Aurélie war gleich nach Lucs Ankunft wach geworden, hatte getrunken, und dann hatte er sich das kleine Mädchen geschnappt, und sie waren noch ein paar Minuten am Strand entlanggegangen, während Anouk die Sachen für ein paar Nächte gepackt hatte.
Eine Stunde später saßen sie in Anouks Auto, einem großen Van von Citroën, und fuhren gen Süden. Kurz hinter Arcachon war Aurélie wieder eingeschlafen.
»Hast du die ganze Familie Fontaine schon kennengelernt?«, fragte Anouk. Im Radio lief leise klassische Musik.
»Nein, bisher nur Vater und Sohn.«
»Welchen Sohn?«
»Na, Guillaume, den Bauern.«
»Rémy also noch nicht?«
»Woher kennst du denn nun schon wieder die Familie Fontaine?«
»Ich hab dir doch gesagt, dass es durchaus hilfreich für die Polizeiarbeit sein kann, wenn man beim Kinderarzt oder – wie ich letzte Woche – beim Friseur in Lacanau sitzt und die Klatschpresse durchliest.«
»Und die Klatschpresse interessiert sich für den Sohn eines Kochs?«
»Paris Match tut das, aber hallo«, erwiderte Anouk. »Schließlich ist er nicht der Sohn eines Kochs, sondern der verkorkste Sohn einer Kochlegende, der zwar auf den Spuren seines Vaters wandeln wollte, aber es nicht mal annähernd in seine Fußstapfen schaffen wird.«
»Erzähl«, sagte Luc interessiert.
»Es war ein langer Artikel über das wilde Leben des Rémy Fontaine. Da waren sogar Paparazzifotos dabei. Er sieht eigentlich gut aus, aber mit Kippe im Mundwinkel und Schampus in der Hand wirkte er eben auch reichlich fertig, auch wenn er noch gar nicht alt ist.«
»Die Jeunesse dorée?«
»So ungefähr. Eigentlich hatte Auguste Fontaine vor Jahren geplant, sein Restaurant eines Tages einem seiner Söhne zu übergeben. Guillaume wollte etwas anderes machen. Rémy ist Koch geworden – und hat dann aber einen ganz anderen Weg eingeschlagen.«
»Und welchen?«
»Er wollte eigentlich nur die Reichen und Schönen bekochen. Aber dann hat er sich entschieden, selbst einer von ihnen werden zu wollen, mit allen Konsequenzen. Offenbar ist er nach seiner Ausbildung nach Monaco gegangen und hat sich dort durch die angesagtesten Restaurants gekocht. Immer mit Eskapaden. Mal hatte er hier eine Affäre mit einer Schauspielerin, dann ist er dort mit Drogen erwischt worden. Er saß sogar mal ein paar Wochen im Knast wegen Kokainkonsums.«
»Das wird seinem Vater gar nicht gefallen haben. Wolken vor seinen Sternen.«
»Ja, der hat dann auch entschieden, dass die Villa Auguste geschlossen wird und das Haus nicht weiter als Restaurant betrieben werden darf, wenn er sich entscheidet, seine Karriere zu beenden. Es war der härteste Schritt, den er gehen konnte.«
»Damit hat er seinen Sohn quasi enterbt.«
»Es las sich ohnehin nicht so, als hätte Rémy großes Interesse daran, ein idyllisches Restaurant am Strand zu übernehmen.«
»Hätte nicht gedacht, dass Paris Match so anregende Lektüre sein kann.«
»Tja, musst eben mal mit mir zum Friseur gehen. Dann sparst du dir einiges an Aktenlektüre.«
»Ich werde darüber nachdenken«, sagte Luc grinsend.
Anouk fuhr in Tartas von der Autobahn ab und nahm die Départementale, die sie an die Côte d’Argent bringen würde, die Silberküste. Wer die ewig langen Sandstrände einmal gesehen hatte, verstand den Namen sofort, dachte Luc. Schien die Sonne auf den Sand, funkelte und glitzerte es, dass es eine wahre Pracht war. Die Gründe dieses Strahlens waren natürlich auch essbar – die Muscheln und Austern, die es hier in großer Zahl gab, wurden von Wasser und Sand zu einem Kunstwerk gearbeitet, das von der Abendsonne besonders in Szene gesetzt wurde.
»Dort vorne ist die Feuerwache schon«, sagte Luc, als er die Einsatzfahrzeuge entdeckte, die alle eben nicht in der Halle standen, sondern auf dem sandigen Parkplatz davor. Hugo hatte ganze Arbeit geleistet. Die Rolltore der rotbedachten Halle waren hochgefahren und die Schreibtische aufgebaut, auf jedem standen ein Laptop und ein Telefon. Luc stieg aus und holte Aurélie aus ihrem Sitz. Der Brigadier hatte ihren Wagen natürlich längst entdeckt. Freudestrahlend steuerte er auf Anouk zu.
»Ich habe so gehofft, dass du dir das nicht entgehen lässt«, sagte er.
»Hast du deswegen gleich drei Schreibtische besorgt?«, fragte Anouk und drückte Hugo an sich.
»Ich verrate nicht meine telepathischen Geheimnisse.«
Luc kam mit Aurélie auf dem Arm zu ihnen. Hugo, der selbst zwei Kinder hatte, konnte nicht anders, als ihr gleich den Bauch zu kitzeln. Die Kleine zeigte ihm ihr süßes zahnloses Lächeln.
»Dann fehlt nur noch Etxeberria, und die alte Truppe wäre wieder beisammen«, sagte Anouk.
»Sogar der alte Chef ist nicht weit«, sagte Luc. Anouk und Hugo sahen ihn überrascht an.
»Wusstet ihr das gar nicht? Preud’homme hat seinen Ruhesitz hier im Dorf. Würde mich nicht wundern, wenn er ab und zu vorbeischaut.«
»Na, dann ist der Fall ja schon so gut wie gelöst«, entgegnete Hugo.
Sie betraten die Halle der Feuerwehr, der Boden war sauber gefegt, als hätte Hugo eben noch selbst den Besen geschwungen.
Anouk breitete eine Decke neben ihrem Schreibtisch aus und verteilte einige Spielzeuge darauf, eine Rassel und ein großes Bilderbuch, dann legte Luc Aurélie auf die weiche Decke.
»Also, Chef, gib mir einen Auftrag«, sagte Anouk und sah ihn auffordernd an.
»Eigentlich, ma chère , hätte ich dich gern mit dabei in Grenade-sur-l’Adour. Ich glaube, Guillaume Fontaine ist zugänglicher, wenn du dabei bist. Und seine Frau …«
Luc ließ die Worte in der Luft hängen. Dann nickte er Hugo zu. »Von dir brauche ich einen Hintergrundcheck zu den Verhältnissen in der Villa Auguste. Sieh dir mal die Presseberichte der letzten Monate an, die Restaurantkritiken, die finanziellen Verhältnisse. Ich will wissen, ob Auguste Fontaine jemandem auf den Schlips getreten ist. Gleiches gilt für …«
»Guillaume Fontaine, natürlich, wird gemacht, Commissaire.«
»Und Hugo …«
Der Brigadier betrachtete lächelnd Aurélie, die gerade ihre ersten Krabbelversuche unternahm.
»Na klar krieg ich das hin, ihr beiden, macht euch keine Sorgen. Ich hab schon zwei Kinder großgekriegt, da schaff ich so ein halbes locker. Ich werde mit Aurélie gleich mal die Feuerwehrstange runterrutschen üben.«
»Na, wenn sie da mal nicht schneller ist als du«, sagte Luc lachend und zu Anouk gewandt: »Auf geht’s.«
»Ich bin also wieder im Dienst«, sagte Anouk leise lächelnd, gab Aurélie einen Kuss, die zufrieden Hugo angluckste, dann gingen sie zusammen zum Auto, und die Polizistin ließ den Motor an.