Kapitel 8

Zurück beim Motorrad wollte Luc gerade zu seinem Handy greifen, als es in seiner Hosentasche schon zu vibrieren begann.

»Cher Hugo , ich wollte dich auch gerade anrufen.«

»Na, dann Sie zuerst, Commissaire.«

»Kannst du die Spurensicherung herschicken? Grenade-sur-l’Adour heißt der Ort, es ist der Bauernhof von Guillaume Fontaine. Die Kollegen sollen Proben der Foie gras entnehmen.«

»Das mache ich sofort. Ich habe eben in Dax angerufen. Im Krankenhaus. Man fängt gerade an, daran zu arbeiten.«

»Jetzt erst?« Luc konnte seinen Ärger nicht verbergen.

»Tja, Commissaire. Es ist Dax, nicht Paris. Da gibt es keinen Notdienst in der Spurensicherung, weil man dort mit so etwas nicht rechnet. Ich muss Ihnen jetzt ja nicht noch mal erklären, was ländliches Frankreich bedeutet.«

»Ich dachte, das heißt nur, dass es hier vier Stunden Mittagspause gibt. Na gut, ich fahre dort später mal vorbei und trete etwas aufs Gas.«

»Ähm, Commissaire, deswegen rufe ich eigentlich an.« Hugos Stimme wurde leiser. Luc ahnte Schlimmes. »Sie sollten lieber herkommen. Hier ist …« Der Commissaire hörte die Schritte seines Kollegen, Hugo schien sich im Raum zu bewegen. »… Hier ist jemand aufgetaucht, der Sie sehr dringend sehen will. Und sagen wir mal so: Er hat sich seit der Reha nicht verändert.«

»Sie meinen doch nicht etwa Aubry?«

»Kommen Sie her?«

»Ich eile«, sagte Luc und verzog sein Gesicht. »Merde« , flüsterte er. Wie war der Kerl so schnell an den Tatort gelangt? »Bis gleich, Hugo.«

»Fahren Sie vorsichtig, Commissaire.«

Laurent Aubry. Luc setzte seinen Helm auf und ließ das Motorrad an. Dann zog er am Gashebel, und der Kies spritzte. Er durfte Hugo nicht so lange allein lassen. Laurent Aubry. Sein neuer Chef. Er hätte sich ohrfeigen können.

Als er sich vor zwei Jahren von der Pariser Mordkommission nach Bordeaux hatte versetzen lassen, um seinen kranken Vater zu pflegen, war noch alles in bester Ordnung gewesen: Sein Mentor Commissaire général Preud’homme hatte den Posten als Leiter der Kriminalpolizei der gesamten Region inne und hatte dafür gesorgt, dass sein einstiger Schüler wieder zu ihm geschickt wurde. Er hatte Luc bei den wichtigen Fällen freie Hand gelassen – und sich stets für ihn und die ganze Truppe eingesetzt. Ein Polizist alter Schule, ein Mann, der wusste, dass er den Beamten im Feld den Rücken freihalten musste.

Doch nach den Ereignissen im Baskenland, die Luc fast die Karriere und in drei aufeinanderfolgenden Nächten sogar beinahe das Leben gekostet hätten, war Preud’homme zu dem bitteren Entschluss gekommen, dass er seine Berufslaufbahn beenden musste – er fühlte sich einfach zu alt für all die Aufregung. Sein Nachfolger wurde Laurent Aubry. Ein Mann, der das genaue Gegenteil des honorigen Preud’homme war. Ein junger Karrierist aus Paris, jemand, der nie zuvor als Polizist gearbeitet hatte. Ein Mann im teuren Anzug, der sich für seine Untergebenen nicht interessierte, dem dafür aber sehr wichtig war, was der Präfekt und der Minister von ihm hielten. Auch weil er vermutlich schon an den nächsten hohen Posten seiner Karriere dachte. Er hatte Menschen dieser Couleur in Paris immer nur aus der Entfernung gesehen: Aufsteiger, die sich von Sesseljob zu Sesseljob schleimten, denen der eigene Parkplatz in der Polizeipräfektur wichtiger war als der Zusammenhalt ihrer Truppe. Doch die Polizei der Hauptstadt war zu groß gewesen und die Probleme zu gewaltig, als dass sich Luc von solchen Leuten aus der Ruhe hätte bringen lassen. Hier in Bordeaux war das anders – nun war er Aubry direkt untergeben.

Schon gleich zu Beginn war ihre Zusammenarbeit in einer Katastrophe gemündet: Bei ihrem ersten gemeinsamen Fall in der Rue de Paradis hatte Laurent Aubry unbedingt mitermitteln wollen – und war nach einer Reihe falscher Entscheidungen im Krankenhaus gelandet. Seither war er in der Reha gewesen, um sich zu erholen. Und ausgerechnet jetzt sollte das alles wieder von vorne beginnen?

Luc nahm die Kurven viel zu schnell, die Herrlichkeit der Landaiser Landstraße war vergessen. Sein Ärger war zu groß. Über Aubry. Und über sich selbst.

Denn es war seine eigene Schuld. Er hätte ja Preud’hommes Job haben können – aber Luc wollte lieber draußen sein, Zeugen befragen, ermitteln. Im Auge des Sturms.

Nun hatte er den Salat. Und den Sturm. Dabei schien dieser Fall schon für sich genommen schwierig genug.