
Ja. Da gab es ein schönes Jackett und dann im gleichen Material für den Winter Knickerbockers.
STUCKRAD-BARRE:
Wie hat sich das denn ausgewirkt auf dein Image in der Schule?
SUTER:
Da war ich erst sieben. In der Zeit war es gerade so vorbei, dass man lange Hosen für Knaben als Besonderheit betrachtete. Ich habe auch Sommeranzüglein gehabt aus Baumwolle. Das sah aus wie ein himbeerfarbener Safarianzug mit kurzen Hosen. Die Eltern nannten
es das »Epeerigwändli«, Erdbeergewändchen. Und auch Tweed-Anzüglein hatte ich. Ich habe immer gerne Anzüge getragen. Aber es gibt auch die, die im Alter diese Lumber tragen.
STUCKRAD-BARRE:
Die was?
SUTER:
Das sind so beige Sportjacken.
STUCKRAD-BARRE:
Aha. Oh. Modehospiz.
SUTER:
Oder auch diese Schuhe mit Klettverschlüssen. Und dann gibt es die anderen Männer, wie mich, die denken: Es lenkt vielleicht ein bisschen von meinem Aussehen ab, wenn ich einen hübschen Anzug und eine schöne Krawatte trage.
STUCKRAD-BARRE:
Genau, es ist eigentlich doch ein angenehmes Non-Statement. Der Anzug bedeutet: Ich bin so angezogen, dass wir nicht über Kleidung diskutieren müssen. Und dann wird genau das aber doch zu einem Statement erhoben. Ich habe zum Beispiel am Anfang meines Bücherveröffentlichens und Lesungenmachens und so immer Anzüge getragen, weil ich es so angenehm fand, dass dann alle Selbstgesprächsfragen diesbezüglich – was ziehe ich nur an und was könnte das bedeuten – beantwortet waren durch ebendiesen Anzug und ich mich auf andere Sachen konzentrieren konnte. Genau das aber wurde aufgefasst als Überheblichkeit und Oberflächlichkeit oder so was. Immer Anzug! Schnösel! Glaubt wohl, er wäre … und so weiter. Das hat mich dann immer eher amüsiert. Hm. Nein, Quatsch, Automatikkoketterie – es hat mich: verunsichert damals. Ich habe es schlicht nicht begriffen: Dass gerade solche Kritikeinrichtungen, die doch scheinbar – vorgeblich! – Texte
verhandeln, dass gerade die also schafsblöd einen der Oberflächlichkeit zeihen – indem sie genau das tun: oberflächlich sein! Einem Anzug auf den Leim gehen. Eine Frisur rezensieren: dein legendäres Haargel, die Maßanzüge. Strafverschärfend darunterliegend sowieso immer: war teuer, und dann auch noch in Schweizer Franken!
SUTER:
Meine Damen und Herren, übrigens, das sehen Sie nicht: Benjamin von Stuckrad-Barre sitzt hier in einem Anzug.
STUCKRAD-BARRE:
Ja, natürlich. Und zwar, weil ich Martin Suter besuche.
SUTER:
Aha.
STUCKRAD-BARRE:
Na, das ist Anpassung an die Umgebung. Ich trage sonst immer weiße Jeans und in irgendeiner Form etwas Blau-Weiß-Gestreiftes als Oberteil. Aber da ich ja heute früh wusste, dass wir beide später hier zusammensitzen werden, fand ich es angenehmer, wenn das alles überhaupt gar kein Thema ist und wir beide im weitesten Sinne dunkle Anzüge tragen. Dass das für uns beide dann angenehmer ist, dachte ich. Und sang beim Gehen vor mich hin, damit ich weiß, dass ich noch bin.
SUTER:
Das ist wahr, ja.
STUCKRAD-BARRE:
Man ist nicht nackt – Thema erledigt. Angemessen gekleidet! Bei einer Begegnung durch Kleidung aufzufallen, verhindert geradezu, dass man auch noch gedanklich auffällig werden könnte.
SUTER:
Was trugst du denn damals in Heiligendamm? Ich hatte eine Art …
STUCKRAD-BARRE:
Du hattest eine orangene Badehose an, Martin.
SUTER:
Und du hattest eine mit Palmen, oder?
STUCKRAD-BARRE:
Richtig. Eine türkise Badehose mit Palmen und Flamingos. Jetzt ist es raus. Die meine Frau ausgesucht hatte, was ich immer schön finde bei solch schwierigen Sachen. Badehosen, meine Güte. Kann man eigentlich nur falsch machen. Also befragt man besser direkt die Zielgruppe. Und es fällt viel leichter, dann auch offensive Farb- und Musterentscheidungen zu vertreten, wie eben die pinken Flamingos auf türkisem Grund, wenn es von einer Frau ausgesucht wurde.
SUTER:
Natürlich, natürlich.
STUCKRAD-BARRE:
Es wäre doch sehr seltsam gewesen, wenn ich jetzt hier in einem Anzug mit pinken Flamingos bei dir erschienen wäre. Das wäre etwas mühsam, finde ich.
SUTER:
Ja, aber auch das wird überschätzt. Dass ich immer einen Anzug trage, heißt ja nicht, dass ich etwas gegen Leute habe, die keinen Anzug tragen. Also so tolerant bin ich, dass man anziehen kann, was man will.
STUCKRAD-BARRE:
Ich fühle mich in deiner Gegenwart wohler in einem Anzug. Selbst wenn du gerade vom Golfplatz kommst – noch so eine Äußerlichkeitsschablone, die natürlich vollkommen zutrifft. Und der Anzug des Golfplatzes ist natürlich gerade: kein Anzug. Chino-Hose, Strickjacke. Aber tatsächlich, ich empfinde es zumindest so, dass all das in der Berichterstattung über dich, in Rezensionen deiner Bücher, in Porträts und so immer eine große Rolle spielt. Ich glaube, gerade, dass es dir so schön egal ist, ereifert diese Leute. Die Kleidungsfrage ist für dich schlichtweg beantwortet – es ist ein
Anzug. Fertig. Und es ist tagsüber vielleicht eine Strickjacke zur Anzughose, die wird dann gen Abend getauscht gegen das Jackett. Und es ist ein weißes Hemd. Und es ist eine Krawatte. Thema erledigt. Aber nur für dich, offenbar. Denn diese Schaufensterpuppenparameter tauchen immer wieder auf. Sie vereinfachen die Dinge. Als Höhepunkt der Originalität wird dann empfunden, dich zu fragen, ob du auch Jeans besitzt oder eine Jogginghose. Da wird dann routiniert Karl Lagerfeld zitiert, Kontrolle über sein Leben verloren und so weiter, und man schläft sanft ein.
SUTER:
Ja, ja.
STUCKRAD-BARRE:
Kannst du das vielleicht ein für alle Mal beantworten: Finden sich im Kleiderschrank von Martin Suter Jeans?
SUTER:
Nein, das habe ich schon oft beantwortet.
STUCKRAD-BARRE:
Ich weiß. Ich will es aber jetzt und für immer klären und diese Frage somit auch für künftige Befragungen untersagen: Du besitzt also keinerlei Jeans?
SUTER:
Ich besitze keine Jeans, aus verschiedenen Gründen. Erstens habe ich das Jeansalter überschritten.
STUCKRAD-BARRE:
Aha! Wann?
SUTER:
Ich finde, wenn man nicht Cowboy ist von Beruf, dann sollte man so ab fünfzig nicht mehr unbedingt in Jeans herumgehen.
STUCKRAD-BARRE:
Die meisten Cowboys sind ja über fünfzig, auch in der Altersteilzeit schon. Es gibt ja wenige Cowboys unter fünfzig.
SUTER:
Ja. Aber man kann zum Beispiel auch ein alternder Cowboy sein.
STUCKRAD-BARRE:
Wenn man das Leben als Marlboro-Werbespot würdig zu Ende führen will, dann geht das. Ist aber natürlich sowieso eine Contradictio in adiecto. Was jetzt als Formulierungsbeiläufigkeit doch ein gekonnt drapiertes Einstecktuch war, oder nicht?
SUTER:
Ja, ich staune. Es ist aber schon auch ein etwas zu signalfarbenes Einstecktüchlein, mein Lieber. Es ist fast schon eine Badehose, nicht wahr? Aber zurück zu den Jeans.
STUCKRAD-BARRE:
Oh, das wäre ein guter Werbeslogan für unser Buch: Aber zurück zu den Jeans!
SUTER:
Dem Jeansalter also bin ich entwachsen, und der andere Grund ist: Jeans, klassische Jeans,
501
oder Lee, die haben alle zu kleine Taschen. Und ich habe immer so allerlei bei mir.
STUCKRAD-BARRE:
Ach! Du hast deine Brille und so was dabei, in der Hosentasche?
SUTER:
Ich habe eine Brille dabei, einen Schlüsselbund, ein Portemonnaie für Münzen.
STUCKRAD-BARRE:
Münzen? Du hast Münzen? Enttäuschend.
SUTER:
Und ich habe auch ein Taschenmesser dabei.
STUCKRAD-BARRE:
Und das Aufgezählte also passt nicht alles in eine Jeans?
SUTER:
Nein, das passt da nicht rein.
STUCKRAD-BARRE:
Wie wäre es mit einem Jeansanzug? Auch nicht, nehme ich an. Erst recht nicht!
SUTER:
Das ist mir dann ein bisschen zu horstbuchholzig. Oder?
STUCKRAD-BARRE:
Mit dieser Referenz kann nun kaum
mehr jemand was anfangen, also ist sie perfekt. Rätsel sein! Ja, ein Jeansanzug – besser lässt es sich nicht sagen – wäre ein bisschen zu horstbuchholzig. Absolut. Und zwar der heutige Horst Buchholz. Six feet under. Also gut, dennoch aber sagen wir: Signalfarbene Badehose, wenn der Sitz stimmt, warum nicht?
SUTER:
Genau. Und man ist ja sowieso meistens sehr schön verborgen in den Strandkörben.
STUCKRAD-BARRE:
Das stimmt. Auf dem werblichen
AUTORENFOTO
, das man in Heiligendamm in einer Faltbroschüre sieht, wenn Martin Suter wieder einmal liest, bloß um drei Nächte nicht bezahlen zu müssen, was ja eine ehrenvolle Begründung ist, auf diesem Foto trägst du dann allerdings einen Anzug. Und es ist Champagner arrangiert auf diesem kleinen Klappbrettchen an der Seite: Das ist das offizielle Strandkorbfoto von dir. Da hast du mitnichten eine Badehose an. Und schon gar keine orangefarbene.
SUTER:
Nein, da habe ich einen Anzug an und Krawatte. Natürlich.
STUCKRAD-BARRE:
Angenehmerweise. Alles andere hätte mich auch stark irritiert, auf ungute Weise.
SUTER:
Ich lasse mich natürlich nie fotografieren in …
STUCKRAD-BARRE:
In einem Schwächemoment.
SUTER:
… in der leuchtfarbenen Badehose.
STUCKRAD-BARRE:
Vielleicht ein Fehler, wenn wir so darüber sprechen.
SUTER:
Also, früher habe ich mich schon auch mal leicht bekleidet fotografieren lassen, aber da war ich dreißig, vierzig Jahre jünger. Kürzlich bin ich wieder auf so ein
Foto gestoßen, und das konnte sich sehen lassen, mein Lieber.
STUCKRAD-BARRE:
Da bin ich mir sicher. Schade, dass ich das verpasst habe.
SUTER:
Ich zeige es dir dann.
STUCKRAD-BARRE:
Bei welcher Gelegenheit bot sich dir die Möglichkeit oder Notwendigkeit, eine halbnackte Fotografie erstellen zu lassen?
SUTER:
Am Strand, auch am Strand.
STUCKRAD-BARRE:
Von wem für was? Private Zwecke?
SUTER:
Meine Frau hat mich fotografiert.
STUCKRAD-BARRE:
Das zählt als privat. Normalerweise trennt man ja zwischen Ehe und Privatleben. Aber hier zählt das als privat.
SUTER:
Ja. Und wahrscheinlich hat sie es präventiv als Erinnerung fotografiert, dass sie es dann mal in zwanzig Jahren anschauen kann.
STUCKRAD-BARRE:
Schau nur, wie schön wir waren, wie glücklich, wie zugewandt – und was nun aus uns geworden ist! Atomarer Erstschlag in einem Gespräch.
SUTER:
Oder dass sie es vielleicht braucht, um sich ab und zu wieder zu erklären: Warum bin ich mit dem zusammen? Das könnte auch sein.
STUCKRAD-BARRE:
Also Bademoden gegen das Vergessen.
SUTER:
Genau. Es gibt eine zweite Regel, wie ich mich nicht mehr fotografieren lasse, das ist …
STUCKRAD-BARRE:
Mit der Hand am Kinn?
SUTER:
… in der Sonne.
STUCKRAD-BARRE:
Ja? Ist Sonnenlicht nicht besonders schmeichelhaft?
SUTER:
Nein. Man sieht jede Pore und jede Runzel. Und natürlich hast du recht: Die Schriftstellerposition mit der Hand im Gesicht oder so aufgestützt …
STUCKRAD-BARRE:
Furchtbar!
SUTER:
… furchtbar! Und meine Frau sagte, noch ein zusätzliches Argument dagegen ist: Die Farbe der Hand und die Farbe des Gesichts, die stimmen nie überein.
STUCKRAD-BARRE:
Aha.
SUTER:
Da hat sie auch recht.
STUCKRAD-BARRE:
Blau und orange.
SUTER:
Und was ich auch nicht mehr mache, ist bei Fernsehaufnahmen den sogenannten Gang.
STUCKRAD-BARRE:
Ja, der Gang!
SUTER:
Den kennst du auch. O ja, der Gang.
STUCKRAD-BARRE:
Das wird hinterher als Schnittbild benutzt. Man hat so ein bisschen melancholisch auf und ab zu latschen,
FLANIEREN
ist das Ziel, aber man sieht eigentlich immer aus, als ob man gerade aufs Klo müsste.
SUTER:
Oder man läuft im Passgang oder irgendwas.
STUCKRAD-BARRE:
Der Gang ist herrlich. Treppe rauf, Treppe runter. Verschwinden ist auch toll.
SUTER:
Wenn in der Tagesschau ein Bericht kommt oder sonst ein Bericht, dann …
STUCKRAD-BARRE:
In der Tagesschau ein Bericht über dich?
SUTER:
Ja, manchmal.
STUCKRAD-BARRE:
Wirklich?
SUTER:
Ja, ja.
STUCKRAD-BARRE:
Das ist aber toll. Wobei man einschränkend sagen muss: in der Schweizer Tagesschau, oder?
SUTER:
In der Tagesschau der Schweiz. Und die machen am Schluss der Sendung immer noch so was Unseriöses, nämlich etwas Kulturelles.
STUCKRAD-BARRE:
Aber das bringt ja immens viel, oder?
SUTER:
Ich weiß nicht, ob es genau gemessen wird, aber der Verlag ist schon …
STUCKRAD-BARRE:
Aufgeregt.
SUTER:
… nie dagegen, wenn die sagen: »Wir bringen dann was in der Tagesschau.« Aber es kann natürlich auch blöd ausgehen – wenn man in Österreich bei
Zeit im Bild
vorkommt und das ein verächtlicher Verriss ist. Dann denkt man, ja, man hätte es vielleicht doch lieber abgesagt.
STUCKRAD-BARRE:
Hätte man doch auf diesen Gang besser verzichtet! Wobei, wenn es direkt davor um eine brennende Krisenregion ging, hat es schon auch einen Grad der Komik: der Gang! Kultur als Wetter eigentlich.
SUTER:
Ja, genau.
STUCKRAD-BARRE:
Wenn du jetzt nur noch in orangener Badehose auftreten würdest, glaube ich, eins, zwei, drei – und die Tagesschau wäre da. Sofort.
SUTER:
Hm ja.
STUCKRAD-BARRE:
Breaking News. Aufregung, Ticker, Hubschrauber. Nein?
SUTER:
Ich bin nicht ganz sicher.
STUCKRAD-BARRE:
Nein, jetzt, wo ich es gerade gesagt habe, bin ich auch nicht mehr so sicher. Bleib lieber beim Anzug.
SUTER:
Ich bleibe beim Anzug, ja.
STUCKRAD-BARRE:
Okay.
SUTER:
Auch dann sieht er noch doof genug aus, der Gang,
oder? Da kommt irgendein Bericht im Fernsehen, der fängt damit an, dass jemand vorbeigeht, dann weißt du: Aha, da kommt gleich ein Interview mit dem oder mit der. Und prompt: Schnitt.
STUCKRAD-BARRE:
Zeigt sich nachdenklich! Verletzlich! Suchend!
SUTER:
Ja. Aber manchmal kann ich mich jetzt durchsetzen. In Berlin zum Beispiel, da sollte ich mal den Gang machen, ich glaube, im Park Hyatt war das, und danach wollten sie mich in der Bar interviewen. Da habe ich gesagt, filmt doch anstatt des Ganges einfach, wie ich an der Bar sitze vor einem Drink. Damit können sie ja auch ein Schnittbild machen, und sie können auch diesen Lieblingssatz sagen: Der hier, den interviewen wir dann gleich.
STUCKRAD-BARRE:
Und er ist komplett blau, bleiben Sie dran.
SUTER:
Ja.
STUCKRAD-BARRE:
Würde ich mir auch direkt angucken wollen.
SUTER:
Genau.
STUCKRAD-BARRE:
Das ist sein fünfter Drink. Den sechsten bis achten nimmt er gleich im Interview.
SUTER:
Ja.
STUCKRAD-BARRE:
Also Prost!
SUTER:
Zum Wohl, ja! Auf die …
STUCKRAD-BARRE:
Auf den Gang.
SUTER:
… leuchtfarbene Badehose.
STUCKRAD-BARRE:
Aber niemals beides gleichzeitig.