SUTER:
Es gibt die Frau, die einmal in der Woche unseren Hund in ihre Kita nimmt mit verschiedenen Hunden. Hunde sind ja Herdentiere.
STUCKRAD-BARRE:
Kita im Sinne von …
SUTER:
Kindertagesstätte, also Hundekindertages… Also »Hukita« wäre das.
STUCKRAD-BARRE:
Klingt wie eine japanische Vorspeise.
SUTER:
Ja.
STUCKRAD-BARRE:
Wir nehmen erst mal ein Wasser mit, eins ohne und einmal ruhig schon das Hukita – und dann sehen wir weiter.
SUTER:
Ist das gebacken oder einfach roh?
STUCKRAD-BARRE:
Das kommt im Reismantel.
SUTER:
Im Reismantel, ah, gut, ja. Also ja, wenn diese Hunde-Frau ihre Rechnung schickt, das bezahle ich relativ schnell, weil ich weiß, dass sie das nötig hat.
STUCKRAD-BARRE:
Was kostet eine Stunde Hukita?
SUTER:
Es geht nach Tagen. Ein Tag Hukita kostet, je nachdem, wie viele aufeinanderfolgende es sind, zwischen
70
und
80
Franken.
STUCKRAD-BARRE:
Also jetzt sind wir gerade hier im Urlaub gemeinsam. Du bist hier einen Monat. Dann kostet das doch auch mindestens
1500
Franken, die Hukita.
SUTER:
Ja. Aber du musst dann halt einen günstigen Hund kaufen, damit sich das wieder aufhebt, oder? Du darfst dann nicht einen
15000
-Franken-Hund kaufen, musst eher einen für
300
Franken nehmen.
STUCKRAD-BARRE:
Ja, aber auch ein
20
-Franken-Hund, das läppert sich:
1500
für einen Monat.
SUTER:
Ja, gut, am Anfang wirkt das übertrieben. Aber wenn ich mir vorstelle, dass wir hier in diesem schönen Hotel sind …
STUCKRAD-BARRE:
Wo eine Portion Hukita im Reismantel schon
1500
kostet.
SUTER:
Genau, ja. Und wir dann immer streiten würden, wer muss jetzt mit dem Hund spazieren gehen.
STUCKRAD-BARRE:
Vor allem würden wir beide uns dann auch nicht treffen. Da würdest du dahingehend natürlich auch emotional stark draufzahlen.
SUTER:
Das ist auch wahr. Jedenfalls bezahle ich die immer sofort, die Rechnungen der Hukita-Frau. Aber dann gibt es andere Rechnungen natürlich. Ach, mittlerweile bezahle ich eigentlich alle Rechnungen einfach regelmäßig. Und ich habe auch Hilfe dabei, wenn ich das jetzt mal so ausdrücken darf.
STUCKRAD-BARRE:
In einem Hotel wie diesem musst du das sogar so ausdrücken, sonst geht’s abends direkt ohne Hukita-Parfait ins Bett.
SUTER:
Meine Buchhaltung wird immer organisierter, je älter ich werde. Als ich jung war, da blieben Rechnungen liegen. Und ich weiß nicht, ob du das Phänomen kennst, wenn etwas liegenbleibt: Je länger es liegenbleibt, desto weniger bist du motiviert, es zu erledigen, oder?
STUCKRAD-BARRE:
Klar, normal.
SUTER:
Und das Verdrängen von Rechnungen ist etwas, das einem nicht guttut.
STUCKRAD-BARRE:
Gar nicht, nein. Und es wird auch vom Rechnungssteller gemischt aufgenommen.
SUTER:
Ja, ja, genau. Ich habe mal, als ich so Mitte zwanzig war, eine Arztrechnung nicht bezahlt. Ich weiß nicht mehr, warum. Nach einer gewissen Zeit kam eine Mahnung, eine ganz formelle. Auch die ist liegengeblieben. Und dann kam wieder eine Mahnung, und auch die ist liegengeblieben, aber aktiv, nicht einfach nur passiv. Ich musste es dann so verdrängen, dass ich die nicht bezahlt hatte, dass ich sie schlicht nicht mehr bezahlen
konnte
.
STUCKRAD-BARRE:
Also hast du das Verdrängen auch mechanisch ausgeführt und sie auf dem Küchentisch ein bisschen weiter in die Ecke geschoben, und sie ist somit eigentlich gar nicht liegengeblieben, sondern sie war in Bewegung, eben damit sie liegenbleiben kann?
SUTER:
Ja, sie wurde aktiv …
STUCKRAD-BARRE:
Verschoben?
SUTER:
… nicht bezahlt. Zuerst passiv nicht bezahlt, das geht ja. Doch dann aktiv. Und eines Tages, ich weiß nicht, vielleicht nach einem Jahr …
STUCKRAD-BARRE:
Das heißt »Betreibung« in der Schweiz, nicht? Kenne ich noch gut aus meinen Zürcher Jahren. Die kommt dann, die Betreibung, nicht?
SUTER:
Die Betreibung käme dann in der Schweiz. Aber es kam was viel Besseres. Es kam ein kurzer handgeschriebener Brief dieses Arztes, und der lautete ungefähr: Sehr geehrter Herr Suter …
STUCKRAD-BARRE:
Sie sind ja noch kränker, als ich gedacht habe!
SUTER:
Sehr geehrter Herr Suter, sagen Sie mir doch von Mann zu Mann, weshalb Sie meine Rechnung nicht bezahlen – Punkt.
STUCKRAD-BARRE:
Von Mann zu Mann? War das ein Urologe oder was?
SUTER:
Nein.
STUCKRAD-BARRE:
Was ist denn »von Mann zu Mann« für eine Cowboy-Scheiße?
SUTER:
Ja, er wollte … er hat mich …
STUCKRAD-BARRE:
Was soll denn das heißen? Zum Duell fordern?
SUTER:
Praktisch, ja. Im Sinn von: Dann kommen Sie doch her und sagen mir …
STUCKRAD-BARRE:
Um die Mittagsstunde.
SUTER:
… ich zahle Ihre Rechnung nicht, weil ich keine Lust habe, Ihre Rechnung zu bezahlen oder so. »Von Mann zu Mann«, das hat er wirklich geschrieben. Und es hat gewirkt. Ich habe noch am gleichen Tag diese Rechnung bezahlt, die übrigens gar nicht mal hoch gewesen war.
STUCKRAD-BARRE:
Aber wahrscheinlich schon mit Säumniszuschlag?
SUTER:
Nein, er hat einfach gesagt: Ja, jetzt komm mal und schau mir in die Augen.
STUCKRAD-BARRE:
Hast du per Hand zurückgeschrieben, »Nein!« – und zwei Patronenhülsen beigelegt? Oder Pferdehufe, irgend so was?
SUTER:
Ich habe bezahlt, habe handgeschrieben um
Entschuldigung gebeten und ihm einen Früchtekorb mit Champagner und Kaviar geschickt. Nein, das nun auch nicht. Ich habe einfach gesagt: Ja, es tut mir leid, ich weiß selber nicht, was da passiert ist. Und: The cheque is on the way.
STUCKRAD-BARRE:
Ah, also die größte Lüge des Showbusiness!
SUTER:
Genau.
STUCKRAD-BARRE:
Also ich habe gerade sehr viele Rechnungen mit hierher in den Urlaub genommen. So vierzig Kuverts ungefähr.
SUTER:
Das ist eben das Blöde am Internet, oder? Man kann nicht mehr sagen: Ich bin jetzt im Urlaub, ich kann Ihre Rechnung erst später bezahlen.
STUCKRAD-BARRE:
Ja, das Problem ist auch: »Urlaub« ist zu vage. Es interessiert ja jetzt den Rechnungssteller nicht allzu sehr das Private, bis zur Pfändung jedenfalls, sondern nur, ob du zahlst oder nicht. Ich bin im Urlaub an der Ostsee, tut mir bestimmt gut, mal die Seele baumeln lassen, mal durchpusten lassen, steife Brise und so weiter, vor allem für die Kinder ist es toll – also, das interessiert die ja eher weniger. Die interessiert nur: Hast du Geld – oder willst du Scherereien mit uns? Ich bin ja sowieso zumeist nicht da, also räumlich. Jetzt war ich zum Beispiel wieder ganz lange nicht in meiner Wohnung, weil ich ja nicht so gut wohnen kann. Ich bin so ungern in meiner Wohnung, seit März gar nicht mehr. Und jetzt ist August oder so.
SUTER:
Das interessiert deine Empfänger auch nicht.
STUCKRAD-BARRE:
Ich war nur mal kurz da, um die
Ausrüstung zu wechseln, weil die Jahreszeit sich ja verändert hat – auch die Jahreszeit im Briefkasten übrigens. Ich nenne es den Briefkastenherbst. Denn auch diese in Rede stehenden Briefe ändern mit der abnehmenden Flexibilität und Großherzigkeit und mit der darob zunehmenden Humorlosigkeit der Rechnungssteller ja ihre Farben. Sie werden zunächst grau. Man denkt: Toll, die Umwelt und so weiter, aber Vorsicht! Grau heißt, es wird ein bisschen ernster jetzt. Aus der Bitte wird eine Aufforderung, bei Grau aber noch relativ höflich. Dann, nächste Eskalationsstufe: Blau. Gelb später, Rot wohl gar: ganz schwierig.
SUTER:
Aha.
STUCKRAD-BARRE:
Wenn es Gelb wird, sollte es bald Geld werden da bei denen. Und man sagt sich, ach, wie waren nur die Tage unbeschwert, als alle so heimelig grau waren. Bei Rot spätestens sollte man noch im Treppenhaus hastig öffnen und gucken, welches Gefängnis in der Nähe sich befindet, wegen Nachsendeantrag und so, und ob man wenigstens noch Guthaben auf dem Handy hat, um also zumindest den Anwalt anzurufen. Das ist die Situation, Martin. Und die habe ich jetzt hier mitgebracht und habe die Abarbeitung dieses bedrohlich bunten Packens natürlich abermals verschoben. Es ist ja auch jeden Tag so viel zu tun hier: nichts! Was ja am schwierigsten ist, also, damit klarzukommen. Und weißt du, jetzt war so viel Wind, dann geht das auch wieder nicht draußen auf der Terrasse, die zu sortieren und Muscheln draufzulegen. Muss man auch verstehen, nicht?
SUTER:
Das glaubt dir kein Mensch, wenn du sagst: Der
Wind an der Ostsee hat mir die Rechnung weggeblasen, deswegen kann ich sie nicht bezahlen.
STUCKRAD-BARRE:
Nein. Aber ich wollte eben Muscheln drauflegen oder Steine jetzt vielleicht sogar, wegen des doch stärker gewordenen Windes, und dann sortieren: Ursprungsrechnung, erste Mahnung, zweite Mahnung, siebte, fünfte, totales Durcheinander, die achte, die dritte – und dann die Todesanzeige in eigener Sache. Und diesem Verlauf bei dessen Sortierung noch mal nachsinnen und sagen: Es war eine schöne Zeit. Die Ursprungsrechnung braucht man für die Buchhaltung oder für die Krankenkasse oder zum Trocknen der Tränen. Und die letzte Mahnung oder eben die Aufforderung zum Duell um die Mittagsstunde, die enthält ja dann den inzwischen zu bezahlenden Betrag, der natürlich höher ist als der Ursprungsbetrag, durch Mahngebühren, Anwalt vielleicht schon. Erst fünf Euro, dann zwanzig – und dann werden sie ein bisschen unverhältnismäßig.
SUTER:
Und das wird nicht rückerstattet von der Kasse.
STUCKRAD-BARRE:
Nein. Etwas zügiger sich rühren muss man, wenn von außen schon Amtsstempel oder so Kurfürstendamm-Anwaltkanzleien als Absender erkennbar sind. Bei mir sind es meistens tatsächlich Arztrechnungen, weil ich im Grunde hauptberuflich zum Arzt gehe. Also ich gehe wahnsinnig gerne zum Arzt.
SUTER:
Kann ich nachvollziehen. Es ist auch eine der wenigen Sorten Rechnungen, die von jemand anderem bezahlt werden.
STUCKRAD-BARRE:
Ja, herrlich. Ich habe eine App von meiner Krankenkasse, und mit der kann man die
Rechnungen einscannen, einfach ein Foto machen, auf »Einreichen« drücken, ffffft!, weg – schon ist es bei der Kasse! Auch abgestempelte Rezepte: Ffffft!, eingereicht, noch in der Apotheke, sonst versiffen die eh wieder zwischen Gratistaschentüchern und so Minigummibärchentüten – »Sie haben doch einen Sohn«. Ich sammle in allen Hotels die Briefkuverts aus den Schreibtischen ein, grundsätzlich, ich lebe ja praktisch nur in Hotels, solange ich mir das noch leisten kann, aber jetzt, also da ich immerhin schon mal die Farben mal durchsortiert habe, ziehe ich demnächst wahrscheinlich wieder zu Hause ein, aus aktuellem Anlass. Diese Hotel-Briefumschläge jedenfalls, die nehme ich immer mit, aus Sentimentalität. Ich habe eine riesige, die Welt umspannende Briefpapier- und Briefumschlagsammlung, da ist ja immer die Hotelabsenderadresse draufgedruckt. Ich komme mir dann immer sehr weltmännisch vor, wenn ich die so auffächere, rastlos natürlich auch, du verstehst. Und man schickt ja doch bloß wenige Briefe heutzutage. Man muss sagen, kaum bis eigentlich gar keine. Außer Liebesbriefe, nicht? Meiner Freundin schicke ich schon ab und zu Briefe – ansonsten nur an die Krankenkasse, bis vor kurzem, jetzt ist es damit vorbei, seit es diese App gibt. Zuvor habe ich eben immer all die Arztrechnungen und Rezepte in diesen wunderschönen Grand-Hotel-Valparaiso-Kuverts oder so verschickt, dunkles Beige vom Chopin-Hotel. Wobei das vielleicht auch dumm war, es könnte beim Sachbearbeiter eventuell leichte Aggressionen erzeugt haben: Konnten wir leider nicht in voller Höhe erstatten und so weiter.
SUTER:
Ja, wenn du sagst: Ich kann leider die Rechnung nicht …
STUCKRAD-BARRE:
…
1600
Euro Ohrenarzt, schön und gut, aber muss das jetzt wirklich aus den Hamptons kommen?
SUTER:
Ja.
STUCKRAD-BARRE:
Also das entfällt jetzt durch die App. Aber bezahlen tue ich es eigentlich trotzdem nicht. Manchmal, wenn ich mein Leben so ganz lachhaft
IN
DEN
GRIFF
BEKOMMEN
möchte, zwischendurch mal, wenn es also diesen Unfugsschub gibt, dann gehe ich immer in den Schreibwarenladen und kaufe neue Stifte, neue Blöcke und so. Hardware kaufen. Statt mit der alten einfach mal zu arbeiten: neue kaufen! Und dann eben doch mal kurz nach Hause, all die Briefumschläge öffnen und alles darin Geforderte erledigen, endlich bezahlen. Und es hat ja,
Apotheken-Umschau
-Binse hin oder her, wirklich einen kathartischen Effekt, jedes Mal. Es ist ein bisschen anstrengend, aber wenn man schön laut Musik dabei hört, geht es eigentlich. Schickst denn du noch an andere Leuten Briefe als an deine Krankenkasse? An deine Freundin ja in dem Sinne schon mal nicht, wohnst du doch mit deiner Freundin zusammen, die ja deine Frau geworden ist.
SUTER:
Ihr schreibe ich schon manchmal.
STUCKRAD-BARRE:
Wirklich? Du schickst ihr manchmal einen Brief – an eure gemeinsame Adresse? Wie romantisch!
SUTER:
An unsere Adresse schreibe ich nie, nein.
STUCKRAD-BARRE:
Das wäre doch toll, mach das mal!
SUTER:
Ja, ja. Gut, es ist ein bisschen selten, aber ich schreibe auch sonst Briefe. Manchmal schreibe ich Briefe an Leserinnen und Leser, die um ein Autogramm bitten.
STUCKRAD-BARRE:
Ja, das entfällt bei mir natürlich.
SUTER:
Das entfällt bei dir?
STUCKRAD-BARRE:
Ja, die kommen direkt vorbei.
SUTER:
Ach so. Weißt du, noch was zu dem Rechnungsthema …
STUCKRAD-BARRE:
Du bezahlst ja besoffen. Ich kann es bezeugen! Im letzten Herbst habe ich dich mal angerufen, und da warst du ein bisschen angedüdelt und hast gesagt, du zahlst gerade »Rächnige«. Wenn du so ein bisschen blau bist, schlägt das Schweizerdeutsch bei dir ja etwas stärker durch, das korreliert eigentlich präzise bei dir: Alkohol- und Schweizerdeutschpegel. Also, da am Telefon sagtest du mir, ebendieses »Rächnigezahle«, das könntest du eigentlich nur betrunken machen. Und um mich, der ich ja nüchtern war, rhetorisch behutsam ins Gespräch einzufädeln, sagte ich unfassbar abgeschmackt so was Aufmunterndes von der Stange: »Ja, Martin, ist doch aber schön, wenn man es dann erledigt hat.« Und da sagtest du: »Nein, mich reut jeder einzelne Rappen, jeder Stutz.« Sehr sweet.
SUTER:
Weißt du, mit den Mahnungen, das ist auch etwas, was mich beschäftigt. Das Nervigste sind humoristische Mahnungen. Bekommst du humoristische Mahnungen?
STUCKRAD-BARRE:
Weiß ich gar nicht, weil ich sie ja eben nicht öffne. Möglicherweise entgehen mir dadurch große Perlen des Humors. Aber ab dem grauen Umschlag
entfällt der Humor sowieso, beidseitig. Wie gehen die denn, humoristische Mahnungen?
SUTER:
Zum Beispiel schreiben die dann: »Wir schon wieder. Dabei haben Sie diese Rechnung bestimmt gerade bezahlt, und das kreuzt sich mit diesem Schreiben. Dann entschuldigen wir für uns hiermit für diese briefliche Belästigung und wünschen Ihnen weiterhin alles Gute, Ihr Betreibungsamt sowieso« oder so.
STUCKRAD-BARRE:
Das ist lästig. Das ist wie die Weihnachtsfeier, wo der Abteilungsleiter plötzlich steilgeht und als Beyoncé kommt oder so. Das will man nicht.
SUTER:
Nein.
STUCKRAD-BARRE:
Ich will eine klare Trennung von Amt und Privatleben. Ich trenne ja auch zwischen meiner Ehe und meinem Privatleben.
SUTER:
Ja, ich finde auch, man sollte das trennen.
STUCKRAD-BARRE:
Humor ist ja was für Könner. Man möchte genauso wenig einen lustigen Arzt haben wie sich von einem Komiker operieren lassen.
SUTER:
Es ist eigentlich eine Verarschung des Schuldners. Das heißt: Wissen Sie, in Klammern, zwischen den Zeilen: Uns geht es ja gut. Uns ist es eigentlich im Grunde genommen scheißegal, ob Sie diese Rechnung bezahlen oder nicht.
STUCKRAD-BARRE:
Das sogenannte Augenzwinkern!
SUTER:
Genau.
STUCKRAD-BARRE:
Das mich überhaupt stört. Humorerzeugung ist eine durchaus ernste Sache, ein richtiger Beruf. Es gibt Menschen, die das können, und bei denen ist das doch ganz gut aufgehoben – die sollen dafür auch
gern mit Geld zugeschüttet werden. Und dann gibt’s Leute, die sind mehr so Typ Büroklammer und Klarsichtfolie und »Geh mal auf Einstellungen«, und die sollen eben genau das machen und dafür auch mit Geld zugeschüttet werden, aber wenn sie witzeln, sollte der Preis sinken. Mit Humor mögen sie mich gar nicht behelligen, bitte. Das wird doch sonst nur unangenehm immer, für alle.
SUTER:
Ich bin mir fast sicher, dass – während wir hier plaudern – deine Freundin still und heimlich dabei ist, deine Rechnungen zu begleichen. Und du kommst runter, und sie sagt: Schatz, ich habe eine Überraschung! Oder: Häschen, ich habe eine Überraschung.
STUCKRAD-BARRE:
Martin! Das ist eine Invektive an beide. Das ist doch überhaupt nicht nötig jetzt. Schatz oder Häschen? Also bitte! Ich nenne sie Sweetlove. Ich nenne sie HeyLove. Und Lovey!
SUTER:
Ja? Hey, Lovey!
STUCKRAD-BARRE:
Lovey. HeyLove. Sweetlove. Ich habe sehr viele Spitznamen für sie. Du auch für deine Frau?
SUTER:
HeyHoney.
STUCKRAD-BARRE:
Honey? Nein, Honey sicher nicht.
SUTER:
Nicht Honey?
STUCKRAD-BARRE:
Wie nennst du deine Frau?
SUTER:
Don’t honey me.
STUCKRAD-BARRE:
Don’t you honey me. Don’t you bullshit me: Also, wie heißt deine Frau nun, aus deinem Munde?
SUTER:
Das sage ich nicht.
STUCKRAD-BARRE:
Jedenfalls, meine Freundin ist und wäre
so was von niemals Häschen. Weißt du, was sie zur Stunde macht? Sie ist …
SUTER:
Im Pool?
STUCKRAD-BARRE:
Also noch mehr das Gegenteil machen von Rechnungen bezahlen kann man nicht. Was glaubst du, was sie gerade macht?
SUTER:
Dann ist sie wahrscheinlich …
STUCKRAD-BARRE:
Ich weiß es genau.
SUTER:
… am Kaschmir-Kaufen.
STUCKRAD-BARRE:
Am Kaschmir-Kaufen?
SUTER:
Na, das Gegenteil von Rechnungen bezahlen ist doch Geld ausgeben, oder? Oder nein, es ist ja nicht das Geld …
STUCKRAD-BARRE:
Überhaupt nicht.
SUTER:
Du hast recht. Da lag ich falsch. Man bezahlt ja Rechnungen, indem man eine Gegenleistung, die man schon bezogen hat, honoriert.
STUCKRAD-BARRE:
Es ist ja auch eine sehr kurzfristige Rechnung, die man im Kaschmirladen zu begleichen hat – da kommt der Pullover, zack!, und dann kommt die Rechnung direkt. Sagst du mir dann auch, was deine Frau gerade macht, wenn ich jetzt erzähle, was …?
SUTER:
Ja.
STUCKRAD-BARRE:
Das sollte schon auf beiderseitigem Sich-Äußern beruhen, unser Vertrauensverhältnis, Martin.
SUTER:
Natürlich!
STUCKRAD-BARRE:
Meine Freundin bezahlt gerade so was von überhaupt nicht meine Rechnungen. Viel besser: Sie hat sich aufgemacht zum Pool – und liest dort Nietzsche.
SUTER:
Dann hatte ich aber halb recht: Pool war richtig!
STUCKRAD-BARRE:
Ja, aber Nietzsche lesen, das ist doch ein bisschen was anderes, als einen Kaschmirpullover kaufen. Nietzsche kratzt ja. Nietzsche kratzt sehr.
SUTER:
Am Pool?
STUCKRAD-BARRE:
Nietzsche-Lesen am Pool, das finde ich – also, das versetzt mich in erneut starkes Verliebtsein sogleich.
SUTER:
Logisch.
STUCKRAD-BARRE:
Also, das finde ich ganz toll.
SUTER:
Das finde ich auch, ja.
STUCKRAD-BARRE:
Auch toll zum Beispiel finde ich, am Pool zu liegen und alles Mögliche auf die Rechnung setzen zu lassen. »Ich schreib’s aufs Zimmer«, heißt es dann. Beim Verlassen des Hotels muss man halt auf irgendeine seiner Karten gucken: Welche hat noch Humor? Das ist manchmal ein bisschen peinlich. Ist es dir schon mal so gegangen, dass eine deiner Platinkarten nicht funktionierte?
SUTER:
Schon oft.
STUCKRAD-BARRE:
Aus Gründen, die du zu verantworten hattest?
SUTER:
Hm.
STUCKRAD-BARRE:
Dieses Schweigen ist eine Verhöhnung der Opfer.
SUTER:
Das ist ja eine Rechnung, die automatisch bezahlt wird, die Rechnung der Kreditkarte.
STUCKRAD-BARRE:
Na ja, aber wenn du damit schon ganz gut Rechnungen beglichen hast in einem Monat, dann sagt ja die Karte irgendwann: You’re over budget, honey.
Die nennt einen Honey, Häschen, meine Karte. Bis 10000 zumindest. Dann weist sie mich zurück und sagt, sie braucht jetzt mal eine Pause.
SUTER:
Ja, das ist mir schon lange nicht mehr passiert.
STUCKRAD-BARRE:
Ist ein doofes Gefühl.
SUTER:
Es ist ein sehr doofes Gefühl, ja. An das Gefühl kann ich mich schon noch erinnern.
STUCKRAD-BARRE:
Da muss man an der Rezeption dann sagen: »Da bin ich jetzt auch überfragt.« Das schafft erst mal Luft.
SUTER:
Oder man muss sagen …
STUCKRAD-BARRE:
Ich kann mir das auch nicht erklären!
SUTER:
… vor fünf Minuten hat sie noch funktioniert.
STUCKRAD-BARRE:
Im Kaschmirladen!
SUTER:
Ja, genau.
STUCKRAD-BARRE:
Das ist oft ein bisschen unangenehm bei der Abreise dann, aber wenigstens wird es nur einmal unangenehm und nicht jeden Tag, weißt du? Deshalb bleibe ich immer so lange in den Hotels. Clever, hm?
SUTER:
Als ich das erste Mal für
GEO
in den
USA
war, besaß ich noch keine Kreditkarte. Da musste ich die Hotels im Voraus bezahlen. Furchtbar.
STUCKRAD-BARRE:
Es ist eigentlich das meiste furchtbar, wenn man überhaupt nachdenkt. Das ist wieder was für den Grabstein: »Es ist das meiste furchtbar, wenn man überhaupt nachdenkt.« Meinst du, die haben Kommata bei der Grabsteingravur?
SUTER:
Das will ich schon hoffen.
STUCKRAD-BARRE:
Das will ich auch hoffen. Obwohl natürlich kurze Sätze sich da anbieten. Nebensätze wirken
gleich so psalmig. Bei Karl Kraus steht einfach nur »Karl Kraus«, das finde ich sehr gut.
SUTER:
Ja, da hat er sicher lange Testamente geschrieben dafür.
STUCKRAD-BARRE:
Und was steht bei Marcuse?
SUTER:
Was Langes?
STUCKRAD-BARRE:
Ganz und gar nicht – nur: »Weitermachen!« Also du musst mich da ein bisschen unterstützen bei diesen Rechnungen, bitte. Mich jeden Tag mal so beiläufig fragen: »Und die Rechnungen hast du schon …?«
SUTER:
Vielleicht jeden Tag zwei, drei bezahlen?
STUCKRAD-BARRE:
Eigentlich musst du ab sofort eine humoristische Mahnung pro Tag an mich richten. Nein, musst du nicht.
SUTER:
Ach, ich würde das schon machen, aber nicht honorarfrei. Und das würde ich dann gerne bar bezahlt haben. Ich weiß ja jetzt, wie du Rechnungen …
STUCKRAD-BARRE:
Ja.
SUTER:
Ja, das ist eine Unart, dass man Rechnungen nicht ernst nimmt, oder?
STUCKRAD-BARRE:
Es ist ja aber auch ein Psychodruck, den die da ausüben oft. So viele Zahlen, Fristen, gar keine Emotionen. Eigentlich könnte ich die verklagen. Ich bin ja sehr labil.
SUTER:
Ach ja?
STUCKRAD-BARRE:
Also diese Farbveränderung der Umschläge, das ist ja psychische Gewalt.
SUTER:
Ich glaube, das gibt es bei uns nicht, diese Farbveränderung der Umschläge.
STUCKRAD-BARRE:
Ich habe in der Schweiz ja auch schon
gewohnt, demzufolge also Mahnungen auch dort erhalten, Betreibungen. Die sind ganz nett in der Schweiz, eine Weile lang, das stimmt. Es wird aber auch dort irgendwann ein bisschen handfester. Bei eher kleinen Sachen, kurioserweise. Wenn man ein Parkticket nicht bezahlt hat, dann wird man bei der Einreise plötzlich rausgewunken, das kommt wirklich vor. Also, bei euch kommunizieren die verschiedenen Ämter schon auf eine sehr intensive Weise miteinander.
SUTER:
Das glaube ich gern.
STUCKRAD-BARRE:
Ja. Und ich hatte immer Angst bei der Einreise in die Schweiz nach meinem Wegzug dort, der etwas, na ja, ungeordnet erfolgte im Jahr
2006
– danach hatte ich immer Angst, wenn ich in die Schweiz komme, dass ich sofort festgenommen werde, die Acht machen muss, wie man sagt. Kennst du das?
SUTER:
Nein.
STUCKRAD-BARRE:
Ein häufiger Satz von so Leuten, die eher steuerneutral einigermaßen nebulösen Business-Modellen in Übersee nachgehen: »Wenn ich nach Zürich fliegen würde jetzt, müsste ich direkt die Acht machen.« Das heißt: Handschellen.
SUTER:
Aha. Die Acht.
STUCKRAD-BARRE:
Ja. Die Acht machen. Man kriegt die Acht gemacht. Und ich hatte immer Angst vor dieser Acht, obwohl das eigentlich meine Lieblingszahl ist, weil ich Kreditkartenbetrug in der Schweiz begangen habe. Ich kann es jetzt sagen, weil es wohl verjährt ist. Früher hatten die doch im Taxi immer diese Ritschratschdinger im Kofferraum.
SUTER:
Ja, ja.
STUCKRAD-BARRE:
Das war noch nicht elektronisch verbunden. Sie sagten: »Kreditkarte, ja, Moment, da muss ich zum Kofferraum.« Und dann holten sie unterm Warndreieck so einen völlig verlotterten unsinnigen Prägeapparat hervor, in den man die Karte reinsteckte und der dann die darauf gestanzten Angaben – ritsch, ratsch – auf so ein Durchschlagsformular, gelbes Papier, weißes Papier, durchkohlte irgendwie. Das lief mehr so auf Vertrauensbasis. Die Kreditkarten, die ich dort benutzte, waren eigentlich nicht mehr einsatzfähig. Nur eben zum Taxifahren noch: »Ah, mit Kreditkarte? Gern. Kofferraum.« Ritsch, ratsch, wird schon gutgehen. Und weil ich eben gehört hatte, dass diese Ämter bei euch miteinander ganz gut im Gespräch sind, befürchtete ich lange danach noch bei jedem Wiederbetreten der Schweiz, dass ich da mit der Acht am Flughafen Kloten verbleiben muss.
SUTER:
Ja, das könnte passieren. Ich war mal in so einer Situation in Österreich. Ich habe über ein Jahr in Wien gearbeitet und mein Auto aus der Schweiz mitgenommen. Dann hat sich das jemand geborgt, mein Schweizer Auto.
STUCKRAD-BARRE:
Ein Freund von dir?
SUTER:
Ja, ja. Und der ist dann zu schnell gefahren und erwischt worden, gebüßt worden.
STUCKRAD-BARRE:
Buße, genau.
SUTER:
Natürlich.
STUCKRAD-BARRE:
Die Buße. Das ist so christlich gleich, wie das bei euch heißt: »die Buße«. Buße tun! Wir sagen »Bußgeld«. Aber wir zahlen es auch nicht immer.
SUTER:
Wie sagt ihr? Bußgeld? Ja, bei uns heißt es Buße.
STUCKRAD-BARRE:
Und dann? Musstest du die bezahlen?
SUTER:
Nein, aber mir lastete man ein Zollvergehen an. Ich habe ein unverzolltes Auto einem Österreicher gegeben. Das heißt, er fuhr mit einem unverzollten Auto.
STUCKRAD-BARRE:
Durch welches Land fuhr der denn?
SUTER:
Österreich, in Wien wurde er erwischt.
STUCKRAD-BARRE:
Er fuhr weiterhin in Österreich, und da hätte er dein Auto verzollen müssen? Aber du hast es ihm doch nicht geschenkt, sondern nur geliehen, dortselbst.
SUTER:
Ja, aber dass ich es ihm geliehen hatte war insofern illegal, als es nicht verzollt war.
STUCKRAD-BARRE:
Aber es ist ja kein Geld geflossen, du hast es ihm unentgeltlich geliehen.
SUTER:
Trotzdem. Das war ein Gebrauchtwagen, ein alter Rover, den ich vielleicht für
3000
Franken gekauft hatte in der Schweiz. Die haben mir den Gegenwert von
8000
Franken in Rechnung gestellt. Das wäre der Zollwert dieses Rovers gewesen. Ich musste ihn dann praktisch bei Nacht und Nebel in die Schweiz zurückfahren und mit dem Zug wieder zurück nach Wien.
STUCKRAD-BARRE:
Nacht und Nebel – das klingt aber nicht nach
8000
Franken bezahlen.
SUTER:
Nein, ich habe nie einen Gedanken daran verschwendet,
8000
Franken Zoll für das
3000
-Franken-Auto zu bezahlen.
STUCKRAD-BARRE:
Aber kam da also eine Rechnung, und die hast du nicht bezahlt?
SUTER:
Ja. Und dann kamen Mahnungen. Und dann kam
schriftlich: »Das nächste Mal, wenn Sie die Grenze nach Österreich übertreten, werden Sie verhaftet, denn Sie sind jetzt auf der Fahndungsliste.«
STUCKRAD-BARRE:
Du bist in Österreich zur Fahndung ausgeschrieben?
SUTER:
Ich war zur Fahndung ausgeschrieben.
STUCKRAD-BARRE:
Toll! Machst du in Wien Lesungen?
SUTER:
Ja, inzwischen schon. Das alles ist ja lange her.
STUCKRAD-BARRE:
Hast du dich erkundigt, wann so was verjährt und so?
SUTER:
Ja. Ich wurde von einer Werbeagentur eingeladen, um dort eine Kampagne zu machen. Da musste ich sagen: »Ich kann leider nicht mehr nach Österreich einreisen.«
STUCKRAD-BARRE:
Das ist ja schick!
SUTER:
»Ich bin zur Fahndung ausgeschrieben.«
STUCKRAD-BARRE:
Wow.
SUTER:
Und dann hat mir der Inhaber der Werbeagentur gesagt: »Ich bin aber befreundet mit …« Es war nicht der Kreisky, aber so was.
STUCKRAD-BARRE:
Ach, Österreich!
SUTER:
»Wenn du am Zoll Probleme hast, ruf mich an, dann hole ich dich da raus.«
STUCKRAD-BARRE:
So ist komplett Österreich organisiert.
SUTER:
Auf jeden Fall musste ich nicht die Acht machen. Und seither war ich mehrmals wieder in Österreich, und ich glaube, ich bin dort wieder, ja, wie sagt man, unbescholten? Da ist dieses Zollvergehen …
STUCKRAD-BARRE:
Gemessen an der Kriegsschuld!
SUTER:
… von
1972
, glaube ich, verjährt, oder?
STUCKRAD-BARRE:
Ja, ja. Aber hattest du auch dieses
komische Gefühl, das ich bei Betreten der Schweiz langsam nur verloren habe, dass du ein bisschen zittrig warst bei der Einreise?
SUTER:
Damals schon. Da bin ich sicher zehn Jahre nicht mehr nach Österreich gefahren.
STUCKRAD-BARRE:
Aber dass du mal zur Fahndung ausgeschrieben warst in Österreich, also damit sollte man einen Aufkleber für deine Bücher machen.
SUTER:
»Er war mal zur Fahndung …«, ja.
STUCKRAD-BARRE:
Also dass du überhaupt so ein bisschen krimineller wirkst.
SUTER:
Du meinst, damit sich das ein bisschen selbsterlebt liest?
STUCKRAD-BARRE:
Ja. Mache ich ja auch. Ich bin ja deshalb extra drogenabhängig geworden, damit meine Bücher stimmen.
SUTER:
Aha. Dafür.
STUCKRAD-BARRE:
Ich habe mir das vorher alles ausgedacht, und dann musste ich hinterher das Leben entsprechend führen.
SUTER:
In der Reihenfolge.
STUCKRAD-BARRE:
Ja. Das Leben imitiert die Kunst. Man kennt das.
SUTER:
Das ist wahr. Aber sag mal, können wir das Rechnungsproblem überhaupt lösen? Oder sollen wir einfach feststellen: Rechnungen bezahlen ist nichts für Künstler.
STUCKRAD-BARRE:
Ja, das ist so ein Künstlertum, das ich wiederum ablehne.
SUTER:
Dann bleibt uns nichts anderes übrig, als die Rechnungen zu bezahlen.
STUCKRAD-BARRE:
Scheint so, ja. Das ist sonst wirklich kurz vor: sich den Schal umbinden und in Schwarz-Weiß am Fluss stehen, nachdenklich. So einen Matineeschal umwerfen, ins Ungefähre gucken und schwierig sein. Das ist bescheuert.
SUTER:
Eben, das würde man mit seiner Würde bezahlen, teuer bezahlen. Dann doch lieber mit Geld.