Dimanche – Sonntag
Drei Sterne für die Ewigkeit

Kapitel 17

Luc erwachte früh am Morgen, es war noch schummrig im Zimmer, die Fensterläden ließen nur blasse Streifen Licht hinein, die auf den Dielenboden fielen. Er stand leise auf und betrachtete Aurélie, die mit ihrer Nase genau an Anouks Nase lag. Es war ein schönes Bild.

Es war jedes Mal wieder unglaublich, wie ruhig das Baby schlief, wenn das Fenster geöffnet und von draußen das Meeresrauschen zu hören war. So war es auch in ihrer Holzhütte in Carcans Plage, während Aurélie in Bordeaux des Nachts öfter einmal aufgewacht war. Sie war eben ein echtes Meermädchen.

Er hatte Durst, die salzreichen Meeresfrüchte hatten ihre Wirkung entfaltet. Er zog sich an, dann ging er hinab, die hölzernen Treppenstufen knarrten.

Als er eine Flasche Wasser von der Arbeitsplatte in der Küche nahm, fiel sein Blick auf die Terrasse, auf der sie gestern gesessen hatten. Er räusperte sich einmal, um den Frühaufsteher nicht zu erschrecken, dann gesellte er sich zu ihm nach draußen.

»Polizisten schlafen schlecht, was?«, fragte er leise. Commissaire Joffe pustete gerade in seine Kaffeetasse und sah ihn lächelnd an. »Ich dachte, es trifft nur alte Schlachtrösser wie mich. Los, setzen Sie sich.«

Luc nahm in dem anderen Korbsessel Platz. Über dem Ozean hing ein Nebelschleier, die Wellen waren nur schemenhaft zu erahnen. Erst in einer halben Stunde würde die Sonne aufgehen. Die Villa Auguste nebenan lag verlassen da.

»Bei mir ist es eher das Meer, ehrlich gesagt. Immer wenn ich beim Aufwachen das Meer höre, muss ich raus und es ansehen. Alte Surferkrankheit.«

»Eine angenehmere Schlaflosigkeit als meine.«

»So schlimm?«

»Ja, irgendwann kommen die Bilder immer wieder – vor allen Dingen die der ungelösten Fälle. So viele waren es gar nicht. Aber sie beschäftigen mich dennoch.«

»Ihnen ist auch aufgefallen, dass wir gestern gar nicht über den Fall an sich gesprochen haben?«

»Das stimmt«, sagte Monsieur Joffe und goss auch Luc eine Tasse Kaffee ein, schob sie über den Tisch und zündete sich anschließend eine Zigarette an. Er bot Luc die Schachtel an.

»Gerade aufgehört. Wenn ich jetzt eine probiere – und ich kann Ihnen sagen, es gelüstet mich sehr danach –, dann ist es um mich geschehen. Also nein, vielen Dank.«

»Ihnen wird es anders gehen, lieber Verlain, weil Sie mit einer Polizistin zusammen sind. Natürlich reden Sie beim Dîner über aktuelle Fälle, gehen Zeugenbefragungen durch und rätseln herum, wer der Täter sein könnte. Aber mit einer Zivilistin können Sie so keine Ehe führen. Dann zerbrechen Sie, alle beide. Ich habe meine Fälle immer für mich behalten, und meine Frau hat nie gefragt. Deshalb sind wir noch zusammen. Weil es hier in diesem Paradies keinen Mord und Totschlag gibt.«

»Wahrscheinlich ist das eine sehr gute Entscheidung.«

»Und deshalb ist Fanny auch nicht neugierig. Aber ich bin es natürlich. Also, sagen Sie schon, lagen Sie mit Ihrer Vorahnung richtig? Es war nicht die Foie gras?«

»Ich würde es Ihnen sagen, wenn ich es wüsste. Aber ich weiß es noch nicht. Wir haben in der Foie gras, die Gennevilliers serviert wurde, jedenfalls kein Gift gefunden.«

»Rizin?«

»Rizin?«

»Es ist nicht nachweisbar.«

»Aber dann würde der Kritiker nicht mehr leben. Das ist derart tödlich …«

»Stimmt, Commissaire. Ich dachte, heutzutage kennen sich die jungen Kollegen nicht mehr mit Giften aus.«

»Na, so weit liegen wir nun auch nicht auseinander.«

»Sie schmeicheln mir, Verlain. Aber es gab doch die Drohung gegen Guillaume?«

»Das ist es, was mir zu denken gibt. Sie kennen das ja, es gibt Fälle, die beginnen mit einem Mord, und dann bleibt das Tempo hoch, und nach zwei Tagen fasst man den Mörder, weil es nur zwei Fragen gab: Wer war es und warum? Das sind die guten Fälle. Und dann gibt es Fälle, die beginnen mit einem Geschehnis, das immer und immer neue Fragen aufwirft. Am Ende ist dann alles viel verwirrender, als man es für möglich gehalten hat. Das sind die miesen Fälle. Und ich habe das starke Gefühl, dass diese Sache hier in der zweiten Kategorie einzuordnen ist.«

Luc lehnte sich in seinem Stuhl zurück und genoss es, den Rauch einzuatmen, der von der anderen Seite des kleinen Tisches herübergeweht kam. Langsam stieg die Sonne hinter ihnen auf, der Strand wurde heller, die kleinen Bäume auf der Düne und die Sträucher warfen lange Schatten.

»Es ist so wunderschön hier, ich würde jeden Morgen hier draußen sitzen. Wie könnte ich bei dem Anblick ausschlafen?«

»Und diese Ruhe … Einfach herrlich, oder?«

Gerade als Joffe das sagte, hörte Luc erst ein kleines Glucksen aus der oberen Etage, dann begann Aurélie heftig zu schreien. Er lächelte. »Nun ja, großer Hunger macht auch die schönste Ruhe kaputt.«

»Ich gehe mal hinauf. Merci , Commissaire.«

»Es macht mir Freude, wieder einmal helfen zu können. Auch wenn ich bislang ja keine große Hilfe war.«

Luc nickte Joffe zu, dann ging er nach oben. Anouk war dabei, das Baby zu stillen, das jetzt so hektisch trank, als wäre es am Verhungern gewesen. Der Commissaire legte sich zu den beiden und war nach Sekunden wieder eingeschlafen.

Erst als die Geräusche von scheppernden Kisten in sein Bewusstsein drangen, erwachte er wieder. Das Zimmer war leer. Er entschied, erst einmal eine Dusche zu nehmen.

Erst danach sah er aus dem Fenster: Offenbar bereitete sich Auguste Fontaine auf die Wiedereröffnung vor: Aus einem Transporter entluden zwei weiß gekleidete Männer immer noch Kisten, aus denen das Eis tropfte. Auf dem Auto stand: Pêcheurs du Capbreton , darüber war eine Sardine mit einem lächelnden Gesicht gemalt. Auf der Terrasse, die zum Meer zeigte, deckten drei Kellner die Tische ein: weiße Decken, die Stühle wurden zentimetergenau zurechtgerückt. Luc genoss es, dieser detailverliebten Arbeit einen Moment zuzusehen. Dann verließ er das Schlafzimmer und stieg die Treppe hinab. Als er aus dem Haus trat, kam ihm Anouk schon entgegen. Es war merklich abgekühlt, und der Wind war aufgefrischt, sodass sie ganz rote Wangen hatte.

»Du hast so friedlich geschlafen, da wollte ich dich nicht wecken. Wir waren schon am Strand, was für ein Sturm da unten«, rief sie, »aber es ist toll, Aurélie ist im Sand gekrabbelt.«

Luc beugte sich über den Kinderwagen und sah in die lachenden Babyaugen.

»Was machen wir als Erstes?« Anouk sah ihn lächelnd an. »Los, gib mir Anweisungen.«

»Wir bleiben schön zusammen, ich kann ja nicht ohne meine fähigste Capitaine arbeiten. Lass uns nachsehen, ob Monsieur Auguste schon in der Villa ist. Danach sollten wir uns mit Hugo besprechen und uns dann in Richtung Zeltplatz aufmachen.«

»Wird gemacht, Commissaire.«