Das Hotel de l’Océan befand sich kurz hinter der Stranddüne von Moliets-et-Maa, einem der Bade- und Surforte, die sich wie Perlen auf einer Kette an der Küste aneinanderreihten. Beschauliche Orte mit kleineren Holzhütten für die Sommerfrischler und großen Holzhäusern für die wenigen, die es hier das ganze Jahr aushielten. Campingplätze, die im Sommer aus allen Nähten platzten und im Winter sandige Brachen waren.
Wie jeden Morgen fegten die Geschäftsleute vor ihren Läden den Sand weg, der in der Nacht vom Strand heraufgeweht war. Das war aber auch der einzige Nachteil, hier zu leben, direkt am Ozean.
Sie betraten die hölzerne Terrasse, Luc hielt wieder Aurélie auf dem Arm, dann passierten sie die Tische, die alle schon für den Mittagsservice eingedeckt waren, und gingen an die kleine Bar im Außenbereich, an der sich zwei Köche des Bistros mit der ersten Zigarette den Tagesstart erleichterten.
»Deux cafés serrés, s’il vous plaît« , bestellte Anouk. Sie hörten das Mahlen der Mühle und das Rauschen der Maschine, dann stellte die junge Barfrau zwei kleine Tassen starken Espressos vor ihnen ab.
»Da seid ihr ja endlich«, ertönte plötzlich eine Stimme hinter ihnen. Sie wandten sich um. Es war Hugo, der in Sportshirt und Shorts schweißgebadet vor ihnen stand. »Na, da schaut ihr, was? Ich war schon am Strand joggen. Muss ja fit bleiben, jetzt wo mich Anouk wieder an den Schreibtisch verbannt.«
»Na, damit ist erst mal Schluss. Komm, zieh dich um und hol dir einen Kaffee, und dann kommst du mit uns zum Zeltplatz. Wir müssen dringend mit den jungen Leuten reden.«
»Hm«, räusperte sich eine weitere Stimme, die ihnen bekannt vorkam. »Reden wird wohl nicht genug sein, meine ich.« Laurent Aubry kam aus einer Ecke des Restaurants, die nicht einsehbar war. Er hielt einen Becher mit Latte macchiato in der Hand. »Sie sollten sich daranmachen und diese Leute festnehmen. Oh …«, er blieb überrascht stehen, »Sie sind wohl Madame Filipetti?«
Der junge Chef der Einheit reichte Anouk die Hand. Er war auch hier im Strandort wie aus dem Ei gepellt, mit seinem Maßanzug und den schwarzen Lederschuhen wirkte er wie ein Außerirdischer inmitten dieser Urlaubsszenerie.
»Capitaine Filipetti, ganz recht. Commissaire Verlain hat mich zum Einsatz hinzugebeten.«
»Das überrascht mich, denn eigentlich wäre es meine Aufgabe, Sie hinzuzubitten. « Er zog das Wort wie einen Kaugummi. »Was natürlich nicht möglich ist, denn Sie sind ja offiziell noch nicht wieder im Dienst, und das ist zuallererst ein Versicherungsproblem. Sie kennen sicher Artikel 41 im Beamtengesetz von 1984 , der die Abwesenheiten von Polizeibeamten regelt, und ich glaube, dass ich, auch wenn wir einander sehr verbunden sind, dort wirklich Ärger mit dem Herrn Innenminister bekommen könnte und …«
»… und wir wissen, dass Sie keinen Ärger haben wollen, Monsieur Aubry«, sagte Luc knapp. »Alles klar, dann …« Doch Anouk unterbrach ihn.
»Gut, kein Problem, dann fahre ich gleich nach Hause.« Sie war absolut freundlich. »Bringst du mich noch zum Bahnhof, Luc?« Der Commissaire nickte.
»Äh …« Laurent Aubry hatte offenbar mit mehr Gegenwehr gerechnet und wusste nun kurz nicht, was er erwidern sollte. »In jedem Fall erwarte ich, dass Sie die Umweltschützer heute festnehmen und zum Verhör in die Feuerwache bringen. Ich möchte das persönlich übernehmen.«
»Monsieur, wenn Sie erlauben – Sie wissen doch, wie es beim letzten Mal ausgegangen ist. Das ist doch nun wirklich Polizeiarbeit, so ein Verhör.«
»Sie lassen nicht locker oder, Commissaire? Ich glaube, dass wir beide gut zusammenarbeiten werden. Ihre Erfahrung und meine Innovation. Das ist es, was die neue Polizeiarbeit ausmacht. Und mit diesen … nun ja, Umweltterroristen ist nun wirklich nicht zu spaßen. Also beeilen Sie sich.«
Damit verbeugte er sich vor Anouk und verschwand im Inneren des Hotels.
»Umweltterroristen«, sagte Luc und fasste sich an die Stirn. »Was für ein Idiot.«
Sie saßen schon in Anouks Citroën, Hugo saß auf dem Rücksitz und hielt Aurélies Hand, die im Kindersitz mit einer Holzrassel klapperte.
»Ist es okay, wenn ich Aurélie und dich in Labouheyre am Bahnhof absetze?«, fragte Luc. »Der TER nach Bordeaux fährt nur eine Dreiviertelstunde.«
Anouk drehte sich zu Hugo um. »Er hat es wirklich geglaubt. Du auch?«
Der Brigadier schüttelte den Kopf. »Na, ich kenne dich eben schon ein Jahr länger als dein Freund.«
»Du fährst mich natürlich nirgendwohin, Luc. Ich komme mit. Der Kerl hat ja wohl nicht alle Tassen im Schrank. Los, ab nach Saint-Sever.«
»Vorher fahren wir noch nach Dax ins Krankenhaus.«
»Allez , los geht’s.«
Luc musste lachen, fuhr das Fenster herunter und streckte die Hand in den Fahrtwind. So machte Ermitteln Spaß.