Kapitel 33

Es war das zweite Mal innerhalb weniger Tage, dass ein Hubschrauber am Strand von Huchet landete. Hier im Wald war dafür kein Platz, bei dem Sturm war es schon am Strand schwierig genug. Luc sah ihn unter den Baumwipfeln verschwinden, es waren nur Sekunden, dann dröhnte es kurz, und schon stieg er wieder auf, die Lichter blinkten in der Dunkelheit der Wolken, als wäre es bereits tiefe Nacht. Dabei war es erst später Nachmittag.

Es dauerte nur drei Minuten, dann hatten die Kollegen aus Bordeaux sie über die Düne erreicht: Silvain Guerré, der junge Gerichtsmediziner, den Luc anfangs für einen eitlen Gockel gehalten hatte, der sich aber als talentiert und sehr präzise ausgezeichnet hatte. Und die beiden älteren Kollegen von der Spurensicherung, die sich sofort neben dem Pathologen vor die Leiche knieten.

»Steife Brise«, sagte Guerré und blickte erst Anouk und dann den Commissaire an. »Wollen Sie meine Meinung hören? Das war kein natürlicher Tod.«

»Sehr witzig«, murmelte Anouk, die den jungen Mann eigentlich gut leiden konnte. Es war aber kein Geheimnis, dass die Berufsgruppe der Gerichtsmediziner einen eigenartigen Sinn für Humor hatte. Kein Wunder, wenn sie die Hälfte ihres Lebens in fensterlosen Kellern mit Leichen verbrachten, die nicht durch Gottes Hand aus dieser Welt geschieden waren.

»Sorry«, murmelte der Arzt, als er die Gesichter der Polizisten sah. Er hob den jungen Koch einmal an und besah sich die Rückseite. »Ich lass ihn so liegen für euch, keine Sorge«, sagte er, bevor die Spurensicherer protestieren konnten. Natürlich war es wichtig, dass keine Spuren verwischt wurden – doch bei diesem Regen war das sowieso reine Glückssache.

»Da brauch ich wohl nicht viel zu sezieren«, sagte Guerré, »ein Schuss. Eintritt im oberen Bauch, viel Blutverlust, der Tod muss nach kurzer Zeit eingetreten sein. Wahrscheinlich nach weniger als einer Minute. Austrittswunde im Rücken etwas oberhalb der Niere.«

Luc nickte ihm zu und wandte sich dann dem Mann im weißen Overall zu, der bereits komplett dreckverschmiert war, weil er auf allen vieren durch den Schlamm kroch.

»Haben Sie schon ein Projektil gefunden?«

»Gemach, Commissaire, gemach. Beten Sie, dass es nicht in den Fluss gefallen ist.«

»Docteur, wonach sieht die Eintrittswunde aus? Ein Jagdgewehr?«

»Bin ich Hellseher? Durch die Klamotten kann ich das nicht sagen. Und die darf ich ihm noch nicht ausziehen, wie Sie wissen, weil ich sonst Spuren verwische. Fragen Sie mich in zwei Stunden noch mal.«

»Zwei Stunden. Mehr nicht.«

Luc wandte sich Anouk zu. Die sah ihn traurig an. »Ich weiß, was du denkst«, sagte sie. »Aber ich denke, wir können hier nicht mehr viel tun, was uns Zeit rausschindet, bevor wir Monsieur Fontaine die schreckliche Nachricht überbringen müssen.«

»Jemand muss Guillaume Fontaine dazuholen. Sein Vater wird ihn brauchen.«

»Du hast recht. Soll Hugo ihn abholen? Ach nein, der hat ja Aurélie. Wir könnten Aubry zurückschicken.«

»Um die Todesnachricht zu überbringen?« Luc schüttelte den Kopf. »Dann könnten wir auch gleich die Telefonauskunft darum bitten. Nein, ich rufe ihn an und sage ihm, er soll dringend herkommen. Aber noch ohne den Grund zu nennen.«

»Ja«, erwiderte Anouk, »das wird das Beste sein.«

Luc ging ein Stück zur Seite und griff zum Telefon.

Doch er konnte den Blick nicht von dem jungen Mann lösen, den er vor wenigen Stunden noch so voller Leben und voller Tatkraft gesehen hatte.