STUCKRAD-BARRE:
Wir haben unseren Familien eben gesagt: »Wir gehen jetzt arbeiten.« Das zeitigte eine Mischung aus Erleichterung und Mürrischsein.
SUTER:
Und welches von beiden war gespielt, welches war echt?
STUCKRAD-BARRE:
Dass wir arbeiten.
SUTER:
Ja, gut, du weißt, für den Schweizer ist Reden auch Arbeit, weil er ja laufend übersetzen muss aus einem gutturalen Dialekt ins perfekte Hochdeutsch. Wir müssen immer nachdenken, was wir sagen. Das müsst ihr nicht. Ihr könnt einfach reden.
STUCKRAD-BARRE:
Das täte aber vielen natürlich gut. Also mir auch, aber ich habe andererseits auch Freude, meinem eigenen Reden und Labern hinterherzulauschen und es wieder einzufangen und mich zu entschuldigen – bei den Wörtern selbst zunächst und dann bei dem, was sie angerichtet haben. Das tue ich eh dauernd und obendrein auch noch sehr gern – und Teil des Berufs ist es zudem. Wir arbeiten ja doch beide gern, oder?
SUTER:
Ja. Stell dir vor, ich wäre ja schon längt im Ruhestand, wenn ich nicht Freude an meinem Beruf hätte. Dann hätte ich jetzt …
STUCKRAD-BARRE:
Hobbys.
SUTER:
Ja, genau.
STUCKRAD-BARRE:
Stell dir das mal vor! Hobbys! Was könnte das denn sein?
SUTER:
Ja, bei mir wäre es, glaube ich, Schreiben. Das könnte sein, oder?
STUCKRAD-BARRE:
DAS
HOBBY
ZUM
BERUF
GEMACHT
. In der Kunst wird es dann ganz furchtbar.
SUTER:
Oder umgekehrt: Mit fünfundsechzig habe ich meinen Beruf zum Hobby gemacht.
STUCKRAD-BARRE:
Hast du nicht. Du arbeitest ja wahnsinnig viel. Ich arbeite auch sehr gerne und fasse den Begriff sehr weit, aber Arbeit im Sinne von regelmäßig und verlässlich Ergebnisse erzeugen, Dinge beenden, da jagst du mir doch großen Schrecken und Existenzängste ein. Zwar gehe ich beherzt zur Sache, verliere mich aber auch permanent darin. Das machst du irgendwie nicht so.
SUTER:
Mich in der Arbeit verlieren? Nein. Und im Schrecken-Einjagen bin ich eigentlich … Puh, das freut mich jetzt. Das ist, glaube ich, das erste Mal, dass ich das geschafft habe. Als Kind habe ich bei uns im Keller mal eine Geisterbahn gebaut aus Decken, da mussten die Nachbarkinder hineinkriechen. Und ich fasste von draußen mit einer schwarzen Hand hinein: Huhuhu! Und nie ist jemand erschrocken.
STUCKRAD-BARRE:
Aber das war nicht jener schwarze Handschuh, mit dem du mal diesen schwarzen Fisch für mich zubereitet hast?
SUTER:
Nein, nein, es war kein schwarzer Handschuh, es war nur meine mit Kohle schwarzgefärbte Hand.
STUCKRAD-BARRE:
Na ja, gut, man hörte dich natürlich auch und wusste, dass man sich jetzt dir zu Ehren erschrecken muss.
SUTER:
Aber niemand hat es getan. Niemand hat es für nötig gehalten, auch nur so zu tun.
STUCKRAD-BARRE:
Höflicherweise zu rufen: »Hu! Was hab ich mich jetzt erschrocken!« Das kann man schon machen, ja. Also, ich zum Beispiel habe vorhin so getan, als ob: Inga wollte mich erschrecken, ich hatte sie aber schon gehört. Am Pool kam sie von hinten und hat mit der Hand so eine Art Vogelspinnentanz in meinem Nacken ausgeführt. Und ich habe dann auch ganz vorschriftsmäßig: »Huch!« ausgerufen. Das hätten die Nachbarkinder ruhig auch tun können bei dir.
SUTER:
Ja, das finde ich auch.
STUCKRAD-BARRE:
Das kostet einen doch nichts. Was hattest du denn noch für Attraktionen in der Geisterbahn, außer deiner rußigen Hand?
SUTER:
Na, ich hatte noch eine andere, die war unbeliebt. Wasser, weißt du?
STUCKRAD-BARRE:
Reingeschüttet?
SUTER:
Ja, so: Baff! Plötzlich kam Wasser. Vielleicht rief ich: »Blut!«
STUCKRAD-BARRE:
Das ist natürlich auch erschreckend. Auf ganz anderer Ebene als intendiert, man denkt, der Junge muss in die Klinik, auf nach Herisau. Da war ja Robert Walser. Ich wollte, als ich in der Schweiz war, immer unbedingt in diese Klinik. Das ging von der Krankenkasse her aber leider nicht. Von meinem damaligen Lebensstil her aber durchaus, also, an mir lag es nicht!
Ich wollte unbedingt nach Herisau, weil da ein Lieblingsbuch von mir spielt, das habe ich dir auch mal geschenkt: Wanderungen mit Robert Walser
von Carl Seelig. Das ist ganz toll. Das ist fast so schön wie bei Fitzgerald, wenn er Zelda besucht hat in der Klinik und ihr immer dieses Krokant mitgebracht hat, das sie nicht essen durfte. Da sind sie sonntags immer mit einer Schachtel voller Krokant herumgefahren. Ja, sollte man lesen, Carl Seeligs Wanderungen mit Robert Walser
. Solltest vor allem du endlich mal lesen. Ich habe dir das vor über zwei Jahren doch geschenkt! Wäre ja schön, wenn du das auch mal …
SUTER:
Kommentieren würde, okay.
STUCKRAD-BARRE:
Dich bedanken für diese Anregung, ja, mir zu meinem beeindruckenden geistigen Gestirn gratulieren, irgend so was. Andererseits hast du mir – dreimal sogar, glaube ich – die Gesamtausgabe von Somerset Maugham geschickt. Und dazu habe ich mich ja auch nie je geäußert. Es passiert also den Besten.
SUTER:
Hast du die denn eigentlich je bekommen?
STUCKRAD-BARRE:
Tja, wenn ich das nur wüsste! Die sind irgendwie im Chateau Marmont verschüttgegangen, und zwar sogar noch bevor sie mich erreicht haben. Aber sie wären auch danach verschüttgegangen, in meiner Chaosbude da.
SUTER:
Aber eine Sendung ging auch nach Berlin.
STUCKRAD-BARRE:
Ja, gut, das ist noch unsicherer.
SUTER:
Das waren die gesammelten Erzählungen.
STUCKRAD-BARRE:
Aber meine Berliner Wohnung – also, dagegen ist deine damalige Kellergeisterbahn ein Juwelierschaufenster gewesen.
SUTER:
Ich hatte übrigens nicht nur eine Geisterbahn. In der Nacht, im Bett, wenn ich nicht schlafen konnte, habe ich mir noch eine andere Bahn ausgedacht. Da thronte ich vorn, und hinten, stellte ich mir vor, saßen ungefähr zwanzig Kinder. Das habe ich gebaut, und vielleicht setzte sich einmal ein Nachbarskind höflicherweise rein. Ich nannte es: das MarSutBähnchen. Von Martin Suter.
STUCKRAD-BARRE:
Oh!
SUTER:
Ist das nicht schon ein Hinweis auf meine spätere Texterkreativität?
STUCKRAD-BARRE:
Ein starker Egozentrismus natürlich auch.
SUTER:
Ja, gut, ja, ja.
STUCKRAD-BARRE:
Aber natürlich klar erkennbar schon die wahnsinnig frühe Fähigkeit zu Verdichtung, Slogan, Trademark: MarSutBähnchen. Phantastisch. Du saßest also – natürlich! – vorne. Und womit hattest du diese Bahn gebaut? Mit Tischen, Stühlen?
SUTER:
Ja. Und aus Decken. Und diesen Stangen. Die kennst du sicher nicht mehr.
STUCKRAD-BARRE:
Stangen? Die aus dem Bus, diese Virenparadiese zum Dranfesthalten können es ja nicht gewesen sein, die hat man ja nicht einfach so im Kinderzimmer, normalerweise. Oder doch?
SUTER:
Nein. Es gab früher so Holzstangen, die man benutzte, wenn man die Wäsche trocknete. Wenn man die Leintücher aufhängte, unterstützte man die Wäscheleine mit so einer Stange. Damit konnte man aber auch allerhand andere gute Sachen machen, zum Beispiel eben das MarSutBähnchen. Oder auch einen Wigwam.
STUCKRAD-BARRE:
Als du da schon so extrem früh kommerziell zu denken in der Lage warst und wusstest, I is the message, MarSutBähnchen, hast du da denn diesem einen Kind, das du zur Mitfahrt hast überreden können, dann auch ein Ticket verkauft oder wenigstens so getan, als ob? Mit Abstempeln und so?
SUTER:
Einmal habe ich eine Swissair-Pilotenmütze geschenkt bekommen zu einem Geburtstag oder zu Weihnachten. Da gibt es noch Fotos von mir. Aber von der Kondukteur-Schildmütze, die ich mal geschenkt bekommen habe, gibt es leider keine.
STUCKRAD-BARRE:
Schaffner ist Kondukteur?
SUTER:
Kondukteur, ja, das ist der Schaffner.
STUCKRAD-BARRE:
Okay, eine Schaffnermütze hattest du also schon mal. Hattest du auch so eine Bauchtasche? Das wäre ja ein erster Schritt zum Geldverdienen.
SUTER:
Eine rote Tasche hatte ich – und eine Zange zum Lochen.
STUCKRAD-BARRE:
Siehst du! Und hattest du auch schon kleine Zettel, wo lange vor Erfindung des Internets deine Website draufstand?
SUTER:
Ich nehme es schon an, ja. Bestimmt.
STUCKRAD-BARRE:
Vielleicht mit Probeabos gleich auf der Karte. Das wäre toll gewesen. Einfach hoffen, dass es das mal geben wird, das Internet, irgendwann.
SUTER:
Ja, genau.
STUCKRAD-BARRE:
Das ist ja in der Schweiz erfunden worden, oder? Im
CERN
.
SUTER:
Das meiste ist in der Schweiz erfunden worden, nur sagt man das nicht. Das MarSutBähnchen zum Beispiel.
STUCKRAD-BARRE:
Hast du dir dafür das Copyright gesichert, ein Patent?
SUTER:
Ja, ja, das habe ich. Mit Tesla habe ich da einen Vertrag.
STUCKRAD-BARRE:
Und der greift dann so richtig, wenn alle so weit sind? Auf dem Mars vielleicht – das
MARS
utBähnchen.
SUTER:
Das läuft schon.
STUCKRAD-BARRE:
Asien, Indien, das sind natürlich auch Riesenmärkte für dieses Bähnchen. Ah, das freut mich sehr für dich. Eine fast klassische Garagengründergeschichte. Vor der baldigen Weltmarktbeherrschung aber war also das mit diesen Wäschetrocknungsstangen und den Wolldecken und der Mütze gewissermaßen schon mal das Üben vom Geldverdienen. Trockenschwimmen: ein Geschäftsmodell ersinnen und dessen Markteinführung mit den Nachbarskindern durchspielen.
SUTER:
Auch das Stanzen.
STUCKRAD-BARRE:
Das Stanzen ist ganz wichtig. Mit so einer Gürtel-Lochzange?
SUTER:
Genau. Mein erstes Geld habe ich wirklich mit Stanzen verdient.
STUCKRAD-BARRE:
Machst du ja heute noch. Ha!
SUTER:
Mache ich das heute noch? Ja.
STUCKRAD-BARRE:
Nein, machst du nicht. Du schreibst keine Stanzen. Das war nur ein Scherz, der da eben rumlag, der musste aufgenommen werden. Das muss ich ja machen.
SUTER:
Natürlich. Das ist ja dein Beruf.
STUCKRAD-BARRE:
Vorsicht! Ja, das ist dieser
Witzeleizwang. Also das eine Jahr, das ich für Harald Schmidt Witze geschrieben habe, das ist eigentlich das einzige Arbeitsverhältnis, für das ich – bei Vorhandensein und wenn es gefordert worden wäre – sogar Geld gezahlt hätte. Ach, dieses Jahr dort bei Schmidt, das war so wundervoll. Und dass ich dafür ja sogar noch Geld kriegte, für das, was ich sowieso am liebsten fast tue, frühmorgens alle Zeitungen durchpflügen, in Windeseile und mit geschärften Augen für die sehr gute Fundamentalfrage: Wo ist der Witz? Bis neun Uhr musste man die Themen haben, sechs Themen. Und dann bis zwölf Uhr versuchen, ONELINER
zu schreiben. Das wirst du nie mehr los, dieses Denken, wunderbarerweise. Bis heute einer meiner besten Freunde ist der, mit dem ich damals dort ein Büro teilte. Und wir haben noch immer diese Nerd-Ebene des Tageswitzelns. Ob blöd, originell, unsagbar – ganz wurscht. Bei manchen Gags, die der Tag so erzeugt, weiß ich, die versteht nur er, die verzeiht auch nur er, und die machen ihm direkt Freude. Er ist der Einzige, mit dem ich das vollends ausleben kann, dieses Dauerwitzeln. Gerade heute haben wir einander wieder mal ein paar Gags geschickt, im Pingpong-Verfahren, so ein halbes Stündchen lang, frühmorgens. Nur so, für uns. Man weiß einfach, der andere hat immer eine Replik! Das ist ein sehr schönes Ritual, weil man dann kurz wieder gedanklich an diesem Tisch in Köln einander gegenübersitzt. Deswegen musste ich das eben mit der Stanze einfach sagen. Das geht gar nicht anders. Es muss dann raus. Stanzen, Geld mit Stanzen verdienen, Doppelbedeutung des Wortes – und dann muss gesagt werden: Das machst
du ja heute noch. Und dann – da ist es – dem eigenen Witz hinterherrennen und gucken, ob es Verletzte gibt.
SUTER:
Ich habe auch einen sehr alten Freund, inzwischen sind wir beide alte Freunde geworden, mit dem ich Witze mache, die nur er und ich verstehen.
STUCKRAD-BARRE:
Das ist doch herrlich, oder?
SUTER:
Ja. Und weißt du, woher das kommt? Vom Schwarzen Afghan. Als wir so gut zwanzig waren, haben wir Schwarzen Afghan gepafft.
STUCKRAD-BARRE:
Sagt man Afghan?
SUTER:
Ja.
STUCKRAD-BARRE:
Wir sagten immer Schwarzer Afghane.
SUTER:
Nein, wir sagten Afghan.
STUCKRAD-BARRE:
Klingt viel weltläufiger. Sage ich ab sofort auch. Andererseits brauche ich den Begriff wie auch das Zeugs zu selten – nämlich nie. Egal, das also habt ihr immer gepafft?
SUTER:
Ja. Das ist ein Gigeli-Shit, da musste man einfach unglaublich lachen. Ich habe dann aufgehört …
STUCKRAD-BARRE:
Zu lachen?
SUTER:
… zu rauchen mit der Zeit, weil ich dachte: Du fängst an durchzudrehen. Auch völlig nüchtern musste ich wahnsinnig lachen, über das blödeste Zeug.
STUCKRAD-BARRE:
Das muss ich auch, und das ganz ohne Schwarzen Afghanen oder Afghan. Ich muss sehr oft unkontrolliert lachen, vor allem in ernsten Situationen.
SUTER:
Ja, gut, das ist dann wieder …
STUCKRAD-BARRE:
Eine andere Deformation. Aber hilft! Hilft wirklich enorm.
SUTER:
Ich habe mal gesagt: »Eins nach dem anderen wie
in Zermatt.« Und das fanden wir wahnsinnig lustig. Es heißt ja im Original »wie in Paris«. Eins nach dem anderen wie in Paris. Wie wenn man Schlange steht vor dem Bordell.
STUCKRAD-BARRE:
Also eine nach der anderen dann?
SUTER:
Nein, nein, es geht um die Männer, die sagen: Einer nach dem anderen wie in Paris. Und wir haben gesagt: Einer nach dem anderen wie in Zermatt. Das fanden wir so lustig, weil aufs Matterhorn klettert ja auch einer nach dem anderen rauf.
STUCKRAD-BARRE:
Aha. Na gut, das ist wirklich Special Interest.
SUTER:
Das fanden wir zum Totlachen. Dann habe ich das vergessen, bis ich
Die dunkle Seite des Mondes
geschrieben habe. Da gibt es ja auch so langfristige Humornebenwirkungen. Das verdanke ich eben dem Schwarzen Afghan und dem
NNG
.
NNG
kennst du nicht, oder?
STUCKRAD-BARRE:
Nein.
SUTER:
Natural Nigerian Grass.
STUCKRAD-BARRE:
Ich war überhaupt nie ein Kiffer.
SUTER:
Natural Nigerian Grass habe ich auch schon als Konfitüre probiert von Fela Kuti. Das habe ich dir ja schon erzählt. Das ist ja auch eine Nachwirkung, das Wiederholen, oder?
STUCKRAD-BARRE:
Ja, aber du triffst hier natürlich auf ein Drogenwrack, und insofern …
SUTER:
Kann ich dich damit nicht beeindrucken?
STUCKRAD-BARRE:
Nein. Doch. Aber ich nehme es natürlich gar nicht wahr als Wiederholung, höre es praktisch erneut zum ersten Mal, feiere die Novität und denke mir:
Wir haben uns doch immer noch was Neues zu erzählen, herrlich. Aber ein Kiffer? Das bringe ich mit dir nicht zusammen. Gestern hast du mir ein Jugendbild gezeigt von dir. Also da hattest du unstrittig nicht die erste Arbeit, sondern deinen ersten Beruf.
SUTER:
Ach ja, gut.
STUCKRAD-BARRE:
Da warst du ganz der schnittige Jungmann, erfolgreich, Krawatte. Und so überhaupt nicht phänotypisch wie ein Kiffer, eher wie ein Kokser. Genauer: wie in einem Warnwerbespot des Bundesgesundheitsministeriums ein Kokser dargestellt würde. So sahst du aus.
SUTER:
Was ich mitbekommen habe, ist nur …
STUCKRAD-BARRE:
Wenn sie nervig wurden?
SUTER:
… wenn die so viel geredet haben, so einen Quatsch immer. Da hat mir mal einer gesagt: »Ja, weißt du, warum der so viel quatscht?« Und ich: »Himmel, das sagt man mir erst jetzt, nach so vielen Jahren?«
STUCKRAD-BARRE:
Aber du weißt, dass ich hier nüchtern sitze?
SUTER:
Ja, ja.
STUCKRAD-BARRE:
Und ich quatsche trotzdem viel.
SUTER:
Das schon, aber du kannst auch ab und zu zuhören. Das können die ja nicht.
STUCKRAD-BARRE:
Nein. Sie machen zwar manchmal eine kurze Redepause, aber da sammeln sie nur neue Selbstbegeisterung. Das sind allerdings die Amateurkokser.
SUTER:
Die überraschenden Pausen, da bist du auch als Zuhörer überrumpelt: Warum plötzlich jetzt eine Pause?
STUCKRAD-BARRE:
Jetzt hast du die Chance. Und man will
ja eigentlich die ganze Zeit nur sagen: Du, das ist jetzt ganz schön viel auf einmal, das muss ich erst mal sacken lassen, aber wirklich schön, dass du mal wieder so ausführlich mit dir sprechen konntest. Das ist furchtbar, diese Amateurkokser, die einen dann so vollsabbeln in Selbstekstase. Wenn man aber so richtig zünftig süchtig ist, dann richtet sich ja alles nurmehr ganz nach innen. Ich habe das ja eine ganze Weile hauptberuflich gemacht. Vorbei, vorbei. Gab’s auch wenig Geld dafür übrigens. Aber mein erster Job war natürlich auch nicht Kokain-Nehmen. Also, noch mal zu der Unterscheidung zwischen Arbeit und Beruf: Jetzt arbeiten wir gerade, das haben wir unseren Familien vorhin gesagt. Aber tun wir das auch wirklich? Wie Arbeit kommt es mir nicht vor. Jedoch gehen wir gerade unstrittig unserem Beruf nach. Oder üben wir ihn aus? Ach, wir machen eben so mit Wörtern rum, alles wie immer eigentlich. Wie ich fasst auch du das ja sehr weit, was der Beruf ist. Das ist ja das Schöne an ihm.
SUTER:
Ja.
STUCKRAD-BARRE:
Dass die meisten Einzeldisziplinen doch Freude bereiten.
SUTER:
Ja. Also ich finde, das Schöne an dem Beruf sind alle Disziplinen eben. Ich habe sicher schon hundertmal erzählt, dass wir einen Schreiner in Guatemala hatten. Habe ich erzählt, oder? Aber womöglich hast du auch das längst wieder vergessen.
STUCKRAD-BARRE:
Ja, meine jahrelange Drogenabhängigkeit macht sich jetzt einfach bezahlt. Erzähl es also einfach noch mal.
SUTER:
Dieser Schreiner in Guatemala also, Don Ricardo hieß er, der hat unser Haus gebaut und auch alle anderen Holzsachen gemacht. Von den Dachbalken bis zu den Salzfässchen hat er alles gemacht, hat gedrechselt, geschnitzt, mit riesigen schweren tropischen Hölzern Dächer gebaut, er hat meinen Schreibtisch gemacht. Man konnte ihn auch bitten: »Schau mal, dieser schöne alte Stuhl, kannst du davon zwölf machen für unseren Esstisch?« Und so weiter. Das, habe ich immer gedacht, das will ich mit meinem Beruf auch können. Ich will eine Gebrauchsanweisung schreiben können, aber auch einen Songtext und einen Roman, Drehbücher – mich eben in allen Disziplinen ausprobieren. Seither mache ich das. Nein, sogar schon bevor ich Don Ricardo kannte, habe ich das gemacht. Und du betreibst unseren Beruf ja auch so. Also was ich zum Beispiel nie gemacht habe, aber sicher auch gerne gemacht hätte, wäre, für Harald Schmidt Oneliner zu schreiben. Das habe ich verpasst.
STUCKRAD-BARRE:
Ja, das war wirklich gut. Als Schule für eine Fertigkeit auch, die sich dann so beimengte in all die anderen Sachen, die ich seither gemacht habe. Da glaube ich fest dran, dass diese Mehrfelderwirtschaft der Monokultur einfach überlegen ist. Sonst hast du immer dieselben methodischen Tricks und wirst auch nie mal überrumpelt von einem ungeplanten Argumentationszugang, wenn du mit den immerselben Instrumenten nur zugreifst auf das, was du erzählen möchtest. Aber wenn du mal was als Witz anlegst, dann wieder etwas als Songtext, mal als Dialog, mal als Erzählung – dieses Variieren der Form, das finde ich als Handwerksbegeisterter wirklich
sehr wichtig. Also Songtexte zum Beispiel. Viele meiner Freunde sind Musiker. Ich habe ganz wenige Autorenfreunde. Da gehörst du zu den wenigen, die ich wirklich mag und in deren Gegenwart mir nicht permanent die Sanduhr Gottes vor den Augen durchrinnt, weil es einfach so wahnwitzig langweilig ist. Musiker sind ganz anders, sind eben diese spielenden Kinder. Ich habe viele Freunde, die einfach immer Musik machen. Und da so ein bisschen mitzutun, mit im Studio zu sitzen, zuzuhören und dann mal zu sagen: Vielleicht das Wort besser nicht, oder besser erst da und da. Und warum nicht hier mal nur Klavier? Oder eine Textzeile, die mir einfällt. Ich würde nie für mich ein Gedicht schreiben, das kann ich nicht. Aber mit einem Partner Songtexte schreiben, das geht und macht mir Spaß, ich intensiviere das gerade. Ich bin dann zwar ehrgeizig, maße mir aber natürlich niemals an, denen irgendwas aufzudrängen und zu sagen: Du, ich weiß das besser, ich habe recht. Dafür habe ich viel zu großen Respekt vor deren Können und Tun. Ich will einfach nur so viel Zeit mit denen verbringen wie möglich, weil mich das wahnsinnig bereichert. So in der Musik drinzusitzen, mitzuerleben, wie sie passiert, das ist das Allerschönste überhaupt. Und dann habe ich manchmal auch das Gefühl, meine Anwesenheit ein bisschen legitimieren zu müssen, weißt du, weil ich einfach so gern da mitmachen möchte, irgendwie, beim Spielen, und sage, also wenn der Moment es gerade zulässt, schon mal: »Das finde ich rhythmisch komisch, da, diese Zeile« oder: »Diese Formulierung ist ein bisschen arg gewöhnlich, dreh die doch mal um« oder so. Und wenn die
dann sagen: »Ach, stimmt eigentlich«, und dann spielen sie es, und es ist tatsächlich besser so – das sind so tolle Momente. Also das ist für mich eine viel größere Bereicherung als für die, ich bin nach solchen Sessions immer über Tage beseelt. Und das bringt einfach andere Saiten in einem zum Klingen, als wenn man immer nur so allein vor sich hin schreibt. Also gerade Kooperationen sind wichtig, um dann wieder völlig weltabgeschnitten alleine sein zu können, wie es ja in unserem Beruf dann doch einfach immer vonnöten ist. Wenn man zwischendurch so mit anderen spielt, auch was wir hier so machen, wir spielen ja wirklich nur, und das ist eben das Tolle: dass das durchgeht als Arbeit. Weil es eben zu unserem Beruf gehört! Und solche Komplizenschaften, Mittäterschaften beschwingen mich so, dass die Sachen, die ich danach wieder allein vor mich hin schreibe, irgendwie besser werden. Das ist dann alles irgendwie aufgefrischt.
SUTER:
Ich kann dir meinen neuesten Songtext ja mal vorlesen. Das ist aber Schweizerdeutsch.
STUCKRAD-BARRE:
Bitte, ja.
SUTER:
Dann versteht niemand ein Wort.
STUCKRAD-BARRE:
Umso besser.
SUTER:
Doch, ein paar verstehen schon was. Also, der Song heißt: Alles ist weiß –
Alls isch wiiss:
Alls isch wiiss
Alls isch liis.
Schwäri Flocke.
Spatze hocke
Uf de Äscht u früüre.
U mer isch am füüre
I de chalte Zimmer.
U ä liise Schimmer
Vore Ahnig, wie immer
I dere Jahresziit,
Wo s Wiiss so liit
Uf em Sims.
Wie öppis Schlimms.
Wie-n-öppis, wo de muesch vertriibe.
Wie-n-öppis, wo mues dusse bliibe.
Öppis, wo d nid chasch ha.
Öppis, wo wäg mues ga.
Öppis, wo d könnsch,
Wo d niemerem gönnsch.
Wo ke Name het.
Öppis näbem Bett.
Wo di nid laat schlafe,
Wo di wetti strafe.
Du ahnsch für was,
Villech für das,
Wo niemerem seisch,
Wo sälber nid weisch.
S liit ungerem Wiiss.
U isch ganz liis.
Das hast du jetzt natürlich alles verstanden.
STUCKRAD-BARRE:
Was ich verstanden habe, ist, dass das auf eine Art Hiphop ist, Rap. So, wie du es vorgetragen hast, ist es Sprechgesang, der so verfließt. Es ist so schön
unehrgeizig gereimt, eine recht phonetische Vorgehensweise. Es geht vordergründig um eine Winterszene.
SUTER:
Genau.
STUCKRAD-BARRE:
Vordergründig. Unterschwellig ist es natürlich wieder dein Kampf mit dem Kokain.
SUTER:
Meinst du?
STUCKRAD-BARRE:
Der Schwarze Afghane in der Geisterbahn mit Kohlenstaub. Du hast den aus deinem Mail-Programm vorgelesen, diesen Songtext?
SUTER:
Ja, weil …
STUCKRAD-BARRE:
Hast du ihn an Stephan Eicher geschickt?
SUTER:
Ja, und der hat mir eben geantwortet, wie gut er ihm doch gefalle.
STUCKRAD-BARRE:
Will er ihn vertonen?
SUTER:
Ja, ja.
STUCKRAD-BARRE:
Das ist ja toll. Wann hast du den geschrieben?
SUTER:
Jetzt dieser Tage, wenn man so am Abend …
STUCKRAD-BARRE:
Also morgens eher nicht Songtexte, das ist mehr eine Abend-Sache, nicht?
SUTER:
Nein, das ist nicht zeitgebunden. Also Poesiepingpong, das ist etwas, was ich am Morgen früh mache.
STUCKRAD-BARRE:
Dann können wir uns jetzt in Pingpong über unsere ersten Jobs unterhalten.
SUTER:
Also gut. Dann fang du an.
STUCKRAD-BARRE:
Ich habe mit einem geistig Behinderten zusammen – alle Witze über die Anzahl der geistig Behinderten in der Gruppe kannst jetzt du machen – gemeinsam einen Wald gerodet. Das war als eine für alle
auch über das Waldstück hinaus weiterbringende Erfahrung angelegt. Und eine solche war es auch, zumindest für das Waldstück. Da lagen gefällte Bäume, und wir mussten Feuer machen aus den Wurzeln und so, die Rodung vollenden.
SUTER:
Also aufräumen eigentlich.
STUCKRAD-BARRE:
Aufräumen und kaputtmachen, also alles, was Spaß macht. Verbrennen. Für zehn Mark pro Stunde.
SUTER:
Puh, zehn Mark pro Stunde.
STUCKRAD-BARRE:
Das war mein erster richtiger Job, also mehr als irgendwie bei der Oma: Geh mal Sahne kaufen, hier, fünf Mark, Rest kannste behalten.
SUTER:
Mein erster Job als Schüler in den Ferien, um Geld zu verdienen, war bei der Post in der Paketzentrale, beim Sortieren.
STUCKRAD-BARRE:
Nach Postleitzahlen oder wie?
SUTER:
Ja. Und du musstest diese Pakete zu verschiedenen Förderbändern tragen. Das Problem war, du trugst sie an diesen Schnüren, an den Paketschnüren, und das schnitt dir immer ein. Die waren meistens schwer, also da hattest du dann so offene Stellen an den Händen am Anfang. Die anderen, die Alten …
STUCKRAD-BARRE:
Die hatten Hornhaut.
SUTER:
… die hatten Handschuhe.
STUCKRAD-BARRE:
Und wie warst du an diesen Job rangekommen?
SUTER:
Da hat man sich gemeldet bei der Post, die brauchten immer Leute, die diese niedrige Arbeit machten. Mit sechzehn oder siebzehn habe ich dann auch mal als
»Mädchen für alles« in einer Filmproduktionsgesellschaft gearbeitet. Eine Aufgabe war dabei besonders interessant, da musste ich einen Taucher spielen. Ich hatte einen Taucheranzug an, einen Gummianzug, und hinter einer Glasscheibe musste ich zwischen Fischen und Pflanzen, die da hingen, so tun, als würde ich vorbeischwimmen, also schräg so die Arme bewegen.
STUCKRAD-BARRE:
Aber stehend noch?
SUTER:
Noch stehend, ja. Ein Werbeclip für eine wasserdichte Uhr. Die musste ich dann so in die Kamera halten.
STUCKRAD-BARRE:
Ist ja wahnsinnig komisch.
SUTER:
Bis plötzlich einer sagte: »Vorsicht! Er brennt!«
STUCKRAD-BARRE:
Du brennst? Das ist ja wie bei Michael Jackson mit dem Pepsi-Spot! Du hast gebrannt?
SUTER:
Ja, nein, ich habe nicht gebrannt.
STUCKRAD-BARRE:
Im Wasser? Also es war ja kein Wasser.
SUTER:
Es war eben dummerweise kein Wasser. Ich trug zwar einen Taucheranzug, eine Taucherbrille, auch einen Schnorchel. Und diese Neoprenanzüge, die sind geschweißt an den Nähten. Man kann sie ja nicht nähen. Und offenbar hat das Material, mit dem man das Neopren zusammenschweißt, einen niedrigeren Schmelzpunkt als das Neopren selbst. Und das schmolz also.
STUCKRAD-BARRE:
Von der Hitze der Scheinwerfer?
SUTER:
Von den Scheinwerfern, genau.
STUCKRAD-BARRE:
Es schmolz, aber es brannte nicht?
SUTER:
Ja, aber es räuchelte dann. Also plötzlich rauchten die Neoprennähte.
STUCKRAD-BARRE:
Was für ein grandios schlechter Werbespot für eine Unterwasseruhr!
SUTER:
Genau.
STUCKRAD-BARRE:
Diese Uhr ist so heiß, sie brennt sogar unter Wasser. Für eine Sonnenuhr wäre es toll.
SUTER:
Das wäre gut gewesen, ja. Und sonst musste ich eigentlich nur Material grau anmalen, also die Kabelrollen und so. Und auf dieses Grau mit Schablonen den Schriftzug »Condor« sprayen, so hieß die Filmproduktion, die gibt’s, glaube ich, immer noch. Später hätte man so die Hauswände vollgesprayt und wäre als Sprayer verhaftet worden.
STUCKRAD-BARRE:
Das wäre eine lustige Imageerweiterung, wenn das jetzt noch rauskäme über dich.
SUTER:
Meine Sprayer-Vergangenheit?
STUCKRAD-BARRE:
Ja, all diese bislang rätselhaften MarSut-Tags, die in den sechziger Jahren das Bild der Schweiz mitprägten.
SUTER:
Ich durfte nur auf bemalte Kabelrollen sprayen.
STUCKRAD-BARRE:
Na, immerhin.
SUTER:
Ich hatte
500
Franken verdient damit. Davon habe ich mir eine Pauke für mein Schlagzeug gekauft. Vielleicht auch noch irgendwas dazu.
STUCKRAD-BARRE:
Du weißt um das Drama,
1984
trug sich das zu, glaube ich, als Michael Jackson diesen Pepsi-Werbespot gemacht hat?
SUTER:
Ich habe mal einen getroffen, der mit Michael Jackson einen Spot gemacht hat. Und Michael Jackson hat gesagt: »Not my face.« Er tanze zwar, aber sein Gesicht dürfe man nicht sehen.
STUCKRAD-BARRE:
Das hätte er mal später ruhig noch ein paarmal sagen sollen, im OP
zum Beispiel: Not my face!
Später war es dann ja, genau genommen, gar nicht mehr seines.
SUTER:
Sein Vater hat dann gesagt: »Das kannst du doch nicht machen. Die zahlen dir eine Million Dollar für diesen kurzen Auftritt, und du willst dein Gesicht nicht zeigen? Das geht nicht, Michael.« Bis Michael schließlich gesagt hat: »Okay, but just for a sec.« Und dann hat er genau für eine Sekunde sein Gesicht gezeigt. Das fand ich sehr lustig.
STUCKRAD-BARRE:
Aber bei einem Pepsi-Spot ging Michael Jackson in Flammen auf! Da haben seine Haare gebrannt, und die Brandverletzungen auf dem Kopf waren so schlimm, dass er starke chronische Schmerzen davontrug, die also seine Abhängigkeit von Betäubungsmitteln evoziert haben. Das war das andere Trauma. Das Urtrauma war der Vater, dieses prügelnde Arschloch, der ja eigentlich immer sagte: »Zeig das Gesicht, mach dies, tu das, damit ich die Millionen einsacken kann!« Der Vater, die Nemesis, klar – und dann eben Pepsi-Cola. Was natürlich eine dieser großen Ironien auch wieder ist, diese All-American Biography. Dass es dann wirklich Pepsi ist, die einen im Grunde ins Grab bezahlen.
SUTER:
Ja, diesen Teil kannte ich nicht. Ich wusste nur: Just for a sec.
STUCKRAD-BARRE:
For a sec! Im Frühstücksfernsehen, das wir ja auch sein wollen hier, würde man das als Überleitung nutzen zum sogenannten »Blick auf die Uhr«. Und ich stelle fest: Wir müssen jetzt aufhören zu arbeiten. Oder sagen wir besser: Wir müssen jetzt aufhören, unserem Beruf nachzugehen, denn jetzt kommt die Arbeit –
wir müssen zu unseren Familien. Das war so verabredet mit denen.
SUTER:
Jetzt kommt die Arbeit.
STUCKRAD-BARRE:
Ja, Schluss mit dem Vergnügen.
SUTER:
Ja. Nein, das kann ich so nicht sagen.
STUCKRAD-BARRE:
Ich auch nicht, deshalb habe ich es ja getan. Das war ja, wenn’s denn einer war, der Witz. Und ein bisschen auch die Wahrheit. Sonst wär’s ja kein guter Witz.
SUTER:
Genau. Würde Harald Schmidt jetzt über den lachen?
STUCKRAD-BARRE:
Das ist die Frage. Das sollte viel öfter wieder die Frage sein.