Kapitel 20

»Wir beeilen uns, okay, Hugo?«

Anouk und Luc waren am Hôpital von Dax schon ausgestiegen und blickten zu dem Kollegen, der neben Aurélie auf dem Rücksitz saß.

»Wir könnten doch auch einfach Schnick-Schnack-Schnuck spielen, wer die Nanny und wer der Polizist ist …«, schlug Hugo vor. »Nein? Na gut.«

»Danke, mon cher. «

Sie gingen eilig nach drinnen, und Anouk folgte Luc auf dem Weg, den dieser schon am Vortag genommen hatte. Diesmal war es Docteur Giraud persönlich, die öffnete.

»Oh, Commissaire …«

»Bonjour , Docteur, das ist Capitaine Filipetti aus Bordeaux.«

»Bonjour , Madame. Hereinspaziert.«

»Haben Sie uns erwartet?«

»Nein. Aber ich bin derzeit um jede Minute froh, die ich nicht in meinem Labor verbringen muss.« Sie grinste.

»Wieso das denn?«

»Nur herein, nur herein, es ist eine Überraschung – und ich kann versprechen: eine ganz besondere.«

Am Ende des Ganges zog sie die Schiebetür auf, und während die geräuschlos aufglitt, zog sie sich sofort eine FFP 2 -Maske auf, die sie eben aus ihrer Tasche hervorgezaubert hatte. Luc trat ein, und es dauerte nur einen Augenblick, bis er begriff, weil die Nase die Information erst an sein Gehirn senden musste – dann aber griff er sich an den Mund und hustete, weil der ganze Raum so entsetzlich stank, dass es nicht auszuhalten war. Auch Anouk begann zu husten.

»Herrgott!«, rief sie. »Was ist das?«

Docteur Giraud lächelte die beiden Polizisten an und gab ihnen rasch zwei weitere Masken, die auf einem Arbeitsschrank bereitgelegen hatten. »Hier, damit geht’s.«

Anouk und Luc setzten schnell die Masken auf, und sofort wurde der Geruch schwächer, bis es einigermaßen auszuhalten war. »Das ist ja erbärmlich«, sagte der Commissaire, »Sie Arme, womit arbeiten Sie denn hier?«

»Tja, was soll ich sagen: Das war eine Ihrer Proben«, erwiderte Docteur Giraud, und ihre Locken wippten bei jedem Wort. Es schien ihr Freude zu machen – die Untersuchung einer vergifteten Foie gras war sicherlich spannender als die Prüfung Dutzender Fingerabdrücke nach einem Einbruch. »Es ist quasi Ihre Schuld, dass ich diesen Raum jetzt erst mal vergessen kann.«

»Wie kann das sein?«, fragte Luc. »Dann hätte doch das ganze Restaurant evakuiert werden müssen – dort hat aber gar nichts gerochen.«

»Es war keine Probe aus dem Restaurant, es war eine der Stopflebern, die im Lager von Monsieur Fontaine vor sich hin schmorten. In der fünften Probe sind wir fündig geworden, gerade als wir die Folie öffneten. Dann habe ich alle Mitarbeiter sofort rausgeschickt. Das muss sich ja keiner antun, außer mir alter Häsin.«

»Aber im Lager stank es auch nicht«, gab Luc zu bedenken.

»Ich untersuche gerade die Vakuumfolie, in der die Foie gras verpackt war. Entweder hat man die Einstichstelle wieder verschlossen, oder die Nadel war so winzig, dass es keinen Austritt geben konnte – denn man braucht für diesen Gestank nicht viel.«

»Nun sagen Sie schon, Docteur – was ist das?«

»Butansäure – und bevor Sie gleich fragen, ja, das herkömmliche Wort dafür ist Buttersäure. Sie riecht gelinde gesagt wie vergorene Milch.«

»Buttersäure?« Anouk runzelte die Stirn. »Mein Studium ist zwar schon einige Zeit her, aber bei den für Menschen gefährlichen Giften war das nicht dabei. Es ist doch eher ein Stoff, der von Schutzgelderpressern benutzt wird, um Klubbesitzer einzuschüchtern, indem man es in deren Disco verschüttet, oder? Eine reine Qual – aber nicht lebensgefährlich.«

»Sehr gut, Madame Filipetti. Nein, das ist es nicht, was Ugo Gennevilliers vergiftet hat. Seine Foie gras enthielt ohne Zweifel keine Buttersäure, die wäre in jedem Fall nachweisbar gewesen. Butansäure riecht schrecklich, schließlich ist sie einfach nur sehr ranzige Butter. Sie reizt hauptsächlich die Atemwege. Aber im menschlichen Körper würde sie nichts anrichten – auch weil sie von Natur aus im Darm vorkommt.«

»Und ein anderes Gift haben Sie nicht finden können?«

»Nichts. Auch nicht in den Kulturen, die ich über Nacht angesetzt habe.«

»Was kann es dann gewesen sein?«

»Ich habe nicht den geringsten Schimmer.«

»Und die Buttersäure? War das nur ein Dummekinderstreich?«

»Wenn ich genug gelüftet habe, sage ich es Ihnen. Dann untersuche ich die anderen Proben und schaue, ob es noch ein anderes Gift gab. Eine grobe Sachbeschädigung ist es allemal. Und ein Frevel an einem französischen Kulturgut obendrein.«

Luc schüttelte den Kopf. Er ärgerte sich. Er hatte im Innersten gehofft, dass er unrecht gehabt hatte – und die Foie gras doch der Grund der Vergiftung gewesen war. Dann wäre er der Lösung des Falles jetzt einen Schritt näher. Stattdessen musste er wieder ganz von vorne anfangen.

»Was hat der Kritiker denn noch gegessen? Ich brauche von allem Proben.«

»Das Amuse-Bouche lassen wir Ihnen gleich schicken. Und hier …«

Er reichte ihr die Weinflasche, die er in einem Beutel in der Innentasche seiner Lederjacke verstaut hatte.

»Oh, das ist ja mal ein feiner Tropfen«, sagte Docteur Giraud beim Blick aufs Etikett. »Wieder etwas, was man sich als Gerichtsmedizinerin nicht leisten kann.«

»Wenn Sie ihn fertig analysiert haben, dürfen Sie ihn gerne kosten«, sagte Luc. »Es tut mir leid, dass alle Beweismittel so scheibchenweise kommen. Das Problem ist, dass wir uns alle so auf die Stopfleber gestürzt haben – eben weil es eine Warnung dazu gab. Aber nun müssen wir den Blick eben weiten.«

»Ich habe alle anderen Dinge hintangestellt. Also lassen Sie mir alles herschicken, dann kümmere ich mich gleich und melde mich bei Ihnen. Und diese Delikatesse ist jetzt sofort dran.«

»Sagen Sie: Besteht eine Gefahr, dass es ein Gift im Restaurant gibt, das so lange hält, dass es heute Abend noch gefährlich sein könnte?«

»Sie meinen, in den Gewürzen oder dergleichen?«

»Entschuldigung, ich habe mich unklar ausgedrückt. Nein, eher in frischen Lebensmitteln.«

Docteur Giraud dachte nach. »Das wären jetzt drei Tage. Es ist eher unwahrscheinlich. Zudem werden in einer Sterneküche wie dieser doch ohnehin alle Dinge frisch zubereitet. Also ich glaube, es war ein konkreter Angriff auf den Kritiker, wenn Sie mich fragen.«

»Keine Gefahr?«

»Eine geringe – aber der Rest ist Ihre Sache.«

»Merci , Docteur.«

Anouk und Luc verabschiedeten sich von ihr, und beide waren sehr glücklich, als sich die Glastür des Traktes hinter ihnen schloss und sie endlich die Masken abnehmen konnten. Unglaublich, war das ein Gestank gewesen. Luc atmete tief ein und aus.

»Was hattest du bei deinen Nachfragen im Hinterkopf?«, fragte Anouk, als sie auf dem Weg zum Ausgang waren.

»Na ja, ich hatte vorhin das Gefühl, dass dort etwas im Gange ist – die Stimmung in der Küche war explosiv auf der einen Seite, was natürlich besonders an Auguste Fontaine lag. Aber da war noch etwas anderes: als würde etwas die Atmosphäre vergiften – so ganz unterschwellig.«

»Und jetzt willst du der Explosion etwas auf die Sprünge helfen, indem der Laden wieder öffnen darf.«

»Du kennst mich einfach zu gut. Ja, ich denke, das wäre das Beste für unsere Ermittlungen. Vielleicht geraten dadurch die Dinge etwas ins Rollen. Und da der Maître uns ja sogar zum Essen eingeladen hat, könnten wir sogar dabei sein.«

Anouk lächelte. »Na, ich nehme dann aber keine Foie gras.«

»Wir sollten eine große Einheit ein letztes Mal die Küche durchsuchen lassen. Ich will keine Überraschungen. Proben von verdächtigen Produkten sollten sofort zu Docteur Giraud gebracht werden. Wenn sie fertig sind, kann die Villa Auguste wieder öffnen. Kannst du dich darum kümmern?«

»Klar, das mach ich. Ich schau mal, ob die Kollegen in Mont-de-Marsan dafür Kapazitäten haben.«

Sofort nahm sie ihr Telefon und trat einen Schritt zur Seite, um mit dem Commissariat der Hauptstadt des Département Landes zu sprechen.

Luc ging zum Auto, doch es war verlassen. Da hörte er ein Jauchzen. Hugo lag auf einer Wiese am Rand des Parkplatzes und ließ Aurélie über sich fliegen. Sie waren ein Herz und eine Seele. Luc musste lächeln.