Kapitel 18

Der Fischhändler winkte ihnen noch zu, als er den Kofferraum schloss, den Wagen anließ und in Richtung Capbreton davonsauste. Nun war der Vorplatz der Villa Auguste wieder leer. Anouk stellte den Kinderwagen in den Schatten der Pergola, die den Eingang überspannte. Aurélie schlief wieder ruhig und friedlich, auf der Seite liegend. Hier draußen waren nur das sanfte Meeresrauschen und das Zirpen der Zikaden in den Seekiefern zu hören. Alles wirkte so idyllisch, dass Luc in diesem Moment selbst eine Stadt wie Bordeaux wie ein menschenverschlingender Moloch vorkam. Als sie näher traten, glitt vor ihnen die automatische Schiebetür geräuschlos auf, und sie waren noch nicht einmal eingetreten, da hörten sie die Stimme eines Mannes, die sie gestern ganz anders wahrgenommen hatten: einladend und freundlich. Heute klang dieselbe Stimme hart, herrisch – und sehr laut.

»… das wegzuschmeißen? Bist du denn bescheuert? Aus welcher Küche haben sie dich denn rausgeschmissen, dass du die Innereien wegschmeißt? Was meinst du, wie wir hier unsere Soßen machen? Etwa mit Pulver oder was? Beim nächsten Mal ziehe ich dir drei Kilo Seehecht vom Gehaltszettel ab – Herrgott, ich hätte dich überhaupt nicht anstellen sollen. Und du da, nun guck nicht so, sondern schneid das verdammte Gemüse klein. Das ist hier kein Kinosaal – sondern eine Küche. Meine Küche – und ihr seid beschissene Lehrlinge, die sich im Glanze der drei Sterne sonnen wollen, obwohl sie nichts, aber auch gar nichts dafür leisten. Also: Zieht die Finger aus dem Arsch und legt los. Wir wollen wieder öffnen – sonst kann ich ja gleich in Rente gehen, und dann sitzt ihr alle auf der Straße. Wollt ihr das? Nein? Dann fangt an.«

Die Tirade war immer lauter geworden, so laut, dass sich sowohl Anouk als auch Luc zum Kinderwagen umdrehten, in der Erwartung, dass Aurélie aus dem Morgenschläfchen gerissen worden war. Doch ihr Kind konzentrierte sich offenbar so geschickt aufs Meeresrauschen, dass es einfach weiterschlief.

In diesem Moment kam von der hinteren Terrasse die junge Frau auf sie zu, die Luc gestern als die Restaurantleiterin kennengelernt hatte. Zunächst blickte sie noch äußerst ernst drein, doch als sie an der Küche vorbei war, hatte sie wieder ihr strahlendes Lächeln aufgesetzt.

»Commissaire Verlain – und Madame …«

»Capitaine Filipetti«, sagte Anouk kühl und gab ihr die Hand. »Hier ist ja ordentlich was los.«

»Er ist nicht gut drauf, Sie hören es ja«, sagte die junge Frau achselzuckend, »aber es ist eben auch eine Sterneküche und nicht das Bistro ums Eck, wo der Koch mit den Gästen jeden Abend Pastis trinkt. Kann ich Ihnen helfen?«

»In der Tat, das können Sie. Gehen wir doch gemeinsam in die Küche.«

»Ich weiß nicht, es ist gerade die wichtigste Vorbereitungszeit«, sagte Florentine Silva vorsichtig.

»Wenn wir nicht weiterkommen, Madame, dann bleibt die Küche ohnehin kalt«, erwiderte Luc und klang nicht mehr ganz so freundlich. Er wies ihr den Weg, und sie ging voran, die zweite Schiebetür glitt auf, und nun standen sie in dem großen Raum. Luc musste kurz den Atem anhalten – unglaublich, wie sich die Küche verändert hatte. Am Vortag war es ein riesiger Saal gewesen, kühl und steril, in dem es nach nichts gerochen hatte. Heute aber war die Küche ein Hexenkessel. Es dampfte aus allen Töpfen, die auf den riesigen Herdplatten standen. Es war heiß, extrem heiß hier drinnen, der Dampf schlug in die riesigen Dunstabzugshauben und in den Lüfter, der über allem schwebte. Die Luft war von zahlreichen Gerüchen erfüllt, die man unmöglich den zugehörigen Töpfen zuordnen konnte. Steril wirkte hier gar nichts mehr. Die Spülkräfte am rechten Ende des Raums wuschen große Töpfe unter einem so kräftigen Strahl ab, dass das Wasser in alle Richtungen spritzte. Alle Arbeitsposten waren besetzt mit jungen Köchinnen und Köchen, die Arbeitsbretter lagen voll mit Zucchini, Artischocken, Fenchel und so vielen Kräutern und frischen Salaten, ein junger Mann schnippelte derart schnell Karotten, dass Luc das Messer förmlich fliegen sehen konnte. Eine Karotte, noch eine, es war eine Arbeit im Sekundentakt. Rechts in der Ecke war der Grill, und es war ein echter Grill, ein runder Ofen mit einem Deckel, und als die Köchin den anhob, glühte es im Inneren. Der Frau stand der Schweiß auf der Stirn. Auf einmal ließ etwas Luc innehalten. Da, ganz hinten am Fenster, sie blickte ihn durchdringend an. Sah nicht auf den Fisch, der vor ihr lag, sondern hielt ihre Augen fest auf ihn gerichtet. In ihrem Blick lag Vorsicht, nein, es war mehr als das, es war Furcht. Doch in diesem Moment wurde Luc abgelenkt – Auguste Fontaine hatte ihn bemerkt.

»Commissaire«, er räusperte sich, »sind Sie schon lange hier?«

Luc versuchte sich an einem Lächeln. »Eben erst rein«, sagte er und erwähnte die Auseinandersetzung, der sie eben beigewohnt hatten, mit keinem Wort. Er hätte zu gern gewusst, wen der Chefkoch da zusammengestaucht hatte. »Das ist meine Kollegin Anouk Filipetti. Wir ermitteln gemeinsam.«

»Enchanté , Mademoiselle. Na, da können Sie ja unsere Zentrale mal in voller Fahrt kennenlernen. Kommen Sie.«

Der Maître ging voran. Luc wollte ihn eigentlich aufhalten, aber vielleicht war es auch gut, sich hier alles genau anzusehen.

»Es ist ja ganz schön was los bei Ihnen«, bemerkte Anouk.

»Finden Sie?« Auguste sah sie überrascht an. »Na, dann sollten Sie mal abends kommen. Dann fliegen hier die Teller. Am Tage ist das unsere Vorbereitungsküche. Da schnippelt unser junger Alain hier das Gemüse. Na, Alain?« Der blasse Junge mit der unreinen Haut sah seinen Chef schüchtern an. Er musste sehr jung sein, vielleicht noch nicht einmal volljährig. »Wie viele Karotten waren es denn heute schon?«

»Elf Kilo«, antwortete der Lehrling und wies auf den Behälter neben sich. Es mussten viele tausend Würfel sein, die dort drinnen lagen. Luc schätzte, er hätte für diesen Bottich den ganzen Arbeitstag gebraucht. »Nachher kommen die Zwiebeln, die schneiden wir immer zuletzt. Sonst muss Alain den ganzen Tag weinen.« Der Junge reagierte nicht, nahm wieder das Messer und legte los, und kein Würfel verrutschte, alles blieb an seinem Platz.

»Wie lernt man es so schnell?«, fragte Anouk.

»Es ist ein simpler Trick«, antwortete Auguste Fontaine. »Wiederholung. Sie können eine Möhre komplett schneiden. Dann schälen Sie sie, machen den Strunk ab, dann schneiden Sie sie in Streifen und dann in Würfel. Das dauert ewig. Wir machen es anders: Wir schälen erst alle, dann schneiden wir die Strünke ab, dann kommen die Streifen, und anschließend macht Alain Würfel aus allen. Am Ende ist es nur eine einfache Handbewegung jedes Mal. Sie müssen nichts weglegen oder neu ansetzen. Es geht ins Blut über – da können Sie nebenbei im Kopf noch ein Buch schreiben, weil Sie über das, was Sie mit den Händen tun, nicht mehr nachdenken. Aber die meisten Köche … Na ja, die denken eh nicht viel nach.« Er drehte sich wieder um und ging weiter in Richtung eines gewaltigen Herdes, hinter dem der hagere Mann vom Vortag stand. »Roland steht am Herzstück unserer Küche. Riechen Sie mal.« Er drängte den Souschef zur Seite und hob den Deckel an. Und augenblicklich erinnerten die Kräuteraromen, eine scharfe Beinote und eine karamellige Süße den Commissaire daran, dass er noch gar nicht gefrühstückt hatte.

»Das ist der Jus, den wir zu unseren Täubchen und zum Kalb-Entrecôte servieren. Ein gebundener Kalbsjus, der zwei Tage eingekocht wird. Mit bestem Tursan-Wein aus den Landes. Sie gießen am Anfang zehn Liter Rotwein hinein und köcheln ihn so lange ein, bis Sie am Ende nur noch einen dünnen Film Rotwein am Boden haben, der so konzentriert ist, dass es Ihnen die Schuhe auszieht.«

»Dürfte ich probieren?« Luc kam der Geruch himmlisch vor.

»Ne-ei-ein«, sagte Auguste Fontaine lachend, »auf keinen Fall. Hier gibt es nur formvollendete Gerichte für Gäste, nicht dass Sie denken, wir könnten nicht kochen. Seien Sie doch heute Abend unsere Gäste, dann probieren Sie die Soße und sagen mir, was Sie denken. So, Roland, weitermachen.«

Der Souschef hatte kein Wort gesagt, aber Luc fing seinen Blick auf, als sie weitergingen. Es war kein freundlicher Blick, untertrieben gesagt.

»Dort hinten machen sie einen Test für ein neues Grillverfahren, die Gäste mögen merkwürdigerweise wieder diese Röstnoten – wie die Neandertaler. Und hier werden die frischesten Fische der gesamten Küste ausgenommen, eben erst aus Capbreton angelandet.« Er wandte sich der jungen Frau zu, die Luc vorhin beobachtet hatte. »Sehr gut machst du das. Erst so kurz hier und schon ein echter Profi. Auch die Innereien aufheben, so gehört es sich.« Die Polizisten sahen dabei zu, wie die Köchin eine große Seezunge in die Hand nahm. Die Augen des Fisches waren ganz hell und klar, der Glanz schien wirklich noch vom Salzwasser zu stammen – die Delikatesse war wohl erst in der Nacht gefangen worden. Die Frau schnitt den Bauch auf und entnahm vorsichtig die Leber und das Herz. Luc sah genauer hin. Ja, es war fast unmerklich, aber bei der Bewegung des Messers konnte er es doch erkennen: Ihre Hände zitterten.

»Hauchzart gedämpfte Seezunge, serviert mit dem Kaviar der Aquitaine und einem kleinen Sandstrand, das können Sie heute auch probieren. Kommen Sie weiter, ich zeige Ihnen, was ich für das wahre Herzstück meiner Küche halte – auch wenn der liebe Roland le Correc etwas anderes sagen würde.« Er lachte wieder sein bauchiges Lachen.

Luc und Anouk warfen sich einen Blick zu. Auguste Fontaine öffnete eine winzige Tür, die so unscheinbar war, dass der Commissaire sie fast nicht bemerkt hätte. Sie traten hinaus und standen nun auf der Nordseite des Restaurants, dem Teil, der von der Landseite aus nicht zu sehen war. Es waren zwei Mauern errichtet worden, wahrscheinlich um den Wind von hier fernzuhalten. Der Boden war über und über berankt, hier, mitten auf der Düne – und Luc verstand es erst, als Auguste ein kleines Messer zückte. Sie standen im Kräutergarten des Maître.

»Ich hole nur rasch den Kinderwagen«, sagte Anouk und verschwand hinter der Häuserecke. Der alte Koch ging mit einer Behändigkeit in die Knie, die Luc ihm gar nicht zugetraut hatte. Dann griff er einige grüne Blätter, so vorsichtig, als streichelte er ein Kleinkind. Er besah sie sich lange und gründlich, erst nach einer Weile setzte er das Messer an und schnitt zwei Zweige ab. »Hier, riechen Sie das.« Er strich sanft über eines der schlanken Blätter und hielt es dem Commissaire unter die Nase.

»Hm«, murmelte der, »ich mag das sehr gerne als Tee – Verveine, nicht wahr?«

»Es ist mein liebstes Kraut«, sagte Auguste Fontaine und sah schwärmerisch gen Himmel, »ich aromatisiere alles damit. Diese leichte Zitronennote – und darunter liegt etwas ganz Erdiges, Kräftiges. Ich nehme es für meine Morchelsuppe genauso wie für Desserts. Meine frühen Erdbeeren mit Verveine-Sirup, die müssen Sie probieren. Und dort …«, er wies auf ein anderes Beet in diesem Kräutergarten, der über und über bedeckt war mit duftenden Genüssen, »dort ist Salbei, und diese violette Pflanze – kennen Sie die?«

Luc schüttelte den Kopf. Anouk war schon eine Weile weg, er drehte sich um, um nach ihr zu sehen, und erschrak. Da stand wirklich Florentine Silva, die Restaurantleiterin, und lächelte ihn an. Sie war ihnen die ganze Zeit gefolgt. Herrgott, dachte er, sie war wirklich eine diskrete Person, unauffällig, wie ein Schatten und doch immer da – genau wie es sich für ein solches Etablissement gehörte. Er erwiderte ihr Lächeln, dann blickte er auf die hohe Staude, die mit ihren violetten und dunkelblauen Blüten tatsächlich bemerkenswert aussah.

»Das ist Ysop. Man kennt ihn seit fast fünfhundert Jahren. Früher haben die Menschen ihn genommen, wenn ihr Magen schmerzte. Heute nehme ich ihn, um Genuss zu schaffen. Er ist sehr kräftig, fast aufdringlich, irgendwo zwischen Lavendel und Minze. Ich setze ihn nur ganz vorsichtig ein, um zum Beispiel einer leichten Tomatencreme etwas Kraft zu geben.«

»Das ist ein sehr schöner Anblick, Monsieur«, sagte Anouk, die mit Aurélie auf dem Arm auf einmal hinter ihnen stand. Luc erschrak ein zweites Mal – waren alle Frauen so diskret? Wenn er durch den Raum ging, war er immer zu hören. Doch nun hörte er seine Freundin sagen: »Aber wir sind ja wegen etwas anderem hier. Immer noch wissen wir nicht, womit es jemand auf Ugo Gennevilliers abgesehen hat – und dem sollten wir uns jetzt mal zuwenden.«

Im Nu war Auguste Fontaine aufgestanden, die Verveine-Blätter hielt er fest in den Händen.

»Natürlich, Capitaine. Sie haben recht. Aber Sie müssen entschuldigen. Die Küche hat mich fest im Griff.«

»Das verstehen wir – und auch Ihre Liebe zu Ihren Produkten«, versicherte Anouk schnell. »Dennoch haben wir uns wegen der Drohung gegen Ihren Sohn zu sehr auf die Stopfleber fokussiert. Wir brauchen genaue Angaben darüber, welche Speisen und Getränke der Kritiker zu sich genommen hat.«

»Also, haben Sie etwas zu schreiben?« Florentine Silvas Stimme stand in Sachen Strenge Anouks in nichts nach, ihr freundliches Lächeln war eingefroren.

»Müssen Sie nicht nachsehen?«, fragte Luc.

»Das hier ist ein Dreisternerestaurant. Mit anderen Worten: Nein, ich muss nicht nachsehen. Erst recht nicht bei Monsieur Ugo.«

Sie sah ihren Chef an, und der nickte.

»Monsieur Gennevilliers hätte das komplette Menü mit seinen sechs Gängen bekommen plus den siebten, den Hummer. So macht er das hier immer. Am Anfang stand das Amuse-Bouche, das hatte ich Ihnen ja schon in der Nacht beschrieben.«

»Und die Getränke?«

»Ugo nimmt ausschließlich stilles Wasser – er trinkt nur eine Sorte: Abatilles aus Arcachon. Selbst Restaurants im Elsass und in Paris haben immer eine Flasche davon im Haus – falls der Kritiker den Laden betritt. Selbst wenn sie dafür Hunderte Kilometer fahren müssen, sie kaufen es. Wir haben das Glück, dass es ohnehin unser Stammwasser ist. Und dann gibt es natürlich noch den Wein. Bei dem sieht’s genauso aus wie mit dem Wasser. Seitdem die New York Times mal in einem Porträt über ihn geschrieben hat, welchen Wein der Kritiker bevorzugt, sind die Flaschen wohl ausverkauft, weil sich jedes Restaurant zwischen Paris und Nizza damit eingedeckt hat. Er liebt den 95 er Château Lacour, dreihundert Euro kostet die Flasche, aber er gönnt sich diesen kleinen Luxus auf Kosten der Redaktion.«

»Ach, sein Essen muss er selber zahlen?«

»Natürlich«, fuhr Auguste Fontaine auf, »die Sternebewertungen sind unbestechlich – wer versucht, Ugo einzuladen, kann seinen Stern auch gleich an den Nagel hängen. In den Kofferraum lässt sich zwar manch ein Kritiker gern das ein oder andere kleine Geschenk legen, eine Kiste Wein oder dergleichen – aber mit unserem Ugo kann man das nicht machen.«

»Gibt es die Flaschen noch, aus denen ihm gestern eingeschenkt wurde? Wasser und Wein?«

»Beim Wasser bin ich mir nicht sicher. Aber meinen Sie, wir schmeißen einen 95 er Lacour weg? Der steht noch hier für die Küchenbrigade.«

»Wir nehmen ihn mit. Würden Sie ihn mir bringen?«

Florentine Silva nickte und verschwand nach drinnen.

Im Hintergrund hörten sie eine Stimme. Sie klang wütend und zugleich herrisch. Dabei war Auguste doch hier bei ihnen. Luc hörte nur Wortfetzen. »… nicht Ihre Küche, lassen Sie mich zu meinem …«

Dann sah er schon, wie der alte Chefkoch die Augen verdrehte. »Nicht schon wieder«, murmelte er und eilte mit einem Satz an ihnen vorbei ins Innere der Küche. Luc folgte ihm.

Roland le Correc stand einem jungen Mann im Weg, der einen Kopf größer war als er. Und – Luc musste es zugeben – unverschämt gut aussah. Er hatte dichtes dunkles Haar, das ihm wild vom Kopf abstand und ihm zusammen mit dem Dreitagebart einen verwegenen Ausdruck gab. Die Ähnlichkeit mit Guillaume Fontaine war nicht von der Hand zu weisen. Neben ihm hörte er den Hausherrn stöhnend sagen: »Schlechter Moment.«

»Papa, ich …«

»Wie gesagt«, fuhr ihn der andere an, »schlechter Moment. Diese Herrschaften sind von der Police nationale – sie ermitteln im Fall von Ugos Vergiftung. Und das ist … Rémy Fontaine. Guillaumes Bruder.«

Luc suchte Anouks Blick. Der Vater hatte seinen Sohn nicht mein Sohn genannt.

»Sie werden den Übeltäter bestimmt bald finden«, sagte der junge Mann knapp, sein Blick verweilte einen Moment zu lange auf Anouk, dachte Luc. Aber dann wandte er sich schon wieder seinem Vater zu. »Hast du es dir überlegt?«

Auguste Fontaine räusperte sich. »Ich sage die Sachen ungern dreimal, nicht meinen Lehrlingen – und erst recht nicht dir. Jetzt ist ein schlechter Zeitpunkt. Aber gut, und selbst wenn du jetzt auch wieder davonstürmst: Nein, ich werde dein Angebot nicht annehmen. Das kannst du doch wirklich nicht im Ernst geglaubt haben. Wir tragen denselben Namen – aber das war es dann auch …«

Rémy senkte den Kopf und sagte, ohne seinen Vater anzusehen, beinahe tonlos: »Guillaume bekommt immer seine Chance – ich dagegen kann dir noch so oft mein Wort geben, dass ich mich geändert habe, du bleibst bei deiner Meinung. Ich weiß ehrlich nicht, warum.« Dann drehte er sich um und stieß dabei Roland le Correc an, der ihn wütend anzischte, doch Rémy schien es nicht mal zu bemerken. Hinten, am Fischposten, schepperte es erst, dann krachte etwas auf den Boden. »Merde!« , rief eine Frauenstimme, und dann leiser: »Excusez-moi , nichts passiert.« Dann sah Luc, wie die junge Asiatin, die ihn vorhin fixiert hatte, sich hinunterbeugte und Scherben aufhob.

Sie alle hatten dem Familiendrama still zugesehen, und bevor einer von ihnen etwas sagen konnte, rief Auguste Fontaine schon durch die Küche: »Alle wieder an ihre Plätze – heute Abend machen wir das, was wir am besten können: Wir machen die Gäste glücklich.« Er wandte sich dem Commissaire zu, wiederum geschäftig und ganz schnell, als wäre die Unterredung beendet: »Ich würde dann weitermachen – ich hoffe, Sie finden die Ursache heute noch.«

»Wir melden uns bei Ihnen, danke, Monsieur Fontaine.«

Anouk gab Luc vorsichtig das kleine Mädchen auf den Arm, dann bahnten sie sich einen Weg an den Küchenposten vorbei. Die einzigen Geräusche waren das Prasseln der Pfannen, das Dampfen der Töpfe und das Schaben der Messer auf den Arbeitsbrettern. Ansonsten lag eine gespannte Ruhe in der Luft. Als sie draußen standen, atmete Anouk tief aus. »Na, das war ja was.«

»Ein einziges großes Theater. So ist meine Familie.«

Sie hatten beide nicht bemerkt, dass der junge Rémy Fontaine noch immer hier war. Er saß im Schatten des Restaurants und rauchte eine Zigarette. Als sie näher traten, stand er auf und ging den Polizisten entgegen.

»Alles in Ordnung, Monsieur Fontaine?« Der junge Mann war rot im Gesicht.

»Jaja, ich habe nichts anderes von ihm erwartet. Es ist nur …«

»Worum geht es denn bei Ihrem Streit?«

»Sie haben ja offensichtlich ein Mädchen, Commissaire«, antwortete Rémy mit einem Blick auf Aurélie in Lucs Arm, »aber bei Vätern und Söhnen geht es oft doch von Anfang an nur darum, dass der eine dem anderen gerecht werden, dass er gefallen will. Bei uns ist das jedenfalls so gewesen. Nie hat es geklappt, weil ich ein Idiot war – ein eitler und besoffener Idiot. Aber jetzt, wo ich erkannt habe, was ich wirklich will, jetzt lässt er mich am langen Arm verhungern.« Er warf die Zigarette auf den Kiesboden und trat darauf herum.

»Wollten Sie mit Ihrem Vater zusammenarbeiten?«

Irgendwie schien der junge Mann zu erwachen, er richtete seine Augen auf Anouk und sagte: »Das war schon viel zu viel Familiengedöns – mein Vater hasst das. Also … Viel Glück mit Gennevilliers.«

»Haben Sie denn nicht vielleicht irgendeine Idee dazu?«, fragte Luc, gerade als sich Rémy abwandte und in Richtung seines gelben Lamborghini gehen wollte.

»Ich habe keine Ahnung, was passiert ist. Aber Ugo ist so vernarrt in Papa, der würde ihm die drei Sterne noch geben, wenn sie beide längst hundert und vollkommen zahnlos sind. Also, bon courage , ich muss los.« Dann ging er tatsächlich los, ließ den Höllenmotor an und gab Gas.

»Und? Wie fandest du ihn?«, fragte Luc, »Du hast jedenfalls lange genug hingesehen.«

»Ja«, sagte Anouk grinsend, »ein durchaus passabler Anblick am frühen Morgen. Ich brauche jetzt ehrlich gesagt trotzdem einen Kaffee.«